Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Zwischen Almsommer und Bauernherbst
Zwischen Almsommer und Bauernherbst
Zwischen Almsommer und Bauernherbst
Ebook622 pages8 hours

Zwischen Almsommer und Bauernherbst

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Ein Konglomerat aus Witzigkeit und Satire, das man bedenkenlos zwischen Almsommer und Bau-ernherbst einreihen könnte. Auf humoristische Weise wird hier der Versuch unternommen, Jäger, Almbauern und sogar Industrielle beinahe unbe-schadet an einem Tisch der Gemeinsamkeiten zu bringen.
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateSep 15, 2017
ISBN9783742775368
Zwischen Almsommer und Bauernherbst

Read more from Wilhelm Kastberger

Related to Zwischen Almsommer und Bauernherbst

Related ebooks

General Fiction For You

View More

Related articles

Reviews for Zwischen Almsommer und Bauernherbst

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Zwischen Almsommer und Bauernherbst - Wilhelm Kastberger

    Zwischen

    Almsommer und Bauernherbst

    Ein (Zwischenraum)Roman

    von

    Wilhelm Kastberger

    Entstanden zwischen September 2014 und April 2015

    Impressum

    Auflage

    © 2017 Copyright by Wilhelm Kastberger

    5700 Zell am See, Golfstraße 3/5, Atelier in 5722 Niedernsill-Jesdorf

    Tel.: +43 (0)650-2245449, E-Mail: w.e.kastberger@sbg.at,

    http://kastberger.members.cablelink.at/

    Abdruck, auch auszugsweise nur mit Genehmigung des Autors

    Herausgeber: im Eigenverlag

    Das Cover-Bild vorne:

    ein Ölbild vom Ebenbergbauernhaus

    entstanden im Jahre 1945

    und

    das Cover-Bild hinten:

    eine Zeichnung von einer Almhütte

    beide wurden dankenswerterweise

    von Herrn Rudolf Ferbus, Kunstmaler,

    5700 Zell am See, Föhrenweg 3

    dem Autor zur Verfügung gestellt

    Streu-Teller-Extra-Post

    Inhaber Mariandl Streu und Magnus Luka Teller

    Wir, von der Redaktion des nicht periodischen, dafür aber kaum erscheinenden Printmediums Streu-Teller-Extra-Post, sind übereingekommen, dass wir uns nicht zu scheuen brauchen, mit einem Kurzkommentar zwischen einem Impressum einerseits und einem Prolog andererseits, sozusagen dazwischenzudrängen. (Erklärung: Das war ein Standarttextblockabsatz, der von uns meist als Zwischenraumfüller Verwendung findet.)

    Doch nun zum Schriftsteller Heinrich Otto Stormhänger: Er hatte es sich gewiss nicht leicht gemacht, wie wir uns bei der Durchsicht seines Manuskriptes „Zwischen Almsommer und Bauernherbst" definitiv überzeugen konnten. Er wusste mit all jenen Menschen im Pinzgau, die er in seinem Zwischenraumroman eingebunden hatte, eben behutsamst umzugehen. Andererseits fiel es ihm offenbar leicht, ihnen seinen Willen aufzudrängen, um sie zu verformen und zu verändern. Es gelang ihm ganz gut, glauben wir einstimmig, in dieser Erzählung, den nämlichen Gestalten, halt das selbständige Gestalten der Story anzudichten. Freilich nur so gut, es eben bei der Überwindung diverser Hindernisse möglich gewesen war.

    Bedenklich schien Heinrich Otto Stormhänger nur eines zu sein: Der Nationalpark Hohe Tauern hier im Pinzgau war als Selbstläufer bereits bei den meisten Einheimischen arg verschrienen. Durch seine steilen Ansprüche tat er sich gewiss schwer, mit den in den Tälern lebenden Menschen zu arrangieren. Darüber hinaus wird gerademal der Nationalpark Hohe Tauern, als festgemauertes Wahrzeichen einer von Gesellschaften erschaffenen Marke, nicht Müde, hundsgemeine Schatten auf die armen, schwer unter dem Joch leidenden Leute, zu werfen.

    Wahrscheinlich haben just deshalb findige schwarz/grüne Parteisoldaten den Almsommer erfunden. Doch der grenzenlose, ja überregionale Wettbewerb machte auch vor den Toren des Nationalparks Hohe Tauern nicht halt. Ideenreiche Leute, wie zum Beispiel Schüler und Lehrer der Landwirtschaftlichen Fachschulen im Land, sowie vermutlich auch aus dem gegnerischen grün/roten Lager, tüftelten herum und hoben schlussendlich einige Jahre später den Bauernherbst aus einem abgeblühten und abgeernteten Nichts aus dem Taufwasser. Allerdings hatte man das Nichts schon erfunden gehabt.

    Wir wünschen den Lesern insgesamt viel Spaß dabei.

    Mariandl Streu und Magnus Luka Teller im April 2015

    Der verzweifelte Versuch kein Vorwort zu gestalten

    Wer in aller Welt liest schon ein Vorwort! Noch dazu zu so einem Roman, wie diesem. Also um es beim Namen zu nennen, ein vollkommen Überflüssiges sozusagen. Aber meine Frau, die Babsi, Du kennst sie wahrscheinlich nicht so gut wie ich, hatte eine, wie sie meinte, hervorragende Idee. Und Ideen kreiert meine liebe Gattin andauernd noch verblüffendere und steigert damit ihre Überraschungsmomente. Da werde ich wahrscheinlich vielen Erfahrenen und Leidtragenden aus dem Herzen sprechen.

    Dieses Mal wollte sie mich unbedingt dazu überreden, eine beseelte und zugleich aufregende Vorgeschichte in einer sehr gewagten Ich-Form zu schreiben.

    Von vorneherein ablehnen wollte ich ihr Ansinnen dann auch wieder nicht, denn es wäre in meinen Augen ein fataler Fehler, im Hinblick auf mein Eheleben, gewesen.

    Keinesfalls möchte ich Babsi hier an dieser Stelle eine böse Absicht andichten wollen. Nein das gewiss nicht. Jedenfalls geschah es eines schönen Tages ohne jedwede Vorwarnung. Kurz und gut, ich wurde von meiner lieben Ehefrau mehr oder weniger tief in eine äußerst fragwürdige Sackgasse auf eine feine, aber gleichzeitig erbarmungslose Art hineingedrängt. Wenn ich dort einmal angekommen sein würde, so meinte sie mit ihrer mich noch immer überzeugenden Holdseligkeit, dann werde ich in diesem scheinbaren Zwischenraum so oder so meine anschwellende Aufgeregtheit abladen können.

    Was sie im Detail damit gemeint haben mag, das entzieht sich vollkommen meiner geistigen Vorstellungskraft. Um es schlussendlich auf den Punkt zu bringen, sie hatte wieder einmal, zumindest einen Teilsieg eingeheimst.

    Damit ich mich hier an dieser Stelle nicht herumdrücken muss, gebe ich es halt unumwunden zu: Ich habe mich breitschlagen lassen.

    Freie Abendstunden sind für meine Erholung reserviert und unbedingt notwendig. Das ist eine Art feierlicher Zustand, wie ich das behaupte. So musste ich also Zugeständnisse meiner ruhenden Unbeweglichkeit machen und begann das Romanmanuskript langsam, aber mit abfallender Aufmerksamkeit, durchzulesen.

    Du musst wissen, an Wochentagen abends saß ich ja ohnehin mutterseelenallein in meiner Studentenbude in der Nähe der Salzburger UNI. Was sollte ich sonst tun, als Lesen oder Fernsehen? Diese erfüllenden Leseabende verkürzten in Wahrheit mir immer schon ein wenig das Verlangen nach meiner in Neukirchen weilenden Familie.

