Wer hat Gerlinde Bauer getötet?: Industriekrimi
By Metin Buz
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Aber Mani Brás, die Hauptfigur, ist nicht der einzige, der das Ziel verfolgt, Gerlinde Bauer zu töten. Es werden auch weitere Schicksale von einzelnen Personen in Schlüsselpositionen beschrieben. Es wird gezeigt, wie die Menschen infolge des Renditedenkens, der Gier zu Menschenmaterial werden. Wie über die Leichen ge-gangen wird, um die gesetzten Ziele zu erreichen.
Da ist die frühere Personalleiterin, die nach 31-jähriger erfolgreicher Arbeit würdelos entlassen wird, als sie ihren Lebenspartner verliert und kurz vor einer großen Her-zoperation steht. Oder die Interim-Managerin, die sich ausgenutzt und betrogen fühlt und sich jetzt rächen will. Und nicht zuletzt der Personaldirektor, der infolge seiner Sex- und Spielsucht sein gesamtes Geld verliert. Jeder von ihnen könnte ein Mörder sein. Doch wer tötet am Ende die Personalleitung?
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Wer hat Gerlinde Bauer getötet? - Metin Buz
TEIL I
Metin Buz
Wer hat Gerlinde Bauer
getötet?
Industriekrimi
1
„Wir sind überaus erfreut, hier und heute einen so verdienten Mitarbeiter auszeichnen zu können. Inner-halb kürzester Zeit nach seiner Versetzung von der Abteilung Arbeitssicherheit in die Personalabteilung ist es ihm gelungen, zur Implementierung vieler Arbeits-prozesse in der Personalabteilung und damit so zu deren Optimierung in einer beispielhaften Weise bei-zutragen, verkündete der Geschäftsführer zum Tagesordnungspunkt ‚Verschiedenes’ der Betriebsver-sammlung. „Dank seines unermüdlichen Einsatzes konnten zum Beispiel die Entwicklungsplanung für Führungskräfte und die Leistungsbeurteilung für außertarifliche Angestellte im Betrieb zum ersten Mal elektronisch umgesetzt werden. Als Zeichen unseres Dankes und unserer Anerkennung für seinen Einsatz, seinen Fleiß, für seine Loyalität und Integrität über-reichen wir Herrn Brás einen Scheck über 10.000 Euro und wünschen ihm weiterhin viel Erfolg.
Nach der Versammlung, unter vier Augen im Büro, wurde Brás von Schultheiß, seiner Chefin, gelobt: „Gut gemacht! Das hat mich in meinem Entschluss bestätigt, Ihnen das Feld vorzeitig zu überlassen. Wie Sie ja wis-sen, habe ich nicht vor, bis zum regulären Rentenalter zu arbeiten. Wenn alles klappt, gehe ich in Alters-teilzeit und höre mit achtundfünfzig auf. Dann werden Sie mein Nachfolger. Versprochen ist versprochen. Und die Geschäftsleitung hat dieser Entscheidung ja auch schon zugestimmt."
Der Geschäftsführer Waldmann war ein großer, kräf-tiger Mann. Er hatte ein rundes, bräunliches Gesicht mit tiefblauen Augen und weißen Haaren. Er lief lang-sam und kerzengerade, sprach wenig, aber jedes ein-zelne Wort betonend. Er hatte eine Ausstrahlung, die andere sofort erfasste und in den Bann zog — ein charismatischer Typ, der alleine mit seinem Auftritt große Wirkung erzielte. Im Betrieb sah man ihn kaum, denn er war ständig auf Dienstreise bei Kunden oder an anderen Standorten der Firma. Nur wenn wichtige Kunden oder Vertreter der Konzernleitung aus den USA kamen, war er vor Ort und lief mit ihnen durch den Betrieb. Die Kunden und die Mitarbeiter respek-tierten ihn gleichermaßen. Kam er von einer Reise zurück, rief er seine Mannschaft, die Mitglieder der Geschäftsleitung, zu sich, informierte sie und verteilte verschiedene Aufgaben, die dann zeitig und präzise auszuführen waren und tatsächlich so ausgeführt wur-den. Auch als guter Akquisiteur war Waldmann be-kannt, holte er doch einen Auftrag nach dem anderen herein. Von Lucis bis Osada, von Binair bis Ravi, Kreutzer, EFG, alle großen Autohersteller, ohne Ausnahme, hatte er mit der Zeit als Kunden gewinnen können, ihre Aufträge lasteten den Betrieb gut aus. Die Maschinen liefen rund um die Uhr, dreischichtig wurde gearbeitet. Sogar an Wochenenden und Feier-tagen mussten immer wieder Sonderschichten gefah-ren werden, um die angeforderte Stückzahlen produ-zieren und liefern zu können. Am Ende des Finanz-jahres rief Waldmann die Mitglieder der Geschäfts-leitung zusammen und erkundigte sich danach, ob sie neue Mitarbeiter oder neue Maschinen und Geräte bräuchten, weil sie so viel Umsatz machten. Damals erlebte die Firma ihre Blütezeit und expandierte stetig.
