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Die Balken biegen sich doch nicht: Erlebnisse in und um Kneipen in aller Welt
Die Balken biegen sich doch nicht: Erlebnisse in und um Kneipen in aller Welt
Die Balken biegen sich doch nicht: Erlebnisse in und um Kneipen in aller Welt
Ebook383 pages5 hours

Die Balken biegen sich doch nicht: Erlebnisse in und um Kneipen in aller Welt

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About this ebook

Es ist schon erstaunlich, welche Begriffe der gesellige Mensch schon in der Geschichte alles für die herkömmliche Kneipe kreierte. Von abfälligen Bemerkungen der Nicht-Kneipengänger bis zur, ja man kann schon sagen, Huldigung dieser Einrichtung mit Tresen. Hier treffen und trafen sich einsame Menschen auf Gespräche und das Verständnis der Wirte hoffend.
In diesem Buch mit 15 Geschichten in und um Kneipen geht es mal besonnen, mal heiter und auch mal härter zu.
Hier wurden und werden Geschichten am Tresen erzählt, so dass man meinen könnte, die Balken an der Decke müssten sich biegen. Sie tun es aber nicht, sie müssen schließlich den Laden zusammen halten.
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateDec 8, 2015
ISBN9783738050998
Die Balken biegen sich doch nicht: Erlebnisse in und um Kneipen in aller Welt

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    Book preview

    Die Balken biegen sich doch nicht - Günther Seiler

    Geschichte 1

    Die Balken biegen sich doch nicht.

    Erlebnisse in und um Kneipen in aller Welt

    Kaschemme – Hort der Gemütlichkeit?

    Der Ausdruck Kneipe ist eine Abkürzung des Begriffes ‚Kneipschenke‘, ein Hort des Ausschankes von geistigen und nicht-geistigen, sprich heute neudeutsch, von alkoholfreien Getränken. Hier treffen sich Menschen, um nach Feierabend ein Bier unter Kneipenbrüdern zu trinken, zu knobeln, Klatsch und Tratsch auszutauschen. Männer tratschen natürlich nicht, sie interessieren sich nur so ganz nebenbei für die Neuigkeiten in Dorf oder Stadt. So ein Kneipenbesuch war vor allem früher von besonderem Interesse, wenn sie nach harter Arbeit, z.B. aus dem Bergwerk gekommen oder den ganzen Tag hinter einem schwitzenden Gaul her gelaufen waren, um das Feld zu bestellen. So konnte der Durst gelöscht und die Wissbegierde befriedigt werden.

    Ihre Frauen hatten ja schon eine Version des Klatsches morgens auf dem Markt erfahren. Natürlich tratschen und klatschen Männer genau wie alle Menschen, keine Frage, sie sind sogar oft neugieriger als die Frauen daheim. Soziologen würden es vielleicht vermutlich so formulieren: Kneipen sind ein gesellschaftliches Ventil im Auf und Ab der menschlichen Beziehungen, damit wir auch von anderen Menschen Meinungen und Reaktionen im zwischenmenschlichen Kontext als Feedback um die Ohren geschlagen bekommen. Das letzte war nicht mehr wissenschaftlich, sondern schon Kneipenjargon. Denn in Kneipen geht es oft deftig bis rustikal zu, man fackelt nicht lange, sondern sagt unverblümt seine Meinung. Es geht auch schon mal etwas zu Bruch, da können Wirte viele Strophen von Liedern singen und zwar im Massenchor der Wirtsleute und das weltweit. Die Kneipen haben eine lange Geschichte, denn der Mensch ist beim Trinken geistreicher, pardon, geistiger Getränke nicht gerne alleine. Es kommt einfach keine Stimmung auf, auch wenn es Kneipen gab und immer geben wird, in denen man mit dem Wirt alleine an der Theke sitzt. Der Wirt aber läuft immer wieder geschäftig in die Küche, weil er wohl mit dem einsamen Gast am Tresen nichts anfangen kann oder will. Dann kommt spätestens jetzt für den Gast der Augenblick, wo er trübsinnig in sein Glas starrt und sich fragt, warum er eigentlich nicht nach Hause gegangen ist, statt hier in das Getränk zu starren, als würde auf dem Grund des Glases ein fiktiver Gesprächspartner zu entdecken sein. Das nennt man einen Wechsel der Einsamkeit, zwischen dem leeren Zuhause und dem leeren Tresen in der Kneipe. Es kommt zwar auch vor, man kann es erleben, dass man an einem voll mit Gästen bestückten Tresen sitzt und mit keinem Gast ins Gespräch kommt. So etwas passiert aber nur im oberen Zipfel von Schleswig-Holstein an der dänischen Grenze. Nein, die Kneipe liegt noch in Deutschland, in Dänemark hätte man ja für die erlittene Sprachlosigkeit einen Grund - der dänischen Sprache war man nicht mächtig. Sozusagen sprachlos in der Masse! Dieses Phänomen sollten auch einmal die Soziologen untersuchen.

