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Der Weg nach Afrika: Von der Menschlichkeit und ihren Entartungen
Der Weg nach Afrika: Von der Menschlichkeit und ihren Entartungen
Der Weg nach Afrika: Von der Menschlichkeit und ihren Entartungen
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Der Weg nach Afrika: Von der Menschlichkeit und ihren Entartungen

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Es war eine schlaflose Nacht, von denen es so viele gab, die durchzustehen waren, weil den Menschen geholfen werden musste. Da durfte der Arzt auf sich keine Rücksicht nehmen, von ihm wurde der Höchsteinsatz verlangt. Das machte sich an den Händen bemerkbar, wo die Haut durch das ständige Waschen dünner wurde, und das Hantieren der Klemmen und Nadelhalter Druckmarken, Schürfungen und Risswunden am dritten und vierten Finger der rechten Hand brachten, die durch kleine Mullläppchen verbunden wurden, damit es mit dem Operieren weiterging,

Dr. Ferdinand schmerzte schon der Gedanke, das Messer in die Hand zu nehmen. Das Mädchen mit dem bösartigen Knochentumor am Arm schlief in Narkose, und er hatte als Chirurg nach bestem Wissen das zu tun, was zu tun war, um das Leben zu retten. Totenstille lag über dem Mädchen und im ganzen Op-Raum, wie die Stille ist, wenn ein Kind im kleinen Sarg unter den untröstlichen Tränen der Eltern, Geschwister, Grosseltern und Freunde in das frisch ausgehobene Kindergrab gesenkt wird, wo über dem tief eingelegten, noch unbeschwerten Sarg der letzte Liebesgruss mit dem letzten Abschiedskuss nicht mehr mitgegeben werden kann. Das Gelöbnis der ewigen Verbundenheit steht mit der Hoffnung auf ein "Wiedersehn" in einem All der unendlichen Dimensionen, dessen Koordinaten nicht zu begreifen sind, Der Trost zerbricht in unsagbare Trauer, wenn das Grab mit dem Kindersarg in der Tiefe zugeschaufelt wird, weil doch ein so zartes Kinderherz soviel Erde weder tragen noch ertragen kann.

Der Bildungsnotstand in der Ersten Welt ist das willkommene Alibivehikel, ungestört an den Millionen von Menschen vorbei zu leben, die mit verkrusteten Lippen am Hungertuch nagen. Eine Welt, die die andere nicht versteht und sich blind genug stellt, um sie nicht zu sehen, während die andere Welt es nicht versteht, dass es soviel Armut geben muss, wo doch beide Welten zusammen reich genug sind, dass jeder sauberes Wasser zu trinken und etwas Vernünftiges zu essen bekommt.
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateMay 11, 2021
ISBN9783753187754
Der Weg nach Afrika: Von der Menschlichkeit und ihren Entartungen

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    Der Weg nach Afrika - Helmut Lauschke

    Die Helden, die Ratten und das sinkende Schiff

    Von der Menschlichkeit und ihren Entartungen

    Autobiographie Teil 3

    Der Bildungsnotstand in der Ersten Welt ist das willkommene Alibivehikel, ungestört an den Millionen von Menschen vorbei zu leben, die mit verkrusteten Lippen am Hungertuch nagen. Eine Welt, die die andere nicht versteht und sich blind genug stellt, um sie nicht zu sehen, während die andere Welt es nicht versteht, dass es soviel Armut geben muss, wo doch beide Welten zusammen reich genug sind, dass jeder sauberes Wasser zu trinken und etwas Vernünftiges zu essen bekommt.

    Die Zeiten hatten sich verschlechtert, und die Front der Ablehnung zwischen der schwarzen Bevölkerung und der weissen Besatzungsmacht hatte sich weiter verhärtet. Jeden Tag gab es Tote und Verletzte, und ihre Zahl nahm zu. Die Koevoet hatte ihr Benehmen nicht geändert, sie walzte ganze Krale platt, wenn nur der Verdacht bestand, dass sich ein Swapokämpfer versteckt halten könnte. Der Bruder- und Schwestermord war an der Tagesordnung, weil der, der es für Geld und gutes Essen tat, sich zum Morden verpflichtet hatte, um nicht vom Geld und guten Essen abgeschnitten zu werden. Er tat es mit sattem Magen und überlegt, während der andere es mit hungrigem Magen und ohne Bezahlung tat, weil er an die Menschen dachte, denen die Befreiung aus der Knechtschaft seit langem zustand. Der gut Genährte hörte nicht mehr auf die mageren und besorgten Eltern, deren Kräfte verbraucht waren, die ihn vor dem Bruder- und Schwestermord warnten, während sie dem andern Sohn und der andern Tochter, die sich der Befreiung verschrieben, unter der Hand zusteckten, was sie an Nahrung und Bettdecken geben konnten und sie zu grösster Vorsicht mahnten.

    Die Eltern verhielten sich still in ihrer Armut. Sie dachten viel und sprachen wenig über die Gefahren, die in der Fremde auf ihre Kinder lauerten. Sie zogen sich in die Hütten der Erbärmlichkeit zurück, zersorgten sich, wenn sie an Kain und Abel dachten, und beteten für ein baldiges Ende des furchtbaren Krieges. Viele von ihnen wurden krank und starben nach kurzer Zeit, weil die Sorgen sie zerfrassen. Andere wurden aus ihren Hütten gezerrt, geknebelt und geschlagen, weil sie nichts auf ihre Söhne und Töchter kommen liessen, die ihnen die Freiheit zu Lebzeiten versprachen und sich dem Befreiungskampf angeschlossen haben. Die Jugend konnte die Schändung der Väter und Mütter nicht länger ansehen, weil sie ihre Eltern waren. So verliessen viele ihre Dörfer, einzeln und in Gruppen, versteckten sich hinter Büschen und in Höhlen vor den patrouillierenden 'Casspirs', gingen nachts die langen Wege bis zur Grenze, liessen sich von den Grenzbewohnern den Weg zwischen den ausgelegten Minen zeigen und überschritten die Grenze nach Angola mit der patriotischen Kraft, der selbst der knurrende Magen und die zerrissene Kleidung keinen Abbruch taten. Die Jugend machte es nicht mehr mit, das schwarz weniger wert sein sollte als weiss. Sie erhob sich und war begeistert, an der Befreiung der schwarzen Menschen aktiv teilzunehmen. Ganze Schulklassen verliessen mit ihren Lehrern das verprellte Land der weissen Vorherrschaft. Oft wussten es nicht einmal die Eltern, wenn sie den Marsch über die Grenze machten und die Schicksalsgemeinschaft bauten, die enger und stärker war als in der Schule, weil nun die Unbedingtheit der persönlichen Disziplin und das gegenseitige Vertrauen zählte, wenn Decken, Brot und Wasser verteilt wurden, das Selbstverständnis der gegenseitigen Hilfe da sein musste, aus dem dann die Erkenntnis kam, dass nur aus einer solchen Gemeinschaft die unbezwingbare Kraft erwuchs, mit der das Ziel zu erreichen war.