Das Werk in Villbeck hatte für Waldmann eine beson-dere Bedeutung. Er hatte dort als Sicherheitsingenieur angefangen. Später, zu Beginn der Achtzigerjahre, hatte er die Geschäftsführung übernommen, gerade in einer Phase, in der die Firma bestreikt wurde, denn die Konzernleitung hatte entschieden, die Produktion nach Italien zu verlagern. Nach langen Verhandlungen mit der Konzernleitung und dem Betriebsrat gelang es ihm schließlich, eine Schließung des Betriebs zu verhindern, den Standort auf Dauer zu erhalten und ihn sogar auszubauen. Unter seiner Führung wurde Villbeck in kürzester Zeit zum erfolgreichsten Werk innerhalb des Konzerns. Waldmann war daher mit dem Werk Villbeck besonders verbunden und setzte sich folglich auch besonders stark für es ein. Das Werk lag innerstädtisch, innerhalb eines intensiv genutzten Ge-werbegebiets, ein typisches Großstadtareal. In einer Zeit, in der es als angesagt galt, dass die Firmen die großen Metropolen verließen, um auf der grünen Wiese Produktionshallen mit vermeintlich niedrigeren Kosten zu errichten, verteidigte er diesen Standort, ohne zu wanken, denn er verband mit ihm weit überwiegende Vorteile, etwa die Nähe zum Flughafen, die zum Großkunden CarAg oder die schnelle Erreich-barkeit dank guter Verkehrsanbindung. In seiner Ein-gangsrede hatte er zur Wirtschaftslage des Unterneh-mens auch den Druck angesprochen, der von anderen Kunden auf die Firma ausgeübt wurde, Kunden, die Errichtung neuer Werke in ihrer Nähe und deshalb die Aufgabe des Standorts Villbeck forderten. Sie würden unverschämte Preisnachlässe verlangen, schon seien die ersten Aufträge verloren gegangen. Darum, so hatte er angefügt, appelliere er mit allem Nachdruck an jeden einzelnen Mitarbeiter, sich weiterhin mit voller Kraft für den Erhalt des Standortes einzusetzen, verstärkt eigene Ideen einzubringen, jene Potenziale zu entdecken, die in einem steckten, in einem jeden von ihnen, ebenso wie in Brás, den am Ende der Be-triebsversammlung zu würdigen er die Ehre haben würde. Er glaube fest an ihre Fähigkeiten und ihr Erfah-rungswissen und sei sicher, dass eine Belegschaft, die so motiviert sei und über so viel Erfahrung verfüge wie sie, seine Zuhörerschaft, eben diese alle Schwierigkei-ten werde meistern können. Er, Waldmann, gehöre nicht zu jenen, die bei jeder noch so minimalen kon-junkturellen oder betrieblichen Schwankung Men-schen auf die Straße setzten, weil sie im Personalab-bau das Allheilmittel schlechthin gegen missliebige Zahlen sähen.
„Daher, wiederholte er nochmals, „lassen Sie uns gemeinsam unser Wissen und unsere Erfahrungen und unsere Motivation einsetzen ohne Abstriche, damit wir allen zeigen, wie gut wir sind und wie wichtig dieses Werk ist.
