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Dr. Geltsamers erinnerte Memoiren - Teil 2: Die Hyänen von Berlin
Dr. Geltsamers erinnerte Memoiren - Teil 2: Die Hyänen von Berlin
Dr. Geltsamers erinnerte Memoiren - Teil 2: Die Hyänen von Berlin
Ebook198 pages2 hours

Dr. Geltsamers erinnerte Memoiren - Teil 2: Die Hyänen von Berlin

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About this ebook

Die Jagd nach dem geheimnisvollen "Buch der Bücher" geht weiter!

Während der Schriftsteller Nikolaus Klammer verzweifelt versucht, seine verschwundene und vielleicht auch von finsteren Mächten entführte Tochter Isa zu finden und endlich in Rom eine Spur von ihr zu entdecken glaubt, hat sich das schwarze Buch erneut verändert, das man ihm  in einer von einem Tag auf den anderen verschwundenen Buchhandlung unter mysteriösen Umständen zugespielt hat.

Diesmal erzählt ihm das Buch die Geschichte von Sebastian Kerr, des Großvaters des Autors, der in den letzten Tagen der Weimarer Republik im vergnügungssüchtigen und brandgefährlichen Berlin der gegen eine Geheimorganisation kämpfen muss, die offenbar auch in der Gegenwart Klammer und seine Familie bedroht. Es sind die "Hyänen von Berlin".

Wird Klammer die unglaubliche Verschwörung um die im Dschungel des Amazonas verschollene Ärztin Elena Kuiper und ihre eingeborene Freundin Lokwi aufdecken können? Und was hat es mit diesem merkwürdigen Pentagramm-Symbol auf sich, dem er überall begegnet?

Auch im zweiten Teil seiner "Trilogie in 5 Teilen" gelingt es dem Autor, ein überaus spannendes und auch humorvolle Garn zu spinnen, das nahtlos an den ersten Teil anschließt und den Leser viele Stunden zu fesseln vermag.
LanguageDeutsch
Publisherepubli
Release dateSep 12, 2017
ISBN9783745019582
Dr. Geltsamers erinnerte Memoiren - Teil 2: Die Hyänen von Berlin
Author

Nikolaus Klammer

Nikolaus Klammer erblickte am 10. Februar 1963 das Licht dieser besten aller Welten. Er übt den Beruf des Geschichtenerzählers aus, seit er sprechen kann - also schon eine lange, lange Zeit. Er lebt und schreibt im verträumten Diedorf bei Augsburg, ist seit über dreißig Jahren glücklich verheiratet und hat zwei inzwischen erwachsene Söhne, die längst auf eigenen Füßen stehen.

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    Dr. Geltsamers erinnerte Memoiren - Teil 2 - Nikolaus Klammer

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    NIKOLAUS KLAMMER

    DR. GELTSAMERS

    ERINNERTE MEMOIREN

    „Ein phantastischer Roman"

    in 5 Büchern

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    2. Buch:

    Die Hyänen von Berlin

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    © Yvain Verlag, Keie a. T., 20**

    Satz: Fotosatz Galahad GmbH, Coel

    Druck & Bindung: Erec & Pelleas, Bors

    Printed in Germany

    ISBN A-44-55536544-17-9

    KAPITEL EINS

    NACHFOLGE

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    „Mich haben sie nicht gekreuzigt."

    Oscar Wilde

    Nur zwölf Stunden dauerte die Fahrt mit der Reichsbahn von Augsburg nach Berlin und es wäre schneller gegangen, hätte der junge Mann nicht in Nürnberg und Leipzig umsteigen und in den Hallen der Bahnhöfe eine längere Wartezeit in Kauf nehmen müssen. Es waren zwölf Stunden Zeit, sich daran zu gewöhnen, von einer Welt in eine andere zu gelangen; viel zu wenig Zeit, um der Erschütterung zu entgehen, die der eines Bantu-Negers gleicht, der den heimatlichen Kral verlässt, um nach New York zu ziehen.