    Die Koevoet machte weiter ihre nächtlichen Razzien im Hospital und nahm auf die Patienten keine Rücksicht. Es kam immer wieder vor, dass sie die Schlafenden auf dem Betonboden vor der Rezeption aus dem Schlaf scheuchte, die sich ausweisen mussten, und Männer schlug und in die 'Casspirs' warf, die sich nicht ausweisen konnten. Der Superintendent mit der Knolle auf der Nase und den Schlaffalten im Gesicht, der hemdsärmelig von seinem grossen Schreibtisch mit der leeren, matt polierten Tischplatte aus die Morgenbesprechungen führte und einmal mit kreideweissem Gesicht aus der Besprechung wegrannte, beim Fallen vor der Tür von Dr. Ferdinand noch aufgehalten wurde, um sich auf der Toilette auszukotzen, weil er am Abend vorher vom Kommandeur zum Abendessen eingeladen war, wo er sich die Augen rot getrunken hatte, und der Frage, wo denn der Mensch hingekommen sei, als das rüde Verhalten der Koevoet angesprochen wurde, schlichtweg aus dem Weg lief und sich auf der Toilette für den Rest der Besprechung eingeschlossen hatte, dieser Superintendent sass weiterhin hemdsärmelig hinter dem Schreibtisch, auch wenn seine Hemdsärmeligkeit eine Attrappe war, die nichts bewirkte. Er ging weiterhin unangenehmen Fragen aus dem Weg, indem er sich im entscheidenden Moment das Taschentuch aus der Hosentasche zerrte, es sich vors Gesicht hielt und kräftig und solange hinein schnäuzte, bis sich das Momentum des Antwortgebens verzogen hatte, wobei er das rechte Brillenglas gleich mit zudeckte, wenn er die Brille nicht rechtzeitig abnahm, weil es zu eilig war. Da mutete ihm als Einäugiger aber auch keiner eine Antwort zu. Er war nicht dumm, und so zog er es vor, sich mit dem Taschentuch hinter dem Clownsgesicht zu verstecken, wenn es um ernste Dinge ging und eine Antwort wirklich erwartet werden musste. Der Toilettenlauf gegen die Zeit mit ihren Problemen blieb sein einsamer Höhepunkt.

    Zeichen der Zuspitzung der Lage

    Die jungen Kollegen in Uniform, die ihre Dienstzeit abgeleistet hatten, wurden nicht mehr durch neue ersetzt. Das war ein deutliches Omen der zugespitzten Situation, wo sich noch die Frage ergab, wann sich die letzte Spitze abgespitzt hatte, oder noch vorher abbrach, was politisch und militärisch dem Ende gleichkommen musste. Es gab neue Gesichter im Besprechungsraum, Gesichter der asiatischem Prägung, wenn auch nicht so schlitzäugig wie ein japanisches, chinesisches oder mongolisches Gesicht. Es waren Philippinos, die aus Südafrika kamen und gleich ihre Frauen und Kinder mitbrachten. Zu erklären war das Kommen dieser kurz gewachsenen Bleichgesichter mit den kubischen Köpfen und sanften Gesichtszügen zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht und noch weniger, dass sie gleich die Familien mitbrachten. War es ihnen in ihrer Heimat, oder als Emigranten in Südafrika so schlecht ergangen, dass sie hier das Paradies fanden oder zu finden glaubten, wo der Krieg erbarmungslos tobte, fragte sich Dr. Ferdinand. Er musste sich Zeit lassen, um eine plausible Antwort darauf zu finden. Ein asiatisches Gesicht gab ihm von jeher Rätsel auf, weil er es nicht lesen konnte und nie wusste, ob ein Lächeln wirklich ein Lächeln war, oder ob sich das Gegenteil dahinter verbarg. Er wusste nur soviel, dass das asiatische Gesicht asiatische Dimensionen des zweigesichtigen Januskopfes hatte, das mit Vorsicht gesehen werden musste. Zu diesem Gesicht passte der Würfelkopf dazu, der von vorn und hinten und von den Seiten betrachtet werden konnte, ohne dass das Gesicht das asiatische Lächeln verlor.