    Die Kneipe als Hort der Geselligkeit in der Stadt hat aber auch besonders auf dem Lande mit dem großen Saal eine weitere Funktion. Hier trifft man sich nicht nur, sondern feiert alle möglichen Feste. Von der Weihnachtsfeier, der Geburtstagsfeier, der Verlobungsfeier und der Hochzeitsfeier bis zur Beerdigung, alles kommt in dem Saal vor. Die Taufen der Kinder werden ausgiebig begossen, die Konfirmation, die Silberhochzeit, die goldene Hochzeit und wenn man es schafft, die Gnadenhochzeit und das, was dann zwangsläufig im Rad der Weltgeschichte kommen muss. Die Beerdigung mit Leichenschmaus und dem feucht fröhlichen anschließenden Gelage rund um den lieben verblichenen Menschen mit folgendem alkoholbedingten lauten Lachen, ist für den Betreffenden die letzte Feier auf der schönen Erde. Es ist unter den genannten vielen Feiern die einzige, wo die Hauptperson sozusagen nur fiktiv mit am Tresen anwesend ist. Die Dorfkneipe mit Saal ist schon etwas besonderes. Meist ist der Saal im Winter zu kalt und erst nach dem innerlichen Einheizen beim Danz op de Deel werden die Köpfe rot und die vorher schon schlecht sitzende und viel zu enge Krawatte gelöst und der rot gescheuerte Hals von dem ungewohnten Hemdkragen erlöst. Wer das nicht erlebt hat, weiß nicht, wie unangenehm ein wund gescheuerter Hals sein kann. Der oberste Knopf am Hemdkragen leistet Höchstarbeit und es ist ein Wunder, dass bei offiziellen Essen, wo die Männer alle brav das Jackett anhaben müssen und der Hals in dieser Enge durchhalten muss, der zu dicke Hals nicht die Knöpfe wie Geschosse über den Tellerrand abfeuert, wenn gesprochen oder Luft geholt wird. Mit der Länge der Reden wächst proportional die Gefahr eines Knopfabschusses nicht aus der Hüfte, sondern vom Hals her und damit ist man eine latente Gefahr für sein Gegenüber. Die andere Gefahr spielt sich tatsächlich mehr in der Hüfte ab, gemeint ist der eingeengte Bauch. Hier spielen sich im Verborgenen wahre Dramen der Quetschung mit allen Folgen ab. Ein verschämtes Lockern des Gürtels bringt hier zwar eine erste Linderung, sozusagen Rettung des schon gepeinigten Magens aus aller höchster Not, der schon im Inneren mit den Schnäpsen und dem zu fetten Essen zu kämpfen hat. Ein quasi luftgepolsterter Darm kann schon arg lästig sein, wenn man keine ungestörte und unhörbare Abhilfe schaffen kann. Der Magen empfindet dies als böse Einmischung in die inneren und äußeren Angelegenheiten eines souverän arbeitenden Organs des Körpers.

    Die Kneipe hat, wie dargelegt, eine lange Geschichte. Es wurde schon im 14. Jahrhundert die berüchtigte Polizeistunde eingeführt und die Bezeichnungen für die Kneipe sind vielfältig. Sie wurden und werden abwertend als Spelunke, Pinte, Kaschemme, Schnapsbude oder Trinkhalle für wahrlich arme Schlucker oder Biertempel bezeichnet. Etwas besser sind die Bezeichnungen: Krug, Wirtshaus, Taverne, Wirtschaft, Schank- oder Gastwirtschaft, Schenke, Eckkneipe oder Wohnzimmerkneipe. Immer wenn Meldungen im Fernsehen oder in der Zeitung aus der „Wirtschaft" kommen, muss man als Kneipengänger zuerst unwillkürlich an seine Kneipe denken. Natürlich war und ist die Kneipe auch ein Hort des Sündenpfuhls, eine Schmiede von dunklen Plänen und vor allem eine Stätte, wo Alkohol genossen und zu viel über den sogenannten Durst getrunken wird, was der Gesundheit nicht dienlich ist. Aber hier kann oder darf man Alkohol konsumieren, ohne dass einer mit erhobenem Finger auf denjenigen Konsumenten zeigt. Jeder ist für sich letztlich selber verantwortlich und was können die Räumlichkeiten einer Kneipe dafür, wenn dunkle Gesellen etwas im Schilde führen? Zum Glück ist das nicht die Mehrheit, sondern die meisten wollen fröhlich sein und Spaß haben. Doch das Leben vor der Kneipentür holt einen schon wieder ein, wenn man die Tür des Hortes der schlechten und, früher als man noch rauchen durfte, mit Zigaretten geschwängerten Luft, hinter sich schließt, das Lachen und Gejohle nicht mehr hört und schließlich in seinem öden Zuhause alleine sitzt oder wenn die eigene schlecht gelaunte Ehefrau einem die Leviten nach dem Kneipengang, leider oft zu Recht, liest. In der heutigen Zeit sieht man zum Glück immer mehr Frauen in Lokalen und in Kneipen. Sie kommen lieber in einer Gruppe mit anderen Frauen, um sich ungestört unterhalten zu können Und das ist gut so. So fühlen sie sich sicherer. Männer, lasst sie sich dort in Ruhe unterhalten, sonst verscheucht ihr sie wieder.

