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Ein Haus in Wien
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Ein Haus in Wien

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About this ebook

Wien, Wien, nur du allein! Viele denken an die Hauptstadt Österreichs als einen einzigen großen Kulturtempel, wo alle Klavier spielen, in einem fort in Ausstellungen, Konzerte oder ins Theater laufen und das ganze Jahr über vom Opernball träumen.

Alles ein Schmarrn. Die meisten Bewohner Wiens all das gar nicht und sie sind vollauf damit beschäftigt, mit ihrem Gehalt bis zum Monatsende durchzukommen, sich mit Behörden herumzuschlagen, etwaig vorhandene Kinder aufzuziehen und sich bei all dem die Stimmung nicht ganz verderben zu lassen.
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateJun 10, 2018
ISBN9783742734808
Ein Haus in Wien

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    Book preview

    Ein Haus in Wien - Amelie Lanier

    Vorwort: Warum dieses Buch?

    Die Idee zu diesem Buch entstand bei mir im Dezember 2001 in Kuba.

    Ich fuhr mit einem Autobus aus der Stadt Bayamo in Richtung Küste. Der Bus war, wie fast alle Transportmittel in Kuba, sehr klapprig und kaputt. Ich hatte rechtzeitig eine Fahrkarte gekauft und daher einen Sitzplatz ergattert. Selbst wenn ich keine Karte gehabt hätte, so wäre ich vermutlich dem Sitzplatz nicht entkommen: Die Kubaner sind nämlich gegenüber Fremden sehr rücksichtsvoll, weil sie gelernt haben, daß der Tourismus die Haupt-Devisenquelle von Kuba ist. Das ist aber wahrscheinlich nicht der einzige Grund. In der Tradition Kubas ist der Fremde, sofern er nicht direkt als militärischer Gegner, Unterdrücker oder Kolonialherr auftritt, immer eine Bereicherung und ein willkommener Gast, der einem Kunde von der äußeren Welt bringt. Die Einheimischen behandeln einen Touristen deshalb zuvorkommender, als es meiner Ansicht nach notwendig wäre. Oft hatte ich Diskussionen mit Kubanern, wenn ich ein Verkehrsmittel bestieg und jemand für mich aufstand und mir Platz machen wollte. Nein, bleiben sie doch sitzen, sagte ich. Das ist Ihr Land! Ich bin hier nur Gast. Aber eben deshalb sollen Sie sich hier wohlfühlen! entgegnete der/die Kubaner/in. Aber ich kann doch auch stehen! sagte ich. Ich bin noch nicht so alt und klapprig, daß mir das Schwierigkeiten bereiten würde. Ich auch nicht, meinte der/die Einheimische. Und so tauschten wir Höflichkeiten aus, lachten, und kamen miteinander ins Gespräch.

    Der Bus in Bayamo fuhr – natürlich – nicht zur fahrplanmäßigen Zeit los. Immer mehr Leute zwängten sich hinein. Ich saß relativ weit hinten. Und in dem überfüllten Bus standen vor mir zwei Männer, die große weiße Säcke der Art bei sich hatten, in denen sonst landwirtschaftliche Produkte wie Kaffeebohnen, Getreide, Kartoffeln oder ähnliches transportiert werden. Die Säcke waren ungefähr 1 m 30 cm hoch und enthielten eckige Gegenstände. Als der Bus endlich losgerattert war und Bayamo verlassen hatte, fragte ich den einen der beiden: Sag einmal, was ist denn in diesen Säcken drin? Bücher, erklärte er mir. Ich bestelle diese Bücher bei einem Buchhändler in Bayamo, und wenn eine genügend große Menge von ihnen da ist, so benachrichtigt mich das Buchgeschäft und dann fahr ich nach Bayamo und hol sie mir ab.