    Es war schon etwas Unglaubliches, in solche Gesichter zu blicken, in die sich die Ereignisse unweit der angolanischen Grenze nicht einzudrücken schienen, wo doch die letzte Entscheidungsschlacht, bei der soviel auf dem Spiele stand, bereits in vollem Gange war. Das sagte jedenfalls der südafrikanische Brigadier, der vom Pulverfass sprach, auf dem die Weissen sässen, das jederzeit hochgehen kann. Gehörten die Philippinos nicht auch auf dieses Fass?, fragte sich Dr. Ferdinand, oder waren sie rassenmässig von diesem Fasssitzen ausgeschlossen? Er wusste es nicht, erfuhr aber schon nach zwei Wochen, dass ihnen Häuser im Dorfe, das durch das Warnschild For Whites Only gekennzeichnet war, von der Administration zugewiesen wurden. Dr. Ferdinand kam beim Sehen und Denken nicht um den biogenetischen wie burisch politischen Januskopf herum. Die Philippinos waren älter und schon im Alter, dass sie von Enkelkindern sprachen und pensionsberechtigt waren, denen das offensichtlich nicht genügte, oder ihnen das Recht des Alters nicht vergütet und ausgezahlt wurde, weil das korrupte System im Heimatland ihnen das Pensionsgeld gekürzt oder weggefressen hatte. Es musste etwas mit dem Geld zu tun haben, warum nun diese asiatischen Gesichter mit der spanisch überstrichenen Tradition und dem katholischen Glauben hier auftauchten, davon war er überzeugt. Die Philippinos waren 'practitioners', also keine Fachärzte, die an den ländlich abgelegenen Hospitälern der herabgesetzten Qualifikation für die Farbigen und Schwarzen vorwiegend in der Natalprovinz, im Osten Südafrikas, gearbeitet hatten, wo die Überfälle der Zulus an den Weissen dramatisch zugenommen hatten, sie beraubten und töteten, weil auch dort die Eingeborenen sich gegen die Weissen auflehnten und sich auf traditionelle Weise mit Stöcken und Spiessen für die schwarze Armut am weissen Reichtum rächten. Dr. Ferdinand traute den Philippinos, weil sie eben Asiaten waren, die sich über dreihundert Jahre die europäische Verformung mit dem besonderen Sinn fürs Geld aufsetzen liessen, den asiatischen Riecher für die Zukunft in mehr Sicherheit und den westlich verdrehten Verstand zur klaren Berechnung gleichermassen zu, die sich in Noten und Münzen auch in der Fremdwährung auszahlen musste. Er nahm deshalb diese lächelnden Janusgesichter als weiteres Omen für das nahende Ende, die das Schicksal vorletztlich vom indischen Ozean bis vor die angolanische Grenze hoch gewürfelt hatte. Die neuen Kollegen wurden der inneren Medizin mit den Tuberkulosesälen, der Kinderheilkunde und dem 'Outpatient department' zugewiesen. dass es für die operativen Fächer keinen Ersatz für jene Kollegen in Uniform gab, die nach Dienstableistung nach Südafrika zurückgekehrt waren und nicht mehr ersetzt wurden. Ein Gutes hatte es, dass unter denen, die das Hospital verlassen hatten, auch der 'Leutnant des Teufels' war, dem ein ärztlicher Teamgeist von Anfang an zuwider war, weil er die Zerstörung im Kopf hatte, an der ihm bis zum Schluss mehr gelegen war und sie hinterhältig und mit List betrieb, als sich um seine Patienten zu kümmern.

    Für Dr. Ferdinand bedeutete es mehr Arbeit, weil die Kollegen in der Chirurgie noch unerfahren waren. Es bedeutete gleichzeitig mehr Seelenfrieden, weil ihm keiner mehr mit böser Absicht hinterherstieg. Er freute sich, dass er den jungen Kollegen in der Orthopädie hatte, der sich anstrengte, sich geschickt beim Assistieren und beim Durchführen kleinerer Operationen anstellte und bei den Patienten und Schwestern aufgrund seiner Freundlichkeit beliebt war. Auch hatte er es als Schriftsteller mit seinem Buch weitergebracht, wo er das Leben des jungen Ehepaars in dem kleinen Dorf an der Palliser Bucht doch nicht so schwer machte. Der junge Ehemann in Wellington hatte eine Arbeit als Mechaniker in einer Autowerkstatt gefunden, und seine hübsche junge Frau war im vierten Monat schwanger, die von den Dorfbewohnern neugierig angeblickt, nun aber auch freundlich gegrüsst wurde. Der junge Pastor, der ihnen den anglikanischen Ehesegen gab, hatte sich gegen die Gemeindeglieder durchgesetzt und der schwarzen Ehefrau den Zugang zum sonntäglichen Gottesdienst erwirkt. So war der Unterschied zum burisch verquerten, anachronistischen System der Rassentrennung in Südafrika doch erkennbar.

    Die Sonnenauf- und -untergänge waren feurig wie eh und je. Die Sicherheitsvorkehrungen im Dorfe sind drastisch verschärft worden. So wurde es den Weissen unter Strafe untersagt, die schwarze 'Memme' (Putz- und Bügelfrau) oder irgendeinen Schwarzen über Nacht im Hause schlafen zu lassen. Die Weissen machten sich Sorgen, was kommen würde, und die Angst hatte sich auf ihre Augen geschlagen. Keiner traute der Zukunft noch recht über den Weg, zu verfahren war die politische Kiste. So verwunderte es nicht, dass sich die Gesichtszüge in Richtung einer Selbstrettung vergröberten nach dem Motto: 'Rette sich, wer kann!' Es war Samstagnachmittag. Dr. Ferdinand setzte sich in den blauen Käfer und fuhr zum Postamt, um nach seiner Postbox 1416 zu sehen, die leer war. Er stieg wieder ein und setzte die Fahrt zum Dorfausgang bis zur Sperrschranke fort, wo die doppelte MG-Stellung auf dem Dach des wiederhergestellten Wasserturms war, die von einem Ring fünffach übereinander geschichteter Sandsäcke eingefasst und gut getarnt war. Dr. Ferdinand zeigte sein 'Permit', konnte sitzen bleiben, als zwei Wachhabende in den leeren Innenraum sahen, der eine von rechts, der andere von links, Motorhaube und Kofferraumdeckel hochhoben und wieder fallen liessen, ohne das Reserverad anzuheben, und die Schranke zur Weiterfahrt hochstellten. Der Versuch, die tiefen Schlaglöcher über die folgenden zweihundert Meter bis zur 'T'-Kreuzung der Teerstrasse, jener strategisch bedeutsamen Ostwestverbindung, zu umfahren, glückte nicht ganz, so dass die Räder einige Male kräftig hineinschlugen. Er hatte sich vorgenommen, die Patres in der Missionsstation Okatana zu besuchen, und so drehte er nach einem Kilometer von der Teerstrasse nach rechts ab, fuhr an den armseligen Wellblechhütten von 'Angola' vorbei, wo die Armut und die grosse Zahl der angolanischen Flüchtlinge mit ihren kinderreichen Familien hausten. Schlanke Schweine mit faltig hängenden Bäuchen liefen neben mageren Ziegen, denen die Beckenknochen höckrig herausstanden, und rippig felldürren Hunden herum. Sie alle waren auf der Suche nach Ess- und Kaubarem. Unter den Hunden war eine ausgemagerte Hündin mit leeren, faltig hin und her schaukelnden Zitzen, aus denen drei junge Welpen den letzten Tropfen mit hungrigen Mäulern ausquetschten und ungehalten über die magere Ausbeute waren, indem sie in die Zitzen bissen, dass die Mutter vor Schmerzen aufschrie und trotzdem stehenblieb. Die Sandstrasse mit den tief eingefahrenen Reifenspuren der 'Casspirs' begann, und der Käfer schaukelte nach beiden Seiten. Die aufgeworfenen Sandbänke kratzten laut am Bodenblech. Dr. Ferdinand sah links den hundert Meter von der Sandpiste entfernten Wasserturm mit dem aufgesetzten, von aufgeschichteten Sandsäcken eingefassten MG, das ihm bei einer frühnächtlichen Rückfahrt von der Mission zunächst Leuchtkugeln in blau, rot und gelb vor die Windschutzscheibe schoss und schliesslich scharf hinterher und nach seinem Leben schoss, als ihn der Schutzengel mit dem Käfer in eine riesige Sandwolke steckte, dass den Augen hinter dem MG das Sehen verging.

