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Stalking II: Tränen der Asche
Stalking II: Tränen der Asche
Stalking II: Tränen der Asche
Ebook281 pages3 hours

Stalking II: Tränen der Asche

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About this ebook

Obgleich Birgit Möller nach mehrmonatigem Gerichtsprozeß wegen Totschlags aufgrund einer Affekthandlung freigespochen wurde, kann sie dem Schatten ihrer Tat nicht entfliehen. Zwar läuft ihre Reintegration im Berufsleben und im Alltag anfangs erfolgreich. Als sie aber unfreiwillig Zeugin eines brutalen Überfalls mit einer Frau als Opfer wird, brechen die alten Wunden wieder auf. Unwillkürlich mischt sie sich ein und löst damit eine Kette von Ereignissen aus, die sie letztlich erneut zum Opfer machen. Dabei stellte sie sehr bald fest, dass ihr inzwischen ein mächtiger Gegner erwachsen ist, der ihr den Mord an einem Landsmann nicht verziehen hat. Und so setzt er alles daran, sie physisch und psychisch zu vernichten, jedoch in einer solch perfiden Art, dass er als Verursacher kaum zu fassen ist. So bleibt ihr am Ende nichts, als die nötigen Nachforschungen anzustellen, und stößt dabei auf ein Netzwerk von Gewalt und Intrigen, das sie schließlich in Lebensgefahr bringt.
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateMar 19, 2017
ISBN9783742793805
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    Book preview

    Stalking II - kristian winter

    Prolog

    Was heiß hier verrückt? Das ist doch nur ein Trick, um mich mundtot zu machen! Ich habe genug davon und möchte endlich Klarheit! Darum werde ich die Wahrheit notfalls herausschreien und zwar genau so, wie ich sie erlebt habe und nicht, wie man sie mir suggerieren will.

    Natürlich passt das einigen Herrschaften nicht und das aus gutem Grund. Man fürchtet einen Skandal mit unabsehbaren Folgen bis in die Politik. Kein Wunder, dass man alles daran setzte, mich mundtot zu machen, vergaß aber mein Hintergrundwissen. Folglich platzte mir der Kragen und es kam zur Eskalation. Inzwischen ist es so schlimm, dass es gar nicht mehr um die Sache geht, sondern um mein Leben. Nur deshalb bin ich hier.

    Hier heißt in diesem Fall die Intensivstation des Friedrich-Wilhelm-Krankenhauses in Berlin-Bohnsdorf. Das ist ein Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Drogensucht, wo ich schon seit Tagen liege und reglos an die Decke starre. Etwas anderes bleibt mir auch nicht übrig, denn ich bin mit meinem ganzen Körper straff ans Bett gebunden. Selbst mein Kopf ist durch einen Stirnriemen derart fixiert, dass ich ihn nicht bewegen kann.

    Das dient meiner Stabilisierung, nebenbei aber auch der Sicherheit, denn seit meiner Einlieferung bin ich akut suizidgefährdet. Jedenfalls wird das behauptet, obwohl das gar nicht stimmt. Nur weil ich diesem Kriminalbeamten in den Finger biss und danach in einem Anfall von Raserei in den Flur stürzte, wo man mir jedoch den Weg versperrte, so dass ich aus einem Fenster springen musste, war das noch lange kein Indiz. Ich wollte nämlich nur flüchten, vergaß allerdings die vierte Etage.

    Allein einer mannshohen Hecke verdanke ich mein Leben, denn sie federte meinen Aufschlag etwas ab. Es erschien auch recht schnell ein Notarztwagen, der die Erstversorgung übernahm. Ich weiß bis heute nicht, wer ihn rief. Zwar sind die Blutungen inzwischen gestoppt, auch die anderen Blessuren halten sich in Grenzen – allerdings besteht jetzt der Verdacht einer Rückenmarksfraktur und niemand kann sagen, wann und ob ich jemals wieder genesen werde. Darüber mag ich aber noch gar nicht nachdenken, sonst werde ich noch verrückt.

