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Ich richte dich!
Ich richte dich!
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Ich richte dich!

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About this ebook

Claire Nolan, eine typische Landfrau, läuft nach einem jahrzehntelangen Martyrium an der Seite Ihre Ehemanns Amok. Sie tötet neben ihm noch weitere neun Personen und ihre geliebten Tiere. Auslöser für die Bluttat ist Claires Pferd, das der Ehemann in Brand gesetzt hat. Professor Christopher Duning, soll ein Gutachten anfertigen, um Claires Schuldfähigkeit festzustellen. Allerdings bewertet er nach eigenen Kriterien. Seiner Meinung nach ist er fähiger als jeder Richter, was die Verurteilung und das Strafmaß betreffen. Neben verfälschten Gutachten hat er es sich zur Lebensaufgabe gemacht, jeden Täter seiner gerechten Strafe zuzuführen – und arbeitet auch nach dem Prozess wie besessen daran, die Verurteilten letztlich in den Suizid zu treiben. Dies gelingt ihm einige Male. Er nennt dies seine Berufung.
Doch in Claire hat er seinen Meister gefunden.
Ein raffiniertes Spiel im Kampf um Unterwerfung und Macht. Und der Tod spielt mit...
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateSep 7, 2017
ISBN9783742776037
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    Book preview

    Ich richte dich! - Mika Benthe

    Prolog

    Langsam wich sie zurück, fand die Wand hinter sich – und spürte ein huschendes Krabbeln an ihren Händen. Sie schrie auf, sprang wieder einen Schritt vor und sie jagten die Wände hoch.

    Kakerlaken, groß wie ihr Zeigefinger.

    Es mussten hunderte sein.

    Weniger als zehn Meter entfernt lag er. Sie rief ihn. Doch er reagierte nicht. Regungslos verharrte sie in diesem baufälligen Flur, spürte den kalten Steinbeton unter ihren nackten Füßen. Die Viecher krabbelten gemächlich umher. Tat sie eine kleine Bewegung verwandelten sie sich in einen Haufen umher huschendes Getier, völlig unberechenbar.

    Sie saß in der Falle. Stand im Flur und betete, die Lampe über ihr würde nicht erlöschen, sie flackerte bedenklich.

    Was tat sie nur? Wo war sie hier gestrandet? Wer war der Typ da, der vor sich hin schlummerte und nicht im Ansatz spürte, in welcher Lage sie war? Sie schwor sich im Morgengrauen ihre Sachen zu packen und zu verschwinden. Sie konnte unmöglich in dieser Wohnung, dieser Ruine schlafen, nicht so. Die Viecher waren überall.

    Und was war mit Ratten? Auch die kamen doch überall durch. Das ganze Haus war schief und voller Löcher. Langsam geriet sie in Panik. Es war grauenhaft. Es musste doch jeden Moment der Morgen kommen.... sie wartete über drei Stunden lang, unfähig, sich zu rühren. Immer wieder rief sie seinen Namen. Leise, doch eindringlich. Der Nachbarn wegen bloß keine Szene. Aber er hörte sie nicht.

    Im Morgengrauen wachte er endlich auf und ging zur Toilette. Sah sie erstaunt an, sah die Viecher und sagte „Die tun nichts, habe ich in Marokko tausendfach erlebt. Wieso stehst du da herum? Komm ins Bett."

    Der erste Gedanke ist immer der richtige: „Pack´ deine Sachen und verschwinde!"

    Doch erst fünfzehn Jahre später ging ihr auf, dass es dieser Moment gewesen war, an dem sie sich hätte retten können. Noch.

    Oder aber war es da nicht schon zu spät gewesen?

    Fakt war: sie hatte es nicht geschafft, den Gedanken nicht umgesetzt, seine Liebkosungen und tröstenden Worte hatten sie beruhigt.

    Sie büßte dafür und geriet immer tiefer in den Sog der Demütigungen und Abhängigkeit von ihm.

    Mit ihrer Unschlüssigkeit in jener Nacht und am Morgen danach begann ein Lebensabschnitt, der sie letztendlich vernichten würde.

    Kapitel 1

    Damals hatte sie eine Menge Geld. War voller Tatendrang und abenteuerlustig. Anfang Dreißig, im besten Lebensalter.

    Sie hatte es nach zwei Jahren geschafft, über den Tod ihres Lebensgefährten hinwegzukommen, hatte sehr viel Geld geerbt, beruflich mit dem Aktienhandel beschäftigt und war bereit, nicht mehr alleine zu sein.