    Dafür bedankte er sich beim Schutzengel noch einmal, als er den Wasserturm passierte. Die Fahrtspuren der 'Casspirs' waren tiefer und zahlreicher als bei seiner letzten Fahrt, was der letzten Entscheidungsschlacht durchaus entsprach, von der der Brigadier sprach, bei der viel auf dem Spiel stehe. Dass sie aber unmittelbar ans Missionsgelände heranführten und den Platz vor dem kleinen Missionshospital und die schlichte Kirche kreuz und quer aufgewühlt hatten, das war ein schlechtes Zeichen. Da musste erst kürzlich etwas passiert sein, denn sonst hätten die Menschen mit den Schwestern und Patres den Sand schon wieder glatt gerecht, weil sie die Ordnung liebten und den Frieden für den Gottesdienst am morgigen Sonntag brauchten. Das Tor war verkettet. Dr. Ferdinand wartete, bis eine Schwester mit Küchenschürze und Schlüssel aufs Tor zukam, es öffnete und dann wieder verkettete und das Schloss einhängte, als er das Haus der Patres erreichte und den Käfer in den Baumschatten unter einer üppigen Krone abstellte. Die Tür zum langen Flur war nicht verschlossen, sodass er den Weg zum dritten Raum links nahm, in dem drei Patres sassen, von denen einer bereits betagt war. Ach, Herr Doktor, das ist ja schön, dass Sie mal wiederkommen, Sie waren lange nicht mehr hier. Einer legte den 'Osservatore', das offizielle Vatikanblatt in der deutschen Ausgabe zusammen und auf den Tisch, der andere hielt die 'Deutsche Zeitung', eine Landeszeitung in deutscher Sprache in der Hand, als sie einander begrüssten. Dr. Ferdinand setzte sich an den Tisch, auf dem einige Palmzweige vom vergangenen Palmsonntag noch lagen. Der andere Pater legte die 'Deutsche Zeitung' ebenfalls auf den Tisch zurück.

    Wissen Sie, begann der jüngere Pater, der so jung nicht mehr war, gestern abend bekamen wir Besuch von der Koevoet. Die durchsuchten die Mission und das Hospital. Die Männer sagten, dass sie nach Männern suchen, die vor einigen Tagen aus dem Polizeigewahrsam ausgebrochen waren und bewaffnete Männer der Swapo seien. Wir konnten da nichts machen, weil sie uns nicht glaubten, dass auf dem Missionsgelände diese Männer nicht seien. Können Sie sich die Aufregung vorstellen, es war doch Karfreitag, und die Menschen bereiteten sich auf das Osterfest vor. Die anderen Patres machten ein ernstes Gesicht, und Dr. Ferdinand konnte sich die Aufregung vorstellen. Sie haben die ganze Mission durchsucht, sind in jedes Krankenzimmer gegangen, wie die Schwester sagte, dass sich die Patienten erschrocken haben. Sie haben die Räume der Schule und die Wohnstellen der Lehrer kontrolliert, waren in der Küche, wo die Schwester und das Personal mit dem Aufräumen und Spülen beschäftigt waren, durchsuchten mit hellen Lampen die Halle, wo die Autos stehn. Sie wollten sogar in die kleine Kapelle, wo die Schwestern ihre Nachtmesse hielten. Da bedurfte es des energischen Einschreitens von uns allen, sie von diesem Wahnsinn abzuhalten. Die Kirche hatten sie, Gott sei Dank, in Ruhe gelassen. Dann hatten sie sich den Nachtwächter vorgenommen, den guten, alten Mann, der hier seit vielen Jahren seinen Dienst tut. Pater Huben sah es, wie sie in die Mangel nahmen. Er eilte ihm zu Hilfe. Der alte Mann konnte sich nicht ausweisen, und die Koevoet war schon dabei, ihn zu verladen, was Pater Huben dann noch mit guten Worten verhinderte. Sie hatten hier nichts gefunden, und das wollten sie nicht glauben. Mit ihren schweren Fahrzeugen kurvten sie um die Kirche und leuchteten die Gegend ab. Dann fuhren sie in die umliegenden Siedlungen, durchsuchten Kraal für Kraal und luden einige Männer auf, die sie mit nach Oshakati nahmen, weil sie keine Papiere hatten.

    Dr. Ferdinand dachte an die letzte Entscheidungsschlacht, die vor der Mission nicht haltmachte und nun bis vor die Tür der kleinen Kapelle heranreichte. Der Pater war erregt: Und das wenige Stunden vor dem Auferstehungsfest des Herrn. Können Sie sich das vorstellen? Es war vorstellbar, denn am Oshakati Hospital ging es noch ganz anders zu, da wurden die Schlafenden vor der Rezeption regelrecht aus dem Schlaf gescheucht und die Männer, die sich nicht ausweisen konnten, verprügelt und in den Bauch des 'Casspirs' geworfen, und die weggeschlagene Beinprothese dem Amputierten ins Fahrzeug nachgeschmissen. Dr. Ferdinand fühlte sich genötigt, dazu etwas zu sagen: Es ist schon traurig, wie rücksichtlos die Koevoet mit den Menschen umgeht, denen die Achtung vor dem Menschen völlig abhanden gekommen ist. Die können nicht schreiben und nicht lesen, aber schlagen, das können sie. Sagen Sie das nicht, erwiderte der betagte Pater, einige von denen waren hier in der Schule, und ich habe ihnen das Lesen und Schreiben und die Bibelkunde beigebracht. Und das ist es, was mich traurig macht, dass sie trotzdem den Respekt vor den Menschen verloren haben. Denn was hilft die ganze Schule mit der Bibelkunde, wenn sie später als Barbaren wiederkommen und die Mission auf den Kopf stellen, die sie ehren sollten. Dr. Ferdinand verstand die Trauer, dass der Unterricht im Lesen und Schreiben und in der Bibelkunde es nicht schafften, aus den jungen Menschen durch etwas Bildung reife Menschen zu machen, die Achtung vor dem Menschen haben, wo der menschliche Respekt höher anzusetzen ist als das Geld und gute Essen.