    Wie ich mitbekommen habe, ist das hier ein Einzelzimmer, völlig steril und mit kahlen Wänden. Die Fenster sind leicht abgedunkelt und ständig ist ein sonores Brummen zu vernehmen - offenbar ein Sterilisator oder etwas in der Art. Alle zwei Stunden kommt eine Schwester, kontrolliert die Instrumente und wendet mich per Knopfdruck. Das ist interessant, denn es geschieht vollautomatisch um 180 Grad. Dann dreht sich meine Matratze einmal um sich herum und ich hänge sozusagen in den Bandagen, so wie jetzt, wo ich den Boden mit seinem kalten, grünen Linoleum sehen kann.

    Während dieser Zeit sagt die Schwester natürlich kein Wort. Offenbar hat man sie instruiert, denn ich bin ja verrückt und mit Verrückten redet man nicht. Außerdem soll ich mich nicht aufregen. Als ob das noch etwas ändern könnte. Nun liege ich schon seit Tagen in diesem Bett, nichts wissend, vor allem aber nichts verstehend, und fühle mich wie ein Staffelläufer, der kurz vor dem Ziel den Stab verloren hat. Aber genauso wollte man mich haben, wehrlos und mundtot. Allerdings hat man meinen Geist vergessen und der ist noch hellwach. Und wenn ich mir noch eines vorgenommen habe, dann den Tag der Abrechnung.

    Doch erstmal der Reihe nach, sonst weiß ja niemand, wovon ich rede.

    *****

    01. Kapitel

    Für alle, die meine Vorgeschichte nicht kennen - mein Name ist Birgit Möller, vollendete achtundvierzig Jahre, ledig, vollschlanke einsfünfundsiebzig, konfessionslos und bisexuell, falls das interessiert. Von Beruf bin ich Sozialdisponentin für Migration im Bezirksamt Berlin-Neukölln, einer unmittelbar dem BAMF nachgeordneten Institution mit Außendienstaufgaben für Härtefälle.

    Das hört sich zwar hochtrabend an, ist es aber nicht. In Wirklichkeit rangiert es irgendwo zwischen heilpädagogischem Streetworker und staatlichem Seelsorger, Leuten also, die weder das Eine noch das Andere beherrschen und dennoch stets so tun müssen. Aber seit dem letzten Jahr ist das für mich nicht mehr entscheidend. Seitdem bin ich primär eine amtlich bestätigte Mörderin, weil ich meinen Ex-Geliebten und Peiniger, den Wirtschaftsmigranten und muslimischen Stalker Neznadiq Shariquiri aus Belutschistan, kaltblütig niederschoss. So steht es jedenfalls in der Anklage.

    Aber apropos kaltblütig. Nur weil es so in der Anklage steht, muss es doch nicht stimmen, zumal mir meine Psychologin, Frau Dr. Hövelbein, eine klassische Affekthandlung diagnostizierte, welche in kausaler Folge des vorangegangenen Stalkings entstand. Dazu führte sie auch schlüssige Beweise an und erstellte sogar ein Psychogramm mit einem apodiktischen Entwicklungsspektrum. Aber erstaunlicherweise interessierte das niemanden. Viel höher wurden meine Tatintensität und die damit bescheinigte Kaltblütigkeit bemessen.

    Selbst als ich den ganzen Tatablauf noch einmal minutiös schilderte und dabei, von psychischem Stress befallen, überaus emotional wurde, brachte mir das nur ein mildes Lächeln ein.

    Das warf mich natürlich um. Denn das Gefühl, vor einem solchen Gremium nicht ernstgenommen zu werden, kam einer inneren Demontage gleich. Kein Wunder, dass ich fortan aus Protest schwieg und meine Kommentare auf gelegentliches Lachen oder Prusten beschränkte.