    Einfach war es nicht für mich, den sprichwörtlichen Roten Faden in dieser Erzählung aufzustöbern und ihn dann auch noch zu behalten. Diese von mir gemachte Erfahrung kann ich Dir schon im Voraus einmal mitgeben, der Du ja längst im Begriff bist, dieses Buch zu lesen.

    Oder täusche ich mich?

    Wir wissen es ja alle: Die Schreiberlinge haben es ja leicht. Sie erdenken sich Unmengen von Wörtern aus, reihen sie nach Gutdünken und versuchen krampfhaft damit Sätze zu bilden. Augenscheinlich werden diese dann locker und leicht von ihnen zu Papier gebracht. Ob das Geschreibsel dann jemand versteht oder nicht, das ist den meisten von ihnen schnurzegal.

    So werden eben Menschen, von wem auch immer, genötigt, dass völlig Außenstehende, in diesem Falle sind es Du und ich, sich mit den verschiedensten Kapiteln herumschlagen und auseinandersetzen müssen. In Summe gesehen, ist das alleine schon ein äußerst schwieriges und in mancher Hinsicht auch ein gefährliches Unterfangen.

    Den Schöpfer dieser Unwahrscheinlichkeiten, man spricht in gehobenen Kreisen von Autoren, den kannte ich zu der Zeit noch nicht, als ich das Skript von Babsi in die Hand gedrückt bekommen habe.

    Das sollte sich aber bald einmal ändern.

    Eines Samstagabends läutete jemand an unserer Haustür. Mein Vater Toni Kreiswagner oder auch meine Mutter Leni haben noch nie an unserer Haustür geläutet.

    Du weißt es vielleicht ja schon. Wir alle wohnen ja zusammen im selben Haus also quasi unter einem Dach. Allerdings wurden von meinem Vater, der ja bekanntlich vom Beruf Tischler ist, Verbindungstüren eingebaut.

    Meine Babsi wusste ganz bestimmt Bescheid, wer der Hausglockenläuter war. Vermutlich wusste es auch unser kleiner Sohn Anton Sebastian, der hatte aber dichtgehalten, wenn er auch sonst noch an bestimmten Stellen noch hie und da undicht war. Als Entschuldigung muss ich aber fairerweise anfügen, der Kleine konnte auch so ein Geschehen seinem Papa gar nicht verraten. Er ist noch viel zu klein. Außer Urlaute wie, Uuuhuuu und Aaahaa und hin und wieder Dadada brachte er aus seinem Mund nichts allgemein Verständliches hervor.

    Samstagabend ist ein fixvereinbarter, ja so quasi beinahe ehevertraglich festgeschriebener, jedenfalls einzuhaltender Familienabend. Diese wenigen Stunden familiärer Freiheit haben bei mir und wahrscheinlich auch bei meiner Babsi, immerhin seit der Geburt unseres Kleinen, einen sehr hohen Stellenwert. Das wirst Du bestimmt auch verstehen.

    Solltest Du irgendwann einmal den inneren Drang verspüren, mit uns diskutieren zu wollen, dann bitte komme am Freitagabend.

    Kurz und gut, für mich war der Hausglockenläuter eine Überraschung. Klar!

    Da stand er nun in voller Größe in unserer kleinen, aber nicht zu kleinen Küche. Allerdings so groß war er dann auch wieder nicht. Er war sogar etwas kleiner als ich. Babsi geleitete ihn herein. Sie zog ihn nicht, schleppte ihn nicht, nein sie geleitete ihn. Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen.

    In derselben Sekunde stellte sie ihn mir vor. Heinrich Stormhänger nannte er sich. Und dabei wurde sie nicht einmal rot im Gesicht, was im Grunde nichts zu bedeuten hatte. Sie wird nämlich niemals Rot. Auch dann, nicht wenn sie ihre liebevoll interpretierte Märchengeschichte ihren einfältigen Ehemann zu unterbreiten versucht.

    Dieser Literarturhengst blieb eine ganze Weile, leider nicht ganz sprachlos, bei uns sitzen. Er genoss förmlich den anfänglichen Smalltalk zwischen uns. Nach der üblichen Aufwärmrunde begann er, wie die Krimmler Wasserfälle bei Hochwasser, unaufhörlich zu reden. Er berichtete von seinen zukünftigen literarischen Ideen. Ebenso erzählte er von seinen inneren Zwängen, über seine überaus umfangreich durchgeführten Recherchen im Zusammenhang mit den Zwischenräumen und über die Nötigung, gewissermaßen wahrheitsgetreu darüber berichten zu müssen.

    Ich musste mir das alles auch noch anhören, obwohl ich beileibe kein Psychiater bin. Sondern ganz im Gegenteil. Mein Fach ist die Biologie und derzeit beschäftige ich mich an der UNI Salzburg mit den armen kleinen Würmern.

    Hast Du schon einmal versucht so einen Schreibtastenvergewaltiger während eines Gespräches zu unterbrechen? Ja ich verstehe, man hat selten Gelegenheit dazu. So eine hatte ja ich schon. Aber dazwischenreden konnte ich, trotz meiner angeborenen rhetorischen Begabung, leider auch nicht.

    Nach knapp einer Stunde beendete Heinrich Otto Stormhänger, so heißt der gute Mann, dann sein Referat über seine zukünftigen literarischen und bildnerischen Projekte. Geraume Zeit saß ich ihm, wie Fakire es tun, bereits auf spitzen Nadeln gegenüber. Mit nackten Fußsohlen spazierte ich über glühende Steinkohlen. Gedanklich versteht sich. Dabei achtete ich sehr genau beim Dichterling Heinrich dem Redseligen auf eine Gesprächslücke. Endlich schnappte ich zu und riss meinen Mund auf und ließ einige ungereimte Wörter aus diesem herausstolpern:

    „Des tuat ma aufrichtig load. Noch reiflicha Übalegung muass i da sogn, i werd koan Prolog oda goar umsinstige Vorbemerkunga zu deina brillantn Erzählung beitrog kinna. Woasst, i ho vü zu vü andare Sachn aufn Tisch liegn."

    Babsi dürfte nebenbei innerlich den Kopf geschüttelt und sich gedacht haben, wie macht es Basti nur, dass er in einem kleinen Satz jede Menge Lügen unterbringen kann.

    „Woasst narrisch gern tat i a meina Frau scho zliab den Gfoilln, und eppas zu deim Roman schreibn. I mecht aba net woilos in dei Gschicht einipfuschn und die womögli in hunderttausend Drimma sprenga. Woast, des mecht i net."

    Ehrlich gesagt weiß ich bis heute nicht, ob mir dieser gute Mann, von dem ich noch mitten in der Nacht das Du-Wort angeboten bekommen hatte, obgleich ich ihn längst schon duzte, mir meine infamen Lügen abkaufte. Weil von gerne war anfangs bei mir überhaupt keine Rede gewesen.

    Es war nur der verzweifelte Versuch kein Vorwort gestalten zu müssen.

    Du wirst es bestimmt verstehen. Ich war ja selbst nur am Rande in diese Geschichte miteingebunden. Wie sollte ich dann in einem Vorwort wahrheitsgetreu über Erlebnisse berichten, die ich gar nicht miterleben konnte.

    Schlussendlich gebe ich es ja zu. Das Gespräch mit meinem neuen Du-Freund Heinrich war schon einigermaßen in Ordnung. Zum Glück wurde das Hinundhergerede nicht auf einem hohen akademischen Niveau ausgetragen. Wir waren erfreulicherweise ein gutes Stück von dem üblichen universitären Floskeln entfernt, denen ich ja sonst in meiner beruflichen Tätigkeit ausgesetzt bin und dem ich niemals entkommen werde können, solange ich in diesen Gemäuern arbeite.