    Der Bus brach ungefähr 25 Kilometer nach Bayamo zusammen. Der Fahrer und ein Mechaniker versuchten ihn zu reparieren. Die meisten Passagiere stiegen aus, um eine Zigarette zu rauchen oder sich die Füße zu vertreten. Die zwei Burschen setzten sich auf freigewordene Sitze. Der eine erzählte mir, daß er Lehrer in einem Dorf war. Und er strebte eine Zukunft als Schriftsteller an. Er war der Ansicht, daß man zuerst viel in sich aufnehmen und lernen müßte, um dann richtige, wertvolle Literatur zu produzieren. Das Wichtigste, so erklärte er mir, sei, das spirituelle Herz, „el corazón espiritual", zu bereichern. Man müsse von allen und allem lernen. Die erste Quelle der Inspiration seien die Menschen selbst. Jeder Mensch ist reich an Wissen und Erfahrung, sagte er mir. Jeder ist eine Welt für sich. Man kann bei uns von den Menschen im Dorf so viel lernen! Was sie alles zum Erzählen haben! Über die Batista-Zeit und auch über die jüngere Vergangenheit unter Castro. Aber die hohe Politik sei nur ein geringer Teil ihrer Erlebniswelt. Die Welt der Liebe, die wirtschaftliche Situation, die Volkskultur seien eine reiche Quelle der Inspiration. Er sei so froh und dankbar, Lehrer in einer an Traditionen so reichen Gegend zu sein. Das Dorf bietet viel mehr als die Stadt, sagte er mir. Es ist origineller, ursprünglicher. Die Menschen hier waren immer mehr viel mehr auf ihren eigenen Erfindungsgeist verwiesen, um existieren zu können. Sie bekamen wenig Hilfe von außen, vor allem vor der Revolution.

    Die nächste Quelle des Wissens seien die Bücher. Es gebe so viele interessante Bücher, geschrieben von Menschen, die der Welt etwas von ihrem Wissen vermitteln wollten. Auch diese Quelle der Erkenntnis müsse man nützen, so gut wie möglich. Deshalb bestelle er immer Bücher aus Havanna, und holte sie in sein Haus im Dorf. Wenn er alle ausgelesen hätte, so käme schon die nächste Lieferung.

    Kuba druckt sehr viele Bücher. Es ist das dritte Land in Lateinamerika, nach Mexiko und Argentinien, in der Bücherproduktion. Vielleicht hat es Argentinien inzwischen überholt. Und die Bücher sind relativ billig, weil die sozialistische Regierung meint: Bücher soll sich bei uns jeder leisten können! Sie sind auch eines der wenigen Nicht-Lebensmittel-Produkte, die für kubanische Pesos erhältlich sind. Aber dennoch stellte eine solche Menge Bücher eine bedeutende Ausgabe für den Dorflehrer dar. Er konnte sich sicherlich nicht viel anderes mehr leisten.

    Die dritte Quelle des Wissen sei die Natur, fuhr er fort. Die Natur ist reich, und sie gibt dir ihre Schätze ohne jegliche Gegenleistung. Du mußt sie nur entdecken! Die Vögel singen für dich. Die Pflanzen wachsen für dich und verströmen ihren Duft. So viele von ihnen kannst du brauchen, als Nahrung, als Tee, als Droge, als Medizin, oder nur, um dich an ihnen zu erfreuen, wegen ihrer Schönheit oder ihres Duftes. Du mußt es nur lernen, sie richtig zu verwenden.

    Er erzählte mir, daß er sich seit geraumer Zeit vorbereite, aber bald sei er so weit und würde sein erstes Buch schreiben.

    Schließlich kam ein Lastwagen, der die gestrandeten Bus-Passagiere mitnahm. Ich half den beiden, die schweren Büchersäcke auf die Ladefläche des Lastwagens aufzuladen und so gelangten wir in die Ortschaft, wo er und sein Freund – der einfach nur ein Dorfbewohner war, der ihm half, die Bücher nach Hause zu transportieren – hingelangen wollten. Wir aßen noch einen Imbiß zusammen, dann verabschiedeten wir uns. Ich nahm den nächsten Bus entlang der Hauptstraße, und er und sein Freund trugen die schweren Büchersäcke ein paar Kilometer bis in ihr Dorf, in ziemlicher Hitze, so um die 30 Grad.