    Doch auch das störte niemanden. Vielmehr überbot man sich mit allerlei Unterstellungen und Unverschämtheiten, nur um mich zu kompromittieren. So erkundigte man sich zum Bespiel während der mehrere Wochen dauernden Verhandlung nicht ein einziges Mal nach meinem Befinden, obwohl ich kurz vor einem Kollaps stand.

    Dafür wollte man wissen, was ich fühlte, als das Opfer blutüberströmt vor mir lag. Man gierte förmlich zu erfahren, ob der tödliche Schuss Erleichterung, Neugier oder gar sexuelle Erregung in mir auslöste und erwartete sogar noch eine Antwort.

    Das konnte nur von Leuten kommen, die nichts verstanden oder - noch schlimmer - dafür bezahlt wurden, nichts zu verstehen, wie dieser schmierige Ahmet Selimgüler, seines Zeichens Anwalt für Straf- und Familienrecht des in meinem Fall zu Tode gekommenen Belutschen Neznadiq Shariquiri, übrigens einer seiner Landsleute.

    Dieser honorige Herr und Cambridge-Absolvent, der die Nase so überaus hoch trug und sich meisterhaft zu inszenieren verstand, war Vater vieler solcher Gedanken. Diese verstand er in passenden Momenten effektvoll einzustreuen und damit niederste Instinkte zu bedienen.

    Doch wer fragte nach der Kehrseite? Vermochte man nur im Ansatz die Situation eines Menschen zu beurteilen, der schlagartig ruiniert und ganz auf sich allein gestellt einen ungleichen Kampf gegen einen Verrückten führen musste?

    Stattdessen folgten halbseidene Anspielungen oder beleidigende Unterstellungen wie: „Es stimmt doch, dass Herr Shariquiri wesentlich jünger war - wie ich der Akte entnehme, fast zwanzig Jahre. Dennoch unterhielten sie regelmäßig sexuelle Kontakte zu ihm und das sogar recht leidenschaftlich, wie den Beschwerden der Nachbarschaft zu entnehmen ist. Natürlich taten sie das nur widerwillig und aus Angst, wie sie uns wiederholt versicherten, denn Ihr Liebhaber sei ja so emotional gewesen. Ich verweise hier auf Blatt 35 der Akte, in dem es heißt: ‚Natürlich feuerte ich ihn an, aber nur, um es rasch hinter mich zu bringen, wusste ich doch um seinen Jähzorn, wenn ihm etwas nicht in den Kram passte‘. Man muss kein großer Psychologe sein, zu erkennen, dass eine solche Leidenschaft nur im gegenseitigen Einvernehmen möglich ist. Mich würde deshalb interessieren, ob Sie beim Vollzug des Beischlafs jemals Skrupel empfanden und vor allem, ob er für Sie erfüllend war. Immerhin wussten Sie ja, dass diese Beziehung in seinem Kulturkreis inakzeptabel war und somit keine Perspektive hatte. Folglich muss Ihnen auch klar gewesen sein, welche Folgen dieser offene Verstoß für Sie beide haben könnte! Und wenn Sie diesen Mann dann noch durch Ihren Gefühlsbetrug darüber hinwegtäuschten, muss man sich doch nicht wundern, dass er emotional in die Irre lief. Somit bleibt festzustellen, dass es sich nicht nur um eine sexuelle Verführung unter Ausnutzung Ihrer Position handelte, sondern vor allem um einen Ausdruck ausufernder Nymphomanie?"

    Aber es kam noch dicker: „Warum haben Sie den Schusswaffengebrauch nicht angedroht, wenn Sie noch die Zeit fanden, so gezielt zu schießen? Nach den ballistischen Untersuchungen haben Sie sofort mitten ins Herz getroffen, obwohl Herr Shariquiri noch gute zwei Meter von Ihnen entfernt stand. Es mutet schon sehr befremdlich an, unter solchen Bedingungen noch derart treffsicher zu agieren. Aber vielleicht haben Sie dafür eine Erklärung?"

    Die hatte ich freilich nicht. Aber wie sollte ich auch, da sie von ihm längst gefunden war und er nicht müde wurde, sie dem Gericht immer wieder zu zelebrieren.