Die Mitarbeiter, die zahlreich erschienen waren und die Betriebskantine bis zur letzten Ecke füllten, hörten der emotionalen Rede ihres Geschäftsführers still und aufmerksam zu und waren davon sichtlich berührt. Seine Worte waren wie Balsam auf ihre Seelen, Aner-kennung, Wertschätzung und Motivation zugleich.
Noch am Abend desselben Tages wurde ihm aus der Konzernleitung in New York über Telefon mitgeteilt, dass man ihn nicht mehr brauche. Die Zusammenarbeit sei mit sofortiger Wirkung beendet.
Die Geschäftsleitung des Werks Villbeck bestand aus-schließlich aus langjährigen Mitarbeitern. Sie alle hat-ten im Betrieb klein angefangen und waren dann lang-sam aufgestiegen, bis in die Positionen, die sie jetzt bekleideten: Geschäftsführer, Werkleiter, Produktions-leiter, Controller, Leiter Produktentwicklung usw. Sie kannten sich sehr gut aus in ihrer jeweiligen Materie und verfügten über vorzügliche Kontakte zu ihren Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern. Fachlich waren sie über alle Zweifel erhaben. Aber sie setzten sich offen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, für ihren Standort ein und riskierten dadurch Schwierig-keiten bei der Konzernführung, Schwierigkeiten, die den Fortbestand ihrer Anstellungsverhältnisse gefähr-deten.
2
Zunächst entsandte der Konzern einen Amerikaner als Geschäftsführer: James Kiser. Der war kleinwüchsig, etwas rund, hatte einen großen, kugeligen und kahlen Kopf mit einem rötlichen Gesicht. Er sprach nur Eng-lisch und war nicht bereit, Deutsch zu lernen. Er war auch nicht bereit, Kunden zu besuchen. Sein Motto war: ‚Sie wollen unser Produkt, also sollen sie zu uns kommen‘. Die Kunden, vorwiegend Autohersteller, waren zu Recht verärgert, ließen sich diese Arroganz nicht gefallen und zeigten ihm die kalte Schulter. Die Aufträge wurden noch weniger und die Lage noch schlechter.
Anscheinend war der Konzernspitze die Entwicklung nicht verborgen geblieben. Denn nach nur acht Mona-ten ließ sie ihm einen Deutschen folgen, Hartmut Lehnhoff, der vorher schon in der Konzernzentrale als Finanzdirektor weltweit tätig gewesen war und den Job in Deutschland zusätzlich übernehmen sollte. Er dachte intensiv über seine eigene Situation nach und kam zu keinem guten Ergebnis. Auch, dass seine deut-sche Frau ihm die Rückkehr nach Deutschland verwei-gert und es vorgezogen hatte, mit den beiden Kindern zu ihrem amerikanischen Friseur zu fliehen, trug weder zur Hebung seiner Laune noch zur Steigerung seines Arbeitseifers bei. Als er Villbeck übernahm, stand er regelrecht unter Schock, war unkonzentriert und über-wiegend mit sich und seinen eigenen Problemen be-schäftigt. Dabei hatte er eine so steile, vielver-sprechende Karriere hinter sich. Er hatte in Villbeck seinerzeit als Finanzanalyst angefangen, war wenig später zum Controller ernannt, und wiederum kurz danach als Finanzdirektor Europa nach London beor-dert worden. Nach zwei Jahren hatte man ihn nach Amerika versetzt und schließlich als Geschäftsführer wieder nach Deutschland abgeordnet. Gewiss hatte der Konzern sich einiges von Lehnhoff versprochen, in Deutschland kannte er sich ja aus. Aber auch Lehnhoff pflegte keine Kundenkontakte und schrieb keine neu-en Aufträge. Folglich wurden die Geschäfte auch dies-mal nicht besser.
