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Die Stadt des Kaisers: Alternativweltgeschichte
Die Stadt des Kaisers: Alternativweltgeschichte
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Ebook458 pages6 hours

Die Stadt des Kaisers: Alternativweltgeschichte

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About this ebook

Zur Jahreswende 1684 sammelt Sultan Mehmed der Siegreiche ein Heer vor Edirne. Wien hat er bereits erobert, nun will er ganz Mitteleuropa ins türkische Joch zwingen. Während der bankrotte deutsche Kaiser am Reichstag zu Regensburg verzweifelt nach Verbündeten und neuen Geldquellen sucht, macht sich zu ihm ein Mann mit dem verwegenen Plan auf den Weg, Wien im Handstreich zurückzugewinnen.
Für Konrad von Breitenbrunn, der Familie und Freunde in den Türkenkriegen verloren hat, ist der Kampf gegen das Osmanische Reich zur Obsession geworden. In Eugen von Savoyen findet er einen kongenialen Partner für seine waghalsige Unternehmung. Doch zuerst soll er für den Kaiser einen Bauernaufstand im Land ober der Enns niederschlagen.

Die Verfolgung eines großen Zieles, das Aufeinanderprallen zweier Weltreligionen, das Ringen orientalischer Despotie mit abendländischem Absolutismus um die Vorherrschaft in Europa, sind der Stoff dieses spannenden Romans aus dem alternate-history-Genre.
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateJul 12, 2017
ISBN9783742781260
Die Stadt des Kaisers: Alternativweltgeschichte

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    Die Stadt des Kaisers - Alfred Stabel

    Das Buch

    Für Christen gilt das Jahr 1683 als annus horribilis. Ein Vierteljahrtausend nach Byzanz hat wieder ein Sultan Mehmed – diesmal Mehmed IV. - ein christliches Bollwerk erobert: Die schöne Stadt Wien im Herzen Europas. Von Wien aus will der Sultan sein Herrschaftsgebiet im nächsten Jahr nach Westen ausdehnen.

    Es folgt der kälteste Winter seit Menschengedenken. Den Wienern gehen die Vorräte aus und der türkische Statthalter kann nicht geben, was er selbst nicht hat. Für die meisten Wiener überraschend bricht im März ein Aufstand los. Ein kaiserlicher Offizier hat ihn angezettelt und dabei auf Hilfe von außen nicht vergessen. Der junge Eugenio von Savoyen geht mit seinen Dragonern nachts über die Mauern. In blutigen Kämpfen wird dem Kaiser die Stadt zurückgewonnen. Doch der Feind schläft nicht und der Kaiser hat nichts unternommen, um den Erfolg der Unternehmung abzusichern.

    Zentrale Figur des Romans ist der Offizier Konrad von Breitenbrunn, der Familie und Freunde in den Türkenkriegen verloren hat. Sein derbes Auftreten und die durchschimmernde freiheitliche Gesinnung prädestinieren ihn nicht zu einem Favoriten der durchlauchtigsten Majestät Leopold I. Ungeachtet der gefühlten Ablehnung verfolgt er seine Ziele mit Umsicht und Bravour. Bis sich das Blatt komplett gegen ihn wendet.

    Der Autor

    Alfred Stabel ist 1950 geboren und lebt mit seiner Familie in Wien. Die Stadt hat er unter anderem durch die Tätigkeit als Fremdenführer und später als Notarzt der Wiener Rettung in ganz unterschiedlicher Weise kennengelernt. Als lebendes Museum, Gedächtnisstätte, Spitalszentrum und moderne Weltstadt. Die Autorentätigkeit beginnt mit dem Schreiben eines Büchleins für die eigenen Kinder. Es wurde nicht veröffentlicht, doch die Freude am Verfassen kreativer Texte ermutigt ihn zu literarischer Tätigkeit.

    2014 erschien im Kuebler Verlag die Alternativweltgeschichte: Der Goldene Apfel der Deutschen.

    Prolog

    „Was bewegt sich am Morgen auf vier, mittags auf zwei und abends auf drei Beinen? Breitenbrunn erinnerte sich an das Rätsel aus dem Griechisch Unterricht. Die Sphinx hatte es Ödipus gestellt. „Nun? Da keines seiner Kinder die Antwort wusste, griff er zum Gehstock und ging ein paar Schritte durchs Zimmer.

    „Unser Herr Vater" riefen seine beiden Ältesten.

    „Nicht bloß ich belehrte er sie. „Jeder Mensch, der alt genug wird, geht am Ende auf drei Beinen. Und jetzt wart ihr zwei Stunden hier! Ich bitte die jungen Herrschaften hinaus!

    Anstatt zu gehen stellten sie sich zum Schrank, wo seine Kriegsbeutestücke lagerten. Türkische und französische Fahnen, Waffen und Harnische.