    Die ruhigen, bisweilen leidenschaftslos geführten Diskussionen, angeführt von meiner Babsi, die mit ihrem schlauen Beleuchten von (Un-) Wahrheiten für eine Umkehr meinerseits gesorgt hatte, dauerten zu meinem Leidwesen noch einige Stunden lang. Also weit über Mitternacht hinaus, obwohl ich ein Verfechter der vormitternächtlichen Ruhe bin. Halb zehn ist ein familiäres Schlagwort bei uns geworden, weil um diese Zeit unser Sohn auch schon zuweilen tief und fest in seinem Gitterbettchen schläft oder nur so tut, als ob.

    Vielleicht hier noch eine stille Bemerkung, über die ich mit dem Autor an diesem Samstagabend nicht gesprochen habe. In Wahrheit war ich dann doch erstaunt darüber, dass er in einigen, zugegebenermaßen korrekten Sätzen, über mein aktuelles Projekt an der UNI Salzburg geschrieben hatte.

    Deswegen stelle ich mir schon die Fragen:

    Woher bezieht dieser gute Mann seine Informationen, insbesondere weil ja die höchste Geheimnisstufe von höchster ministerieller Stelle angeordnet worden war?

    Und, wo bitteschön bleibt, dann der viel gepriesene Datenschutz?

    Abschließend könnte ich Dir ja heute auch schon gratulieren. Weil Du hast ja diesen Wälzer bereits in Deine Hände gelegt und zu lesen begonnen.

    Gut, dann wirst Du vielleicht sogar ähnliche Plagen, wie ich sie hatte, damit erleben. Insgeheim denke ich aber, warum sollte es Dir dabei nicht anders ergehen. Aber bitte glaube mir, eine Schadenfreude würde ich hier nicht unbedingt hineininterpretiert haben wollen.

    Nun gut! Du und ich sitzen offenbar im selben Boot. Zumindest beschäftigen wir uns mit demselben Buch. Allerdings gibt es mit Sicherheit einen zeitlich und wahrscheinlich auch noch einen beträchtlicheren örtlichen Unterschied.

    Ich kann es als wissenschaftlicher Mitarbeiter der UNI nicht so stehen lassen: Dem Schreiberling möchte ich nämlich auf diesem Wege noch einen wichtigen, vielleicht lebensfernen Lehrsatz aus der Biologie auf den Weg geben.

    Du sollst die Menschen nicht zu Tatsachen vorwärtstreiben,

    die nicht der Wahrheit entsprechen.

    Mit freundlicher Eilfertigkeit

    Dr. Dipl.-Ing. Sebastian Kreiswagner,

    überall unbekannt unter dem Namen Basti

    Eins

    Als waschechter Berliner und nebenbei noch begüterter Industrieller hatte der damals zweiundfünfzigjährige Dietwald Rothgleiber in der Bergwelt im Berchtesgadener Land, rückwirkend vom 1. Jänner 2008 von der Jagdbehörde des zuständigen Landratsamtes einen Jagdpachtvertrag, befristet auf neun Jahre, bekommen. Als quasi überdrüber konnte er einen ausgefeilten Abschussplan für das laufende Jahr ergattern, was nicht so selbstverständlich gewesen war.

    Wie genau das durch die sprichwörtlichen Hintertürln gelaufen sein mag, blieb auch den Recherchierenden vorenthalten. Tatsache ist, ein Preuße kommt in die bayrischen Wälder. Und er kommt darüber hinaus in den Genuss einer ansehnlichen Jagdpacht, noch dazu die reglementierten neun Jahre lang.

    Das Gebiet konnte sich sehen lassen. Es war ein mehrere Hektar großes bewaldetes und von riesigen Felsen durchzogenes Jagdrevier. Mit im Pacht inbegriffen war auch eine modern und vor allem luxuriös ausgestattete Jagdhütte. Der Begriff Jagdhütte war früher einmal bestimmt zutreffender.

    Im Endausbau, nach annähernd einem Jahr, konnte man das nicht mehr behaupten. Jedenfalls ist es stark untertrieben, wenn von seitens der zuständigen Landesbehörde behauptet worden war, es sei nur eine einfache Jagdhütte. Von dieser Behörde wurde jedenfalls eine entsprechende Baubewilligung erlassen und bislang hat die bauliche Veränderung der einfachen Jagdhütte offenbar niemanden gestört, mit klitzekleinen Ausnahmen versteht sich. Das Gebäude glich nach der Fertigstellung eher einem Bungalow in Blockholzbauweise. Das schon.

    Zusätzlich wurde unterm Haus ein voluminöser Tiefbau errichtet. Dabei musste ein Großteil der Felsen regelrecht herausgesprengt werden. Es wurde aber lediglich eine Sprengung genehmigt und letztlich auch gemacht. Wissend, denn gleich darauf gab es lautstarke Proteste.

    Von seitens der Landschaftsschützer wurde sofort eingeschritten, der Bau vorübergehend eingestellt und unmissverständlich auf eine sanfte Felsräumung in diesem sensiblen Forstareal gedrängt.

    So blieb der Baufirma also nichts anderes mehr übrig, als mit schwerem Gerät das Schiefergestein mühsamst abzugraben. Die entstandenen Mehrkosten wurden selbstverständlich vom Bauherrn übernommen.

    Der Mehrwert der unter Tag errichteten Räume war unvergleichlich hoch. Es wurde nämlich dadurch eine zusätzliche Wohnraumerweiterung geschaffen. Zwei bescheidenen Schlafstellen für den Aufsichtsjäger und seine Jagdgehilfen konnten dort ebenso eingerichtet werden, wie auch mehrere Lageräume für all den Kram, was kleine Jagdgesellschaften im Laufe der Jagdsaisonen benötigten.

    Zugleich wurden zwei Garagenplätze für mittelgroße Fahrzeuge in den Berg hineinverlegt. Und im hintersten Eck wurde sogar ein Kühlraum installiert, der ausschließlich zur Aufbewahrung der erlegten Beute dienen sollte. All diese Raumvielfalt konnte man von außen gar nicht erahnen.

    Dietwald Rothgleiber und seine um annähernd zwei Jahre jüngere Frau Agnes benötigten dringend so einen Ruheplatz. Obwohl Ruheplatz eigentlich nicht die richtige Bezeichnung dafür gewesen war. Es war schon eine rastlose Beschäftigung, die sich Dietwald Rothgleiber damit aufgehalst hatte. Mit Bestimmtheit war es eine ganz andere als in Berlin. Die frische Bergluft einatmen zu können, inmitten der Natur zu wohnen, das war das eigentliche Vergnügen der Eheleute. Sie wollten ihre Urlaube, aber auch so viele verlängerten Wochenenden, wie nur möglich, weit weg von der geschäftlichen Rastlosigkeit Berlins, zusammen in den Bergen verbringen.

    Zum Bedauern von Dietwald Rothgleiber war seine Frau der Jagd als solche nicht zu so recht zugetan. Nur knapp zwei Jahre nach der Fertigstellung des Hauses blieb ihr das Vergnügen, sich in dieser friedlichen Umgebung zu erholen, ohnehin versagt.

    Die Rothgleiber´s haben ihre einzige Tochter Elita eine ausgezeichnete Ausbildung in Betriebswirtschaft und alles was sonst noch dazugehört ermöglicht. Vor allem haben sie Elita in der Jugendzeit neben ihrer hochschulischen Erziehung die innerbetrieblichen Strukturen der eigenen Firma hautnah erleben und erlernen lassen.

    Diese Vorgangsweise hatte dem Betrieb insgesamt sehr gut getan. Elita Rothgleiber lernte nicht nur das Handwerkliche (im Speziellen die Planung und den Ausbau von kleineren und mittelgroßen Schiffen) sowie auch das Kaufmännische. Jahre später lernte sie auch ihren künftigen Ehemann, den Wirtschaftsjuristen Dr. Reinhard Zingarelli, kennen und lieben. Er selbst war zu dieser Zeit noch in seinem elterlichen Betrieb tätig.