Nach einigen Monaten wurde er kommissarisch von Erwin Schubert ersetzt, einem esoterisch angehauch-ten Männlein, das mit autoritärem Gehabe seine Kleinwüchsigkeit zu überspielen und sich Respekt zu verschaffen bemühte. Die von New York beauftragten Unternehmensberater suchten währenddessen eifrig nach einem Geschäftsführer von dauerhafter Perspek-tive. Die ersten beiden Kandidaten, angeblich ‚Top-leute‘, hatten kurz vor Vertragsabschluss abgesagt. Schließlich hatte Kai Hallmann, der Mann dritter Wahl, unterschrieben und die Geschäftsführung mit Wirkung zum März 2000 übernommen. Zugleich wurde die Suche nach neuen Führungskräften für Deutschland intensiviert — für die Koordination der Personalabtei-lungen, nach einem neuen Director Operations, einem Director Quality und einem Director Finance. So wurde die Geschäftsleitung nach und nach ausgewechselt. Die Neuen kamen. Ihr Ruf eilte ihnen rascher voraus, als sie tatsächlich leibhaftig im Werk erscheinen konnten.
Bei einigen in der Belegschaft wirkte schon dieser Ruf wie eine frische Brise. Bei anderen löste er Skepsis aus.
Unter dem Strich aber überwog Freude. Endlich! Nach langer Führungslosigkeit hatte die Belegschaft eine neue Führung. ‚Nun geht es endlich wieder aufwärts‘, dachte man. ‚Neue Manager, neue Ideen, die uns aus dem Schlamassel ziehen werden‘. Die neuen Manager grüßten jeden, sie lachten und sprachen ruhig und gelassen, und sie trugen keine Krawatten. Die meisten fühlten sich in ihren positiven Erwartungen bestätigt. Doch schon bei der ersten Betriebsversammlung, auf der die neuen Manager und die neue Strategie des Unternehmens vorgestellt wurden, betonte man im-mer wieder, wie notwendig es für den Fortbestand des Unternehmens sei, in sämtlichen Bereichen zu sparen. Insgesamt müssten die Personalkosten erheblich re-duziert werden, um einige Arbeitsplätze retten zu kön-nen und marktfähig zu bleiben.
Und tatsächlich meinten auch Teile der Belegschaft, das sei der richtige Weg. Und sie zählten der neuen Geschäftsleitung in allen Einzelheiten so fachmännisch wie naiv alles auf, was es nach ihrer Einschätzung an überflüssigen Funktionen im Betriebsablauf alles gäbe — ohne einen Gedanken auf die Folgen dieser Äuße-rungen zu verschwenden. Bei anderen sah man den Schock in den Gesichtern. Sie rochen den Braten, erkannten Altbekanntes, denn die Methoden waren gleich geblieben. Nur im Verhalten unterschieden sich die ‚Erneuerer‘" wirklich von den Alten. Die Neuen hatten sich Verbindlichkeit verordnet und Monotonie. Die Neuen brachten es fertig, in ein und demselben Ton zu lachen, zu schimpfen und zu drohen, ohne jede Änderung des Gesichtsausdrucks. Sie grüßten einen Mitarbeiter mit demselben nichtssagenden Lächeln, mit dem sie ihm seine Entlassung ankündigten und, schlimmer noch!, wussten dabei nicht einmal die Namen derer, die sie gerade begrüßt oder entlassen hatten. Am schlimmsten aber war ihre Überzeugung, dass ausreichende Gewinne nur mithilfe neuer Struk-turen erzielt werden könnten: Dass die vorhandenen alten Strukturen, Arbeitsmethoden und Vergütungs-modelle untauglich seien und zerstört werden müss-ten. Dass die Standorte der Werke so nicht bleiben könnten, weil sie nicht effizient genug seien. Sogar im gleichen Land spielten sie die vorhandenen Standorte ständig gegeneinander aus.