    Nie werde ich sein Gesicht vergessen, als er dem Richter theatralisch das Leben des armen Opfers offerierte, angefangen von der Flucht vor Krieg und Terror, seiner Rolle und seinem Platz in der Großfamilie samt dem glücklichen Neuanfang bis hin zu den Folgen dieser verschmähten Liebe unter Berücksichtigung der patriarchalisch geprägten Denkmuster seines Kulturkreises.

    Unter die Gürtellinie ging er allerdings bei der Analyse der psychischen Konfliktsituation des Opfers. Demnach wäre dessen Reaktion nur logische Folge eines von mir permanent provozierten Reizes gewesen, bedingt durch mein ungeniertes Tragen von Reizwäsche. Man stelle sich nur vor; er entblödete sich sogar, einige dieser Stücke vorzulegen, freilich ohne zu erwähnen, dass mich Ned dazu gezwungen hatte.

    Ebenso verlor er kein Wort über die Grobheiten gegenüber der eigenen Familie, hier insbesondere seiner Frau, schon gar nicht über seine beiden Kumpane Ishmet und Hazi, die ihm bei der Realisierung des Terrors behilflich waren und von der Staatsanwaltschaft erstaunlicherweise verschont wurden. Keine Silbe zu den ständigen Nachstellungen, dem abgebrannten Auto und meinem ruinierten Ruf im Wohngebiet.

    Das hätte auch kaum in diesen rührseligen Nekrolog gepasst, wie man überhaupt nur mit Rührseligkeiten effektvoll anklagen kann. Natürlich sind dabei Diskreditierungen und Verunglimpfungen legitim, schon um die Glaubwürdigkeit des Angeklagten zu untergraben. Dieser billige Trick spricht nicht nur für mangelnde Professionalität, sondern auch für Skrupellosigkeit.

    Zwar erhob mein Rechtsbeistand, ein gewisser Dr. Rauchfuß, hin und wieder einen Einwand, aber nur sehr zögerlich. Eine wirkliche Kampfansage, die sich vielfach anbot und womit er in meinem Sinne hätte punkten können, wagte er nicht.

    Einmal rastete ich aus, als mich Selimgüler direkt angriff. Dabei versuchte er mir mit krankhafter Penetranz etwas in den Mund zu legen, was ich so nicht gesagt hatte. Doch niemand intervenierte. Da brannten mir alle Sicherungen durch und ich ließ mich zu ein paar volkstümlichen Kraftausdrücken hinreißen. Diese brachten sogar den Richter zum Erröten, die Mehrheit der Zuschauer aber zum Schmunzeln.

    Dafür bekam ich eine gerichtliche Verwarnung, aber das kümmerte mich nicht. Allein die verklausulierten Fragen waren eine Frechheit, wogegen jeder halbwegs versierte Verteidiger sofort protestiert hätte. Nicht aber dieser hilflose Feigling, den man mir zur Seite gestellt hatte.

    Den Vogel schoss jedoch die auf Kosten des Steuerzahlers initiierte Nebenklage der islamischen Gemeinde ab. Auch hier agierte Selimgüler federführend. Dabei versuchte er die Sache so zu drehen, als habe ich durch meine ‚aggressive Abwehr‘ (man überlege sich diesen Unsinn) und die Einweihung des Imams in die ganze Sache die Eskalation erst provoziert und damit auch die zu erwartende Reaktion des Opfers. Das bedeutete nichts anderes als die Hauptschuld an einem zumindest bedingten Vorsatz für den nachfolgenden Totschlag - so jedenfalls seine Argumentation. Darauf standen zehn Jahre und wieder schwieg mein Verteidiger.

