Niemand wollte uns haben.: Ostpreußen 1945 - Tagebuch einer Flucht
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Die nach der Flucht zu Papier gebrachten Erinnerungen können Rückschaubetrachtungsweisen aber nur schwer ganz ausblenden. Selbst wenn sie zeitnah verfasst wurden, klingt darin immer auch das ja bereits vorhandene Wissen um den Ausgang an. Flucht-Tagebücher aber sind darum selten, weil die existenzielle Ausnahmesituation das Aufschreiben des Erlebten nicht zuließ.
Auch das Fluchttagebuch von Rosemarie Jäger, die damals noch Zander hieß und meine Mutter war, ist natürlich sehr knapp gehalten und fasst meist in nur wenigen Worten das rund um sie Geschehene zusammen. Dennoch bietet es eine eindringliche und überprüfbare Schilderung der damals 21-jährigen Frau, die plötzlich ganz auf sich allein gestellt sich zu ihrer nach Köslin evakuierten Familie durchschlagen musste. Von dort aus ging es in monatelanger Odyssee teils mit dem Zug, teils wie im Dreißigjährigen Krieg mit Soldaten mitziehend kreuz und quer durch Norddeutschland bis in die Nähe von Bremervörde, wo der Neuanfang begann.
Rosemarie Zander wusste die meiste Zeit über so gut wie nichts über das, was im weiteren Rahmen um sie herum geschah. Zu besseren Verständnis für den Leser und zur Einordnung werden ihre Aufzeichnungen hier in den Kontext der geschichtlichen Abläufe gestellt. Das geschieht durch in kursiver Schrift gehaltene Einschübe. Ein einleitender Teil stellt die Familie und ihre Lebensumstände vor, ein beschließendes Kapitel den Neuanfang im Norden Westdeutschlands.
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Buchvorschau
Niemand wollte uns haben. - Brigitte Jäger-Dabek
Vorwort
Dies ist die Geschichte einer Flucht aus Ostpreußen und steht stellvertretend für die Geschichten von Millionen ostpreußischen Frauen und Kindern, die im Januar 1945 auf Flucht gingen.
Es ist die Geschichte meiner Mutter, die gerade 21 Jahre alt, ganz auf sich allein gestellt war, zu Fuß von Königsberg über Pillau und die Frische Nehrung nach Danzig ging und zunächst nach Köslin weiter floh. Von dort flüchtete sie mit ihrer Mutter und Schwester weiter nach Westdeutschland an die Unterelbe. Wenig später wurde sie zunächst zum Alleinverdiener für die Familie, genau wie schon ihre zu jener Zeit 1914 ungefähr gleich alte Mutter während der Flucht im Ersten Weltkrieg.
Verwendet wurde das Fluchttagebuch, das nur aus kurzen Eintragungen besteht, zuweilen eher stichpunktartig. Anders war das in einer solchen existenziellen Ausnahmeerfahrung, in der es um nichts als das Überleben ging, auch gar nicht möglich. Gerade deshalb ist es besonders eindringlich und trotzdem vergleichsweise emotionslos. Es ist unbestechlich, denn es hält das Geschehen in Echtzeit fest, nicht in der Rückschau.
Ergänzt wurden die Tagebuchtexte von in kursiver Schrift kenntlich gemachten Erklärungen und Anmerkungen, die das Erlebte einer Zeitzeugin in den historischen Kontext der Entwicklung in Ostpreußen stellt und so einen überprüfbaren Zeitzeugenbericht liefert.
Weil man ja auch wissen möchte, wie es weiter ging, stellt ein abschließendes Kapitel den Neuanfang im Norden Westdeutschlands dar.
Brigitte Jäger-Dabek
† Rosemarie Jäger geb. Zander zum Gedenken
Bild 77377 - Dieses Bild ist aus diesem Werk.Die Flucht von Rosemarie Jäger von Insterburg über Königsberg nach Köslin
Foto: Karte © Brigitte Jäger-Dabek
Letze Tage in Ostpreußen - Der Sturm zieht auf
Die Zanders lebten in Insterburg, einer 40.000-Einwohnerstadt im Norden Ostpreußens, die genau dort lag, wo Angerapp und Inster sich zum Pregel vereinten. Karl und Anna Zander waren seit 1920 verheiratet und hatten zwei Töchter, die 1923 geborene Rosemarie und die 1930 geborene Helga. Anna Zander war Hausfrau, Karl Zander leitete die Lohnbuchhaltung der Insterburger Stadtwerke. Die Kleinfamilie war eingebettet in einen großen Verwandtenkreis, Karl Zander hatte vier Geschwister, Anna Zander, die Älteste unter den Sallowsky-Geschwistern, hatte fünf Schwestern und einen Bruder. Vor allem die Sallowsky-Schwestern waren eine Riege von außergewöhnlichen Frauen, stark, duchsetzungsfähig und lebensfroh. Man war gesellig, traf sich oft und feierte gern zusammen. In diesem Umfeld wuchs Rosemarie heran.
Bild 77378 - Dieses Bild ist aus diesem Werk.Foto: Ansichtskarte, gemeinfrei, Archiv B.Jäger-Dabek
Rosemarie Zander - jung wie sie war – zeigte sich trotz aller Indoktrination nicht als Anhängerin des Nazireiches. Von der gleichgeschalteten Volksgemeinschaft, die wie gleichzeitig an Fäden gezogen „Heil" brüllte und den Arm hochriss, hielt sie nichts, vom Bund Deutscher Mädel noch weniger. Ihre Freiheit ließ sie sich freiwillig nicht einengen und schon ihre Sportverletzung am Knie vor und erfand immer neue Ausreden, um nicht zum BDM zu müssen. Der Preis: Weiter lernen und Lehrerin werden durfte sie nicht. Karl Zander gelang es, nach langen Suchen über einen Bekannten, seine Tochter