    Geschichte 2

    Heringskopp in Lüneburg

    Lüneburg, die niedersächsische Stadt mit knapp dreiundsiebzigtausend Einwohnern ist eine alte Hansestadt an der Ilmenau und liegt in der Nähe von Hamburg in der schönen Lüneburger Heide. Lüneburg ist, was nicht ganz so bekannt ist, eine Universitätsstadt. Siebentausend Studenten leben und studieren in Lüneburg und das ist ein ganz schönes Potenzial für die Kneipenlandschaft in dieser Stadt. Kulinarisch betrachtet ist hier der leckere und beliebte Heidschnuckenbraten zuhause. Labskaus und Stint sind weitere wahre Leckereien in den Lokalen. Vor allem das erst genannte ist eine Köstlichkeit für Seeleute, ebenso der Skipperlabskaus mit Rind- und Schweinefleisch. Lüneburg beherbergt eine große Anzahl von Kneipen und wird nur noch in der Kategorie Kneipendichte, man höre und staune, von Madrid in Spanien übertrumpft. Wohlgemerkt ist hier von der europäischen Kneipendichte die Rede.

    Die Kneipe ‚Heringskopp‘, also ‚Heringskopf‘ auf hochdeutsch, in Lüneburg in der Nähe des Hafens befand sich im Hagedorner Bruch und war eine typische Eckkneipe. Zur einen Seite konnte man, wenn man frische Luft brauchte, den Hafen sehen und zur anderen Seite blickte man auf das weiter weg gelegene Industriegelände. Hier befand sich eine Sand- und Kiesanlage zum automatischen Befüllen von diversen unterschiedlichen Sandkörnungen, alles was die Autobahnbauer so brauchten, um unsere Autobahnen und Nebenstraßen auf Vordermann zu halten und zu bringen. Der Bauschotter wurde hier in einer großen Anlage gecrackt und als kleiner Schotter für den Straßenunterbau benutzt. In der Nähe der Kneipe lagen große mehrstöckige Wohnblocks für unzähligen Menschen. Die Anlagen wurden von der Stadt gepflegt und die Stadtgärtner waren tagaus und tagein mit dem riesigen Areal vollauf beschäftigt.

    Die Fischbüchsenfabrik Bruns verarbeitete seit hundert Jahren die Heringe und Heringshappen in Büchsen und verkaufte diese mit dem unveränderten Logo auf den Büchsen in aller Welt. Die Firma Bruns war ebenfalls wie das Kieswerk im Einzugsbereich der Kneipe Heringskopp ansässig. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Firma Bruns hatte die Idee mit der Kneipe, wählte einen griffigen Namen, damit er den Kontakt zur Fischverarbeitung nicht verlöre und investierte sein ganzes Geld in diese Kneipe. Bis heute gibt es hier etwas Leckeres zu essen und zwar die frischen Heringsbrötchen. An der Theke hängt eine kleine windschiefe Tafel von zwei Ketten gehalten, mit der Aufschrift: Frische Heringsbrötchen. Zusatz: Bitte beim Wirt anfragen, ob die Heringe auch wirklich frisch sind. Schon mancher Gast, der am Tresen gelangweilt in die Runde blickte, wunderte und fragte sich, wen sollte man denn außer dem Wirt hier in der Kneipe fragen? Es wagten auch Gäste den Wirt auf den Zusatz anzusprechen, der sagte aber immer: „Diese Frage hat einen sooo einen langen Bart, dabei fasste er auf den nicht vorhandenen langen Bart an seinem Kinn und die Sache war erledigt. Die Gäste am Tresen kannten den verblüfften Blick des neuen Gastes und klärten ihn auf, dass es sich bei der Frage zur Frische des Herings um einen reinen Spaß des Wirtes handelte. Er wurde aber trotzdem immer wieder gefragt: „Ob der Hering auch wirklich ganz frisch sei? Zu Anfang hatte er noch immer freundlich geantwortet: „Ja natürlich, was denken Sie denn, ich verkaufe doch keine alte Ware." Dann hatte er irgendwann keine Lust mehr zu antworten. Der Wirt war eben kauzig und auch launisch. Die weitere Einrichtung der Kneipe war eher bescheiden und einfach, aber gemütlich und sauber. Das Publikum waren Arbeiter aus dem Kieswerk und der Fischfabrik, die man diese leicht aufgrund des Geruches am Tresen unterscheiden konnte. Keiner käme auf die Idee, nach der Arbeit nach Hause zu gehen, um geduscht und neu angezogen in die Kneipe zu kommen. Also kam man in seiner Arbeitskluft an den Tresen. Entweder mit grauem Kiesstaub im Gesicht oder mit Fischgeruch am Körper, es war sowieso egal, denn dort wurde geraucht und nach einiger Zeit gewöhnte sich auch eine fremde Nase an die Gerüche in der Kneipe.