    Glücklicherweise besagte Frau Dr. Hövelbeins Epikrise zu meiner psychischen Verfassung etwas ganz anderes, ebenso die unstrittige Beweiskette des vorangegangenen Stalkings. Damit lagen die Fakten auf dem Tisch und erklärten in ihrer Schlüssigkeit letztlich mein Handeln. Das führte dann in Würdigung aller Umstände zu meinem Freispruch, woran selbst die nachfolgende Revision nichts mehr ändern konnte.

    Dennoch schleppte sich das alles ein halbes Jahr hin, durchdrungen von Höhen und Tiefen bis zum bühnenreifen Auftritt von Neds Frau im Gerichtssaal mit dem Kind auf dem Arm, welche noch einmal in erstaunlich gutem Deutsch und wohlformulierten Sätzen die Seelengüte und Herzenswärme ihres Mannes beteuerte und auf lebenslangen Schadenersatz klagte. Auch hier war klar, woher das kam.

    Doch selbst das hatte nichts mehr gebracht. Die Brutalität und vor allem Kontinuität der Nachstellungen meines Stalkers waren eindeutig belegt. Somit kam ich aus der Sache weitgehend schadlos raus - von den zweitausend Euro Geldstrafe wegen des unerlaubten Waffenbesitzes mal abgesehen. Damit war ich offiziell rehabilitiert, sehr zum Ärger meines Feindes, der daraufhin noch mit ‚Konsequenzen‘ drohte. Meinen Frieden fand ich deshalb aber nicht.

    Die formal juristische Würdigung war das eine, die Rechtfertigung vor dem eigenen Gewissen das andere. Und genau hier lag das Problem. Was nützt der juristische Sieg, wenn die Frage offen bleibt, ob es nicht besser wäre, den Rest des Lebens in einer Zelle zu schmoren oder unter einem ständigen Selbstvorwurf zu leiden.

    Dabei kann ich nicht einmal sagen, was ich mir vorwarf. Vielmehr lag der Grund meiner Verbitterung in meiner permanenten Verunsicherung. Aber gerade diese wurde durch andere stets genährt. Allein die Art, wie man mir danach begegnete, glich einer Mischung aus Neugier und Angst, gefolgt von Kommentaren wie: „Ach, Sie sind das? Na, da haben Sie ja was durch!", was nichts anderes hieß als: ‚Das passt zu dir, du Schlampe. Selber schuld, wenn du dich mit so einem einlässt‘.

    Ich hasse dieses aufgesetzte Verständnis samt seinem falschen Mitleid! Warum konnte man nicht ganz normal bleiben? Aber offenbar gehörte das dazu, oder um es mit Camus zu sagen: Es lag an der Absurdität meines Daseins schlechthin.

    Möglicherweise hätte ich irgendwann selbst solch verschwurbelte Erklärungen akzeptiert, wäre ich nicht eines Tages zufällig Zeuge eines brutalen Überfalls geworden, der alles änderte.

    Das alles trug sich am späten Nachmittag ganz in meiner Wohnnähe zu, und zwar in Avcici‘s Gemüseladen, und das ausgerechnet in einer Situation, in der ich beruflich wie privat umdisponieren musste, das heißt, ich wurde in eine andere Dienststelle versetzt und zog in eine neue Wohnung. Bis auf meinen Chef wusste niemand etwas von meiner Vergangenheit, ebenso wie ich im neuen Wohngebiet völlig unbekannt war. Demnach standen die Sterne günstig und doch kam es anders.

    Das Opfer, eine Frau aus dem Orient, mit Kopftuch und typisch knöchellanger Kleidung, war mit einem Kind an der Hand unterwegs, um Einkäufe zu tätigen. Dabei war sie so unscheinbar, dass ich sie sicher übersehen hätte, wäre nicht plötzlich dieser Mann mit blutunterlaufenen Augen und Schaum auf den Lippen hereingestürzt. Ohne jeden ersichtlichen Grund begann er sofort auf sie einzuprügeln und das derart brutal, dass alle wie erstarrt stehen blieben und das Geschehen fassungslos betrachteten.