    Dr. Reinhard Zingarelli ist zirka einhundertachtzig Zentimeter groß, war damals schon und ist jetzt immer noch ein sportlich durchtrainierter Mann. Er spricht mehrere Sprachen perfekt und liebt vor allem gute Musik. Das Feingefühl für gute Musik unterscheidet, wie so manches im gemeinschaftlichen Leben, stets das Persönliche.

    Elita ist ebenso sport- und musikbegeistert. Sie ist eine Läuferin in der Natur mit einer Dauerberieselung von Musik und Sprache mittels einem Ohrstöpsel. Besuche in Konzerten oder Festspielaufführungen machten sie tunlichst gemeinsam, obwohl einer der beiden sich auch mal dabei zu Tode langweilen konnte.

    Und so kam es, wie es kommen musste!

    Es war selbstverständlich ein Samstag. Es sollte laut Wettervorhersagen ein prachtvoller Sommerbeginn werden! Nach dem Kalender war es der 21. Juni 2010.

    Die Hochzeitsfeierlichkeiten wurden zwar standesgemäß ausgerichtet, aber keinesfalls zu einer Prunkhochzeit umfunktioniert. Die Eltern des Bräutigams, wie eben auch die der Braut, waren mehr oder weniger aus dem finanziellen Blickwinkel betrachtet, ebenbürtig.

    Der Bräutigam Dr. Reinhard Zingarelli war im 29. Lebensjahr und Elita beinahe auf den Tag genau war zwei Jahre jünger als er.

    Wie man sich auch vorstellen wird können, gab es doch eine lange Reihe geladener Gäste. So waren Menschen aus der nahen Verwandtschaft ebenso anwesend, wie auch so manche Jugendfreunde aus der Nachbarschaft sowie langjährige enge Mitarbeiter aus den Gewerken.

    Elita trug an diesem Festtag ein atemberaubendes Hochzeitskleid, das Absolventen der Modehochschule in Berlin exakt für sie entworfen und auch geschneidert hatten. Sie selbst ist ja nebenbei auch eine begeisterte Modezeichnerin und stand deswegen schon jahrelang mit dieser Schule im engen Kontakt. Darüber hinaus war sie mit der leitenden Fachprofessorin schon seit den Grundschulzeiten bestens befreundet.

    Das Kleid wurde überdies auch prämiert. Im Rahmen einer großangelegten Modeschau wurden Kreationen aus dem Schuljahr 2008/09 einem großen Publikum vorgeführt. Sieben international bekannte Modeschöpfer aus dem Lager Umfeld, die als Juroren Entscheidungen zu treffen hatten, saßen damals am Podium.

    Und genau dieses Hochzeitskleid, wurde einstimmig auf den 1. Platz gehoben. Zwei Monate später, und zwar am Tag ihrer Hochzeit, durfte Elita Rothgleiber dasselbe Kleid tragen und einen wesentlich größeren Personenkreis vorführen.

    Kurzreportagen für das Fernsehen wurden deswegen abgedreht. Eine nicht bekannte Anzahl Paparazzi Fotografen warteten in ihren Schlupflöchern auf die beste Gelegenheit, Fotos zu schießen. So war es nicht zu verhindern, dass plötzlich das Kleid mit der Trägerin in den verschiedensten Printmedien zu sehen gewesen war.

    Das junge Paar wohnte eine Zeitlang schon vor ihrer Verehelichung in der elterlichen Villa Rothgleiber im jetzigen Nobelbezirk Wannsee-Zehlendorf, in der Scheffelstraße. Das Gebäude wurde ursprünglich Mitte des 19. Jahrhunderts errichtet und war von Anfang an im Besitze der Familie Rothgleiber. Das Grundstück ist beiläufig zwei Hektar groß. Es ist von waldähnlichem Stauden und Bäumen, die einen hervorragenden Sicht- und auch Lärmschutz zu bieten hatten, umgeben.

    Das Haus selbst ist ein traditioneller Backziegelbau, allerdings mit ungewöhnlichen zwei Stockwerken. Zugegeben, die Fenster wurden in den letzten zwanzig Jahren erneuert und unwesentlich vergrößert. Die äußeren Formen mit den wunderschönen Rundbögen wurden beibehalten. Auf die stets steigenden Energiekosten wurde ebenfalls Rücksicht genommen. So wurde, ohne die Fassaden zu zerstören, eine raffinierte Technik erstmals angewendet. Dieses Experiment, das absolut geglückt schien, übernahm damals die Firma Zingarelli.

    Nur Garagen für die Autos, und da gab es gleich mal drei, gab es rundum das Gebäude keine. So wurde notgedrungen hinter der Villa, um ja nicht die Vorderansicht zu stören, sogenannte Carboards errichtet.

    Auch die Besucher wurden gebeten, ihre Fahrzeuge nicht vor dem Haus abzustellen. Das funktionierte an sich sehr gut, weil ohnehin nur Menschen zu ihnen kommen konnten, die eingeladen worden waren. Alle anderen konnten gar nicht hereinfahren. Ein auf Gleitschienen bewegliches gusseisernes Tor, das neuerdings elektronisch gesteuert werden konnte, verhinderte einen Unberechtigten die Zufahrt. Ein anderer offizieller Zufahrtsweg existierte nicht.

    Es ist zwar nicht ganz richtig. Es gibt schon einen Weg, der allerdings nur mit einem Fahrrad oder Moped benützt werden kann. In früheren Zeiten wurde einmal ein Verbindungsweg von der nördlichen Grundgrenze, quasi von der Parallelstraße zur Scheffelstraße, vermutlich von ehemaligen Grundbesitzern, angelegt. Von dieser Verbindung wissen nur mehr die Anrainer Bescheid und die haben jetzt alle Autos.

    Das Glück der jungen Familie Zingarelli-Rothgleiber fand am 14. Mai 2010 einen vorläufigen Höhepunkt. Elita gebar einen Sohn, der zwei Wochen später mit den klingenden Namen Benjamin getauft worden war.

    Leider folgte bald darauf ein schwarzer Tag für die Familie Rothgleiber. Es war der Freitag der 11. April 2010.

    Wie schon so oft in ihrem Leben nützte die inzwischen zweiundfünfzigjährige Agnes Rothgleiber die für sie sehr selten gewordenen freien Wochenenden in Berlin zu einem Einkaufsbummel.

    Regelmäßig schlenderte sie dann in der Innenstadt von einem Schaufenster zum nächsten. Nicht dass sie an der berüchtigten Schaufensterkrankheit gelitten hätte, nein das nicht. Sie wollte sich lediglich von ihrem meist anstrengenden und manches Mal auch überlastenden Alltag wieder einmal ablenken.

    Und so kam es, wie es kommen musste: Wahrscheinlich durch Unaufmerksamkeit aller Beteiligten, nämlich einerseits von einem Busfahrer, andererseits von einer Taxilenkerin und nicht zuletzt von der Fußgängerin Agnes Rothgleiber selbst, ereignete sich ein folgenschwerer Unfall.

    Beinahe eingekeilt zwischen Bus und Taxi blieb Agnes Rothgleiber, die an dieser Stelle eine stark frequentierte Geschäftsstraße überqueren wollte, letztlich mit lebensgefährlichen Verletzungen auf der Fahrbahn liegen. Trotz rascher Erster Hilfeleistung durch ein herbeigeeiltes Notarztteam verstarb sie auf der Fahrt ins nächstgelegene Unfallkrankenhaus.