Schon bald stellte sich heraus, dass den Neuen die Produktkenntnisse fehlten und dass sie keinerlei Erfah-rung im Umgang mit Kunden hatten. Wie auch? Sie hatten keine örtliche Bindung. Sie identifizierten sich nicht mit dem Unternehmen. Trotz ihrer lässigen Ver-haltensweise ging ihnen eine wirkliche Nähe zu den Mitarbeitern ab. Ihr Bezug zur Realität entlarvte sich als unzureichend, denn als sie versuchten, die neuen Arbeitsmethoden, von denen sie schwadroniert hat-ten, umzusetzen, (natürlich zulasten funktionierender Abläufe, Positionen und Bereiche), lief nichts zusam-men, und noch dazu verriet ihr ganzes Verhalten, dass ihre Planung nicht wirklich durchdacht war. Sie scheuten sich davor, weitreichende Entscheidungen zu treffen, als hätten sie Angst vor dem Verlust ihres Status. Sie gingen kein Risiko ein. Sie taten nichts (oder, wenn sie was auch immer taten, zu wenig ener-gisch), um die angestrebten Veränderungen durchzu-setzen. Konsequenz und Entschlusskraft demonstrier-ten sie eigentlich nur dann, wenn es darum ging, be-stimmte Positionen abzuschaffen. Und alle, die die von ihnen vorgegebenen Strategien kritisierten, wurden als nicht anpassungsfähig abgestempelt, degradiert, in Ecken geschoben oder entlassen. Ein scheinbar nicht enden wollender, zermürbender Umstrukturierungs- und Organisationsprozess begann, der nicht nur kost-spielig war, sondern auch die Atmosphäre im Betrieb noch zusätzlich belastete. ‚Der Fisch stinkt vom Kopf her‘, sagt das Sprichwort, und sein Geruch breitete sich rasch quer durch den Betrieb bis in die letzte Pro-duktionshalle aus. Die Vorschusslorbeeren der Neuen waren schnell verdorrt, die Euphorie auch der letzten Unterstützer in der Belegschaft war rasch verschwun-den. Ernüchterung und Hoffnungslosigkeit begannen, Oberhand zu gewinnen. So ging ein Auftrag nach dem anderen verloren, der Marktanteil schwand und schwand.
Auch das Unternehmen, dieser weltweite Konzern, spürte Erosion am eigenen Leibe. Die profitverwöhnte Konzernleitung in Nordamerika, getroffen wohl mehr von den Auswirkungen der Globalisierung als von de-nen der Rezession, ergriff in blindem Aktionismus wie so oft kurzsichtige Eilmaßnahmen, die freilich nur Schaden anrichteten. Erfolgreiche Manager wurden Knall auf Fall geschasst, eine völlig neue Strategie von oben mit aller Macht der Zentrale (per Videokonferen-zen, zahllosen Einzelgesprächen und Veranstaltungen auf den unterschiedlichen Organisationsebenen) mit Nachdruck diktiert und nach außen als Stein der Wie-sen lauthals verkündet.
Im Betrieb Villbeck betraf die nächste Personalände-rung die Personalleitung. Die dortige Leiterin, Heike Schultheiß, hatte wie ihre Kolleginnen und Kollegen in der ganzen Welt an der von New York live geschal-teten Videokonferenz teilgenommen und sich wie die-se anhören müssen, dass Personalleiter fortan höhere Anforderungen zu erfüllen hätten. Ab sofort müssten sie bei der Strategiebestimmung des Konzerns aktiv mitzuwirken imstande sein. Und diese Fähigkeit auch einbringen. Als Personalleiter müsse man körperlich sehr sehr mobil sein und geistig höchst flexibel. Um sparen zu können. Sparen. Einsparungspotentiale er-kennen und realisieren. Denn Profit steigern sei das primäre Ziel des Unternehmens. Und des Personal-leiters. Den Profit steigern. Der Personalleiter als Human Resources Manager habe schnelle Entschei-dungen, unangenehme Maßnahmen zu ergreifen. Er habe zu sparen. Sparen. Sparen, das bedeute für den Human Resources Manager: Aktiv und ständig Spar-möglichkeiten eruieren. Welche Abteilung arbeitet ebenso effektiv mit weniger Mitarbeitern? Wo ist einer zu viel? Wer ist zu oft krank? Sparen. Sparen, das heißt: Profit steigern. Und Profit braucht der Konzern. Der Human Resources Manager arbeitet also mit dem Ziel, Profit zu steigern. Mit dem Ziel, auch drastische Spar-pläne zu erarbeiten und umzusetzen. Zu sparen. Spa-ren und Profit steigern. Mit den Mitarbeitern ener-gischer umgehen, ihre Anzahl reduzieren. Sparen. Pro-fit steigern. Auch mal spektakuläre Entlassungen vor-nehmen. Das schüchtert ein. Hält die Leute bei der Stange. Den Umgang mit den Mitarbeitern auf Dauer verschärfen. Positionen streichen, auch wenn sie wich-tig sein sollten. Alles auf den Prüfstand. Verunsichern, flexibilisieren. Biegsam machen, beugsam. Alle bisherigen Arbeitsmethoden ändern. Sparen. Sparen. Profit steigern. Profit. Profit. Profit! Profit! Profit! ...