    „Hinaus, oder ich versohle euch die Hintern!" drohte er und schob sie durch die Tür. Kinder waren Geschenke Gottes, gelegentlich Plagen des Teufels, die glaubten, den Vater für sich gepachtet zu haben!

    Er setzte sich grummelnd auf den Stuhl, auf dem er Sommer und Winter viel Zeit verbrachte. Am Tisch lag ein Packen mit vergilbten Zeichnungen und Notizen, daneben das Manuskript zum zweiten Buch, dem noch der Prolog fehlte. „Schreibt etwas über Euch! hatte der Drucker geraten. „Der Leser möchte wissen, mit wem er es zu tun hat! Also keine falsche Bescheidenheit! Und bedenkt auch, welches Jahr wir haben! Energisch tauchte Breitenbrunn die Feder ins Tintenfass.

    Geneigter Leser, erlaube mir, dieses Buch mit ein paar Worten über mich, den Verfasser, zu beginnen. Manch einer versucht sich als Dichter, ehe ihm der Bart sprießt. Ich griff erst im reifen Alter zur Feder, nachdem ich meinen Abschied aus der Armee genommen hatte, der, so viel will ich Dir verraten, nicht ganz freiwillig erfolgte. Ich hatte schwere Differenzen mit dem Kriegsminister Guido Schwarzenberg, der ein Hornochse auf zwei Beinen ist.

    Vielleicht sollte er das nicht schreiben. Guido Schwarzenberg war ein einflussreicher und nachtragender Mann. Er strich die beiden letzten Zeilen.

    Den Abschied nahm ich wegen meines zerschossenen Beins. Nicht meine schlimmste Verletzung, aber die erste, von der ich mich nicht restlos erholte. Ihre Majestät, Kaiser Joseph, machte mir zum Abschied ein Geschenk von fünftausend Talern, so dass ich diese Zeilen ohne Bitterkeit schreibe. Der Krieg ist eine Furie. Ich habe großes Glück, noch unter den Lebenden zu weilen.

    1684 lenkte Josephs Vater, Kaiser Leopold von Habsburg, die Geschicke des deutschen Reiches. Stets bemüht, selten glücklich, weil ihm am Reichstag nur die Rolle eines Primus inter Pares zustand.

    Als ich in Regensburg das erste Mal vor ihm kniete, litt er an der türkischen Auszehrung. Die Türken hatten ihm Wien und Niederösterreich weggenommen und jeder dachte, dass es noch schlimmer kommen würde. Ihm blieb gerade bis zum Frühjahr Zeit, eine neue Allianz gegen den Erbfeind aus dem Osten zu schmieden. Seine alten Verbündeten, der Herzog von Bayern und der polnische König Sobieski, waren tot und der mächtige Ludwig XIV. betrieb eine Politik, die dem Sultan in die Hände arbeitete. Die anderen europäischen Fürsten sympathisierten mit dem Kaiser und versprachen Abhilfe, wobei die reale Hilfe oft dem von Isaac Newton eben in diesem Jahr aufgestellten Gesetz folgte, wonach die Kraft der Anziehung mit dem Quadrat der Entfernung abnimmt. Die sich unmittelbar von den Türken gefährdet sahen, gaben Geld und Soldaten, die anderen gute Worte.

    Der gute Kaiser hatte also allen Grund, besorgt in die Zukunft zu blicken. Bei mir verhielt es sich anders. Ich hatte die Belagerung und Eroberung Wiens überlebt und war vom Hauptmann zum Oberst aufgestiegen. Persönliches Glück bescherte mir das Wiedersehen mit meinem Zwillingsbruder, den ein grausames Schicksal zu den Janitscharen verschlagen hatte. Diese Geschehnisse und mehr habe ich in meinen Buch, ´Der Goldene Apfel der Deutschen` niedergeschrieben.

    Um mich zu bilden und Dir, geneigter Leser, einen tieferen Einblick in die folgenden Geschehnisse geben zu können, bin ich zu den Stätten gereist, wo entscheidende Politik gemacht wurde. Nicht selten setzte ich mich bei meinen Nachforschungen dem Verdacht der Spionage aus. In Paris hatte ich die Ehre, drei lange Wochen im französischen Staatsgefängnis zu verbringen. Obwohl Friede ist, wagte ich mich nicht nach Konstantinopel. Bei den Türken gelte ich immer noch als Rebell der übelsten Sorte.

    So war es ein Glück, dass ich Jahre zuvor einen hohen türkischen Offizier Wochen lang verhörte, der dem Divan des Großwesirs angehörte, über ein ausgezeichnetes Gedächtnis verfügte und die Kunst des klugen Erzählens beherrschte. Ismail Pascha redete wie ein Buch, um seinen Kopf zu retten. Was ich von ihm Erstaunliches erfuhr, gebe ich an Dich, geneigter Leser, in diesem Buch ebenso weiter wie die Erlebnisse meines lieben Bruders, der auf einem Schiff seinem alten Leben davon fahren wollte und nordafrikanischen Piraten in die Hände fiel.