    Grafik 1

    Die Begegnung mit dem kubanischen Lehrer vom Fuße der Sierra Maestra gab mir sehr zu denken. Er hatte recht bei allem, was er sagte. Es ist nicht genug, immer nur aufzunehmen. Gut, ich habe einige wissenschaftliche Bücher veröffentlicht, über Themen, die nur einen sehr beschränkten Personenkreis interessieren. Aber wie viele interessante oder unterhaltsame Menschen habe ich kennengelernt, was habe ich alles von ihnen gelernt! Wie viel habe ich gesehen und gehört, und das will ich alles für mich behalten, als meine Privatsache? Und das, obwohl gerade meine Generation sich sehr wenig Gehör in der Welt verschafft hat? Ich schämte mich ein wenig vor dem kubanischen Dorflehrer, der sich unter so schwierigen Bedingungen sein Ziel gesetzt hatte und es stur verfolgte. Vielleicht hat er schon sein erstes Buch geschrieben. Und ich?

    So entstand zumindest der Stachel, einmal ein Buch zu schreiben über die Lehren aus Gesellschaft, Kultur und Natur – das Thema ergab sich fast von selbst, als feststand, daß ich aus meinem Haus ausziehen mußte.

    Das Haus, von dem dieses Buch handelt, ist im 3. Wiener Gemeindebezirk gestanden. Ich habe 21 Jahre in diesem Haus gewohnt und nichts von dem, was ich darüber berichte, ist erfunden. Ich habe lediglich die Namen geändert, da vermutlich nicht alle Beteiligten sämtliche sie betreffenden Geschichten einer breiteren Öffentlichkeit preisgeben wollen und sogar manche von ihnen einiges, das ich zur reinen Erbauung oder auch Aufklärung des Lesers in dieses Buch aufgenommen habe, als Rufschädigung empfinden könnten.

    Die Anonymität, die ich daher den handelnden Personen großzügig verleihe, entspringt meinem Taktgefühl mindestens ebensosehr als der Angst vor rechtlichen Folgen!

    Letzteres hat mich dazu bewogen, auch denjenigen, die schon verstorben sind, ebenfalls eine andere Identität zu verleihen.

    Grafik 2

    EINLEITUNG oder Das Klosett als zentrales Element der abendländischen Wohnkultur

    1. Das Haus

    Das Haus, um das es geht, war schon zu dem Zeitpunkt, als ich es zum erstenmal betrat, ein Anachronismus. Und zwar deswegen, weil es dem hohen Zweck, den jedes Stück Eigentum, also auch ein Haus, besitzt, nämlich seinem Besitzer etwas einzubringen, eigentlich nicht genügte. Mit anderen Worten, die Eigentümer verdienten nicht viel damit, hatten dafür aber jede Menge Ärger. Ein besonderes Geschäft war es nicht, dieses Haus in der Schützengasse.

    Das war vermutlich nicht immer so. Gebaut wurde dieses Haus meiner Einschätzung nach irgendwann in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die voranschreitende Industrialisierung Wiens Massen von Arbeitern erforderte, die ja auch irgendwo wohnen mußten. In den 2-Zimmer-Wohnungen dieses Hauses tummelten sich sicherlich keine illustren Persönlichkeiten, mit denen das Wien der Jahrhundertwende gerne in Verbindung gebracht wird, sondern eher schlecht ernährte und schlecht gekleidete Gestalten, wie sie in Petzolds Buch Das rauhe Leben dargestellt werden. Das Haus in der Schützengasse war nicht für wohlbestallte Bürger gebaut worden, auch nicht für Kulturschaffende, sondern für das Salz der Erde: Das Proletariat.

    Das Haus war ungefähr 20 Meter breit und ganze 5 Meter tief, mitsamt den Außenmauern. Es hatte etwas von einer großen aufgestellten Schokoladetafel an sich. In der Mitte war die Wendeltreppe, die in jedem Stockwerk in einen ca. 2 Quadratmeter großen Treppenabsatz mündete, von dem sich 2 Türen in die Wohnungen öffneten. In jedem Stockwerk befanden sich 2 Wohnungen, bestehend aus einem Vorraum, der gleichzeitig Küche war, und von dem/der aus man in eines und durch dieses in ein zweites Zimmer gelangte. Auf der einen Seite waren beide Zimmer gleich groß, auf der anderen – auf der ich wohnte – war das hintere halb so groß wie das vordere: ein sogenanntes Kabinett. Die kleinere Wohneinheit hatte insgesamt 33 Quadratmeter, die größere 41.