    Vom kurzen Steg

    Diese Menschen haben nichts gelernt, fuhr der betagte Pater mit dem leicht nach vorn gekrümmten Rücken fort. Sie sind trotz Schule böse Menschen geworden, weil sie das Wort Gottes entweder nicht verstanden oder verworfen haben. Sie hätten nach seinem Wort fragen sollen. Sie taten es nicht und verluderten in ihrer geistigen Beengtheit mit der Folge, dass sie das fünfte und die anderen Gebote gedanken- und bedenkenlos übertreten. Das konnte ich damals ihren Kindergesichtern nicht ablesen, als sie vor mir auf der Schulbank sassen. Hätte ich es damals geahnt, ich hätte sie als unbelehrbar nach Hause geschickt, denn so viele Kinder warteten vergeblich auf einen Platz in der Schule, um im Lesen und Schreiben unterrichtet zu werden. Dafür reichten die Räumlichkeiten der Schule nicht, und ich war der einzige Lehrer. Das ging Dr. Ferdinand gründlich durch den Kopf, weil er sich fragte, ob ein Lehrer es erwarten dürfe, dass alle Kinder gute Menschen werden, wenn sie Unterricht bekämen und noch gute Noten in der Schule schrieben. Die Welt müsste dann doch viel besser sein, wenn die Schule in der Lage wäre, gute Menschen heranzubilden. Doch der Teufel in der Welt ist kein Dummkopf, er führt seine Leute mit blendender Bildung, hoher Intelligenz und einer fertigen Sprache vor, in der hypnotische Kräfte stecken, die die menschliche Vernunft ins Verderben schickt. Er fragte deshalb den Pater, ob er das nicht zu pessimistisch sieht. Mag sein, antwortete er, aber glauben Sie mir, ich sage es aus meiner langjährigen Erfahrung, der Spalt zwischen Pessimismus und Optimismus ist ein sehr schmaler. Es bedarf nur eines kurzen Steges, den schmalen Spalt der Realität nach beiden Seiten hin zu überqueren, weil die Realität in einer tiefen Schlucht schlummert und nur wie die Spitze des Eisbergs hervortritt. Natürlich sieht die Eisbergspitze anders aus, je nachdem wie sie von der Sonne beleuchtet wird, weil eine Seite im Licht und dafür die andere Seite im Schatten ist, wo aber der ganze Eisberg nicht erst ans Tageslicht kommt. Und da liegt das Problem. Ähnlich ist es mit dem Menschen, wenn er noch auf der Schulbank sitzt, Sie sehen ihm in die Augen und glauben seinen Charakter zu erkennen und können es nicht begreifen, wenn er sich ganz anders entpuppt.

    Dr. Ferdinand stieg der Schluchtabbildung nach und fragte ihn, wie er sagen konnte, jene Kinder, die sich später nicht zum reifen Menschen entpuppt hatten, als unbelehrbar nach Hause zu schicken, wenn er es damals geahnt hätte. Sehen Sie, sagte der alte Pater, das Leben ist kurz, und so gibt es nur wenige Chancen, ein Mensch zu werden, während für den Unmenschen die Chancen viel häufiger sind. Die Kinder mit den harmlosen Gesichtern, die den Keim zur Menschenverachtung bereits in sich trugen, verwehrten anderen Kindern mit denselben Gesichtern der Unerfahrenheit den Schulbesuch, weil es die Räumlichkeiten und ich als einziger Lehrer nicht schafften. Und da bin ich der Meinung, dass da im richtigen Augenblick die falsche Auslese getroffen wurde, weil unter diesen Kinder auch jene Kinder waren, die den Keim zur Menschlichkeit in sich trugen und bedauerlicherweise vom Bildungsprozess ausgeschlossen wurden, weil sie keinen Unterricht im Lesen und Schreiben und der Bibelkunde bekamen. Da mache ich mir den Vorwurf der falschen Auslese, den mir keiner nehmen kann. Oder glauben Sie, dass Sie es besser gekonnt hätten? Dr. Ferdinand schaute dem betagten Pater ins Gesicht, der sich die Brille putzte, und musste nach Worten suchen: Nein, das mit der Auslese zur richtigen Zeit, das hätte ich mit Sicherheit nicht gekonnt, dafür verstehe ich zuwenig vom Menschen. Sehen Sie, nun verstehen Sie mich besser, denn das war mein Problem, das ich nicht lösen konnte, und deshalb halte ich den Selbstvorwurf aufrecht, sagte der Pater. Gibt es denn Menschen, die das mit der richtigen Auslese zur richtigen Zeit können, fragte Dr. Ferdinand naiv. Der Pater: Das weiss ich nicht, doch entbindet mich das ungelöste Problem nicht von der übernommenen Verantwortung als Lehrer, selbst wenn es unlösbar ist. Dr. Ferdinand erwähnte in diesem Zusammenhang, dass das Problem der menschlichen Geringschätzung auch bei Ärzten vorzufinden ist, die aus egoistischen Motiven heraus an der Gemeinschaft wie Ratten nagen, die sich dem Teamgeist widersetzen, weil sie darin keinen Vorteil sehen, die ihn zerstören, weil sie den Keim der Zerstörung in sich tragen und sich um die Nöte der Patienten nicht kümmern, weil ihnen die Menschlichkeit fehlt, von der sie nur dann sprechen, wenn es sie selbst betrifft.