    Am Ende ein Wort zu den Türken. Sie geben vorzügliche Soldaten ab. Auch habe ich bei ihnen Ansätze zur Ritterlichkeit festgestellt, wie sie sich bei Christen nicht oft finden. Trotzdem werde ich sie immer hassen, weil sie mir Vater und Mutter umgebracht haben.

    So Gott mir die Kraft gibt, wird diesem Buch noch ein drittes folgen, das den Großen Türkenkrieg zu Ende erzählt.

    Gegeben im Jahr des Herrn 1705

    Feldzeugmeister Konrad von Breitenbrunn.

    Er las das Geschriebene durch und war zufrieden. Vor dem Fenster trieben dicke Schneeflocken und der Wind heulte im Kamin. Er stand auf und legte Scheite ins Feuer. Früher hatte er sich bei jedem Wetter draußen herumgetrieben, jetzt hockte er gern in der warmen Stube.

    Leise, um die Kinder nicht anzulocken, stimmte er ein Lied an, das seine Soldaten im Winter gerne gesungen hatten.

    Der Reif und auch der kalte Schnee

    die tun den armen Landsknecht weh

    wie soll´n sie sich ernähren?

    Wenn sie die Straß nicht reiten mög´n

    was soll´n sie dann verzehren?

    Edirne

    Ein Tag so klar, dass Sultan Mehmeds scharfe Augen die Schnee bedeckten Gipfel der Rhodopen in der Ferne ausmachen konnten. In seiner Vorstellung hauste der Winterdort oben das ganze Jahr und wartete, dass seine größte Feindin, die Sonne, ihre Kraft verlor. Dann kam er herabgestiegen und eroberte die Täler und Ebenen mit Eis und Schnee. In Ostthrakien allerdings machten die feuchten Winde vom Weißen Meer seine Waffen stumpf. Die Flüsse froren nicht und der Schnee verschwand nach einigen Tagen. Wegen dieses klimatischen Vorteils sammelten die osmanischen Sultane von alters her ihre Armeen vor Edirne, bevor sie gegen die ungläubigen Völker des Westens zogen. So hatten es Mehmed der Eroberer und Süleyman der Prächtige gehalten, und ihre Söhne und Enkel, soweit sie kriegerischer Natur waren.

    Mehmed IV. hielt die Hand schützend über die Augen und musterte die Zeltstadt außerhalb der Stadtmauern. Sechzigtausend Soldaten warteten auf den Beginn des nächsten Kriegszuges gegen den deutschen Kaiser. Sie mussten sich in Geduld üben, bis der Winter Pässe und Gebirgstäler freigab.

    Es war der zwölfte Tag des Monats Muharram im Jahre 1095 der Hedschra und der letzte Tag des Jahres 1683 im gregorianischen Kalender. Von der Zeitzählung der Christen besaß Sultan Mehmed nur eine vage Vorstellung, vermutlich war sie so unsinnig und verblendet wie alles, was die Gottesleugner erdachten. Sie bestritten die Existenz Allahs, des einen wahren Gottes, des Schöpfers und Herrn aller Dinge und würden in der feurigen Grube Dschahannam brennen, während die Rechtgläubigen nach ihrem Hinscheiden die Segnungen des Paradieses genossen. Wer nach dem Koran lebte, der irrte nicht, wer Allah willfahrte, erfreute sich seiner Gunst! So neuerdings er selbst. Mit Allahs Hilfe hatten seine Soldaten im letzten Jahr große Siege errungen und ihn im fünfunddreißigsten Jahr seiner Regentschaft zum Großen Sultan gemacht. Zu Mehmed dem Siegreichen!

    Übermannt vom Gefühl seiner Herrlichkeit zog Sultan Mehmed eine Kinderfaust große Nachbildung der Turmbekrönung von Wiens Kathedrale aus der Tasche und drückte seine Lippen darauf. Großwesir Kara Mustafa hatte ihm das Kleinod als Glücksbringer und Symbol seines Sieges über die Ungläubigen verehrt. (Allah musste seinen grimmigen Verstand erleuchtet haben, als er es in Auftrag gab!) Freundlich blinkte ihn die runde Sonne an, während sechszackiger Stern und Mondsichel sich in matter Zurückhaltung übten, bis das Licht des Himmelsmondes auf sie fiel. ´Mondenstein` nannte Mehmed die kostbare Miniatur und kam damit dem Namen, dem die Wiener dem Original gegeben hatten – Mondschein – sehr nahe. Nach einem zweiten Kuss wanderte das Kleinod in den Brustbausch seines seidenen Mantels zurück.