    Lüneburg ist, wie bereits gesagt, schon lange eine Universitätsstadt. Die Studenten zahlen für ihre Bude nicht so viel wie in Berlin oder Hamburg und man braucht hier in der Stadt kein Auto. Man kann alles zu Fuß oder wenn man etwas weiter weg muss, leicht die Fahrten mit dem Fahrrad erledigen. Auch schlägt die Großstadthektik nicht so voll durch, man ist hier insgesamt gelassener. Hamburg ist ja schließlich ein Vorort von Lüneburg. Bremen und Hannover sind weit weg. Die Hochschullehrer wollen ja auch mal gerne auf den Swutsch, also mal ausgehen, und dort, wo ganzjährig die Touristen sind, will man sich ja auch nicht unbedingt an den Tresen zwängen. Hier würde man auch von seinen Studenten zu oft angesprochen. Man sucht sich schließlich eine Ecke aus, die nicht jeder kennt, und das war hier in dieser Kneipe der Fall. Natürlich und das war auch gut für den Umsatz, verirrten sich auch Touristen hierher. In der Woche war die Kneipe allerdings so ziemlich leer, man merkte auch hier, dass das Geld im Beutel nicht mehr ganz so klingelte wie früher. Aber am Freitag und Sonnabend bekam man am späteren Abend keinen Platz am Tresen, man musste schon bis Sonntag warten, da waren wieder die begehrten Plätze auf den Hockern frei.

    Der Wirt hieß Hubertus Mertens und kam aus Tirol, jenseits der Weißwurstgrenze. Die Liebe zur Seefahrt hatte ihn hier stranden lassen, obwohl einige Gäste meinten, er wäre über Helgoland nicht hinausgekommen. Wenn der Laden so richtig mit Gästen brummte, so kam es vor, dass die Gäste Hubertus baten, einmal zum Akkordeon zu greifen und als Tiroler Seemannslieder zum Besten zu geben. Hubertus war schon lange Witwer und wenn er neuen Gästen von seinen Abenteuern erzählte, saß still ein anderer Stammgast in der Ecke und meinte einmal: „Hubertus, das letzte Mal war in deiner Seemannsgeschichte im Kattegat von Sturmstärke zehn die Rede und jetzt erzählst du dieser jungen Landratte etwas von Windstärke vierzehn bis fünfzehn auf deinem Äppelkahn im Kattegat. Du weißt ja nicht einmal, wo das Kattegat liegt und es geht nur bis Windstärke zwölf nach der Beaufortskala, nach dem seligen Sir Francis Beaufort. Die junge Landratte wandte den Blick zum Zurufer und wollte etwas fragen. „Ja, rief der Wirt dazwischen, der dankbar für die Hilfe war und das lenkte so wunderschön von seinen Seemannsgeschichten ab. „Es gab schon einmal mehr als zwölf Windstärken, du Klugschnaker, und wer hatte diese erfunden?, rief der Wirt zum Zwischenrufer und bekam vor Ärger einen roten Kopf. Der Zwischenrufer zuckte nur mit den Schultern. Die Landratte aber erzählte weiter: „Das war der Ingenieur Smeaton. Es gab bis 1970 sogar siebzehn Stärken und dann wurde es auf bis zwölf, also Orkanstärke, begrenzt. Der Zwischenrufer war nicht so wie der Wirt verärgert, er freute sich immer, wenn er für sein Kreuzworträtsel etwas dazulernen konnte. Inzwischen verfolgten alle Gäste in der Kneipe das Gespräch und waren fasziniert. Der Arbeiter vom Kieswerk sagte zu seinem Knobelbruder aus der Fischfabrik am Tresen: „Na, das ist doch mal was anderes, als den ganzen Tag den Fisch in die Büchse zu löten oder nicht, du alter Fischkopp. Hier kann man was lernen. Die Mitarbeiter aus der Fischfabrik wurden immer als Fischköppe bezeichnet. Sie erwiderten aber, ihr seid alle nur Sandschipper. Der Wirt war zufrieden und fragte die Landratte: „Was machst du beruflich? „Bin Meteorologe auf Helgoland", sagte er trocken und die Kneipe in Lüneburg bog sich vor Lachen, man konnte es bis auf die Straße hören.

    An dem Tresen im Heringskopp saß auch immer regelmäßig am Freitagabend Erna. Frauen waren entgegen einiger anderen Meinungen den Männern am Tresen durchaus willkommen. Erna betreute den Oberstudienrat Dr. Bertram Hoffmann, einen Pädagogen mittleren Alters, der nach seinen schrulligen Gewohnheiten, die wir ihm auch nicht wegnehmen wollen, lebte.

