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Die Mondesserin: Splitterroman
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Ebook117 pages1 hour

Die Mondesserin: Splitterroman

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Dystopisch. Unromantisch. Postmodern. Fast ein Roman. Splitter.



"Lass ihn."
"Aber er bewegt sich noch."
"Lass ihn, der ist hin."



Die Mondesserin. Macht ist das Einzige, was Bestand hat. Gewalt, die einzige Manifestation der Existenz. Liebe ist die Illusion von der Abwesenheit von Macht.



Ein Mädchen wuchs heran, das war gezeugt aus dem blauen Strahl der Nachtsonne. Sie spielte mit neunundvierzig Vögeln in neunundvierzig Farben und sie ließ sie singen auf der besonnten Seite des Mondes und ihre Gewänder waren nicht weiß.
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateNov 6, 2017
ISBN9783742770646
Die Mondesserin: Splitterroman

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    Die Mondesserin - Thomas Barkhausen

    Am Mond

    Am Mond schliefst du,

    An seiner dunklen Seite,

    Geschmiegt in deine Spur,

    So fand ich dich.

    So fand ich dich,

    Mit tauben Fingern sprachst

    Du zu meinem Mund:

    Schweig.

    So fand ich dich,

    Ich schwieg und deckte

    Mit meiner Haut dich zu,

    Du frorst in deiner Spur.

    Widmung

    Für meinen Bruder

    Der blaue Prinz

    Und eines Tags in der Ewigkeit, da stieg das blaue Mädchen ins tiefste Dunkel und fand die Schatulle mit dem Knochen des zweiten Vaters und öffnete sie, und er ward Staub geworden, der Knochen, und ohne zu wissen warum, weinte das Mädchen eine Träne mit einem blauen Splitter darin in den Staub des Knochens und weinte Träne um Träne um den zweiten Vater und löste so auf den Staub des Knochens in ihrer Trauer, löste ihn auf in ihren Tränen und nahm den staubigen Brei und formte aus ihm den blauen Prinzen und hielt ihn versteckt in ihrem Zelt und spielte mit ihm und den neunundvierzig Vögeln auf der besonnten Seite des Mondes und ward die Freibeuterin genannt von sich selbst in ihren Träumen, in ihrer Bläue mit dem Prinzen, bis die Priesterinnen ihn fanden und ihn nahmen und ihn legten auf den Stein und ein Tuch breiteten über ihn von weißestem Weiß.

    Da starben die Vögel, starben und die Priesterinnen brieten sie und aßen sie und sie salbten die Freibeuterin, salbten sie und weihten zu einer der ihren sie und kleideten sie in weißestes Tuch.

    Der Kellner

    Der Kellner schob den Stuhl zu den anderen. Gisèle lachte, ich sah sie an. Der Kellner stapelte die Stühle übereinander, beim dritten hielt er inne, wie er es immer tat und blickte hinüber zur Leuchtreklame der »Bar Tabak«, die zu flattern begann sechs-, sieben-, achtmal, um sich dann doch wieder dafür zu entscheiden zu leuchten. Gisèle ließ ihr Lachen verebben, irgendwo weiter vorn die Straße hinab beim Polizisten, der den Verkehr regelte mit eleganter Müdigkeit. Der Kellner blickte nicht herüber zu uns. Sein Augenlid begann auf und abzuspringen, und er rieb sich den Knöchel hinein. Früher scherzte Gisèle, er habe ein Zucken im Auge. Früher stritten wir, ob das Zucken im oder am Auge war. Früher stritten wir gern. Der Kellner sah hinüber zu seiner Schwester, der Leuchtreklame. Irgendwann fand Gisèle einen vulgären Ausdruck für das Zucken im Auge des Kellners, und was er damit tat.

    Sie hatte Phasen anmutiger Obszönität damals. Ich sah auf ihre Lippe, die leicht bebte, das Rouge des Lippenstifts kaschierte die dünne Blässe, für den eiligen Betrachter. Sie trug keine Sonnenbrille. Gisèle war klug, sie trug eine schmale, silbrige Lesebrille, die das Schwarz um ihre Augen dämpfte.

    Ich sah sie mit dem Tropfen Rotwein an der Unterlippe in einer der Bars im Quartier, die länger aufhielten des Nachts als erlaubt war. Damals waren ihren Lippen sehr rot, und ich konnte nicht entscheiden, welche Röte mich mehr gefangen nahm. Der Wein und ihre Lippen, sie schienen füreinander gemacht.