    Neben dem Sultan saß Großwesir Kara Mustafa zu Pferd. Männer und Pferde warfen in der frühen Morgensonne lange Schatten nach Westen. Sie waren ein höchst ungleiches Paar. Unberechenbar und sprunghaft der Sultan, beständig und pragmatisch der Mann, der das Reich für ihn mit fester Hand regierte. Gemeinsam hatten sie große Erfolge gefeiert, freundschaftlich verbunden waren sie einander nicht.

    Kara Mustafa hatte dem Ritual belustigt zugesehen. Welcher erwachsene Mann schmuste ein Ding aus Metall ab? Mehmed blieb ein jämmerlicher Tropf, obwohl er im letzten Jahr an Statur gewonnen hatte. Er saß aufrecht im Sattel, seit ein persischer Arzt den Bruchsack zurück gedrückt hatte, seine Augen rollten nicht mehr wie die eines Dschinn, er gab sich leutselig, bestieg nur mehr seine Hauptfrauen und mischte sich neuerdings in die Staatsgeschäfte ein. Kara Mustafa, der seinen Werdegang vom ängstlichen Kindersultan zum tollpatschigen Jüngling, gleichgültigen Herrscher, notorischen Geizhals und Wüstling und schließlich zum Eroberer mitgemacht hatte, beeindruckte das nicht. Mehmed war derselbe verderbte Mann in einem neuen Kleid.

    „Mustafa, Mustafa Pascha! Mehmed ließ seine Schimmelstute tänzeln. Fünf Beutel Gold, dass ich als Erster bei den Zelten bin!"

    Ohne auf Antwort zu warten, sprengte der Sultan lachend davon. Ein fester Druck in die Flanken und Kara Mustafas großer Rappe, der den Namen des griechischen Gottes der Winde trug, nahm mit einem gewaltigen Satz die Verfolgung auf. Die Köpfe über die Hälse ihrer Pferde gebeugt, fegten sie über die große Pferdeweide und mitten durch den Paradeplatz, wo sich Soldaten für die Musterung sammelten. Die für den Krieg abgerichteten Pferde scheuten nicht vor den zur Seite springenden Soldaten. Als die Zeltburg nur mehr drei Steinwürfe weit entfernt war, rammte Mehmeds Schimmel einen Mann zur Seite. Nun liefen die Pferde Kopf an Kopf, bis der Sultan in einer letzten Anstrengung sein Pferd zum Sprung zwang und mit einer halben Länge siegte.

    Du schuldest mir fünf Beutel Gold! rief er beim Absteigen laut genug, dass es die Hofgesellschaft hören konnte. Oder du gibst mir deinen Hengst!

    Wie viele Türken ritt der Sultan lieber Stuten, aber der Rappe des Großwesirs war etwas Besonderes. Kara Mustafa verstand den Wink mit dem Zaunpfahl.

    Nimm meinen Aiolos, siegreicher Herr!

    Von den Tribünen kam mitfühlendes Gemurmel, als der Großwesir dem Pferd, das er in der Schlacht bei Wien geritten hatte, zum Abschied einen Kuss auf die schweißnasse Stirn drückte.

    „Schmuse den Hengst nicht ab wie ein Weib! lästerte Mehmed. „Er gehört jetzt mir!

    Auf seinen Wink wurde der widerstrebende Aiolos von Pferdeknechten weggeführt. Scheinbar geknickt stieg Kara Mustafa hinter seinem Herrn die Stufen hinauf und nahm, nachdem Mehmed sich in die bequemen Kissen eines Sofas gelehnt hatte, den Platz zu seinen Füssen ein. Rechts von ihm saß mit unbewegtem Gesicht der Statthalter von Rumelien Ali Pascha, genannt der Scheichsohn, links putzte Janitscharengeneral Mustafa Aga seine rote Nase, die ihm zu Unrecht – niemand hatte ihn je Alkohol trinken sehen - den Namen Bekir - Trunkenbold - eingebracht hatte. Zur Unterscheidung der vielen Mustafas, Mehmeds und Alis wurden gerne Merkmale ihrer Herkunft oder ihres Aussehens dem Namen vorangestellt. Häufig Kara (Schwarz) für dunkle Männer, oder Sary für Blonde. Bekir Mustafa legte Kara Mustafa mitfühlend die Hand auf die Schulter.

    Warum hast du Aiolos nicht auch springen lassen?

    Weil Aiolos klug ist!

    So wie sein Reiter sagte der General. Aber weshalb hast du ihn dem Sultan überlassen? Er ist mehr wert als fünf Beutel Gold.

    Weil sich ein kluges treues Pferd von keinem andren reiten lässt!

    Es dauerte eine Weile bis der General begriff. „Du meinst, du bekommst ihn bald zurück, weil er sich dem Sultan verweigert? Ha!"