    Seit dem tragischen Tod seiner Frau Agnes hatte sich das Privatleben von Dietwald Rothgleiber drastisch verändert und nicht nur das. Er begann laut über Strukturverbesserungen und auch über Einschränkungen in seinem Firmenimperium nachzudenken.

    Wie halt das Leben mit einem so spielt. Sie haben sich seit Jahren mehr oder weniger aus den Augen verloren. Brunhilde war eine von insgesamt drei Nichten seiner Frau. Am Friedhof, bei der Trauerfeier für Agnes, ist sie ihm wieder begegnet. Er konnte sich noch ganz genau an das Zusammentreffen erinnern. Es war Donnerstag, der 17. April 2010, vormittags um elf.

    Später hatte er dann von ihr im Gespräch erfahren, dass sie ein ähnliches Schicksal mit ihrem ersten Mann erleiden musste.

    Brunhilde war zu dieser Zeit hochschwanger. Sie wurde von ihrem frisch angetrauten Ehemann Max Joachim begleitet. Voller Freude stellte sie sogleich ihren Gatten dem Onkel Dietwald und seiner Tochter Elita vor.

    Nach den Trauerfeierlichkeiten am Friedhof lud Dietwald Rothgleiber die engsten Verwandten, natürlich auch seine Nichte Brunhilde samt Ehemann in die Villa ein. Sie fuhren allesamt, nach einer länger andauernden Verabschiedung von den übrigen Trauergästen, mit mehreren Limousinen vom Friedhof direkt zum Anwesen der Rothgleiber’s.

    Trude, der gute Geist im Haus, hatte am Vortag bereits mit ihrem Jakob die notwendigsten Vorbereitungen getroffen. Schön garnierte Fleisch- und Käseplatten sowie auch Getränke wurden von den beiden im Tiefkühlraum deponiert. Von Dietwald Rothgleiber hatte Trude schon Tage vorher die Order erhalten, dass lediglich ein bescheidener Leichenschmaus angebracht ist und demgemäß auch aufgetragen werden sollte.

    So konnten Trude und Jakob selbstverständlich auch an den Trauerfeierlichkeiten in der Kirche und am Friedhof teilnehmen. Nur solange wollte Trude nicht bleiben. Sie und Jakob verließen nach dem offiziellen Teil der Trauerfeier, sprich Aussegnung und was sonst noch dazugehört, die Stätte der Stille und fuhren zurück zu ihren Arbeitsplätzen.

    Jakob durfte nur, wenn Not am Mann war, in der Küche helfen. Sonst hatte er keinen Zutritt. Dafür sorgte schon Trude. Sie war zwar eine herzensgute Frau, aber auch eine unerbittliche Verteidigerin ihres Territoriums. Nur heute war sie erfreut, dass Jakob das eine oder andere in Küche machen konnte. Aber Servieren, das durfte er ganz bestimmt nicht.

    „Schau doch einmal deine Hände an, damit kannst du einen Fußball zerdrücken aber nicht unser schönes Porzellan."

    Trude ist, wie man an dieser Stelle jedenfalls anmerken muss, im Familienkreis der Rothgleiber’s, im wahrsten Sinne des Wortes gleichgeschaltet. Das heißt, sie lebt im Familienverband mit. Auch Jakob, der Hausmeister, ist keinesfalls ausgeschlossen, weil irgendwie ist er ja mit Trude verbandelt.

    Auch Tochter Elita, die ebenso hochschwanger wie Brunhilde war, hatte ihre Cousine schon seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Elita wusste zwar von ihrer verstorbenen Mutter über die Schicksalsschläge die Brunhilde ertragen musste Bescheid, aber persönliche Kontakte gab es auch zwischen den beiden bislang nicht. Für Außenstehende schien es so, als wären die zwei werdenden Mütter unzertrennlich geworden. Sie verließen Arm in Arm den Friedhof, redeten unermüdlich über dies und das und fuhren dann auch miteinander zur Villa zurück. Beide Damen saßen im Fond. Dr. Reinhard Zingarelli lenkte das Auto und Max Joachim Fichtlzauber saß am Beifahrersitz.

    In der Villa Rothgleiber setzten nicht nur die Damen ihre Unterhaltung fort. Auch die Männerrunde machte es ihnen nach. Der Neoehemann von Brunhilde, Max Joachim Fichtlzauber, Dietwald Rothgleiber sowie dessen Schwiegersohn unterhielten sich dem Anschein prächtig an dem sogenannten Herren- oder Rauchertisch, der in der prächtigen Diele in einer Nische extra von Jakob aufgestellt worden war. Alle dort Anwesenden waren aber leidenschaftliche Nichtraucher.

    Nur glaubhaft ist das auf keinen Fall. Dietwald Rothgleiber zum  Beispiel ist ein Pfeifenraucher. Allerdings nur dann, wenn er rundherum Ruhe verspürt, das kam leider nicht jeden Tag vor.

    Er ist also ein Genusspfeifenraucher!

    Max Joachim Fichtlzauber verschmäht in der Gesellschaft keine angebotene Zigarre. Nur seit seine junge Frau sich in anderen Umständen befindet, lehnt er anstandsgemäß, aber schweren Herzens Angebote dieser Art ab.

    Lediglich Dr. Reinhard Zingarelli dürfte ein radikaler Nichtraucher sein. So steht es jedenfalls auf seiner Facebook Seite in fetten Lettern zu lesen. Man weiß jedoch niemals genau, ob solche Eintragungen dann auch tatsächlich zutreffend sind, wenn man genötigt ist, auch den anderen normalen Blödsinn zu lesen.

    Also wurde am Herren- und Rauchertisch keine Pfeife angezündet und keine Zigarren angeboten. Das ist nun mal die Tatsache!

    Begonnen hat nach einer Aufwärmrunde des sich gegenseitig Bekanntmachens der Gastgeber. Und so kam es, wie es kommen musste: Dietwald Rothgleiber schilderte in blumigen Sätzen in seinem Berliner Dialekt, der hier nicht wiedergegeben werden kann, einige seiner jüngsten Erlebnisse, die er als Jagdherr in Bayern erfahren durfte. Was naturgemäß zum Schmunzeln und zum Lautlachen geführt hätte, wenn es nicht knapp drei Stunden nach der Beerdigung gewesen wäre.

    Das war auch ein Grund, warum die zwei schwangeren Cousinen mit ihrem dunklem Outfit und ihren finsteren Gesichtern, die gegenüber auf einem gemütlichen Kanapee saßen, strenge Blicke zum Herrentisch hinschleuderten.

    Das tat aber der Erzählfreude der Männer keinen Abbruch, wenn nicht Köchin Trude laut den Befehl erteilt hätte, alle Anwesenden mögen in den Speiseraum kommen.

    Insgesamt waren es acht Personen, die zu diesem einfachen Leichenschmaus am gedeckten ovalen Tisch, der aus geschnitztem und gedrechseltem Eichenholz gefertigt war, Platz nahmen. Trude hatte nicht nur die Tischwäsche, sondern auch das Porzellan und den Blumenschmuck in Weiß gewählt. In der Mitte standen drei silberne Kerzenleuchter mit jeweils drei zwanzig Zentimetern lange weiße brennende Kerzen. Nur die schweren in Weinrot gehaltenen Brokatvorhänge, ein Schmuck der drei hohen Fenster im Raum, wurden nicht gegen weiße ausgewechselt.

    An sich hätten am Tisch auch wesentlich mehr Personen Platz gefunden. Aber der Hausherr wollte an diesem Tag nur seine engsten Verwandten und einige vertraute Mitarbeiter um sich haben. Jakob stellte die nicht benötigte Bestuhlung in einen Nebenraum ab.