    Aber schließlich stand Sebastian Kerr kurz nach neun Uhr morgens übermüdet, von Kopfschmerzen geplagt, verwirrt und allein gelassen mit seinem kleinen Koffer in der Hand auf dem weitläufigen Platz vor dem Anhalter Bahnhof und bestaunte selbstvergessen den großstädtisch brandenden und sprudelnden Verkehrsstrom, der sich vor seinen Augen ohne erkennbare Regeln oder Ziele über die breiten Straßen wälzte. Straßenbahnen fuhren quietschend vorbei und im Schaufenster einer nahen Apotheke machte eine große mechanische Reklamefigur Rasierbewegungen. Der gertenschlanke und noch sehr junge Augsburger konnte kaum fassen, dass er tatsächlich doch noch in der Hauptstadt angekommen war; das unbequeme, stickige Abteil und den Blick auf endlose Birken- und Kiefernwälder vor den zitternden Fensterscheiben in der Vergangenheit hinter sich gelassen und sich ohne ernsthafte Verletzung durch das Menschenchaos der Bahnsteige gekämpft, gestoßen, gequetscht, geschoben und gequält hatte.

    Er war in diesem Moment sehr stolz auf sich und atmete begeistert die beißend vom Ausstoß der Verbrennungsmotoren durchtränkte Luft, als stünde er auf dem Gipfel eines Schweizer Berges, den er vorher mühsam erklommen hatte. Ein paar lyrische Zeilen, die er für diesen Anlass gedichtet hatte, kamen ihm in den Sinn.

    Aber bin denn ich so traut verlassen im blut des tags sieh mich liegen tot …

    Nach schier endlosen und bitteren Jahren des Zögerns war sein Leben endlich in Bewegung gekommen und allein die Schwerkraft würde bewirken, was ein Wille niemals schaffen konnte. Für immer, wie er dachte, hatte er jener Stadt den Rücken gekehrt, die ihm nicht länger Heimat sein sollte, deren fehlgeleiteter und dumpfer Bürgerstolz ihn so beengt hatte, dass er sich jede Nacht mit dem Gedanken in sein Lager legte, noch vor dem Morgen an seinem Ekel ersticken zu müssen.

    Sebastian lachte befreit und stieß eine Dampfwolke über seinen Kopf, die sich in der kalten, stinkenden Luft schnell auflöste. Gleich darauf betrachtete er erschrocken seine Umgebung. Doch hier in Berlin interessierte niemanden, was in Augsburg ein Skandal gewesen wäre. Die eiligen Leute, die über den breiten Trottoir in seiner Nähe hetzten, sahen nicht einmal auf. Der Neuankömmling war nur ein lästiges Hindernis in ihrem Weg, ein Stolperstein. Niemand außer Sebastian stand, alle eilten ihren ihm noch geheimnisvollen, vielleicht niemals vollkommen ergründbaren Zielen entgegen. Dennoch schämte sich Sebastian über seine unpassende und unplatzierte Gefühlsäußerung und griff mit einem plötzlichen Schrecken in die Manteltasche. Der Umschlag mit dem wertvollen Empfehlungsschreiben knisterte jedoch beruhigend unter seiner tastenden Hand.

    Der naive Jüngling aus der Provinz ist noch nicht gleich bei seiner Ankunft bestohlen worden, dachte er erleichtert.

    Ungeachtet seiner nicht gerade prallen Reisekasse und in völliger Unkenntnis um die Größe der Stadt, fasste er seinen Koffer fester, machte einen entschiedenen Schritt nach vorn und winkte sich einen langsam vorbeifahrenden Mietwagen heran, dessen Fahrer auch prompt und dienstbereit vor ihm bremste. Sebastian setzte sich auf die Rückbank und nannte dem morgenmürrisch auf einem Zigarrenstummel kauenden Chauffeur, der seine Schirmmütze tief in die Stirn gezogen hatte, die Adresse, die auf dem Umschlag in seiner Tasche stand. Er musste dazu nicht nachsehen, er kannte sie längst auswendig, hatte sie sich während seiner Zugfahrt immer und immer wieder memoriert. Jetzt erst warf der Taxifahrer einen Blick zurück und musterte seinen neuen Fahrgast abschätzend, fast verächtlich. Wahrscheinlich taxierte er die Liquidität seines Kunden.