    Als er einmal Erna fragte, wohin sie denn immer freitags am Abend pünktlich um acht Uhr hingehen würde, sagte sie: „Ich gehe in die Kneipe ‚Heringskopp‘, kommen Sie doch einmal mit." Den sprachlosen Gesichtsausdruck des Herrn Doktor würde sie so schnell nicht vergessen. Erna war praktisch veranlagt und sie konnte Knobeln wie ein alter Kutscher und ließ sich von den Männern nichts vormachen. Sie wurde an dem Tresen geachtet und ihrer Knobelkünste wegen auch gefürchtet, sodass immer weniger Stammgäste mit ihr den Becher schwingen wollten. Erna konnte auch gut kochen und backen und es war schon vorgekommen, dass sie ein ganzes Blech Kuchen aus Omas Rezeptbuch, wie sie stolz bemerkte, für die Tresenbesatzung mit gebracht hatte.

    Vor langer Zeit, als die Personenfähre in Grünenhagen Richtung Bienenbüttel über die Ilmenau noch in Betrieb war, kamen hier in die Kneipe ‚Heringskopp‘ auch die Fährleute, um den wohlverdienten Fährfeierabend zu genießen. Die letzte Fähre fuhr im Sommer um zwanzig und im Winter um achtzehn Uhr. Die Fähre war immer mit zwei Mann besetzt und wenn einer der Festmacher, so hießen die Matrosen, einmal krank war oder Urlaub hatte, half ein Bauer aus der Gegend aus. Den Kapitän zu ersetzen, er musste das Kapitänspatent haben, auch wenn die Ilmenau nicht so furchtbar breit ist, sah es schon schlechter aus. Mit einem pensionierten Kapitän konnte man sich bei rechtzeitiger Urlaubsplanung durchaus helfen, aber plötzliche Krankheiten oder sogar ein Unfall des Kapitäns waren so schnell nicht aufzufangen. Dann kam ein Schild an den Anleger auf beiden Seiten mit der Aufschrift „Wegen Krankheit des Kapitäns bis auf Weiteres geschlossen. Das war allerdings immer ein Drama, denn wie kam man so schnell auf die andere Seite der Ilmenau, um einzukaufen oder seine Kühe auf die andere Seite des Flusses zu bringen? Einige meinten, das wäre nicht so schlimm, denn dann wüsste man, dass die eigene Mischpoke nicht plötzlich unangemeldet vor der Tür stünde. Wer sich aber am meisten freute, das waren die Schulkinder, aber natürlich nur, wenn Schulbetrieb war. Es kam einmal vor, dass der Kapitän während der Ferien für sage und schreibe eine Woche wegen Zahnschmerzen komplett ausgefallen war. Und als er wieder fit war und die Kinder zur Schule mussten, drehten sie ihm demonstrativ in den ersten Tagen den Rücken zu und starrten aufs Wasser. Sie dachten wohl über die verpassten Möglichkeiten der Feriengestaltung auf der anderen Seite der Ilmenau nach. Bei der ersten und letzten Tour eines jeden Fährtages, denn am Sonntag fuhr die Fähre im Winter nicht, musste der Kapitän ohne seinen Festmacher fahren, denn der Festmacher wohnte auf der gegenüberliegenden Seite des Kapitänwohnsitzes. Das war im Herbst und im Winter in der Woche für den Kapitän besonders ärgerlich, denn er musste bei Wind und Wetter aus seiner warmen Kajüte, um den Tampen zu lösen oder festzumachen. „An sich müsste ich für diese Zeit doppeltes Geld bekommen, hatte er einmal bei kaltem Nebel in seine übel riechende Pfeife geknurrt. Sein Festmacher hatte einmal gemurrt: „Was rauchst du bloß für ein Kraut, das riecht ja, als würdest du die Haare der Meerjungfrau der Ilmenau in deiner Pief rauchen." Nach Feierabend kam der Kapitän aber regelmäßig mit seinem alten Moped in den Heringskopp gefahren und knobelte oder unterhielt sich mit den Arbeitern der Fischfabrik und des Kieswerkes.

    Da sagte eines Tages ein alter Stammgast, ein Fischer zu ihnen und sie unterbrachen ihre Knobelei: „Sagt mal, was haltet ihr von einer Attraktion bei dem nächsten Frühjahrsfest. Das Fest findet ja auch zum Teil an den Anlegern der Fähre statt. Wie wäre es, wenn es während der Überfahrt ein Heringswettessen gäbe, solange die Fähre unterwegs ist? Erst wenn der Tampen über den Poller vom Festmacher auf der anderen Seite der Ilmenau geworfen wird, ist Schluss. Wer während der Überfahrt die meisten Heringe isst und bei sich behält, hat gewonnen und bekommt einen Orden und eine Kiste Bier und Köm. Köm war hier im hohen Norden der gute Korn. Es hieß auch in der Kneipe bei der Bestellung: „Ich hätte gerne einen Lütt und Lütt. Das bedeutete, eine kleine Flasche Bier und einen Korn.