    Eines Abends hatte sie die Einsamkeit satt.

    Aus einer Laune heraus stöberte sie im Internet und in den Partnerbörsen herum und flirtete drauf los. Traf dabei auf ihn. Interessante und angenehme Chats, es folgten lange und einfühlsame Telefonate.

    Auch das erste Treffen verlief außergewöhnlich. Mit einem Fragenkatalog erschien er und hakte eine Frage nach der anderen ab. Sie lachte. An diesem Tag geschah viel witziges. Sie war nicht verliebt, fand ihn nur süß. Als er sich danach nicht mehr meldete – neun Tage lang – schickte sie ihm einen Geburtstagsgruß, eine freundliche Email.

    Und wollte ihn dann vergessen. Überraschenderweise meldete er sich daraufhin. Und nahm sie in kürzester Zeit völlig gefangen. Nach zwei Monaten zog er bei ihr ein und stellte ihren bisherigen Alltag damit völlig auf den Kopf.

    Nach sechs Monaten war sie schwanger, verlor jedoch nach wenigen Wochen das Baby.

    Er blieb nur wenige Tage bei ihr, um dann weiterzuziehen, es gab viel zu tun.

    Sie hatte eine Immobilie im Ostblock – in Rumänien - gekauft, als Kapitalanlage. Im Grunde hatte sie nie vorgehabt, auszuwandern und dort zu wohnen.

    Er jedoch wollte sofort hinziehen. Er überzeugte sie und machte sich sogleich ans Werk, das Haus zu renovieren.

    Es war eine Flucht gewesen und sie folgte ihm aus ihrem alten Leben hinaus, denn es war voller Enttäuschungen, familiären Zwist und nichts hielt sie wirklich dort. Arbeiten konnte sie auch im Ausland.

    Im fremden Land angekommen wusste sie schon nach kürzester Zeit, dass der Plan nicht aufgehen würde.

    Sie hasste es vom ersten Moment an. Aber er wollte bleiben. Und sie wollte es wenigstens ehrlich versuchen, dem ganzen eine Chance zu geben. Sie wollte kein Feigling sein. Nicht in seiner Gunst sinken. Alles, nur das nicht, er vergötterte sie ja. Er sagte und schrieb ihr wunderschöne Dinge, die sie nie zuvor von anderen erfahren hatte. Sie war allein, keiner hatte sie je angenommen, es gab keine Familie. Nicht mehr für sie, nachdem sie allein ihren Freund begraben musste und nicht einer ihrer Sippe auch nur eine Karte geschrieben hatte.

    Erst mit dem Erbe kamen plötzlich freundliche Telefonate und Besuche. Und natürlich eine Menge

    dringlicher Anliegen. Sie alle wollten Geld, waren in höchster Not. Familie. Vormals gute Freunde. Sie durchschaute das Spiel und brach alle Brücken hinter sich ab.

    Sie hatte nur noch ihn.

    Dann kam die Nacht der Kakerlaken. In ihrer Verzweiflung mischte sich Wut, auch wegen des verlorenen Kindes und seinen Weggang damals. Er hatte sie im Stich gelassen. Die Renovierung und die Auswanderung war wichtiger gewesen. Ihre Zweifel und Ängste vor der Zukunft in diesem fremden Land wischte er weg. Wenn es nicht klappen würde, läge es daran, dass sie nicht an die Sache und ihr Glück glauben würde.

    Sie solle doch nicht alles verderben, es wäre so ein wundervoller Traum. Sie sollten es wenigstens versuchen.

    Sie hielt über drei Jahre durch. Sah ihr Vermögen wegschmelzen und konnte nichts gegen seine fatalen Fehlentscheidungen tun, konnte nicht weg, sie war ihm hörig. Er wusste das und ignorierte ihre vielfachen Krankheitssymptome, die sie in dieser

    Zeit plötzlich bekam. Schwindel, Ohnmachtsanfälle, Krämpfe, Schmerzen. Sie stürzte in eine tiefe Depression und verlor alle übrig gebliebenen Kontakte.

    Er hatte nur seinen Plan vor Augen. Wischte jeden Einwand weg. Manchmal hatte sie gute Tage. Manchmal gelang es ihm ihr weiterhin vorzugaukeln, alles wäre gut.