    „Das ist draußen in Tegel", ergänzte Sebastian mit entschlossener Stimme. Der Fahrer nickte, mit den Fingern gegen seine Schirmmütze tippend. Sein Automobil setzte sich zitternd in Fahrt und reihte sich hupend in den dichten Straßenverkehr ein. Trotz der so sprichwörtlichen Geselligkeit der Berliner, die wahrscheinlich nur auf einem Missverständnis beruhte, blieb der Chauffeur stumm. Er überließ den Fahrgast seinen aufgeregten Gedanken und Empfindungen. Sebastian lehnte sich auch bald schräg auf den Koffer neben sich und sah begierig hinaus, suchte den Blick auf eine der Sehenswürdigkeiten zu erhaschen. Doch sie verbargen sich geschickt vor ihm.

    Der nebelgraue, kalte Tag, an dem Berlin mit Sebastian Kerr einen neuen, hoffnungsvollen Eroberer begrüßte, war Donnerstag, der 24. Januar des Jahres 1929. Er war am 10. Februar 1908 in der ehemals freien Reichsstadt zu Augsburg, jener uralten und berühmten bayerisch-schwäbischen Stoffhandelsmetropole am Lech, geboren und der Sohn von Walther Kerr, eines der leitenden Angestellten der G. Haindl’schen Papierfabriken. Als entarteter Spross eines ehrbaren Kaufmannsgeschlechts schrieb er Erzählungen, Gedichte und Dramen. Nun machen diese Daten jeden, der sich mit dem zeitgenössischen Theater beschäftigt, stutzig und dies war die Crux im Leben des aufstrebenden Dichters, der Sebastian war: Er war nur ein Wiedergänger.

    Sah man einmal davon ab, dass er auf den Tag genau zehn Jahre jünger als Bert Brecht war, stimmten ihre Kurzbiografien doch frappierend überein. Obwohl sie einander nie bewusst begegnet waren, standen ihre Geburtshäuser nur wenige Straßenzüge auseinander am alten Stadtgraben Augsburgs und der jüngere Bruder von Bertolt und der ältere von Sebastian waren bis zu ihrem Notabitur im Jahre 1918 in die gleiche Klasse der Kreisoberrealschule in der Hallstraße gegangen. Bertolt und Sebastian wuchsen in der sogenannten ‘Bleich’ auf, spielten in den Büschen der Kahnfahrt zuerst verstecken und später mit den bezopften Bürgertöchtern heimlich Doktor, holten sich ihren ersten Rausch im Lueginsland-Biergarten und besuchten selbstredend dieselben Schulen - die Barfüßervolksschule und anschließend das Realgymnasium -, hatten dort ihre ersten literarischen Gehversuche unternommen und teilweise sogar das selbe Lehrpersonal erlitten.

    „Während meines neunjährigen Eingewecktseins an einem Augsburger Realgymnasium gelang es mir nicht, meine Lehrer wesentlich zu fördern", hatte Brecht einmal nach seinem dritten Bier resigniert festgestellt.

    Ihre Viten begannen sich erst aufzutrennen, als B. B. zuerst nach München, anschließend nach Berlin zu Max Reinhard ging und inzwischen ein bekannter und anerkannter Theaterautor war. Sebastian Kerr jedoch brachte nie eines seiner Stücke auf die Bühne, obgleich er sich als zumindest ebenso begabt einschätzte wie sein berühmtes Vorbild. Er war jedoch nicht aus der erstickenden Enge Augsburgs geflohen, sondern hatte den bequemeren Weg gewählt und war unentschlossen in der pfahlbürgerlichen Stadt verblieben. Deshalb wühlte in ihm beständig ein dunkles Gefühl von Neid und Wut, wenn er an seinen erfolgreichen Konkurrenten dachte.

    Das war der Grund, aus dem Sebastian endlich doch nach Berlin gefahren war: Er wollte jenen Schatten, der über seinem Leben hing, aufsuchen, sich durch eine Konfrontation mit dem, den er nie gesehen hatte, von ihm befreien. Er war sich bewusst, dass es ihm nicht leicht fallen würde, Brecht im Gewimmel der Metropole zu finden und mit ihm gar ins Gespräch zu kommen. Vom Bier abgesehen, hasste sein älterer Doppelgänger alles, was aus Augsburg kam und ihn an seine ungeliebte Geburtsstadt erinnerte. Aber Sebastian war willens, es trotzdem zu versuchen.