    2. Das Klosett

    Normalerweise hatten Häuser dieses Alters und dieser Ausstattung die Toiletten am Gang, und oft eines für mehrere Wohnungen. Das führte zu ständigen Reibereien zwischen den Parteien, die ein und dasselbe Häusl benutzen mußten. Einmal ließ der eine das Licht brennen – das alle gemeinsam bezahlten –, dann benützte einer das Klopapier vom anderen, dann wiederum war das Klo zugeschissen und keiner wars gewesen, wollte es daher auch nicht putzen, usw. usf.

    Ein Freund von mir mußte auf Anweisung seiner Klo-Mitbenutzer vor dem Verrichten größerer Geschäfte zu diesem Zweck bereitliegende Zeitungsausschnitte in die Klomuschel legen, damit selbige durch seine Geschäfte unberührt und dadurch das Klobürstl scheißefrei blieb! Er bekam diesbezüglich genaue Anweisungen von seiner Klo-Teilhaberin. Diese, eine ältere Frau mit sozialdemokratischen Überzeugungen (die auch noch einen Mann hatte, aber die Klo-Verhandlungen liefen ausschließlich über sie ab), hatte ihn erst nach langem Hin und Her in „ihr Klo aufgenommen, nachdem sie ihn zunächst in das andere Klo am Gang verbannen wollte, das von einem älteren Herren adeliger Abstammung benützt wurde. „Scheißens ihm nur eini in sein Klo, dem Herrn Baron! Der braucht net glauben, daß er was Besseres ist! ermunterte sie ihn zum Klassenkampf. Der ältere Herr versuchte über die Klassensolidarität, meinen Freund aus seinem Häusl loszuwerden: „Schauen Sie, Herr Berger, wir, unter Akademikern, können ja offen reden: Ein alter Mann braucht ein eigenes Klo!" So wurde mein armer Freund zum Pingpong-Ball, an dem sich die weltanschaulichen und herkunftsmäßigen Gegensätze seiner beiden Nachbarn sozusagen einen Schlagabtausch lieferten. Solange, bis sich die Sozialdemokraten seiner erbarmten, nachdem ihn die Frau in die hausüblichen (oder eher kloüblichen) Sitten eingeweiht hatte. Weißt du, sagte er seufzend, als er mir das alles erzählte, ich mache halt aus der Not eine Tugend. Aus den Zeitungsausschnitten, die immer fertig und in der richtigen Größe dort liegen – die Sozialdemokraten sorgten immer für ausreichende Mengen –, suche ich mir die vom Staberl(1) heraus und auf die laß ich dann was fallen, was meiner Meinung über ihn den adäquaten Ausdruck verleiht!

    Die Touristen, die Wien Jahr für Jahr mit ihrer werten Anwesenheit beglücken, erfreuten sich an den Fassaden der Zinshäuser, der berühmten Altbausubstanz Wiens, stießen Schreie des Entzückens aus: oh, isn't it wonderful!! und hatten natürlich keine Ahnung davon, was in den hübschen Häusern für Klokriege tobten.

    Das alles blieb den glücklichen Bewohnern der Schützengasse erspart. Das Haus war vermutlich von Anfang an zu klein für dergleichen Luxus. Beim Stiegenhaus wurde so gespart, daß für die Klos kein Platz mehr war. Also mußte man sie notgedrungen in die Wohnungen verlegen. Die elegante Lösung dieses Dilemmas bestand in einem Holzkasten in der Küche, der das Klo beherbergte. Ein Freund von mir verglich ihn mit einem aufgestellten Sarg: Bei der Amelie geht man immer in einen Sarg hinein, wenn man pinkeln muß!

    Dieses Klo war, wie man sich vorstellen kann, auch nicht gerade geräumig angelegt. Die Mauer war zu einer Art Gebetsnische ausgehöhlt, in die die Klomuschel hineingepfropft war. Selbige stand in rechtem Winkel zur Eingangstüre des Sarges. Diese Türe des Holzkastens hatte in geschlossenem Zustand eine Entfernung von ca. 2 Zentimetern zur Klobrille, als ich in die Wohnung einzog. Damals stand das Haus bereits seit 90 oder 100 Jahren. Seither hatten also alle, die dieses Klo benützten, entweder bei offener Tür erledigt, was sie zu erledigen hatten. Oder mit extrem zur Seite gekniffenen Knien, was auf die Tätigkeit, um die es geht, nicht gerade förderlich wirkt. Oder, wie mir eine Freundin, die dieses Klo noch im Urzustand benützte, später einmal gestand: Mit extrem gegrätschten Beinen ließ sich die Sache auch noch bei geschlossener Türe abwickeln.