    Ziemlich genau um diese Zeit kamen die drei geladenen Gäste an. Jakob führte die Personen vorerst in die Diele. Dort legten sie ihre Garderoben ab und wurden unmittelbar darauf von Jakob in den Speiseraum geleitet.

    Als eine Geste der Solidarität an die Belegschaft der Rothgleiber-Gewerke wurde von Dietwald Rothgleiber der langjährige Prokurist der Firma, Dr. Michael Rabenschwartz sowie die Chefsekretärin Isolde Hofthaler, eingeladen. Auch Margaritha, die beste Freundin der Verstorbenen, wurde zu dieser Familienfeier gebeten. Dietwald Rothgleiber begrüßte die drei Personen, bedankte sich für ihr Kommen und stellte ihnen dann Brunhilde sowie auch ihren Mann vor.

    Dr. Michael Rabenschwartz ist ein großgewachsener stattlicher Endvierziger, der mit den hervorragenden Eigenschaften, die von einem Betriebsführenden gefordert werden, sehr wohl ausgestattet ist. Jedenfalls ist er eine Ruhe ausstrahlende, ausgeglichene Persönlichkeit, die so alles im sogenannten Griff zu haben scheint. Er wurde, wie sein Chef Dietwald Rothgleiber, gerademal zwei Monate vor ihm Witwer. Kinder hatte er keine. Die Vereinsamung scheint bei ihm regelrecht vorprogrammiert zu sein.

    Nur mit Schwiegersohn Dr. Reinhard Zingarelli kommt Dr. Michael Rabenschwartz nicht ganz zurande. Die beiden haben offenbar keinen besonders guten Draht zueinander oder besser formuliert, ihre Chemie stimmt nicht überein. Sie können sich, auf einen Nenner gebracht, nicht riechen. Darüber hinaus haben sich mehrfach Interessenkonflikte aufgebaut, die von beiden Seiten mit Eifersucht und Rache zusätzlich noch geschürt worden war.

    Hin und wieder musste sich sogar Elita als beruhigender Pol ins Spiel bringen, wenn es zu Konfrontationen zwischen den beiden Doktoren im Betrieb gekommen war. Meist gelang es ihr auch das streitbare Knäuel zu entwirren und den Tagesablauf, möglicherweise bis zur nächsten Meinungsverschiedenheit, wiederum zu retten.

    Anders war es zwischen der Chefsekretärin Isolde Hofthaler und Dr. Reinhard Zingarelli. Bisher zu mindestens. Sie war eine typisch preußische Befehlsempfängerin, wie man sie tagtäglich aus den billigen Serien-Fernsehsendungen auch kennt. Nach außen hin gab es nie Widersprüche, ganz im Gegenteil. Aber welchen Frust sie oftmals mit nach Hause nehmen musste, das wurde von den Chefleuten ganz bestimmt nicht hinterfragt.

    Isolde Hofthaler ist um einige Jahre jünger als Dr. Michael Rabenschwartz. Sie müsste schon noch gut und gerne zwanzig Jahre auf ihre Pension warten. Ihren unmittelbaren Arbeitgeber Dietwald Rothgleiber schätzte sie aber sehr. Er nahm sich auch Zeit für sie. Nur er versuchte stets, die eine oder andere Unstimmigkeit sofort aus dem Wege zu schaffen. Im Gegensatz zu seinem Schwiegersohn, der mit so einem Talent nicht begütert war.

    Auch Isolde Hofthaler ist es nicht entgangen, dass Dr. Reinhard Zingarelli immerzu, in letzter Zeit immer kräftiger an der Sessellehne seines Schwiegervaters sägt und das bereitete ihr große Sorgen.

    `Lange werde ich diese Launen ohnehin nicht mehr aushalten können`, dachte sie sich schon des Öfteren.

    Und dann Margaritha, die beste Freundin und zugleich die gute Seele von Agnes, wenn man das so sagen darf.

    Margaritha ist so um die sechzig Jahre alt und unverheiratet geblieben. Sie wohnt seit Jahrzehnten immer noch in einer sehr bescheidenen kleinen Wohnung, allerdings inmitten ihrer Stadt Berlin. Über viele Jahre hinweg führte sie als selbstständige Kauffrau, meist mit einer Angestellten, ein kleines Taschengeschäft in der Innenstadt, unweit ihrer Wohnung, im ehemaligen Ostberlin. Nach der Maueröffnung konnte sie ihren Kleinhandel zwar fortsetzen, musste aber bald darauf wegen der hereindrängenden Handelsriesen ihren Einzelhandel aufgeben, sonst hätte ihr die Insolvenz gedroht.

    In dieser schweren Zeit lernte sie auch Agnes Rothgleiber kennen. Agnes verhalf ihr mittels Geschäftsfreunden ihres Mannes zu einem Job. Margaritha konnte endlich in ihrem Metier als Taschenfachfrau wieder Fuß fassen. Seit annähernd fünfzehn Jahre ist sie nun als kompetente Geschäftsführerin in einem Taschenerzeugungsbetrieb tätig.

    Allmählich entstand eine dauerhafte Freundschaft zwischen der kaufmännisch Angestellten Margaritha und der Industriellengattin Agnes.

    Dietwald Rothgleiber führte mit dieser Einladung zum Leichenschmaus ein uraltes Ritual der Familie fort. Seine Absicht war gutgläubig. Er wollte, dass in diesem familiären Rahmen, miteinander gesprochen, gemeinsam gegessen und getrunken wird. Vor allem aber wollte er, dass das Gedenken an die Verstorbene nochmals intensiviert werden sollte.

    Gleichzeitig sollte dieses Zusammensein ihm persönlich auch helfen, einen nachhaltigen Zwischenraum, nämlich zwischen dem traurigen Anlass und dem ganz normalen Tagesablauf, wieder einzubauen. Ob das nun zu seiner Zufriedenheit gelungen ist, dazu könnte sich nur Dietwald Rothgleiber äußern, was er aber gewiss niemals tun würde.

    Im Speisezimmer, das im Parterre gleich neben der Küche und dem Arbeitszimmer angesiedelt war, gab es am Tisch Platz für rund zwanzig Personen. In Gedenken an die Verstorbene stellte Trude einen leeren Sessel neben ihren Mann hin. Ansonsten gab es keine vorbestimmte Sitzordnung.

    Während Trude die selbsterzeugten Gaumenfreuden herangeschleppt und auf dem Tisch platziert hatte, wurden dessen ungeachtet Familiengeschichten, samt einigen lustigen Anekdoten aus den vergangenen Jahren, weiter untereinander ausgebreitet. Von einem Gedenken an die Verstorbene war weit und breit keine Rede mehr.

    Vielleicht dachte Margaritha an Agnes, wer weiß. Margaritha mit ihrem stillen Gemüt war lieber eine Zuhörerin als eine Rednerin. Niemals versuchte sie am Tisch, sich in die Geschichtenerzählenden mit eigenen Worten hineinzudrängen. Sie hatte weder Gesten der Zustimmung noch der Ablehnung gezeigt. Sie blieb außerhalb und zeigte nur ihr emotionsloses Gesicht der trauerfeiernden Tischgesellschaft.

    Max Joachim Fichtlzauber war hingegen so ein Dauerredner und versuchte banale Witze zu schmeißen. Früher, sagte er, sei er ein leidenschaftlicher Fischer gewesen, daher hat er sich so nebenbei seine zauberhafte Brunhilde geangelt. Gelacht hatte niemand.

    Mit seiner Exfrau Anna Maria führte er einen Großgartenbetrieb in Gründlbach, in der Nähe der Stadt Tirschenreuth. Infolge der Scheidung musste zwangsläufig auch die Gärtnerei verkauft und der Barertrag zwischen den scheidenden Eheleuten aufgeteilt werden.