    Sie hoffte auf ein Wunder: eines Morgens aufwachen und alles einfach großartig finden, zum Beispiel. Die dunstige Luft, die stinkenden Autos, zum Abriss bereiten und doch bewohnten Häuser in den trostlosen Farben. Der Sozialismus war noch immer allgegenwärtig. Und dazu die Menschen, deren Mentalität sie einfach nicht verstand. Sie taten alles für Geld. Sie waren kriminell und primitiv.

    Ja, es würde einem Wunder gleichkommen, sich daran zu gewöhnen und noch mehr, irgendetwas schönes an dieser Umgebung zu finden.

    Genauso gut konnte sie sich wünschen, einfach zuhause aufzuwachen und alles wäre nur ein Traum gewesen.

    Aber eines Tages war kein Geld mehr da, selbst die letzte Grenze war überschritten. Von ihrem Vermögen war nichts mehr übrig außer einer halb sanierten Bruchbude in einem osteuropäischen Land, in der sie nicht einen Tag gewohnt hatten.

    Zurück in der Heimat galt es zuerst also Geld zu verdienen.

    Wieder einmal hatte er auf ein Wort eines Bekannten vertraut und besorgte eine neue Bleibe, natürlich nicht dort, wo sie früher gelebt hatten und alles vertraut war - den vorausgesagten Job gab es jedoch nicht. Plötzliche Veränderungen im Betrieb, wie er ihr mitteilte. Aber sobald wie möglich würde dieser bekannte ihn einstellen, das war sicher. Es konnte sich nur um ein paar Wochen handeln.

    Nichts war wichtiger, als die ersten Monate zu überstehen. Sie nahm einen Hilfsjob zum Mindestlohn an. Übergangsweise natürlich, bis er endlich Fuß gefasst hätte.

    In einem Altenheim erledigte sie alle Arbeiten, für die sich die Kollegen zu schade waren. Insbesondere Toilettendienste. Erbrochenes wegwischen, Fäkalien entsorgen, Menschen aus ihren stinkenden Klamotten befreien und waschen. Das waren ihre Aufgaben – sie war als die „Klofrau" bekannt und wurde auch so gerufen. Im Verlauf der Jahre kamen andere, anspruchsvollere Aufgaben hinzu. Geschwüre versorgen, schwergewichtige Menschen heben, versorgen und umbetten, natürlich ohne jede Hilfe. Die Bewohner mit ansteckenden Krankheiten waren allesamt ihr Job. Die Pausen verbrachte sie

    allein. Nachtschichten, Wochenenddienste und Überstunden waren die Regel. Das alles zum Mindestlohn.

    Sieben Jahre hielt sie durch, dann war ihr Körper ruiniert. Ihre Psyche ohnehin.

    Er betonte immer wieder, dass er niemals einen solchen Job machen würde.

    Blieb zuhause, wartete auf den versprochenen Job und war im Kaufrausch.

    An- und Verkauf im Internet war sein Eldorado. Damit wollte er reich werden. Aber den Kühlschrank füllte sie. Ebenso wie die Miete von ihr gezahlt wurde, weil es nicht reichte. Dennoch rutschten sie noch tiefer ab.

    Die Geldsorgen wurden mit jedem Stapel an Rechnungen größer.

    In dieser Zeit drohte der Supergau.

    Wieder eine Katastrophe – er war nie krankenversichert gewesen und nun sollte durch eine Gesetzesänderung solche Menschen dazu verpflichtet werden, nachträglich eine hohe Summe einzubezahlen und künftig pflichtversichert zu sein.

    Es gab nur die eine Chance, dieser riesigen Summe zu entgehen: eine Heirat. Er würde in ihrer Versicherung aufgenommen und niemand würde ihn zur Kasse bitten können.

    Also heirateten sie – aber es war eine Hochzeit ohne

    Trauzeugen, Ringe oder eine Feier. Sie aßen immerhin auswärts.

    Damals glaubte sie, es würde sich nun alles ändern.

    Viele Zweckehen funktionierten gut, erst spät kamen Liebe und Leidenschaft hinzu. Vielleicht konnte er lernen sie zu lieben, jetzt, da sie offiziell Mann und Frau waren. Und zu begehren. Ein Intimleben gab es schon seit Jahren nicht mehr.

    Viel schlechter konnte es nicht laufen. Es konnte nur noch aufwärts gehen.

    Ja, es würde jetzt endlich alles gut werden. Das hier war ein Meilenstein.

    Davon war sie überzeugt.

    Die Ehe wurde jedoch nie vollzogen.