    Grafik 3

    Man konnte dieses fehlkonstruierte Klo nicht nach vorne erweitern, weil dort die Eingangstüre war. Sie hätte sich dann nicht mehr öffnen lassen.

    Ich löste das Problem, indem ich die Gebetsnische durch Abschlagen einiger Ziegel erweiterte, die Klomuschel drehte und den Sarg in Richtung Küchenfenster verlängerte. (In Richtung Eingangstür gings ja nicht.) Für dieses ehrgeizige Projekt benötigte ich eineinhalb Jahre, weil der Hausverwalter es mit allen Mitteln hintertrieb. Der Umbau war nämlich für ihn mit Unkosten verbunden, und deswegen bediente er sich zu seiner Verhinderung aller ihm zur Verfügung stehender Möglichkeiten, des Hausinstallateurs und eines Baumeisters.

    Unkosten hatte die Hausverwaltung nicht am Ende deswegen, weil die bequeme Gestaltung des Klos irgendwie in ihren Zuständigkeitsbereich gefallen wäre. Keineswegs. Was in der Wohnung ist, war zumindest nach den damaligen österreichischen Mietgesetzen das ausschließliche Problem des Mieters. Nur was sich den Zwischen- und Außenwänden und in Decke und Fußboden abspielt, fällt in die Zuständigkeit der Hausverwaltung. Aber hier lag der Hund begraben. Der Hauptabflußstrang war nämlich undicht, und wie sich bei seiner schließlich doch erfolgten Reparatur herausstellte, glich er einem Schweizer Käse. Wie sich ebenfalls im Laufe der Zeit herausstellte: Die Stützbalken der Decke waren schadhaft und deshalb reparaturbedürftig.

    Vorher jedoch rieselte jedesmal der Putz(2), wenn man die Klo- bzw. Sargtür öffnete, weil die alten Sandputze, die in Häusern dieses Alters verwendet wurden, ihren Zusammenhalt verlieren, sobald sie naß werden. Außerdem hatte einer meiner Vorgänger – anstatt das Übel bei der Wurzel zu packen und die Quelle der Feuchtigkeit zu suchen – allzu schadhafte Teile des Verputzes mit Zementputz erneuert. Dabei hatte er den Spülkasten eingemauert, und zwar dergestalt, daß der Deckel nicht mehr exakt draufpaßte und sich deshalb in labilem Gleichgewicht befand.

    Die Benützung des Klos gestaltete sich also folgendermaßen: Man öffnete die Tür. Da das den hölzernen Sarg – der in Boden und Decke eingestemmt war – in leichte Schwingungen versetzte, begann der Putz zu rieseln. Man bürstete die Klobrille ab, um sich nicht in den Schutt zu setzen und setzte sich hin. Daraufhin – weil das offenbar den Spülkasten in Schwingungen versetzte, fiel einem der emaillierte – und daher kalte! – Deckel desselben ins Kreuz(3)(. Man entfernte ihn und stellte ihn auf den Boden. Die Tür ließ sich, wie gesagt, nicht schließen. Nun konnte es losgehen.

    Ein untragbarer Zustand.

    Zunächst schlug ich den Putz ab.

    Das hätte ich nicht tun sollen.

    Erstens aus rechtlichen Gründen. Der Hausverwalter konnte nämlich jetzt behaupten – und das tat er auch – der Putz wäre völlig in Ordnung gewesen und ich hätte ihn zu meinem rein privatem Vergnügen entfernt. Er konnte jede Verpflichtung, den Putz erneuern zu lassen, von sich weisen.

    Zweitens aus bauphysikalischen Gründen. Der lose Putz war nämlich auch ein Schutz gegen die Feuchtigkeit gewesen. Kaum war er weg, regnete es bei mir im Klo jedesmal, wenn meine Nachbarin oberhalb die Spülung betätigte.

    Ich rief bei der Hausverwaltung an und forderte eine Reparatur. Ich könne mein Klo nur mehr mit Regenschirm benützen.

    Man versprach, Abhilfe zu schaffen.