    Die Angegriffene fiel indes rücklings zu Boden und riss dabei den Einkaufswagen um, so dass der ganze Inhalt über den Boden rollte. Aber selbst als sie schon lag und sich vor Schreck und Schmerz krümmte, trat dieser Unhold noch auf sie ein wie auf ein Stück Vieh, das den Gehorsam verweigert, indes sie nur leise wimmerte und jeden Hilfeschrei vermied.

    Es war ohnehin niemand weiter da, denn von den wenigen Kunden - überwiegend ältere Leute - traute sich niemand hervor. Es ist kaum vorstellbar, wieviel Hass und Brutalität vonnöten ist, sich derart zu vergessen. Und doch war an der ganzen Situation auch etwas unstimmig. Ich weiß nicht, aber ich hatte den Eindruck, als wüsste das Opfer genau, wie es sich verhalten musste, ja, als wäre es darin beinahe geübt.

    Jedenfalls entstand ein schreckliches Durcheinander. Das kleine Mädchen - offenbar die Tochter - begann sogleich zu schreien und wollte fortlaufen, wurde aber durch einen hereinkommenden Kunden zurückgehalten Zu allem zögerte dieser Schlappschwanz von Ladeninhaber unnötig lange, die Polizei zu rufen. Dabei hatte ich ihn wiederholt dazu aufgefordert. Erst meine Drohung mit einer Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung machte ihn gefügig.

    Kaum aber war das Wort ‚Polizei‘ gefallen, sprang der Schläger auch schon auf und versuchte zu flüchten. Natürlich stolperte er dabei über meinen Fuß. Da lag er nun und rieb sich jammernd das Knie. Verständlicherweise hielt sich mein Mitleid in Grenzen.

    Jetzt aber geschah etwas Unerwartetes. Statt mir zu danken, sank diese Frau, die inzwischen wieder etwas zu sich gekommen war, neben ihrem Peiniger nieder und begann, ihn zu bemitleiden. Sie küsste ihm sogar die Hände, als wollte sie sich bei ihm entschuldigen und drückte in unzüchtiger Weise noch den Kopf in seinen Schoß. Der jedoch stieß sie nur fort, rieb sich weiterhin das Knie und starrte mich böse an.

    Dann wollte er sich erheben, was aber aufgrund der Verletzung nicht gelang, obgleich ihn diese Frau stützte. Auf der Suche nach Halt riss er gleich noch eine ganze Palette mit Büchsen um, die nun, über den Fußboden rollend, das ganze Chaos noch verschlimmerten. Ich war fassungslos und glaubte an ein Déjà-vu, als er mich ‚deutsche Schlampe‘ nannte und in meine Richtung spuckte. Ich musste mächtig an mich halten, das nicht zu erwidern.

    Wie sich später herausstellte, handelte es sich bei diesem Burschen um einen gewissen Mustafa El Jeries von der Volksgruppe der Jesiden, ein überaus schmächtiges, boshaft dreinschauendes Männlein mit eisgrauem Haar, Schnauzbart und verwahrlostem Äußeren. Man hätte ihn auf Mitte fünfzig schätzen können, lag aber mit Sicherheit falsch. Diese Typen wirken alle älter und haben den gleichen stumpfsinnigen Gesichtsausdruck aller Kerle, die ihre Weiber prügeln oder schwängern und den ganzen Tag Gebetskettchen drehend in Teestuben hocken.

    Das Opfer hingegen war ein graziles Persönchen von mittlerer Größe, welche vom Alter her getrost seine Tochter sein konnte. Zu allem aber – und das schockierte mich am meisten - handelte es sich um seine Zweitfrau. Diese wurde ihm bereits im Kindesalter versprochen, wie ich später erfuhr. Ihr Name war Halime Arboloi und wie viele dieser Frauen wagte sie kaum ein Wort zu sagen, ja nicht einmal aufzuschauen.