    Es gab keine Hochzeitsnacht. Sie wurde immer wieder abgewiesen, jeder Versuch zur Verführung scheiterte. Es waren für sie Demütigungen wie Ohrfeigen.

    Und dann kam der Tag, als sie in sein Büro kam und er nicht schnell genug seine Internetseiten schließen konnte.

    Nackte Frauen.

    Danach tat sie nichts mehr, um ihn umzustimmen, ihn zu becircen oder verführen zu wollen. Sie redete mit ihm nicht mehr über ihre Sehnsüchte und Bedürfnisse. Sie schämte sich unendlich, je mit ihm darüber gesprochen zu haben, sich ihm so ausgeliefert zu haben.

    Jahrelang hatte sie damit zu kämpfen. Er ließ sie in ihren besten Jahren verhungern. Dazu kamen die ersten Schläge.

    Zuerst waren es eher Stöße. Er stieß sie beiseite,

    wenn er mit dem Telefonhörer am Ohr durch die Wohnung rannte und sie seinen Weg kreuzte.

    Oder etwas trug.

    Einmal verletzte er sie mit einem langen Brett, dass er ihr in die Seite rammte. Sie schrie auf und flippte aus, riss an dem Brett herum, das er überrascht fallen ließ und dann brüllte sie ihn an, beschimpfte ihn als Idioten.

    Er ging mit starrem Blick auf sie zu und schlug sie ins Gesicht.

    Umgehend verließ sie die Wohnung und zeigte ihn an.

    Wortreiche Entschuldigungen und Tränen seinerseits. Blumen, Geschenke. Und die Anzeige wurde zurück gezogen.

    Das übliche also.

    Er stieß sie nicht mehr, sondern forderte sie nun auf,

    zur Seite zu gehen. Höflich und zugleich genervt.

    Er schlug sie nie wieder. Jedenfalls nicht so offen.

    Statt dessen kniff er ihr in die Brust, in die Arme, trat ihr „versehentlich" auf den Fuß, umarmte sie so heftig, dass sie Schmerzen bekam.

    Oh wie ungeschickt er doch war. Aber er liebte sie doch so... es dauerte Jahre bis sie dahinterkam, dass es zuvor immer einen Streit gegeben hatte, wenn so etwas geschah.

    Statt endlich zu gehen, wurde sie stiller. Sie konnte nicht weg von ihm. Sie schaffte es einfach nicht.

    Eines Tages erbte sie noch einmal. Ihr Vater, zu dem sie Jahrzehnte keinen Kontakt gehabt hatte, war verstorben und hinterließ ihr etwas Geld. Es war nicht viel, jedoch genug für einen Neuanfang.

    Sie suchte nach einem Haus, es musste billig sein.

    Bei der Suche richtete sie sich auch nach seinen Wünschen. Er wäre sonst nicht mitgezogen.

    Sie fand trotz seiner Ansprüche das passende Haus und konnte es in einer Zwangsversteigerung günstig erwerben.Sie renovierten Monate, bis ein Teil endlich bewohnbar war. Und zogen ein.

    Doch der Start in ihr neues Leben verlief schlecht. Es war wieder einmal das typische Klischee. Es geschah bei der Autowäsche an der Tankstelle.Eine Frau verwickelte ihn in ein Gespräch, schnell sehr anzüglich – wie gut er aussah, genau ihre Kragenweite, wo sie doch frisch geschieden und sehr

    einsam sei... und er hörte aufmerksam zu, bedankte sich für das Kompliment und erklärte der

    Fremden, sie sei äußerst charmant und sicher nicht lang allein.

    Sie war die ganze Zeit dabei gewesen, neben ihm stehend, völlig ignoriert von beiden. Sie sagte etwas wie „Schatz, wir müssen los....", aber er und auch die Fremde würdigten sie keines Blickes.

    Da ging sie in den Shop und bestellte mit einer ihr fremden Stimme einen Kaffee und kaufte dazu gleich Zigaretten und ein Feuerzeug. Fünf Jahre hatte sie nicht mehr geraucht.

    Sie fragte nach einem Telefonbuch, um sich ein Taxi zu rufen.

    Aber da kam er schon zur Tür herein. Musterte kurz die Zigaretten in ihrer Hand.

    Sie fuhren schweigend in ihr neues Zuhause.