    Das verwunderte den Pater überhaupt nicht. Er nahm es mit dem kleinen Einmaleins auf, als er sagte, dass das nur eine logische Folge sei, wenn einer das Einmaleins mit [l] nicht gelernt hatte und später die [l] nicht von der [2] unterscheiden will, weil er die [2] für unteilbar hält. Es kam der Quadratur des Kreises gleich, und so liessen sie das Problem der Auslese bei der [l] bewenden. Die Patres nahmen Dr. Ferdinand mit zum Abendessen, der Zeuge eines ergreifenden Gebetes wurde, dass Pater Huben sprach: Herr, sieh in unsere Herzen, die versandet sind, gib uns die Kraft, die heiligen Räume vom Sand zu befrein. Sag uns, wie wir's machen sollen, denn wir sind schwach geworden, den Sand heraus zu schaufeln, weil wir das Licht der Zuversicht verloren haben. Wir sitzen beengt und gedrückt und wissen nicht, wie wir uns noch helfen sollen, weil immer wieder die Sandlawinen von oben herabdonnern und uns mit Angst und Schrecken zuschütten. Wir zittern vor Dir, weil wir dein Wort nicht befolgen und uns der Mut fehlt, dein Wort ernst zu nehmen und es ohne Wenn und Aber in die Tat umzusetzen. Gib uns die Kraft, dein Wort so aufzunehmen, wie Du es willst und nicht, wie wir es wollen, weil wir da immer etwas weglassen, und die Lüge da beginnt. Dass Du die Armen und Hungrigen, die Verstossenen und Kranken nicht vergisst, das sprechen wir dir zu; wir sind uns aber nicht sicher, ob wir an diese Menschen genug denken und für sie genug tun, wenn wir vor dem vollen Teller sitzen und ihn leeren, denn im Teilen mit den Armen, da hapert es noch, weil wir zur Nächstenliebe uns selbst überwinden müssen. Herr, stelle die Weichen für den Frieden, denn wenn Du in die Herzen siehst, dann findest Du sie aufgewühlt wie den Platz vor deiner Kirche, wo die Reifen der Gewalt mit dem groben Profil tief das Kainsmal eingefahren haben. Morgen ist das Fest der Auferstehung, und die Menschen sind voller Erwartung. Nimm uns als deine Kinder an mit all unseren Fehlern und Sünden, die wir täglich begehen, weil wir schwach sind, und verstosse uns nicht. Gib uns das rechte Wort zum Beten und die Kraft des Glaubens, dass wir den Sand aus deinen Räumen heraus schaufeln und sie sauber fegen, damit wir dein Wort besser hören und uns nicht länger hinter der Taubheit verstecken. Darum bitten wir dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen!

    Es gab eine leichte Kost mit saurem Hering, der herzhaft schmeckte, Salzkartoffeln und in Zitrone angemachtem, grünen Salat. Dazu wurde hausgemachter Zitronensaft getrunken, der gut gesüsst und durch Eiswürfel kalt gehalten wurde. Er löschte den Durst in erfrischender Weise, wobei die Zunge auf ihre Kosten kam. Nach dem Essen erzählte Dr. Ferdinand noch einige Anekdoten aus dem Hospital, und die Patres lachten auf, als er auf den Superintendenten zu sprechen kam, der jedesmal das Taschentuch aus der Hosentasche zog und sich solange vors Gesicht hielt und hinein schnäuzte, dabei das rechte Brillenglas verdeckte, bis er meinte, dass sich eine Antwort auf die Fragen bezüglich des rüden Verhaltens der Koevoet erübrigte. Die jüngeren Patres lachten sich schief, als er ihnen die Flucht des Superintendenten aus dem Besprechungsraum schilderte, wo er vor der Tür gefallen wäre, wenn Ferdinand ihn nicht aufgefangen hätte, dann auf die Toilette rannte, um sich vom restlichen Alkohol, den er am Abend zuvor mit dem Kommandeur anlässlich eines gemeinsamen Abendessens bis zur Augenröte genossen hatte, zu befreien und auf diese Weise einer Stellungnahme zum Antrag zweier Kollegen aus dem Wege lief, dass er dem Kommandeur der Koevoet von dem rücksichtslosen Vorgehen seiner Leute den Patienten gegenüber Mitteilung geben sollte, damit das in Zukunft unterblieb. Der betagte Pater schmunzelte und machte eine fast philosophische Bemerkung, als er sagte, dass es in Zeiten wie dieser schwer sei, Verantwortung zu tragen, weil die Prinzipien von Recht und Ordnung ihre Gültigkeit verloren hätten. Dr. Ferdinand stimmte ihm zu und fügte an, dass das wahrscheinlich für den Superintendenten auch zutraf, weil der sich solange auf der Toilette versteckt hielt und sich dort entleerte, bis die Anwesenden nach zehnminütigem Warten die Besprechung für beendet erklärten und den Raum verliessen. Es gab ein lachendes Auf Wiedersehn!, als Dr. Ferdinand in den Käfer stieg, die Scheibe runter drehte, um den Patres ein frohes Osterfest zu wünschen, und ein Pater, ähnlich wie beim letzten Mal, sagte, dass es schön und interessant war und diesmal hinzufügte: Da haben wir ja richtig lachen können. Der andere Pater hatte das Tor schon aufgeschoben, als Dr. Ferdinand das Licht anstellte, drehte und an der Torausfahrt noch einmal anhielt, um auch diesem Pater ein frohes Osterfest zu wünschen, dann die Fahrt über den Platz fortsetzte, der von den breiten Reifenspuren der 'Casspirs' in der Nacht von Karfreitag auf Karsamstag aufgewühlt wurde, und bei der ersten Linkskurve noch hörte, wie der Pater die schwere Kette ins Tor einhängte.