    Ohne Unterbrechung schilderte er innerhalb einer Viertelstunde den Zuhörenden mit in einer geballten Ladung von kurzen aber witzigen Pointen seinen Lebenslauf. Die Kunstfigur Benjamin Blümchen hätte es nicht besser machen können. Den Schwerpunkt seiner Erzählung legte er allerdings auf jene Zeit, wo er Brunhilde näher kennengelernt hatte.

    Kaum hatte er seine Geschichte dargebracht, da fing auch Brunhilde Fichtlzauber, geborene Hörnling, verwitwete Lüdemanns, die am Tisch gegenüber ihrem Mann saß, über ihre rührige Vergangenheit zu erzählen an.

    Brunhilde musste nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes Nicolaas Lüdemanns den Vorstandsvorsitz von Nicolaas Lüdemanns Groobkoorn Cool-Kaas Genossenschaft mit Firmensitz in der Stadt Zuidoost in Holland übernehmen. Rückblickend war das ihrer Meinung nach ein Balanceakt oder besser noch ein Sprung ins kalte Wasser. Aber sie schaffte das auch. Sie war auch die Alleinerbin eines großzügigen Einfamilienhauses in Zuidoost sowie eines Ferienhauses im Salzburger Land. Die respektable elterliche Wohnung in Berlin gehört ebenfalls zu ihren Besitztümern.

    Und hier versuchte Max Joachim Fichtlzauber wiederum einen Anschluss zu seinem vorhergehenden Ausführungen zu finden. Weil in dieser Wohnung haben sie sich beide noch heimlich getroffen, was dann auch nicht ohne Folgen geblieben ist.

    Er zeigte mit einem Lächeln stolz auf den gewölbten Bauch seiner Frau.

    Ja, ganz bestimmt habe er noch Kontakt zu seiner Exfrau. Sie wohnt ja quasi direkt in der Nähe vom Ferienhaus seiner Brunhilde. Eigentlich sind sie sogar Nachbarn. In Wirklichkeit wollte das Ehepaar Max Joachim und Brunhilde Fichtlzauber das Objekt rasch verkaufen. Es gab aber seitens der Dorfgemeinde kleinere Hürden zu bezwingen, die aber gewiss mit der Zeit besiegt werden.

    Oftmals geistern einen, unter Umständen nicht ganz Unbeholfenen, schon skurrile Gedanken auf der Überholspur entgegen. Dabei wäre es an sich so einfach …

    Dietwald Rothgleiber dachte im Moment in quadratischen Formen mit allen Ecken und Kanten und verwandelte diese, soweit sein Denkvermögen ausreichte, in eine zusammenhängende Parabel.

    „Ja mein lieber Max Joachim! Gibt es in diesem Wunderland, wie du es gerade ausgedrückt hattest, auch einen Jagdbesitzer oder einen Jagdpächter?"

    „Eine? Eine Jagd mein Lieber wird wahrscheinlich zu wenig sein. Soweit ich Kenntnis davon habe, gibt es in dieser Region, die übrigens Oberpinzgau heißt, warum weiß ich auch nicht, eine Vielzahl von Jagden. Einen der Jäger mit den Namen Sepp oder so ähnlich, kenne ich persönlich schon sehr gut. Wir haben uns des Öfteren schon im Caféhaus in Neukirchen getroffen und über die Jägerei und Gartenbau, dass ja eine gewisse Ähnlichkeit aufweist, unsere beider Erfahrungen ausgetauscht."

    Dietwald Rothgleiber hat natürlich mit dieser Frage ganz andere gedankliche Eingebungen weiter skizzieren wollen. Aber diesen steinigen Untergrund, der seine Gedanken zum Abschweifen zwang, wollte er am Beerdigungstag seiner geliebten Frau nicht betreten. Noch nicht!

    Seine schwangere Tochter Elita, die drei Stühle von ihrem Vater entfernt saß, bekam auch Bruchteile dieser Diskussion zwischen den beiden Männern mit.

    Sie kannte ihren Vater gut und dachte gewiss an nichts Böses. Nur eine zweite Jagd kaufen, das ginge nun wohl wirklich nicht. Sie war schon seit dem Tage ihrer Heirat darauf fixiert, die Rothgleiber Gewerke in absehbarer Zeit selbst mit ihrem Mann führen zu können. Und da würden außerordentliche finanzielle Belastungen, wenn sie auch aus der Familie kommen, eine zu große Hürde bedeuten. Das wollte sie auf keinen Fall. Die Idee ihres Vaters musste sie im Keim ersticken. Aber nicht heute.

    Die Finanzen der Rothgleiber Gewerke, die spätestens in einem Jahr in Firma Zingarelli & Co umbenannt werden würden, kämen mit Bestimmtheit in arge Bedrängnis.

    Da werde sie kräftig, mit Unterstützung ihres Mannes, zurückrudern müssen.

    Das hatte ja noch Zeit. Vielleicht waren es auch nur Flausen im Kopf eines trauernden Ehemannes. Wer weiß das schon. Somit waren ihre Gedanken wieder bei Brunhilde und dem Leichenschmaus.

    Die Rothgleiber-Gewerke, die in Berlin Tempelhof, auf einem großzügig angelegten Industriegrundstück angesiedelt sind, beschäftigten in Zeiten der Hochkonjektur zwischen drei- und vierhundert Arbeitskräfte. Die Arbeitsaufträge kamen aus der ganzen Welt herein. So konnte man unter einem Dach ganz bestimmte Produkte herstellen, wo man sonst mehrere Betriebe in Anspruch hätte nehmen müssen. Das sparte jedenfalls den Kunden Zeit und Geld sowie der Rothgleiber-Gewerke eine beachtliche Umsatzmaximierung.

    Zu der handwerksbetrieblichen Abteilung gehörte über Jahre hinweg eine Gießerei, eine Seilerei sowie eine Bautischlerei, die sich zusammen im Wesentlichen für den Schiffsausbau spezialisiert hatten.

    Was wäre ein Unternehmen in dieser Größe ohne eine kaufmännische Abteilung. Diese ist im Betriebsgelände in einem eigens dafür geschaffenen mehrgeschossigen Gebäude untergebracht. Dort sind, seit es die computerunterstützte Datenverarbeitung gibt, zwischen fünfundzwanzig und dreißig, vorwiegend Frauen beschäftigt. In den früheren Zeiten waren es schier doppelt so viele Menschen, die einem sachbearbeitenden Büroarbeitsplatz bekleideten und mit Karteikarten herumfuchteln mussten. Das hatte Gott sei es gedankt aufgehört. In knapp acht Monaten wurden sämtliche Karteikarten in die EDV eingearbeitet. Erst jetzt waren Suchanfragen innerhalb von Sekunden erfolgreich. Früher hätte das mit hoher Wahrscheinlichkeit einen halben Tag, wenn nicht länger in Anspruch genommen.

    Selbstverständlich wurden auch Jahr für Jahr Lehrlinge in den verschiedensten Sparten ausgebildet. Die Besten davon wurden im Betrieb behalten und sukzessive mit dem natürlichen Abgang ersetzt.

    Sämtliche Bauwerke der Rothgleiber-Gewerke waren typische Ziegelbauten aus dem 19. Jahrhundert. Daran wurde kaum etwas verändert. Unter Denkmalschutz wurden sie aber auch nicht gestellt. Dafür war die Substanz nicht besonders erhaltungswürdig. Vor rund zwanzig Jahren wurden lediglich die Fenster vom Bürohaus gegen Doppelverbundgläser ausgetauscht. Aber sonst hat sich in den letzten fünfzig Jahren an der Zweckmäßigkeit oder gar an Zierden im Außenbereich nichts getan.