    Am selben Abend wurden sie als „die Neuen" in die Dorfgemeinschaft - bei einem Dorffest - eingeführt. Alle wollten sie kennenlernen und stellten sich vor. Jedoch bei jedem einzeln, denn statt sich mit ihr zusammen zu zeigen, an ihrer Seite zu sein, amüsierte er sich mit den Frauen des Ortes, die sich um ihn gruppiert hatten und brachte sie zum Lachen. Sie saß derweil mit einigen Seniorinnen an einem Tisch. Es war ihr unendlich peinlich. Die Damen bemühten sich sehr um sie und sie konnte sich nicht davonstehlen. Zu gern hätte sie sich zuhause eingeschlossen und die Decke über den Kopf gezogen.

    Diese nun öffentlichen Demütigungen waren der Auftakt zu vielen weiteren.

    Er witzelte vor den Nachbarn, wie ungeschickt sie mit den Werkzeugen umging, wie schlecht sie kochen würde.Wenn sie mit anderen sprach, fiel er ihr ins Wort und behauptete, die Geschichte sei ganz anders. Er lachte über ihr schlechtes Gedächtnis. Manchmal schickte er sie kurzerhand weg – dieses oder jenes musste erledigt werden.

    Nun aber, hopp hopp.

    Irgendwann ging er zu weit und sie erklärte ihm die Scheidung. Fortan lebten sie getrennt – sie zog in den unteren noch immer nicht renovierten und baufälligen Teil des Hauses und überließ ihm dabei die bequeme Wohnung. Des lieben Friedens willens. Und nur für das Trennungsjahr. Dann endlich würde er gehen.

    Trotzdem hörten die Machtkämpfe nicht auf. Er diskreditierte sie weiterhin anderen gegenüber, zufällig fand sie persönliche Dinge im Müll wieder: liebevoll geschriebene Postkarten ihrer Freunde aus Urzeiten, Schmuckstücke, die sie einmal von anderen geschenkt bekommen hatte. Die von ihr angeschafften Tiere - Pferde und Minischweine - kauten Plastikfolie, die er ihnen hingeworfen hatte. Das Futter war regelmäßig ruiniert, weil er es ungeschützt den Katzen und Hunden auslieferte und diese darin ihr Geschäft verrichteten.

    Teuer eingekauftes Stroh war plötzlich abgedeckt und vom Regen völlig durchnässt worden.

    Dann fand sie eines Tages auf der Weide eine Vielzahl rostiger Nägel, Holzbretter mit spitzen Schrauben darin und Glasscherben in den Gehegen.

    Sie ging in ihre Bleibe und schrieb einen kurzen Text.

    Es war die Kündigung der Wohnung, die er bewohnte. Es war ihr Haus. Ihr gutes Recht.

    Sie übergab ihm das Schreiben ohne ein Wort zu sagen.

    Kalt.

    Damit hatte er nicht gerechnet, kam zu Kreuze gekrochen, entschuldigte sich, bat um eine Chance wohnen bleiben zu dürfen. Zahlte Geld, eine großzügige Miete.

    Plötzlich konnte er sich benehmen. War höflich. Kleine Aufmerksamkeiten jeden Tag.

    Jedoch war die Ehe vorbei.

    Sie konnte nicht mehr im Ehebett schlafen, nicht einmal allein. Mit ihm in einem Bett zu liegen war undenkbar für sie. Vielleicht war Freundschaft irgendwann möglich. Doch auch Freundschaft braucht Vertrauen und es war einfach nicht mehr da.

    Sie bekam eines Tages unerwartet die Chance, in den Medien mit einer neuen Kunsttechnik – sie hatte begonnen, Skulpturen in Gemälde einzuarbeiten - präsentiert zu werden. Plötzlich stieg seine Achtung ihr gegenüber. Aber es interessierte sie nicht. Für sie war das nichts als Stress, kein wirklicher Erfolg, denn durch die ständige Armut war sie inzwischen resistent gegenüber Stolz geworden. Sie wollte nur noch Geld – vorzugsweise natürlich mit ihrer Kunst – verdienen.

    Alles andere war Gefühlsduselei - Luxus.

    Und nicht für sie bestimmt. Sie stumpfte ab und war froh darüber, nicht mehr um Liebe oder Anerkennung kämpfen zu müssen.

    Und auch den Schmerz verdrängen zu können, wenn sie aufgrund der immer fortwährenden Geldsorgen wieder einmal eines ihrer geliebten Tiere abgeben musste.

    Und obwohl ihre Kunst hoch gelobt worden war, kaufte niemand eines ihrer Gemälde, selbst wenn sie nur die Materialkosten berechnete.

    Ihr Projekt, in das sie größte Hoffnungen gesetzt hatte, war gescheitert.