    Dr. Ferdinand schaukelte sich langsam über die eingefahrenen Gräben, schob das Bodenblech kratzend über die aufgeworfenen Sandhügel auf der Strasse und schlug mit den Rädern in tiefe Löcher, die nicht zu umfahren waren, als ihm eine Kolonne von 'Casspirs' mit aufgeblendetem Fernlicht entgegenkam, dass er den Käfer am leichten Abhang der Strassenseite zum Stehen brachte, den Motor laufen liess, und der Kolonne die freie Fahrt überliess, die mit Getöse und fünf Fahrzeugen an ihm vorüberraste und ihn in eine dicke Sandwolke hüllte, dass er für einige Minuten von der Strasse nichts mehr sah. Er setzte die Fahrt fort, als die Strasse wieder zum Vorschein kam, und sah einen Esel am Strassenrand mit allen vier Beinen nach oben liegen, der offenbar von einem 'Casspir' mitgerissen und in den Tod geschleudert wurde, den ein zweiter Esel beschnupperte, um sich die Gewissheit zu verschaffen, der begriffsstutzig und störrisch daneben stand und dazu das rechte Hinterbein angewinkelt hielt. Er sah das Licht auf dem abgelegenen Wasserturm und wollte es diesmal nicht auf Leben und Tod ankommen lassen. So nahm er noch vor der lang ausgezogenen Rechtskurve den schmalen, rechts abgehenden Weg zum Turm, setzte den Gang zurück, um sich mit Kraft durch die hohen Sandbänke zu schieben, und erreichte mit Mühe den Aussenposten der Kontrolle. Soldaten mit entsicherten Gewehren nahmen die Kontrolle vor, denen er das 'Permit' zeigte. Sie unterzogen den Käfer der militärischen Inspektion mit dem erwarteten Misstrauen, leuchteten den Innenraum aus, verschoben die Sitze nach hinten und vorn, fuhren mit den Händen unter den Sitzen entlang, hoben das Ersatzrad im Kofferraum hoch, besahen sich den luftgekühlten Motor und gingen einige Male um das Fahrzeug herum. Sie gaben ihm das 'Permit' zurück und fragten nach dem Grund seiner Reise durch die Dunkelheit. Er sagte ihnen, dass er die Patres in der Missionsstation besucht hatte, die ihn noch zum Abendessen eingeladen hätten, was ihnen schliesslich reichte, um ihn weiterfahren zu lassen. Dr. Ferdinand fand den Wasserturm mit der aufgesetzten MG-Stellung zur Festung ausgebaut, um die herum zwei 'Casspirs' standen, wo über der Luke der Fahrerhauses Männer MG's nach links und rechts drehten, als hätten sie was im Visier. Er setzte die Fahrt auf dem ausgefahrenen Weg mit den aufgeworfenen Sandbänken fort, wobei er steckenblieb, bevor er die Strasse mit der langgezogenen Rechtskurve erreichte. Er setzte zurück, zog den Käfer aus dem Sand, wechselte von der rechten auf die linke Spur, und drückte den Fuss aufs Gaspedal, als der Käfer sich durch die Sandbank bis zur Strasse hoch wühlte. Es war dunkel über 'Angola', wo sich die Menschen in die Hütten gepfercht hatten. Einige Hunde, denen die Rippen und Hüftknochen herausstanden, streunten ziellos auf der Strasse herum, weil sie nicht fanden, was sie suchten, und liefen, mitunter auf drei Beinen, und alle mit eingezogenen Schwänzen dem Käfer im letzten Augenblick aus dem Weg.

    Auf der Strasse waren keine Menschen, als Dr. Ferdinand auf der geteerten Strasse nach links abbog, und das Leben den Geist aufgegeben hatten, bis er nach einem Kilometer nach rechts abbog, die Räder noch einmal kräftig in ein Schlagloch schlugen, und er vor der Sperrschranke anhielt, wo auf dem zurückgesetzten Wasserturm zwei MG's in Stellung gebracht waren. Sechs Wachhabende versahen hier den Dienst, von denen einer vor, der andere hinter der Schranke patrouillierte, und beide die Gewehre in den Händen hielten. Er zeigte sein 'Permit' vor, hatte mehr Geduld als Verständnis, während zwei Wachhabende das Auto auf den Kopf zu stellen versuchten und trotzdem nichts fanden, weder im Innen- noch im Kofferraum, dem sie das Reserverad herausnahmen und wieder hinein legten. Bodenblech und Kotflügel gaben ebenfalls nichts her. Er war nun im Dorf, in dem kleine Mannschaftswagen Patrouille fuhren, auf denen junge Soldaten auf längs gestellten Bänken sassen, die die Gewehre zwischen den Beinen hielten. Dr. Ferdinand zog den Zündschlüssel heraus, als der Käfer unter dem Dach des Abstellplatzes stand, streifte in der Veranda die Sandalen ab, holte sich eine Zigarette aus dem Wohnzimmer und zündete sie an, als er auf der Stufe zur Veranda sass.

    Ostern stand vor der Tür. Es war nicht ein Ostern, wie er es sich wünschte, und so dachte er, was anders sein sollte, um das grosse Fest mit dem Frieden zu verbinden. Für ihn bestand kein Zweifel, dass das System abgewirtschaftet hatte, aber eben noch nicht ganz, und er rechnete mit Dingen von noch grösserer Verdorbenheit bei Menschen, die hier auftauchen werden und wie Ratten umherhuschen und nach Beute jagen. Es sind die Typen, die aus dem letzten Durcheinander ihren Vorteil ziehen, rücksichtslos vorgehen und den instinktsicheren Riecher haben, rechtzeitig vom sinkenden Schiff abzuspringen, um zu den ersten zu gehören, die in der Schlange stehn, wenn es um die Verteilung der Posten und Pöstchen im neuen System geht. Die Beute haben sie dann längst eingefahren, verscharrt und verscherbelt, so dass sie wieder das harmlose Gesicht aufsetzen, das kein Wässerchen trüben kann, wobei diese Schweinehunde immer wieder Erfolg haben, weil sie bis auf die Knochen verdorben, bis auf die Zähne skrupellos und bis unters Dach korrupt und gerissen sind. Der alte Pater hatte recht, als er sagte, dass in Zeiten, in denen die Prinzipien von Recht und Ordnung ihre Gültigkeit verloren haben, es schwer ist, Verantwortung zu tragen, oder, das hängte Dr. Ferdinand dem Satz noch an, es leicht ist, unverantwortlich zu sein. Er schaute in den Sternenhimmel und hörte Schüsse in der Ferne, dann MG's, wahrscheinlich von den Wassertürmen, die ganze Ketten verschossen. Das Militär sparte nicht mit Munition, wenn es um den Verdacht ging, es könnte ein Swapokämpfer sein. Dabei schoss es meist harmlose Zivilisten nieder, die ein weggelaufenes Rind oder paar Ziegen einfingen, weil sie auf ihr Fleisch angewiesen waren, und der Verdacht wie eine Seifenblase in der Luft zerplatzte. Der Krieg, der mit Anstand nichts zu tun hat, war auf ein Niveau gesunken, das weit unter dem Animalischen lag, wenn die Männer der Koevoet versuchten, in die kleine Kapelle einzudringen, wo die Schwestern ihre nächtlichen Exerzitien und Gebete hielten. Diese grobe Respektlosigkeit muss ein schwerer Schock für die Patres und Nonnen gewesen sein, die mit einer solchen Verrohung nicht gerechnet hatten.