    Bei Allah, es ist nur gerecht. Mehmed quält mich jeden Tag mit seinen Flausen!

    Beide lachten so laut, dass der Sultan auf sie aufmerksam wurde. Was sie miteinander schwatzten, hatte er nicht verstanden, weil die Höflinge immer noch lautstark seinen Sieg beim Rennen bejubelten, aber ihre Unbeschwertheit ärgerte ihn. Vor kurzem hatte sich ihm eine neue schreckliche Kraft offenbart. Er legte seine mit Gold und Edelsteinen beringte rechte Hand auf die Schulter seines Großwesirs.

    Spürst du die Kraft, die von mir ausgeht, schwarzer Mustafa?

    Das tue ich, mächtiger Herr versicherte der Berührte und setzte eine ängstliche Miene auf, die eher komisch wirkte bei einem so furchteinflößenden Gesicht. Eine gekrümmte Nase ragte aus einem dunkel bärtigen Antlitz mit Beryllium farbenen Augen, die drohend unter buschigen Brauen glühten. Mehmed beugte sich vor und musterte ihn von der Seite.

    Wie spürst du sie?

    „Wie einen Strahl eiskalten Wassers an einem heißen Sommertag, oh Herr!"

    Mehmed war das zu wenig. Er legte auch seine linke Hand auf. „Und nun?"

    Kara Mustafa konnte keine Antwort geben. Ein Schauer durchlief seinen Leib und die Glieder gerieten ins Zucken. Solche Anfälle hatte Mehmed beim schwarzen Eunuchen seines Harems gesehen, der an Fallsucht litt. Rasch zog er die Hände zurück, weil sich mit einem ohnmächtigen Großwesir nichts anfangen ließ. Zu spät! Kara Mustafa war bereits zusammen gesunken und General Bekir Mustafa stützte seinen Kopf.

    Mehmed unterzog seine Hände einer intensiven Betrachtung. Unverändert sahen sie aus und besaßen doch die Gaben seines großen Vorfahren, Sultan Süleyman des Prächtigen, der ein Seher und Zauberer gewesen war. Seine Kraft wuchs, die seiner Gegner schwand. Das deutsche Kaiserlein war nach Westen geflüchtet, sein Heer und das der Bayern und Polen vernichtet. Deutschland bot sich ihm wie eine hitzige Stute dar, die genommen werden wollte!

    „Sieh nur, Herr, was du mit ihm angestellt hast! jammerte der Janitscharengeneral. „Er atmet kaum!

    Mehmed überging gnädig den respektlosen Ton.

    „Sieh nur wie er mit den Augen zwinkert! Der wird wieder!"

    Und tatsächlich, ein paar Atemzüge später, richtete Kara Mustafa sich verwirrt auf. Dumm und hilflos wie ein Hühnchen in den Händen des Schlachters, sah er aus. Mehmeds Hand tastete nach dem Griff seines langen Messers. Was, wenn er Kara Mustafa die Kehle durchtrennte? Sein mächtiger Großwesir würde aufspringen, noch ein paar Schritte laufen und auf den Stufen zusammenbrechen. Würden die Hofleute jubeln? Viele hassten ihn, weil sie ihn fürchteten.

    Musik vertrieb die blutige Phantasie. Seine Kapelle rückte an. Der klingelnde Schellenbaum des Mehterbaschi gab Trommlern, Paukern und Bläsern den Takt vor. Wer niemals eine Janitscharenkapelle in der Schlacht spielen gehört hatte, besaß keine Vorstellung von der Kraft ihrer Musik! Zum Klang der Instrumente gesellte sich rhythmischer Gesang, als die Kapelle sich vor der Tribüne aufstellte.

    „Kommt, kommt ihr rechtgläubigen Krieger! Aus den Wäldern, aus den Steppen, aus den fruchtbaren Ebenen kommt! Die Berge hinunter steigt, über die Meere segelt! Schließt euch zusammen unter dem Banner des Padischah, unsres siegreichen Herrn!"

    Begeistert hieb Mehmed seinen silbernen Streitkolben im Takt ins splitternde Holz der Tribüne. Nebenbei bemerkte er, dass sein Großwesir wieder aufrecht saß und die anrückenden Truppen musterte. Ihn redete er jetzt lieber nicht an! Kara Mustafa war nachtragend wie ein Kamel und die kleine Abreibung mochte ihn erzürnt haben. Die ersten vorbei paradierenden Soldaten waren Veteranen des letzten Feldzugs. Manche Gesichter erkannte Mehmed wieder. In den Hülsen ihrer Filzkappen steckten Federn und Verdienstabzeichen als Beweis ihrer Tapferkeit. Den alten Regimentern folgten neue in frischen Uniformen und nagelneuen Waffen. Mehmed wandte sich an den Janitscharengeneral.