    Manchmal überkam sie Trauer um den Menschen, der sie einmal gewesen war. Wut auf das Schicksal,

    sie mit soviel Liebe und Intelligenz ausgestattet zu haben, nur um immer wieder zu scheitern. Wieso war sie nicht dumm, minderbemittelt und emotional stumpf geboren worden? Das hätte zu diesem Leben gepasst.

    Um sie herum schien die Welt immer mehr zu verrohen, sie glaubte auch, dass die Menschheit den Zenit ihrer Entwicklung längst überschritten hatte. Offenbar nahm die Intelligenz immer mehr ab, Dummheit und primitive Inhalte regierten alle Kanäle. Und immer mehr fadenscheinige und oberflächliche Gespräche.

    Geld war Macht. Freiheit.

    Nichts sonst schien noch zu zählen – und es hatte ihr Leben komplett in der Hand.

    Es war erschreckend und ein Trost zugleich, dass die Zeit immer schneller verging.

    Nach 14 Jahren und 76 Tagen - an einem Oktoberabend - begann endlich der letzte Akt.

    Es war der zwölfte Oktober 2015. Gegen siebzehn Uhr.

    Die Nacht würde bald vollständig da sein, es dämmerte schnell und gab noch einiges für sie zu tun. Die Schweine waren gefüttert, ebenso die Katzen. Fehlten noch die Hunde. Sie füllte die Näpfe und pfiff zuerst Jack und Taco – die beiden Schäferhunde, die den Hof bewachten – heran. Luise, eine Collie-Hündin, bekam ihre Seniorenmahlzeit in der Scheune, ebenso wie die Chihuahua-Dame Lexi und der Terrier Finn.

    Nun schnell noch die Tränken füllen. Der aufgerollte Wasserschlauch knickte ein wie immer. Sie würde heute mit den Wassereimern arbeiten. Sie ließ zwei volllaufen und trug sie zum Schweinegehege, um dort die Tränken aufzufüllen.

    Die meisten Schweine schliefen schon. Nur Lola und Anna schlenderten noch einmal gemächlich zum Zaun, ließen sich die Nasen streicheln und den Nacken kraulen. Ein Betthupferl – für jede einen Butterkeks – ließen sie sich nicht entgehen. Ein zufriedenes Grunzen und sie wackelten Richtung Unterstand.

    Die nächste Ladung Wasser wurde in den anderen Näpfen für die Hunde und Katzen verteilt.

    Zuletzt waren die Wasserbehälter auf der Weide für die Pferde dran.

    Zwei junge Fuchs-Hengste, Ben und Barry, mit knapp achtzehn Monaten waren sie fast noch Babys.

    Und eine Stute namens Penny, mittlerweile neun Jahre alt. Sie hatte sich vor zwei Jahren in die Stute verliebt und sofort gekauft. Penny war wunderschön – reinweiß mit großen sanften Augen. Sie hatte jedoch den Schalk im Nacken, konnte wild herumtoben und hatte einen Dickkopf. Auch erzog sie die beiden Hengste mit ausdauernden Ausschlägen, wenn ihr etwas nicht passte.

    Auf dem großen Grundstück liefen viele Tiere frei herum. Einige Schweine gemeinsam mit den Hunden, Katzen und den Pferden. Bis vor kurzem vervollständigten noch drei Ziegen und zwei Schafe das Bild.

    Leider musste sie die verkaufen.

    Aber wie auch immer: Penny war für alle das Oberhaupt und zeigte das auch ganz gern.

    Sie war dennoch insgesamt ein sehr liebenswertes Pferd – mit viel Charakter.

    Auch Penny hatte sie wieder verkaufen müssen, natürlich wegen akuten Geldmangels. Als die Stute abgeholt wurde und mitbekam, dass das bekannte Frauchen nicht mitfahren würde, schlug sie wütend

    aus und rief immerzu.

    Die nächsten Tage waren von unglaublicher Sehnsucht und Traurigkeit geprägt gewesen. Der Stute erging es im neuen Zuhause nicht anders. Sie verlor sehr schnell an Gewicht, konnte sich nicht in der Herde einfinden und ließ sich nicht anfassen. Für die neuen Besitzer ein Alptraum.

    Irgendwie schaffte sie es das Geld zusammenzukratzen und Penny nach zehn Tagen wieder zurückzuholen.

    Danach war klar, dass sie sich nie wieder von ihr trennen würde.

    Nun noch den allabendlichen Hofrundgang und schauen,

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