    Dennoch bediente sie nicht unbedingt das gängige Klischee der weltfremden Muslima mit demütiger Miene und stoischem Gleichmut. Ihr Gesicht war durchaus sympathisch, wobei der blassrote Hauch von Rouge auf den Wangen eine leichte Verwestlichung verriet. Obwohl ihr Haar unter diesem altmodischen Kopftuch steckte, ließ eine Strähne über der Stirn eine üppige Fülle davon ahnen. Und noch etwas fiel mir auf. Es war die Weichheit und Lautlosigkeit ihrer Bewegungen, die einer natürlichen Grazie entsprang, welche selbst ihre knöchellange säkulare Verhüllung nicht mildern konnte. Nie und nimmer passte das zusammen.

    Auch wenn sie jenes von ihr erwartete demütige Verhalten zeigte, wofür es weder eine Rechtfertigung noch Erklärung gibt, schien es nur Fassade. Das sah ich sofort. Es bedarf keiner weiteren Erwähnung, dass sie aus dem nahen Asylheim am Kirchhainer Damm kam, welches wegen seiner Überbelegung und ständiger Polizeipräsenz bekannt war. Ich habe übrigens bis heute von offizieller Seite den wahren Grund dieses Angriffs nicht erfahren bzw. er konnte nicht vollständig ermittelt werden, da weder Halime noch ihr Kind Sevgül zur Aussage bereit waren.

    Das blieb mir unverständlich, zumal ich sie noch dazu ermutigte und meines Beistandes versicherte. Doch obwohl sie mich durchaus verstand (jedenfalls hatte ich diesen Eindruck), wagte sie mich kaum anzusehen. Vielmehr schien sie derart verängstigt, dass sie selbst den eintreffenden Polizisten gegenüber nichts äußerte. Selbst dieser Jammerlappen von Gemüsehändler zog sich zurück. Folglich blieb alles an mir hängen. Das wiederum schien den Beamten zu missfallen, die offensichtlich beide Personen kannten. Ich bemerkte das an ihren Mienen. Nun bestand ich erst recht auf eine Anzeige und verwies ausdrücklich auf das Legalitätsprinzip. Außerdem hatte diese Frau durch den Faustschlag einen Zahn verloren und das Kind war traumatisiert.

    Das alles setzte ich dem Einsatzführer, einem großen, kräftigen Glatzkopf, noch einmal in aller Deutlichkeit auseinander. Der wollte schon wieder abrücken, wogegen ich jedoch in aller Schärfe protestierte. Es folgte erwartungsgemäß meine Personalienaufnahme mit der obligatorischen Zeugenbelehrung. Seine Abneigung mir gegenüber gipfelte in der dümmlichen Frage, was ich denn konkret anzeigen wolle.

    Da platzte mir der Kragen. Soeben wurde hier eine Frau vor meinen Augen zusammengeschlagen und er wollte den Grund für eine Anzeige wissen? Das war doch nicht zu fassen und das sagte ich auch.

    „Aber das ist bei denen üblich, verehrte Dame", versuchte er sich dümmlich grinsend zu rechtfertigen.

    „Wie bitte? Ich glaubte mich verhört zu haben. „Das ist ein klassischer Fall von schwerer Körperverletzung. Selbst wenn das bei denen üblich ist, ist es das bei uns noch lange nicht! Das sollten Sie doch wohl am besten wissen!

    Ich fühlte mich wie angespuckt und fragte mich, warum ich mir das eigentlich antat. Da geschieht eine Straftat und niemanden interessiert das!

    Man nahm mich mit aufs Revier. Hier wurde ich noch einmal akribisch zum Ablauf des Geschehens befragt, allerdings von zweifelnden Bemerkungen unterbrochen wie solche, ob es auch wirklich so gewesen war und ich mir absolut sicher sei? Immerhin könnten Falschaussagen zu meinem Nachteil gereichen usw. .

    Was sollte das? Diese Ermahnungen waren überflüssig! Würde ich sonst eine Anzeige erstatten, wenn es mir nicht ernst wäre? Zu allem wurde diese Vernehmung auch noch von einem ganz anderen Beamten geführt,

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