    Die Idee kam an und die Mitarbeiter der Fischfabrik besorgten rechtzeitig zum nächsten Frühjahrsfest Kisten von frischen, gleich großen Heringen. Gegen einen Obolus, der die Fährfahrt und die Heringe enthielt, konnte der Kandidat auf der Fähre seinen Appetit zeigen. Neben den Heringskampfrichtern mit Stoppuhr und der Liste wurde laut „Los, gerufen, als der Tampen vom Poller vom Festmacher entfernt war und laut „Stopp, geschrien, als auf der anderen Seite der Poller den Tampen aufnahm. Viele Gäste fuhren mit. Für den Kapitän war das der umsatzstärkste Tag im Jahr. Bei dem nächsten Fest wurden für andere Teilnehmer an Land Kieler Sprotten, also kleine geräucherte Heringe angeboten. Als Zeitraumfestlegung wurden das Ablegen der Fähre und das Wiederanlegen auf derselben Seite gewertet. Der Wettkampfzeitraum war zwar länger, dafür waren die Fische auch viel kleiner.

    Der Wettkampf auf der Ilmenau war schon lange vorbei und an einem Sonntagabend saß mit wenigen Gästen der Student Gottfried Wiegbold am Tresen in der Kneipe. Er hatte sich vorher sein Budget angesehen und beschlossen, sich mit dem Knobeln zurückzuhalten, zumal er die letzten Male immer verloren hatte und der finanzielle Verlust bei ihm als Student der Psychologie hier in Lüneburg besonders schmerzlich war. Gottfried leitete eine freiwillige Studentengruppe, die sich mit Konfliktlösungen im häuslichen Bereich beschäftigte. Das selbst gestellte Thema in Absprache mit dem Professor sollten sie später einmal in die Abschlussarbeiten einfügen und, wenn sie zu interessanten Ergebnissen kämen, sollte darüber ein Artikel in einer Fachzeitschrift erfolgen. Die Studenten saßen lange beisammen und überlegten, wie man dieses Thema am besten angehen könnte, um in jedem Fall zu neuen Erkenntnissen zu kommen. Gottfried sah aus dem Kneipenfenster und, als er wieder den Blick wendete, kam ihm plötzlich die Idee. Es war ihm ein Foto aus der örtlichen Presse zum letzten Fährfest über die Ilmenau aufgefallen.

    Der Wirt Hubertus Mertens sah ihn an: „Na Gottfried, was überlegst du? Gottfried war schon immer etwas schüchtern und bevor er sich äußerste, überlegte er immer ein paarmal, ob seine Worte auch richtig verstanden werden würden: „Hubertus, ich denke einmal laut. Du weißt, dass wir uns in unserer Studentenarbeitsgruppe mit dem Thema ‚Deeskalation im häuslichen Bereich‘ beschäftigen. Ich meine damit, dass man sich in, sagen wir einmal, hitzigen Gesprächen in der Familie ruhig und immer sachlich betont verhalten sollte, bevor es zu persönlichen Kollateralschäden kommt, die nicht mehr rückgängig zu machen sind oder fast nicht mehr. Wenn also zum Beispiel die Tochter arbeitslos wird, ihre Wohnung verliert und ihre Beziehung in die Brüche geht und dann die Mutter ihr noch Vorhaltungen macht, dass sie selber Schuld sei, so hilft es überhaupt nicht die Probleme zu lösen. Selbst wenn die Mutter das so oder so gemacht hätte und Erfolg gehabt hätte, ist immer noch die Frage, ob das bei der Tochter letztlich auch geklappt hätte und sie zum Beispiel ihren Job, die Wohnung oder die Beziehung behalten hätte. Hubertus sah ihn an: „Bedenke aber, mein lieber Gottfried, dass auch bei einem Donnerwetter von der Mutter durchaus Klarheiten geschaffen werden könnten. Entweder sucht man gemeinsam einen Weg aus der Misere, wo sich beide Parteien aufgehoben fühlen und somit ohne Groll bei einem nächsten Telefongespräch darüber wiederum sachlich geredet werden kann, oder man geht ganz einfach getrennte Wege. Für eine Zeit oder für immer. Nach dem Motto, besser ein Ende mit Schrecken...., du weißt schon, was ich meine. Ich glaube, Gottfried, die Welt wäre friedlicher, wenn wir nicht immer meinen, Rivalitätskämpfe um unsere Position bestreiten zu müssen. Eine Tochter hat nun einmal diese Position und die Mutter eine andere. Ich meine damit nicht die Einstellung zu einer Sache oder Thematik, sondern die Stellung in der Evolution oder Natur, ganz wie man es sagen möchte. Immer wieder alles von Neuem infrage zu stellen, ist müßig und, wie sagen die Juristen so schön? Das ist nicht zielführend! Es sollte alles zu einem Ergebnis, zu einem Ziel führen. Meinst du nicht auch?"