    Doch das konnte das Ende noch nicht sein, auch wenn die Stiefel der Gewalt schon an der Türschwelle zur Gebetskammer standen. Dr. Ferdinand, der auch schwarzmalen konnte, machte es nicht, weil er nicht gleich den ganzen Teufel an die Wand malen wollte. Ein Ostern im Krieg ist wie ein Ei über dem Feuer, dessen Schale zerspringt, den Inhalt vergiesst, die zersprungene Schale in der Flamme verrusst. Das Osterereignis und seine Bedeutung liessen sich so recht nicht finden, weil das Leben seit langem aus den Fugen geraten, die Tür zur Zivilisation aus den Angeln gerissen und zerhackt war und der menschlichen Vernunft durch das legalisierte Unrechtssystem der Boden unter den Füssen entzogen und durch Minen und Granaten verwüstet wurde. Der weisse Blick in die Zukunft hatte keine Vision, er war kurzsichtig, weil er aus Angst und nach dem Motto zusammengesetzt war: Rette sich, wer kann! Wie es weitergehen soll? Keiner wusste es, und böse Ahnungen gingen dem Nichtwissen voraus, weil jeder irgendwelchen, rassistischen Dreck am Stecken hatte, wenn nicht noch korrupte Machenschaften mit der Selbstbereicherung vor den traurigen Augen der Armen hinzukamen Jeder stellte seine Vermutungen an, hatte das Bild mit dem sinkenden Schiff bereits im vordersten Denkstübchen über dem Augenfenster aufgehängt, betrachtete es mit Sorge, ohne deswegen an die Schwarzen zu denken, denen es seit Generationen viel schlechter ging, gab sich selbst eine Prognose des 'Überlebens', wobei das Würfeln und Auslegen von Karten im Frage-und-Antwort-Spiel an Bedeutung gewann. Die sonntäglichen Gottesdienste waren gut besucht. Es wurde streng gepredigt und gebetet, und das noch immer in weiss. Die Tauben vor dem kleinen Glockenstuhl nahmen es gelassen hin und kackten den Kirchgängern weiterhin auf die Köpfe, wenn sie sich vor dem Eingang verredeten und nicht ins Innere eilten. Der Hellsichtige, vielleicht der Phanatasiebegabte noch, konnten diese grauweissen Kackflecken in den Haaren oder auf den sonntäglich verschönten Schultern als prophetische Zeichen der unausweichlichen Verwälzung und Umwälzung deuten. Manche dachten wahrscheinlich schon früher über die Sinnhaftigkeit der Kopfbekackung und der wirksamen Fallgesetze nach, wenn sie zum Glockenstuhl nach oben schauten und den Tauben beim Fallenlassen ihrer Botschaft das rechte oder linke Auge zudrückten. Doch von Hellsichtigkeit und Phanatasiebegabung war bei den herausragenden beziehungsweise stiernackigen Querschädeln nicht viel zu merken. So verliefen sich die vorausgedachten Gänge ohne Weitsicht, sie kreuzten und wanden sich in erstaunlicher Kurzperspektive, sie waren verbogen und mussten zum Entgleisen führen.

    Das Bild der in- und durcheinander gehenden Gleise eines Güterbahnhofs war das Abbild des Durcheinanderdenkens mit seinen Verwirrungen. Die Weissen wurden geizig bezüglich des Vertrauens; sie trauten keinem mehr richtig über den Weg. Sie behielten die Sachen des Vorgedachten für sich und nahmen sich dabei noch der anderen Wertgegenstände an, deren Besitzer sie nicht waren. Mit all den eigenen und fremden Dingen dachten sie verpackungsweise den kommenden Dingen voraus und genierten sich wenig an den schwarz aufgedruckten Nummern an Stühlen, Tischen, Waschmaschinen und Eisschränken, oder dem unübersehbaren 'SWAA'-Stempel (Southwest Africa Administration), der den Bettbezügen, Decken und Handtüchern waschfest aufgedruckt und an den Unterseiten der Tassen, Untertassen und Teller eingebrannt war. Es wurde an alles gedacht und über das zulässige Mass probeverpackt, alles sollte verfrachtet werden, was nicht niet- und nagelfest war, um so für den Ernst- und Notfall gerüstet zu sein. Die Verantwortung war eben untragbar in einer Zeit, wo die Prinzipien von Recht und Ordnung ihre Gültigkeit verloren hatten, wie sich der alte Pater ausdrückte. Da war dann die Gedankenverkehrung auch nicht mehr fern, dass in einer solchen Zeit das Tragen von Verantwortung nicht nur unerträglich, sondern mit dem Leben, sprich Überleben, nicht mehr vereinbar und das Festhalten an ihr nicht mehr zu verantworten war. Die Zahl der Weissen schwand drastisch, die der Administration noch etwas zutraute, die sich der Verantwortung seit langem entledigte und die Korruption in hahnebüschendem Ausmass betrieb. Jeder wusste es, weil zu viele daran beteiligt waren. So gab es 'gute' Gründe, diese Sachen nicht noch vor Toresschluss an die grosse Glocke zu hängen. In dieser Zeit des auf- und abspringenden Durcheinanders ging der Respekt vor dem Fremdbesitz verloren, und das Stehlen des Fremdeigentums, das dem Volk gehörte, war unverkennbar.

    Das Volk sah es und konnte nichts dagegen machen, weil den Menschen die Rechte der Zivilisation entzogen worden waren. Die Weissen sahen die Schwarzen nicht als ebenbürtige Menschen. Dr. Ferdinand hatte das Bild der kreisenden Geier vor sich, die sich über die vorzerlegte und angekaute Beute hermachen und sie bis auf den letzten Knochen entfleischen. Das kann nicht gutgehen, wenn es überhaupt keine Moral mehr gibt. Was nutzen da die strengen Predigten und Gebete in der weissen Kirche und die gurrenden und kackenden Tauben vor dem kleinen Glockenstuhl über dem Eingang, fragte er sich mit einem Anflug der Depression. Er verstand den Brigadier besser und glaubte ihm, was er in einer Morgenbesprechung angekündigt hatte, dass er wie die anderen Weissen auf einem Pulverfass sitzen, das jederzeit hochgehen werde. Wer sich so benimmt, hat es anders nicht verdient; einen Höhenflug, wie ihn Graf Münchhausen seinerzeit noch machte, würde es mit Sicherheit nicht geben, damit war Dr. Ferdinand auch einverstanden. Er schloss seine vorösterliche Betrachtung ab, knipste das Licht im Wohnzimmer an und machte sich einen Kaffee, las in den grossen Philosophen und nickte im Sessel ein. Später im Bett zog er sich die Decke bis unters Kinn.

    Es war Ostersonntag, so liess er die Hähne krähen und sehnte sich nach der frohen Botschaft, die sie ankündigten. Matthäus spricht von einem grossen Erdbeben, vom Engel des Herrn, der vom Himmel herabkam, der den Grabstein wegwälzte und sich darauf setzte. Seine

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