Wie ein Kreuzverhör war das in einem dunklen, blass beleuchteten, kahlen und kühlen Raum voll von laut hallenden Stimmen und unwirklichen Gesichtern. Wie ein Erdbeben war das, das keinen Stein auf dem anderen ließ. Wie Bruchstücke sah sie die Menschen, die Häuser, die Gegenstände, hörte sie die Stimmen. Sie war wie betäubt und benommen, getroffen wie von einem Schlag, angezählt. Als sie wieder zu sich kam, nach langem bewegungs- und wortlosen Stehen, nach langem Wanken, hallte in ihrem Ohr noch das Echo JENES Satzes: des Satzes, dass sie dieser Aufgabe nicht gewachsen sei. Das war der zweite Schlag, der ihr endgültig den festen Boden unter den Füßen wegriss und sie zum Schwanken brachte. Damals, als ihr Chef, Waldmann, als Geschäftsführer von jetzt auf eben entlassen worden war, hatte das ihre Bilder von Fairness, von menschlichem Umgang miteinander, von Treue und Liebe zum Beruf, von Anerkennung der Leistung, Berufsethik und von Würde zerstört wie ein brutaler Stiefeltritt eine Kugel aus feinem Kristallglas, und die scharfen Scherben, die spitzigen Splitter ritz-ten noch immer ihr feines Empfinden zu Blut. Das erste Mal, seit sie dem Betrieb angehörte, entstand eine Distanz zwischen ihr und ihrem Beruf, zwischen ihr und der Firma. Ihr ganzes Berufsleben, ihren ganzen Einsatz, alles, was so lange Jahre ihr Leben erfüllt hatte, den Betrieb, all das fand sie mit einem Mal schal, sinnlos und fremd.
Dann kam der Tag, an dem ihr mitgeteilt wurde, dass sie künftig einen neuen Vorgesetzten über sich haben würde. Wie sie jetzt erfuhr, hatte man, ohne sie zu informieren, den Posten eines Deutschlandkoordi-nators für die Personalabteilungen geschaffen, direkt unterhalb der Geschäftsführung, dem sie also nun unterstellt war. Das war ein Vorgesetzter, der wie eine Rakete durch die geschlossene Tür schoss (die Tür vib-rierte hinterher noch eine Weile), eine Frage stellte, mit unverminderter Geschwindigkeit den Raum ver-ließ, um etwas später auf die gleiche Art und Weise wiederzukommen und die Frage erneut zu stellen, ohne jede Rücksicht darauf, was der Andere gerade machte. Ein Vorgesetzter, der in das Büro von Schult-heiß oder Brás kam, dort von seinem Handy aus tele-fonierte, im Raum umherschreitend, als wäre er allein bei sich zuhause, oder, auch das kam vor, den Fest-netzanschluss benutzte, um ihn manchmal für Stunden zu blockieren. Oder er platzte in eines der Büros, setzte sich an den Tisch und holte einen Stapel Akten aus seiner Tasche, die Schultheiß oder Brás sofort zu erledigen hatten, unabhängig davon, was sie gerade taten oder noch zu tun hatten. Er mischte sich in ihre Gespräche ein oder unterbrach sie. Er schickte Mitar-beiter, die die Personalabteilung aufgesucht hatten, einfach weg, ohne sie nach ihrem Anliegen gefragt zu haben. Er stellte ständig Suggestivfragen zu Mitarbei-terbetreuung, Mitarbeitereinsatz, Mitarbeiterbeschaf-fung oder zur politischen Überzeugung. Er sprach in erhöhter Stimmlage und bekam ein puterrotes Ge-sicht, wenn die Antwort ihm nicht gefiel, oder wenn man ihm widersprach. Er stellte alles, was bisher als anständig, gut und richtig gegolten hatte, infrage oder auf den Kopf und lief dabei ständig mit einem blasier-ten Lächeln herum. Dieser neue Vorgesetzte der Perso-nalleitung, Schultheiß́ neuer Chef, hieß Eberhard Berg-stein.