    Gottfried sah ihn an: „Ja, das meine ich auch. Mach mir doch bitte noch ein Bier. Zurück zum Thema, du hast Recht, wenn du sagst, dass man auch ein Scheitern wie in diesem Beispiel mit der Mutter und der Tochter oder von dem Vater zum Sohn im Auge behalten soll, klar, das Leben ist so, und wenn man die Kämpfe um die eigene Position immer weiterführt und nicht einfach den Status quo anerkennt, geht das auch ewig so weiter, bis die Mutter oder der Vater eines Tages auf dem Kirchhof liegt. Meine Idee zum nächsten Wettkampf hat den persönlichen Hintergrund mit deiner Schwester zum Inhalt, was ich hier so im Laufe der Zeit am Tresen mitbekommen."

    Hubertus sah ihn an und unterbrach das Bierzapfen: „Was hat Gudrun damit zu tun? Nur weil wir wegen eines Streites seit Jahren keinen Kontakt mehr haben? Das verstehe ich nicht, erkläre es mir. Gottfried bekam vor Aufregung rote Ohren: „Hubertus, klar, es geht nur euch etwas an, den Streit zwischen euch, meine ich. Meine Idee ist aber, deine Schwester hat doch auf der anderen Seite des Fähranliegers an der Ilmenau die Kneipe ‚Zum Schauermann‘ Wie wäre es, wenn ihr wieder Kontakt sucht und beim nächsten Fährfest gemeinsam in ihrer Kneipe etwas organisiert. Das könnte euch doch wieder zusammenbringen, als Türöffner sozusagen. Und ich könnte auch davon profitieren! Ich hätte in meinem Arbeitskreis ein Thema, nämlich euch und eure Konfliktlösung. Wenn ich Glück habe, wird dein Fall, euer Fall, sogar in einem Artikel in einer Fachzeitschrift erwähnt werden und ich bekomme von dem Professor eine gute Note. Hubertus stellte ihm das Bier hin und kratzte sich am Kinn: „Meinst du? Ich könnte ja einmal...., wo habe ich nur die Telefonnummer von Gudrun. Ach ja, in meinem alten Adressbuch." Er griff zum Telefon und wählte die Nummer der Kneipe ‚Zum Schauermann‘.

    Geschichte 3

    Gärwiete in Hitzacker

    Hitzacker mit knapp fünftausend Einwohnern in der Samtgemeinde Elbtalaue liegt an der Jeetzel, einem Nebenfluss der Elbe. Dieses malerische Städtchen im Wendland liegt an der Niedersächsischen Spargelstraße und der Deutschen Fachwerkstraße. Die Gastschenke in der Nähe des Marktplatzes in der Heinrich Dümpter Str.14, trug den Namen aus dem Kürzel der Wirtsleute Gärtner und Wietemann. Sie hatte den Namen ‚Gärwiete‘, nicht Twiete, wie manche meinten. Die gemütliche Schenke im hohen Norden ist im bayerischen Stil mit kleinen Fenstern und hübschen Gardinen ausgestattet. Monika Gärtner kam aber nicht aus Bayern, sondern aus der Nähe des Ortes Neu Kaliß, der schon in Mecklenburg-Vorpommern liegt. Wenn man nur etwas weiter bis Lenzen fuhr, war man schon in Brandenburg. Mit ihrem Lebenspartner Franz Wietemann, der aus Hitzacker kam, hatten sie ihren Lebenstraum, hier in Hitzacker eine bayerische Schenke zu eröffnen, realisiert. Beide liebten das gemütliche Bayern mit seinem Essen. Der jährliche Urlaub wurde auch immer in Bayern verbracht und für die Einrichtung ihrer Schenke wurden Dekorationsgegenstände mit heimgebracht und in der Schenke aufgebaut. Zum Oktoberfest wurde alles sehr festlich geschmückt und das Bier und die Schnäpse kamen selbstverständlich aus Bayern. Es gab aber, auf einen Protest der Hitzacker Gäste hin, auch hiesiges Bier, das sogar aus dem Bierhahn kam. Dazu musste die Theke um eine Zapfstelle erweitert werden. Was unternahm man nicht alles für seine Gäste, damit sie sich wohl fühlten. Auf den Regalen unterhalb der Decke standen wunderbare Bierkrüge mit handgemalten Motiven. Zur Adventszeit wurde eine große selbstgebaute Krippe mit handgeschnitzten Figuren aufgebaut und liebevoll dekoriert. Natürlich lief in der Musikanlage leise bayerische Musik. Einigen Gästen aus dem Ort gefiel das Ganze nicht und sie wechselten das Lokal.

    Durch Hitzacker führt auch die Oranjer Route. Diese zweitausendfünfhundert Kilometer lange Strecke beginnt in Amsterdam, führt über Bremen nach Schwerin, Berlin und schwenkt ab nach Mainz und wieder zurück nach Amsterdam. Es werden interessante Ortschaften und Städte mit Schlössern und Residenzen berührt, die in einer Beziehung mit den Niederlanden und der Krone stehen. So steht auch Hitzacker auf der Route. Diese Station hier führt zur Prinz Claus Gedächtnisbüste. Denn Prinz Claus von Amsberg wurde in Hitzacker geboren.