    Dietwald und Agnes Rothgleiber waren von Anfang an die alleinigen Besitzer dieses Beinahe-Imperiums. Ganz die Wahrheit ist es auch nicht, weil die Eltern von Dietwald und Agnes hatten die Betriebe gegründet, und zwar: Die Gießerei hieß damals Hörnling-Guss und am Nachbargrundstück stand daneben Rothgleiber`s Seilerei.

    Wenige Monate nach der Verehelichung zwischen Dietwald und Agnes wurden die Betriebszweige fusioniert und mit der bereits erwähnten großen Bautischlerei ergänzt. Daraufhin entstand auch der neue Firmenname nämlich die Rothgleiber-Gewerke.

    Anfangs des 20. Jahrhunderts benötigte die Seilerei hauptsächlich Faserpflanzen und im speziellen Flachs, Hanf und Sisal. Die Materialien wurden aus ganz Europa zugekauft. Einige Jahrzehnte später wurden auch Kunstfasern beigemengt und die daraus erzeugten Seile waren wesentlich witterungsbeständiger. Jedenfalls gab und gibt es bis heute von seitens der Schifffahrt großes Kaufinteresse. Auch die sogenannten Taufallen oder Ankertaue wurden in dieser Seilerei hergestellt. Lediglich die Erzeugung von Stahlseilen stand nicht auf der Produktionstabelle. Dafür gab es andere Betriebe in Berlin.

    Ganz ähnlich entwickelte sich mit der Zeit die Sparte Gießerei zu einem Vorzeigebetrieb. Hier wurden alle möglichen Gebrauchsgegenstände, die für gewerbliche Betriebe aber auch für private Haushalte sehr wertvoll waren, erzeugt. Zugleich wurde von der Firmenleitung die Verflechtungen von Aufträgen zwischen der Seilerei und der Gießerei, später dann auch mit der Großbautischlerei bewusst angestrebt. So entstand eine langsam, aber gesund wachsende breite Palette der Machbarkeit innerhalb der Rothgleiber-Gewerke.

    Aber das war einmal!

    Knapp ein Jahr nach dem Tod seiner Frau Agnes gab Dietwald Rothgleiber den Vorstandsvorsitz zu gleichen Teilen an seinen Schwiegersohn und an seine Tochter ab.

    Dietwald Rothgleiber blieb zwar als einfaches Vorstandsmitglied dem Betrieb mehr oder weniger als beratende graue Eminenz erhalten, aber er zog sich immer mehr aus der Verantwortung zurück.

    Großvater Dietwald Rothgleiber, nun allein lebender Witwer, hat sich im ehemaligen Personalhaus, das seinerzeit gut einen oder zwei Steinwürfe von der Herrschaftsvilla am Rande der Umzäunung entfernt war, häuslich eingerichtet. Seit Jahren stand dieses Gebäude die meiste Zeit leer. So blieb er jedenfalls, zur Freude seiner Tochter, wenn er sich nicht gerade im Berchtesgadener Land aufhielt, im Nahbereich seines Enkels.

    Benjamin war für den inzwischen ergrauten Opa Freude und Aufmunterung zugleich. Opa Dietwald unternahm in seiner freien Zeit, wenn der Bub nicht in den Kartengarten gehen musste, kleine Streifzüge durch die Stadt. Für Klein-Benjamin war das Herumtollen mit seinem Opa immer ein großer Spaß. Noch vielmehr Vergnügen bereiteten beide das Herumklettern im Jagdrevier. Streifzüge durch den Wald, Wassertrinken am Bach und vieles andere mehr waren Erlebnisse für den Kleinen.

    Eine kurze Rückblende in die Zeit, wo er noch Oberhaupt der Rothgleiber´s Gewerke war, muss an dieser Stelle noch gestattet werden. Dietwald Rothgleiber war zeit seines Lebens immer ein ausgefuchster Geschäftsmann. Er ließ zwar die anderen Partner leben, sein Hemd aber war ihm stets näher.

    Und so kam es bei einem Vieraugengespräch zu einem Pakt. Nicht zwischen dem Teufel oder der Hölle, nein das gerade nicht. Aber heiß war er allemal, der Pakt.

    Dietwald Rothgleiber traf mit dem führenden Versicherungsmanager Dr. Ernest Knöttere, der sprichwörtlich auf höchster Ebene, nämlich im siebenundzwanzigsten Stockwerk des Wolkenkratzers im Vorstand des riesigen Unternehmens schaltete und waltete, eine epochemachende Vereinbarung.

    Diese erfolgte just zu der Zeit, wo Dietwald Rothgleiber die mehrere Hektar große Jagd im Berchtesgadener samt Jagdhütte gepachtet hatte. Eine Hand wäscht die andere. So dürfte auch in dieser Angelegenheit der Grundsatz in Anspruch genommen worden sein.

    Der Versicherungsmanager Dr. Ernest Knöttere verdiente mit dem großzügig abgeschossenen Paket zwischen der Firma Rothgleiber-Gewerke und später dann mit Zingarelli & Co so viel, dass er dieser höllischen Vereinbarung schließlich zustimmte. In Wirklichkeit verdiente natürlich nicht nur er persönlich daran, sondern das Unternehmen. Aber Dr. Ernest Knöttere war nicht gerade unbescheiden. Er zog schon seine prozentuellen Vorteile daraus.

    Dietwald Rothgleiber verlangte von der Versicherungsgesellschaft, respektive von Dr. Ernest Knöttere, dass seine Jagdhütte nur von einer Scheinprämie belastet werden sollte. Im Schadensfalle würde aber eine gänzliche Abdeckung von der Versicherung zu leisten sein. Im Gegenzug würde er ihn, nämlich den Versicherungsmann, zumindest einmal im Jahr bei der Hirschbrunft, als gern gesehenen Jagdgast einladen.

    Dietwald Rothgleiber kannte diesen Herrn Dr. Ernest Knöttere schon einige Jahre. Geschäfte mit ihm zu machen ist die eine Seite, aber persönliche Abmachungen zu treffen, das ist ganz was anderes. Er ist ein durchtriebener Knauserer. Daher wandte Dietwald Rothgleiber bei ihm auch das Prinzip `mit Speck fängt man Mäuse` an. Und tatsächlich so funktionierte das auch.

    Aber ganz so einfach war das auch wieder nicht.

    Es mussten schriftliche Unterlagen für eventuelle Ereignisse vorbereitet werden. Und so kam es, wie es kommen musste. Der Vertrag wurde auf unbefristete Zeit ausgefertigt, eine hohe Versicherungssumme für den Schadensfall eingetragen und eine sehr niedrig gehaltene Pseudoprämie benannt, die auch Dietwald Rothgleiber niemals bezahlt hatte.

    Im Zuge der notariellen Übergabe von Dietwald Rothgleiber an seine Tochter und seinen Schwiegersohn wurde von den neuen Inhabern auch der Firmenname samt Logo abgeändert.

    Das alles war schon irgendwie traurig für den Senior. Aber er erinnerte sich, wie es damals gewesen sein musste, als er und seine Frau die Firma gegründet beziehungsweise die Zusammenlegung vereinbart hatten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit brachen einst bei den Eltern von Agnes und Dietwald ebenso emotionale Regungen hervor.

    Sei es, wie es sei!

    Ab diesem Zeitpunkt hieß die Firma nun Zingarelli & Co. Die Vereinbarungen mit der Versicherung, insbesondere jene, die mit dem Seniorchef abgeschlossen worden und vorwiegend mit dem Jagdhaus in Berchtesgaden verbunden waren, wurden dabei nicht angetastet und eins zu eins so auch übernommen. Lediglich die unvermeidlichen Indexanpassungen erhöhten naturgemäß alle paar Jahre die Prämien für die Firma.

    Dr. Reinhard Zingarelli und seine Frau Elita hatten zwar nicht die Absicht an dem äußeren Erscheinungsbild der nunmehrigen Firma Zingarelli

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1