    Die Anlaufadresse, die er bei sich trug, war die eines gewissen Dr. Eduard Gere, eines Kriegskameraden seines Vaters. Gere war als technischer Direktor für die Borsig-Maschinenbauwerke tätig und wohnte in einer großen, modernen Villa direkt am Tegeler See. Sebastian war diesem Mann erst einmal vor vielen Jahren begegnet und hatte ihn als einen strammen Deutschnationalen in Erinnerung, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit von seinen Erlebnissen in den Schützengräben der Westfront oder seinen Studentenjahren in Heidelberg berichtete. Gere war ein Mensch, der ihm nicht sympathisch, dessen ganze Lebensart und Einstellungen ihm zuwider waren. Der Herr Dr. mit seinem rot glänzenden Schmiss auf der linken Wange stammte übrigens aus einer konvertierten jüdischen Familie - sein Großvater hatte Aaron Gerson geheißen und Kessel geflickt - und entsprach genau dem Typus des Kapitalisten, gegen den der junge, glühende Sozialist in seiner Literatur Sturm lief. Dennoch hatte er keine Skrupel, diese Verbindung auszunutzen, hatte sich vom widerstrebenden Vater ein Empfehlungsschreiben anfertigen lassen und sich vom Vater auch telefonisch anmelden lassen.

    Verachtung darf kein Hindernis sein, wenn man Hilfe und Logis benötigt, dachte Sebastian. Das Expropriieren der Expropriateure ist ein legitimes Mittel im Klassenkampf.

    Er hoffte, nicht allzu lange auf den Direktor und seine Familie angewiesen zu sein, denn er träumte davon - nicht zuletzt mit der freundlichen und ein wenig beschämenden Unterstützung von Brecht – hier in der Reichshauptstadt bald eine große Karriere als Autor beginnen zu können.

    A nous deux maintenant, Berlin!", murmelte der junge Eugène de Rastignac und lächelte zuversichtlich.

    Die Taxifahrt dauerte bereits fast drei Viertelstunden und der Betrag, dem das Taxameter mit ruhigem Klicken entgegen kletterte, verursachte in Sebastians Unterleib ein unangenehmes Rumoren. Es stellte sich immer deutlicher als ein Fehler heraus, am Bahnhof einen Wagen zu mieten; er hätte versuchen sollen, mit der Untergrundbahn bis zur Seestraße oder mit der neugebauten S-Bahn bis Charlottenburg und von dort aus mit dem Bus weiter zu kommen. Oder noch besser zu Fuß zu gehen; auch wenn er keine Ahnung hatte, wie weit die Entfernungen waren. Doch sie schienen erheblich zu sein. Jetzt hatte er kein Interesse mehr für irgendwelche Sehenswürdigkeiten. Er starrte nach vorn gebeugt durch die gläserne Trennscheibe auf das Taxameter und zuckte bei jedem der knackenden Zahlenradbewegungen zusammen. So entging ihm auch ein Blick auf das Charlottenburger Schloss und ihm fiel kaum auf, wie seine Umgebung langsam ihren großstädtischen Charakter verlor und nun eher seiner Heimatstadt glich. Schließlich ging die Fahrt auf einer Chaussee an einer größeren Wasserfläche entlang, die teilweise zugefroren war.

    Das muss der Tegeler See sein, dachte Sebastian.

    Das Taxi hielt schließlich doch noch in einem bourgeoisen Vorort direkt vor dem Vorgarten einer niedrigen Villa, die nicht viel älter als das Jahrhundert war. Sebastian zahlte mit einem bitteren Geschmack im Mund und der Taxifahrer lächelte zum ersten Mal, dabei freundlich die Mütze lüpfend.