    „Sieh nur, welch prächtige Burschen wir da haben! Du achtest mir darauf, dass es ihnen an nichts mangelt! Füttere sie wie Ochsen, damit sie kräftig bleiben!"

    „Ich werde sie bestens versorgen, hoher Herr!" Der General teilte nicht die Begeisterung des Sultans für die Rekruten. Viele entstammten dem städtischen Gesindel. Aufsässigkeit und Mordlust standen ihnen ins Gesicht geschrieben. Bis die Stöcke der Zuchtmeister ihnen Disziplin eingebläut hatten, würden Monde vergehen und bis dahin hieß es: Wehe der Stadt oder dem Marktflecken, der diesen Räubern und Mördern in die Hände fiel!

    „Wo steckt eigentlich Kara Mehmed Pascha? fragte Mehmed. „Sag es mir, Bekir Mustafa!

    „In Buda, Herr."

    Wesir Kara Mehmed, Sieger über König Sobieski in der Schlacht bei Raab, war nach dem Tode von Wesir Ibrahim zum Statthalter der ungarisch-serbischen Provinz Budin erhoben worden und dort unabkömmlich, solange es Krieg mit dem Kaiser gab. Mehmed hätte dies eigentlich wissen sollen. Er hatte es selbst angeordnet.

    „Und Abaza Hüseyin Pascha?"

    „Weilt als Avusturyas Statthalter in Wien, großmächtiger Herr."

    „Das weiß ich doch! Ich möchte wissen, warum er nicht zum Kriegsrat erscheint. Und warum Kara Mehmed fehlt. Hat Kara Mustafa die beiden nicht her befohlen?"

    Was für eine unsinnige Frage! Die Anreise war lang und beschwerlich, im Winter sogar abenteuerlich. Der alte Hüseyin hätte die Reise nicht lebend überstanden. Kara Mustafa, der mitgehört hatte, drehte sich zu Mehmed um.

    „Sie sind zutiefst betrübt, dein strahlendes Antlitz nicht aus der Nähe sehen zu dürfen, siegreicher Herr. Doch ist der Feind auch im Winter nicht untätig und wer könnte besser deine neuen Ländereien schützen als diese beiden?"

    „Zwei alte bequeme Esel sind das, die man bestrafen sollte! grummelte der Sultan. „Und sag mir bloß nicht, dass die Ungläubigen auch im Winter Krieg führen!

    „Das tun sie aber. Liebend gerne sogar. Sie spüren nicht die Kälte wie wir."

    Sultan Mehmed dachte an die Männer, die auf der letzten Treibjagd in den Bergen erfroren waren. Waren das nicht Christen gewesen?

    „Wehe dir, wenn du mir Unsinn auftischt, schwarzer Mustafa!"

    „Allah strafe mich mit den Qualen der Hölle, wenn ich das tue!" antwortete der Großwesir, der seinen Herrn öfters belog, als ein Huhn Eier legte, ungerührt und war doch froh, als des Sultans Aufmerksamkeit sich den herangaloppierenden Bogenreitern zuwandte. An ihrer Bewaffnung und Taktik hatte sich in hunderten Jahren nichts verändert. Sie griffen blitzschnell an, schossen ihre Pfeile in vollem Galopp ab und zogen sich ebenso schnell wieder zurück. Ihre Treffsicherheit war groß. Binnen kurzem waren die aufgestellten Strohpuppen mit Pfeilen gespickt.

    „Bei Allah, kein einziger Pfeil vorbei!" jubelte Mehmed, der selbst geschickt mit dem Reflexbogen umging. Auf die leichte Reiterei folgten gepanzerte Sipahis (Lehensritter) und besoldete Gardereiter auf großen Streitrössern, anatolische und rumelische Artilleristen mit aufgepfropften Feldgeschützen und der Train der Kanoniere und Büchsenmeister in grünen Gewändern und Mützen. Den Schluss bildeten Pioniere und Versorgungstruppen.

    „Ein unbezwingbares Heer, siegreicher Sultan fasste Hofmeister Yusuf Efendi, der eine Stufe unter den Wesiren saß und vom Militärischen so viel verstand, wie ein Schafhirte vom Fischen, schmeichlerisch zusammen. Will der siegreiche Herr nun die Hinrichtungen befehlen?"