    Hätte ein Gast am Tresen den Wirtsleuten in der Kneipe Gärwiete folgendes erzählt: „Ist es möglich, dass ein an sich verwurzelter Bayer aus dem Bayerischen Wald seinen Wohnsitz nach Amsterdam verlegt, einen Wohnwagen mit gelbem Kennzeichen besitzt, der niederländischen Sprache fehlerlos geläufig ist und in Hitzacker strandet? Die Tresengäste würden sagen, im Prinzip ja, aber ansonsten unmöglich, ein doppelter Sechser im Lotto wäre häufiger. Aufgemerkt. Wie das Leben so mit uns Menschen nach Belieben Ping Pong spielt. Der Niederländer und früherer Bürger von Bayern, Korbinian Rufus Niedermüller mit seiner lieben Ehefrau Theresa Niedermüller, geborene van Riuterdam aus Katwjik aan Zee aus der Nähe der Stadt Leiden und nicht sehr weit von Amsterdam entfernt, waren mit ihrem großen Zugfahrzeug und einem langen Wohnwagen die Oranjer Route genau nach Plan ab Amsterdam abgefahren. Korbinian hatte seiner Frau diese Reise zum Hochzeitstag geschenkt. Er hatte seine charmante Frau auf einem Lehrgang einer großen deutschen Firma in München auf dem Oktoberfest kennengelernt und die Liebe zu ihr war groß. Er hatte ohne zu zögern sein Bayern aufgegeben und sich in den Niederlanden eine neue Stelle gesucht. Wie viele Niederländer hatte seine Frau nichts gegen die niederländische Krone und war stolz auf diese tolerante königliche Familie. Also hatte man beschlossen, auch das sehr schöne und sehenswerte Städtchen Hitzacker zu besuchen und die Gedächtnisbüste von Prinz Claus zu besichtigen. Es war von Korbinian bei der Routenplanung allerdings um eine Ausnahme gebeten worden. In München sollte in einigen Tagen das Oktoberfest beginnen. Und bei dem Gedanken war bei Korbinian Rufus eine kribbelige Unruhe aufgekommen. Man konnte auch sagen: ‚Der Ruf der Berge oder der Wiesn war bei ihm fast körperlich spürbar.‘ Sie hatten ihr Auto und den Wohnwagen voll gepackt und der niederländische Bauchwärmer in Schnapsform und der gute Käse durften nicht fehlen. Endlich ging es los. Die Tour war akribisch geplant und mit dem Finger waren sie schon in allen Ortschaften angelangt. Ein Reisebegleiter mit diversen Faltplänen der einzelnen wichtigen Stationen mit den Besichtigungszeiten war dabei und so waren sie an diesem Morgen früh aus Katwjik aan Zee abgefahren. Nach langer Autofahrt hatte sie das Unverhoffte getroffen. Korbinian Rufus war auf ein leises Geräusch beim Fahren aufmerksam geworden, das kontinuierlich lauter wurde und in einem Stakkato der Fahrgeräusche schließlich die Oberhand erreichte. Seine Frau war kurz von dem vorherigen gleichen Fahrgeräuschen eingeduselt und wurde nun von dem ungewohnten Klackern wach, blinzelte ihren Mann skeptisch von der Seite an und schloss die Augen wieder: „Lieber heiliger Patrick, du Schutzpatron der Wohnwagen, lass uns keine Panne bekommen, mein Mann hat Anfang des Jahres den Autoschutzbrief gekündigt. Korbinian Rufus blickte derweil angestrengt abwechselnd in die Rückspiegel und in den Innenspiegel und es sah schon recht komisch aus, wie dieses Mannsbild von einem bayerischen Niederländer, der etwas auf die Waage brachte, wie ein Vogel ruckartig nach den beiden Seiten erst die Rückspiegel und dann in den Innenspiegel schaute, so als könnten die Spiegel etwas dafür, was sie in dem schon abgefahrenen Abschnitt der Straße zeigen mussten. Es war schon erstaunlich, zu welchen Klacktönen in den verschiedensten Höhen und Tiefen und in einem wechselnden Rhythmus eine im Begriff sich zu lösende Karkasse eines Reifens fähig war. Als sich die ersten Reifenstücke der Karkasse aus dem Orchester still verabschiedeten, sah Korbinian Rufus in dem rechten Seitenspiegel das Malheur. Er bremste das Gespann gekonnt ab, damit sich der Wohnwagen nicht mit dem schönen ganzen Inhalt auf die Seite legte. Korbinian schwitzte, als er ausstieg und sich die Reifenbescherung ansah. Seine Frau stand daneben und sagte nichts mehr. Sie waren auf der Bundesstraße 216 kurz hinter Nadlitz mit dem Waldmuseum und dem schönen Jagdschloss. Eigentlich hatten sie bei Metzingen in Richtung Hitzacker abbiegen wollen und wären an dem Dörfchen Kamerun vorbeikommen, wenn nicht hier, auf der B 216, ihr Gespann eine schöne Gummispur hinterlassen hätte. Ein freundlicher Autofahrer bot seine Hilfe an. Korbinian Rufus bat um

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