Bergstein ließ nicht mit sich reden. Die Argumente, die er vorbrachte, dienten allein dazu, bei seinen Ge-sprächspartnern lähmende Angst zu erzeugen. Ein Arbeitnehmer dürfe sich nie darauf verlassen können, dass sein Job sicher sei. Nicht das Interesse der Mitarbeiter an einem sicheren Arbeitsplatz – diese Art zu denken sei ohnehin eine deutsche Krankheit, die es sonst nirgendwo auf der Welt gäbe – zähle, sondern das berechtigte Profitinteresse des Unternehmens und seiner Aktionäre, und das müsse mit allen Mitteln und notfalls mit aller Gewalt
erfüllt werden. Kündigungs-schutz und Mitbestimmung? Das würde die Arbeits-plätze in Deutschland vernichten und noch dazu das Betriebsklima vergiften! Langjährige Betriebszugehö-rigkeit? Nichts weiter als ein Beleg der Immobilität und Engstirnigkeit des betreffenden Arbeitnehmers! Identi-fikation mit dem Unternehmen? Eine lächerliche emo-tionale Schwäche!
Schultheiß hingegen hatte eine völlig konträre Sicht der Dinge, wusste sie doch aus ihrer langjährigen Tä-tigkeit in der Personalführung um die Bedeutung wechselseitigen Vertrauens zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und eines stabil funktionierenden Bezie-hungsgeflechts zwischen ihnen. Obwohl sie selbst-bewusst war und es ihr normalerweise an Mut nicht mangelte, hinterließ Bergsteins Haltung auch bei ihr Spuren. Als er sie mit seinen zynischen Sprüchen kon-frontierte, reagierte sie ebenso perplex wie erschüt-tert. „Aber …. Aber …, brachte sie mühevoll hervor, „Aber das sind doch Menschen. Die haben alle Familie. Ein sicheres Einkommen bedeutet für sie die Sicherung ihrer Existenz. Diese Menschen brauchen Planungs-sicherheit …
„Nichts aber, entgegnete Bergstein, den Kopf noch mehr nach links beugend. Wie immer, wenn er sich aufregte, begann er mit den Augen zu zwinkern, die Hitze schoss ihm ins Gesicht, und die Worte verließen motzend und spuckend seinen Mund: „Aber! Aber! Nichts aber! Das ist ausschließlich das Problem der Arbeitnehmer selbst, nicht unseres!
So wurden seine Konturen langsam sichtbar: die Kon-turen einer Kreuzung zwischen Chamäleon und Hyäne. Die Konturen eines Wesens, das sich nicht wirklich greifen lässt. Von dem man nur weiß, es ist abgrundtief böse.
Eberhard Bergstein kam von einem großen Unterneh-men in Villbeck, das Haustierartikel herstellte. Anläss-lich seiner Einstellung erfuhr der Betriebsrat von den dortigen Kollegen, dass Bergstein als berühmtberüch-tigter Sanierer galt. Unter Sanierung würde er aus-schließlich die Entlassung von Personal verstehen. Um seine Ziele zu erreichen, würde er lügen, ohne rot zu werden, über Leichen gehen, sogar über die seiner ei-genen Frau. Er sei glatt wie ein Aal, herz- und emo-tionslos und würde aus allem und jedem Kapital für sich schlagen. In der letzten Zeit hätte er das Werk nur mit Leibwachen