    Mehmed, der am Ende einer Truppenschau stets die Henker in Aktion treten ließ, nickte huldvoll. Der Geruch von Blut sollte die Rekruten aufstacheln und ihm verschaffte es Vergnügen, christlichen Soldaten beim Sterben zuzusehen. Da in den letzten Wochen keine eingebracht worden waren, hatte man welche von den Galeeren geholt. Sie waren gewaschen, von Bart- und Kopfhaaren befreit und in frische Kleider gesteckt worden. Auch warme Mahlzeiten hatte man ihnen gegeben. Aber all diese Bemühungen hatten die ausgemergelten Gestalten nicht in die grimmigen Streiter zurückverwandelt, die sie vielleicht einmal gewesen waren. Apathisch schlurften sie in Ketten auf den mit Sand bestreuten Richtplatz und stellten sich stumm im Kreis auf. Keiner wehrte sich oder flehte um sein Leben. Mehmed fühlte sich um sein Vergnügen geprellt.

    „Die Ungläubigen sollen zu ihrem Gott singen!" befahl er. Das wenigstens mussten sie für ihn tun, bevor sie ihr miserables Leben aushauchten!

    Viele, die dem Sultan dienten, hatten christliche Mütter. Des Sultans Befehl wurde sofort in mehreren Sprachen mit der Anmerkung weitergegeben, dass den Gefangenen mit dem Absingen eines Psalms oder Te Deums eine Gnade erwiesen werden sollte. Nur zaghaft öffneten sich die Münder, Mehmed hörte fast nichts.

    Sagt ihnen, sie werden ausgepeitscht, wenn sie nicht laut singen!

    Wieder wurde übersetzt. Der nun laute Gesang aus deutschen, ungarischen und polnischen Kehlen löste bei den Zuhörern Gelächter aus, weil die Töne nicht zusammenpassen wollten.

    Aufhören mit der Katzenmusik! rief Mehmed erbost und zeigte auf einen Beliebigen. Beginnt mit ihm!

    Das erste Opfer malte mit dem Fuß ein Kreuz in den Sand, bevor es niederkniete. Ein Scherge entblößte seinen Nacken, zwei hielten seine Arme gepackt, der Pfortenmarschall, der sich stets den ersten vorknöpfte, trat mit dem schweren Säbel hinter ihn, nahm kurz Maß und trennte mit einem sauberen Hieb den Kopf vom Rumpf. Den nächsten Delinquenten übernahm der Hauptmann der Garde und den dritten wieder der Marschall, weil es nicht viele gab, die sich vor den gestrengen Augen des Sultans an die Kunst des vollendeten Köpfens wagten. Drei weitere Exekutionen folgten, ohne dass ein Gefangener sich gesträubt oder um sein Leben gebettelt hätte. Mehmed wartete, bis der Marschall mit einem prächtigen Hieb sein viertes Opfer niedergestreckt hatte, dann befahl er abzubrechen. Genug Zeit mit diesen Memmen verplempert! Seine Stimmung war am Boden. Gereizt verscheuchte er den Leibprediger Vani Effendi, der zum Nachmittagsgebet rufen wollte. Mächtig legten sich die Hofleute ins Zeug, um die Laune ihres Herren gerade zu biegen. Hofmeister Yusuf Efendi fand die richtigen Worte: „Herr, diese Ungläubigen waren gelähmt von deiner Kraft und Herrlichkeit! Gelobt sei Allah, dass er dich mit solchen Gaben versehen hat!"

    „Ja, bei Allah, so ist es! stimmte der Sultan zu. „Hast du alles bestens für den Kriegsrat vorbereitet, mein lieber Yusuf Efendi?

    „Jawohl, siegreicher Herr."

    „Dann steh nicht müßig herum! Lass meine Pauke schlagen und sieh zu, dass keiner trödelt!"

    Rasch hatte Yusuf die Ratsmitglieder zum Defilee geordnet. Unter dem Gedröhn der großen Sultanspauke durchschritten sie paarweise die mannshohe Öffnung im Palisadenzaun der Zeltburg. Als sie bei den Rossschweifen vorbeigingen, entdeckte der Großwesir zwei Männer, die im Kriegsrat nichts verloren hatten. Er zog den vor ihm gehenden Hofmeister am Gürtel.

    „Was haben der Tatar und der Ungar hier verloren?"

    „Sie sind Gesandte am Hofe unseres Padischah" erklärte der Hofmeister salbungsvoll.

    „Dummkopf, das weiß ich auch! zischte Kara Mustafa. „Weshalb sie hier sind, will ich wissen!

    „Ihre Namen standen auf der Liste, die mir unser Herr zu überreichen geruhte, weiser Wesir."

    „Und du bist nicht zu mir gekommen und hast es gemeldet!"

    Kara Mustafas Hand zog so fest an Yusufs Gürtel, dass er stehen bleiben musste.

    „Unser erhabener Herr wollte es als Überraschung aufsparen."

    Nichtsnutziger! zischte Kara Mustafa. „Du weißt, dass ich keine Überraschungen mag! Da auf dich kein Verlass ist, rechne ich dich ab heute zu meinen Feinden und du weißt, was das bedeutet!"