    Am nächsten Tag erschien bei meiner Nachbarin, nennen wir sie von nun an Gudrun, ihrer Beschreibung zufolge ein Installateurslehrling mit einem Gegenstand in der Hand, den sie als Gummiquastl bezeichnete.

    Es handelte sich um einen Holzstab mit einem Gummipfropfen am Ende, den man zum Freilegen verstopfter Abflüsse bei Waschbecken oder Dusche zu verwenden pflegte. Er war schon für diesen Zweck ungeeignet, aber für ein Klo vollends unbrauchbar, weil sich der kreisrunde Pfropfen gar nirgends ansetzen läßt..

    Er solle hier ein verstopftes Klo wieder in Gang bringen, meinte der 15- bis 16jährige junge Mann. Gudrun entgegnete ihm mit der nötigen Schärfe – über die diese Frau durchaus verfügt – daß es sich nicht um Verstopfung, sondern im Gegenteil um unerwünschte Durchlässigkeit handle, und er verschwand wieder, um sich ein angemesseneres Werkzeug zu besorgen.

    Am nächsten Tag erschien er mit dem Werkzeugkasten, stemmte den Boden von Gudruns Klo auf und tauschte das defekte Verbindungsrohr zwischen Klomuschel und Hauptabflußstrang aus. Dann betonierte er den Boden wieder zu. Dazwischen lag ein Wochenende, an dem Gudrun mein Klo benützen mußte.

    Für diese Tätigkeit borgte der Installateurslehrling sich meine Wasserwaage aus. Das tat er nicht deswegen, weil er sicher sein wollte, daß der Fußboden von Gudruns Klo nachher gerade war. Nein, er hatte seine Aluminiumlatte zum Verstreichen des Estrichs vergessen, und bediente sich dafür meiner Wasserwaage. Der Boden war nachher schief, und die Wasserwaage hatte Kratzer.

    Wie sich später herausstellte, war der Durchmesser dieses neuen Rohres um einige Zentimeter geringer als derjenige der Einmündungsöffnung in den Abflußstrang. Die verbleibende Öffnung hatte der junge Mann mit Gips „abgedichtet".

    Gips ist kein Dichtungsmaterial und auch die Dachrinne mündete in den Hauptabflußstrang. Außerdem existierte bei dieser Öffnung des Abflußrohres, der „Muffn, ein sogenanntes Gegengefälle: Der Abfluß der Klomuschel lag niedriger als die „Muffn. Mit anderen Worten, das Rohr zwischen Klosettabfluß und Abflußstrang des Hauses neigte sich in Richtung Klomuschel. Wenn es regnete, so strömte Regenwasser durch den Gips in die Wand. Weniger zwar als vorher, es tropfte nicht, und es handelte sich nur um Regenwasser, aber dennoch. Die Wand blieb feucht. Es stellte sich später heraus, daß auch der Hauptabflußstrang selbst, wie schon erwähnt, löchrig war.

    Inzwischen hatte ich als Folge meiner Freilegungstätigkeiten festgestellt, daß durch die jahrelange, vielleicht jahrzehntelange Feuchtigkeit die Decke tragenden Balken, die sogenannten „Tram", völlig vermodert waren. In der Nähe der Außenwand verjüngten sie sich, als ob sie ein Biber angenagt hätte, und sie wiesen dort auch eine sehr ungesund dunkle Farbe auf. Ich konnte mit ausrechnen, daß es nur eine Frage der Zeit war, wann Gudrun samt Klomuschel bei mir unten landen würde.

    Ich rief wieder einmal bei der Hausverwaltung an, schilderte den Sachverhalt und verlangte die Behebung des Gebrechens.

    Einige Wochen (Wochen, nicht Tage!) später erschien ein von der Hausverwaltung geschickter Baumeister. Er betrachtete die modrigen Tram mit prüfendem Blick. Er überlegte anscheinend krampfhaft, wie er das augenscheinliche Gebrechen in meinen Zuständigkeitsbereich verweisen konnte. Dann fiel ihm auf, daß ich bei der Mauer weiter unten einige Ziegel entfernt hatte. Na, kein Wunder, meinte er, wenn sie unten die Ziegel abschlagen, daß dann oben die Balken hin werden!

    Einen Moment lang traute ich meinen Ohren nicht. Dann öffnete ich die Wohnungstür und sagte leise und mit äußerster Selbstbeherrschung: „Hinaus!"