    Als wir schließlich aufstanden, hakte Giselle sich bei mir unter, wie sie es immer tat. Sie zitterte leicht, und die Schwärze um ihre Augen schien auf ihre Wangen herab zu wachsen. Gisèle war die einzige Frau, die sich bei einem Mann unterhaken konnte, ohne sich zu verlieren, selbst wenn sie ihren Kopf an meine Schulter legte, war sie leicht. Sie schritt neben mir. Sie kroch nie in einen hinein. Gisèle ging nie, sie schritt, ohne dass es dieses demonstrierende Schreiten der Unsicheren war. Gisèle schritt aus sich heraus.

    Wir kamen die leicht herabfallende Gasse zum Markt herunter. Gisèle hatte aufgehört zu zittern. Sie sprach nie, wenn sie sich untergehakt hatte. Gisèle steuerte nie, und je weiter wir in die Menge eintauchten, desto mehr wurden wir ein Schiff. Ein steuerloses Schiff, das doch seinen Weg fand, den es noch nicht wusste.

    Giselas Schreiten erhob jeden Mann. Wie von selbst teilten sich vor uns die Gruppen, schmutzige Kinder plätscherten um unseren Bug, um unser Heck, sahen zu uns herauf, denn Gisèle war auch jetzt sehr schön, sehr blass, sehr rot. Wir glitten über den Markt, ein blasses Schiff ihrer Lippen.

    Als wir zum Ende des Marktes kamen, hielten wir inne, ich sah sie an, hinter ihrer Brille fraß sich das Schwarz ihrer Augen langsam zur Stirn hinauf. Sie lachte, sie hakte sich wieder unter, und wir stiegen den gewundenen Weg zur Seine hinab.

    Das ist, was ich von Gisèle erinnere.

    Stilfrage

    »Lass ihn.«

    »Aber er bewegt sich noch.«

    »Lass ihn, der ist hin.«

    »Aber... sieh doch wie sein Schuh übern Boden kratzt.«

    »Lass ihm seinen Tod.«

    Der Jüngere grunzte.

    »Oder willst ihm vielleicht noch eine Kugel durch den Kopf jagen?«

    »Warum nicht? Er bewegt sich noch.«

    »Warts ab! Setz dich!« Der Mann mit der fahlen Raucherhaut schnipste sich eine Zigarette aus dem weiß-roten Soft pack zwischen die Lippen. »Lass ihm seinen Tod, ist alles, was er noch hat.«

    Der Mann am Boden hörte auf mit der Schuhkante über das Linoleum zu kratzen.

    »Dauert nicht mehr lang«, sagte der Ältere, er stieß den Rauch aus, er sah auf den Mann am Boden. »Siehst jetzt schaut er nur noch. So isst bei allen.«

    »Wir müssen los!« sagte der Junge.

    »Warts ab! Wir sind nicht im Kino. Hetz nicht! Ihr jungen Leute hetzt und hetzt, hetzt durchs Leben, hetzt von einem Kick zum andern, hetzt und hetzt und dann Issens vorbei. Grad so wie bei ihm hier. Siehst dir lieber genau an.«

    Der Junge grunzte. Das war sein Lieblingsgeräusch.

    »Siehst, jetzt schaut er nur. Möchte wissen, was er denkt?«

    »Is mir egal! Ich will nur los.«

    »Siehste wie das Gesicht spitz wird. Kann eigentlich gar nicht sein in so kurzer Zeit, aber siehst du, wie es spitz wird das Kinn, die Nase, das ganze Gesicht, als wenn ihm einer das Leben rausmeißelt, Span um Span.«

    »Ich hab um acht nen Date!«

    »Hübsch?«

    »Ich mag sie.«

    »Was Ernstes?«

    »Weißt du, ich bin jetzt zweiundzwanzig. All dies Rumgemache macht mich leer. Ich mag sie.«

    »Ist sie nett?«

    »Ja. Wir gehen heut zu ihren Eltern, da kann ich nicht zu spät kommen.«

    »Also, was Ernstes.«

    »Ja.«

    Der Raucher ließ die Kippe aus seinen Fingern zu Boden gleiten und drückte sie mit der Schuhsohle aus.

    »Wie lange dauert‘s denn noch? Ich muss mich noch umziehn und Blumen kaufen.«

    »Weiß man nie, kann aber nicht mehr lange sein. Willst einen guten Eindruck machen, heute Abend, was?«

    »Hab doch gesagt, ich

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