    Sebastian atmete noch einmal aufgeregt ein und stieg dann umständlich aus dem Wagen. Das Abenteuer seines Lebens begann …

    Sebastian sah dem Automobil hinterher, bis es an einer Straßenkehre aus seinem Blick bog, dann erst zuckte er resigniert mit den Schultern, nahm seinen Koffer auf und querte die gepflasterte Straße, auf der nur wenige Menschen und keinerlei Fahrzeuge unterwegs waren. Nach dem überhitzten Taxi-Innenraum war ihm nun trotz seines dicken Wollmantels kalt und er zitterte im Frost des Januarmorgens. Er wusste nicht, ob es an der Temperatur oder an seiner Aufregung lag.

    Am niedrigen Türchen zum Vorgarten fand der junge Mann keine Klingel, aber es ließ sich problemlos öffnen, indem er darüber hinweg langte und die auf der Innenseite vorhandene Klinke niederdrückte. Er schob die Gartentüre auf, fasste noch einmal Mut und ging anschließend über einen gekiesten Weg auf das Haus zu. Dabei legt er sich noch einmal die Worte zurecht, mit denen er sich bei dem Freund seines Vaters einführen wollte. Er war zwar angemeldet - noch am Wochenende vorher hatte der Vater mit Gere telefoniert -, aber Sebastian Kerr wusste, wie wichtig der erste Eindruck war. Hoffentlich wirkten seine Manieren nicht zu kleinstädtisch und er konnte seinen schwäbischen Dialekt, den hier niemand verstehen würde, unterdrücken. Wie machte das eigentlich Brecht, wenn er mit den Hauptstädtern redete? Sprach er inzwischen Hochdeutsch?

    Vor der Tür sammelte Sebastian sich kurz, dann betätigte er den hier vorhandenen Klingelzug. Es war kein Läuten zu hören. Er überlegte noch, ob er auf eine modische Verzierung hereingefallen war, da wurde die Tür endlich geöffnet. Ein sehr steif und förmlich wirkendes Mädchen in schlichtem, schwarzen Hauskleid und einer um die Taille gebundenen makellos weißen Schürze stand vor ihm und musterte den Fremden vor der Haustüre stumm und abschätzend. Verlockende Wärme drang aus dem Inneren ins Freie. Sebastian fingerte eilig mit seiner freien Hand nach der Empfehlung in seiner Jackentasche.

    „Grüß Gott", sagte er.

    „Bitte?" Die Stimme der - wenn sie sich ein Lächeln hätte abringen lassen - durchaus hübschen, weißblonden Hausangestellten war gepresst und abweisend, militärisch scharf und kurz angebunden. Das geht ja schon mal gut los!, dachte Sebastian. Aber eigentlich wäre sie ganz hübsch, wenn sie ein wenig mehr aus sich machen würde.

    Er versuchte sein gewinnendes Lächeln, aber es misslang ihm. Wahrscheinlich hätte es eh keine Wirkung gehabt.

    „Ich meine: Guten Tag … Morgen. Wie auch immer. Ich bin Herr Kerr, Sebastian Kerr. Zu Diensten. Der Hausherr erwartet mich." Er holte seinen Brief hervor und streckte ihn unsicher nach vorn. Die Leichenbittermiene seines Gegenübers hellte sich nicht auf.

    Warum sind Bedienstete immer dünkelhafter und blasierter als ihre Herrschaft?, fragte er sich. An ihnen wird der Sozialismus scheitern, nicht an den Kapitalisten.

    „Davon ist mir nüscht bekannt. Im Übrigen ist der Herr Direktor heute Morgen nicht zujechen", entgegnete das Mädchen spitz mit nach vorne gestrecktem Kinn. Sie berlinerte stark und machte keine Anstalten, den Brief anzunehmen. Sebastian biss sich auf die Unterlippe und mahnte sich zur Geduld.

    „Wäre es denn dann möglich, die Hausherrin zu sprechen?", insistierte er.

    „Zu dieser Tageszeit?" Verblüffung war in der Stimme des Mädchens zu hören.

    Tageszeit? Inzwischen ging es auf Mittag! Eine kleine Pause entstand, während sich die Gegner schätzten. Es musste doch eine Möglichkeit geben, an diesem Zerberus vorbei ins Warme zu gelangen.

    „Ich wiederhole: Ich werde erwartet. Wenn Sie Frau Gere dann bitte mein Schreiben überbringen könnten", sagte er schärfer und versuchte, ebenso

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