    Nach Beratungen mit Freunden und der Mieterschutzvereinigung – der ich bald einmal beitrat, weil ohne das wären die auftretenden Probleme nicht zu bewältigen gewesen – entschloß ich mich, eine Anzeige bei der Baupolizei zu machen.

    Der Vertreter der Baupolizei erschien und schüttelte angesichts des Zustandes des Klos den Kopf. Er teilte mir mit, die Hausverwaltung gut zu kennen, da es schon oft zu Beanstandungen in von ihr verwalteten Häusern gekommen war, und erstatte Anzeige gegen die Verwaltung.

    Währenddessen stand bereits das Klo offen in der Küche, da ich den Holzkasten entfernt hatte, um meinem Installateur – der etwas dicklich ist – Raum für das Drehen der Klomuschel zu verschaffen. Außerdem hätte die gedrehte Muschel in dem bestehenden Spülkasten genauso viel Enge verursacht bei der Verrichtung einschlägiger Tätigkeiten, wie in ungedrehtem Zustand. Es war klar, daß man bei Veränderungen auch die hölzerne Kasten-Konstruktion mit einbeziehen mußte.

    Zu diesem Zeitpunkt rechnete ich nicht mit den beschriebenen Komplikationen. Ich dachte, daß es eine Frage von Wochen sein würde, bis die offensichtlichen Mängel an Rohren, Wand und Balken behoben sein würden.

    Beim Lösen der Klomuschel, die mit Zement am Boden befestigt war, brach von dieser unten ein Stück ab. Sie wackelte. Der Installateur meinte, es sei nicht sinnvoll, eine neue Klomuschel zu montieren, solange die anderen Reparaturen noch ausständig seien. Sie könnte dabei beschädigt werden. Also ließen wir die alte und wackelige Klomuschel als Provisorium stehen, bis das Klo, die Tram und die Wand saniert würden.

    Den völlig verrosteten Spülkasten montierte er ab. Auch hier meinte er: Wenn alles fertig ist, bring ich dir einen neuen. Aus Kunststoff, der kann dann auch nicht mehr rostig werden.

    Wie gesagt, wir beide meinten, es würde nicht lange dauern, bis das ganze in Ordnung käme.

    Wenn ich die Tür öffnete, sah der vor der Tür Stehende zuerst mich, dann die Klomuschel. Diesen Anblick genossen im Laufe der folgenden anderthalb Jahre Briefträger, Nachbarn, der Gaskassier, Zeugen Jehovas, Besucher und der Rauchfangkehrer.

    Wollte jemand, der bei mir auf Besuch war, das Klo benützen, so schloß ich während der Zeit der Benützung die Tür von der Küche ins Wohnzimmer und verweilte während der Dauer der Klobenützung im Wohnzimmer. Nicht, ohne dem Klobenützer vorher Instruktionen zu erteilen: Vorsicht! Das Klo wackelt. Da ist ein Kübel, füll ihn vorher voll, damit du nachher gleich hinunterspülen kannst.

    Besonders neckisch war das alles, wenn ich Feste veranstaltete – was in eineinhalb Jahren ja hin und wieder vorkommen kann. Im Wohnzimmer bildeten sich Schlangen. Der Kübel kam nicht zur Ruhe.

    Manchmal war jemand auf Besuch und ich kochte für die betreffende Person. Bitte setz dich doch und leiste mir Gesellschaft! sagte ich und wies mit einladender Handbewegung auf die Klomuschel. Aber Vorsicht! Sie wackelt!

    Die ganze Situation wurde noch dadurch erschwert, daß ich oft Mitbewohner hatte. Nein, es waren nicht die Freuden der Liebe, die mir immer wieder Gesellschaft bescherten. Es handelte sich ausnahmslos um Notlagen, die Leute als Mitbewohner in meine Wohnung führten. Ich hatte damals einen recht unsoliden Freundeskreis. (Daran hat sich leider bis heute nicht viel geändert, trotz teilweise wechselnden Personen. Allerdings nistet sich heute keiner mehr bei mir ein.) Diese Notlagen hatten verschiedenste Ursachen: Ein schlechtes Verhältnis zu den Eltern, Umzug vom Land in die Stadt, vom Ausland nach Österreich, überhaupt chronische

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