    Yusuf erschauerte. Feinde Kara Mustafas verschwanden spurlos. Wie Wesir Ibrahim Pascha, Kaimakam (Stellvertreter des Großwesirs) Kemal Mustafa und Oberstallmeister Sary Süleyman. Zuletzt vor Wien gesehen und danach nie wieder. Yusuf konnte nur hoffen, dass die Sache mit der Drohung und ein paar festen Ohrfeigen abgetan sein würde.

    „Nimm meine zerknirschte Entschuldigung entgegen, weiser Wesir. Ich bitte dich!"

    „Winsele du nur fleißig! höhnte Kara Mustafa, „aber trage dein Gewinsel nicht zu unserem Herrn, weil ansonsten - die furchtbaren Augen stachen Yusuf wie Messerspitzen ins Gesicht - „Blut vergossen wird!"

    Im Diwanzelt erwartete Yusuf weiteres Ungemach. Witzbolde unter den scherzhaft als Steigbügelagas bezeichneten minderen Mitgliedern des Kriegsrates hatten sich in die vorderen Reihen gesetzt, die den höchsten Offizieren, Beamten und Geistlichen zustanden. Unwirsch scheuchte Yusuf die Narren auf ihre angestammten Stehplätze zwischen den acht Säulen zurück, die das als Baldachin zugeschnittene Zeltdach trugen. Die Ordnung war hergestellt, als der Sultan würdevoll die Stufen zum Thron aus Ebenholz und Elfenbein erklomm. Sobald er sich gesetzt hatte, rief er den Vani Efendi nach vorne. „Beginne du!"

    „Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes" begann der Imam seine Ansprache, die Zeilen aus dem Koran mit eigenen Worten verwebte.

    „Lob sei Allah, dem Herrn der Welten, dem Barmherzigen und Gnädigen, der am Tag des Gerichts regiert! Allmächtiger Gott, Dich preisen wir und Dich bitten wir: Segne die Waffen des siegreichen Padischah, der unser geliebter Herr ist und als Dein Schatten auf Erden wandelt. Schütze ihn, der die heiligen Stätten des Islam beschützt und schenke ihm ein langes glückliches Leben!"

    An dieser Stelle brachen die Anwesenden in blumige Lobpreisungen für den Sultan aus, die erst endeten, als Mehmed gebietend seinen Finger auf die Lippen legte.

    „Allah, wir loben und wir preisen Dich! fuhr der Imam fort. „Stärke die Arme der Gläubigen, auf dass sie im Kampf gegen die Feinde unseres Glaubens nicht ermüden. Und ihr, die ihr hier versammelt seid: Tut, was der Koran befiehlt. Vernichtet die Ungläubigen! Tötet sie, wo immer ihr sie findet, ergreift sie, umzingelt sie! Wenn sie sich aber bekehren und das Gebet verrichten, dann lasst sie ihrer Wege ziehen!

    „Allahu akbar!" riefen alle wie aus einem Munde. Zum Ärger des Predigers erachtete Mehmed das Nachmittagsgebet nach der ´herrlichen Predigt` für überflüssig und verlangte nach Erfrischungen. Bei Gebäck, Kaffee und Rauchwerk kam eine gedämpfte Unterhaltung in Gang. Kara Mustafa schwatzte mit den Statthaltern der asiatischen Provinzen, als ihn Mehmed zu sich winkte.

    „Allah, der Allmächtige, hat meinen Verstand erleuchtet, schwarzer Mustafa. Nicht du wirst den Kriegsrat leiten, sondern ich! Hörst du? Ich!"

    „Ich höre, oh Herr und ich frohlocke antwortete der Wesir. „Aber ist es klug, dass ein Tatar und ein Ungar mithören?

    „Ich habe sie eingeladen."

    „Dann nenne mir bitte den Grund für die Einladung, weiser Herr, weil dein bescheidener Diener errät ihn nicht. "

    „Mein Sohn Mustafa hat Gründe angegeben."

    „Wie aufmerksam von deinem ältesten Sohn – Allah schenke ihm ein langes glückliches Leben. Aber Vasallen haben beim Kriegsrat nichts verloren! Es genügt, dass du ihnen Befehle erteilst! Der Tatarenkhan wird mit seiner Streitmacht im Frühling wiederkommen, weil es ihn nach Beute gelüstet und das ungarische Königlein, weil es den Zorn des Kaisers fürchtet. Mehr braucht es nicht! Und bedenke den Schaden, wenn sie das Gehörte an unsere Feinde weitergeben! Ungarn und Tataren haben lose Zungen!"

    Mehmeds Augen suchten die beiden Gesandten. Sie standen mit Yusuf Efendi und zwei Offizieren plaudernd in einer Zeltecke. Das erregte sein Misstrauen.

    „Bei Allah, du hast Recht! Komplimentiere die Schwätzer hinaus, bevor die Beratung beginnt!"

    Yusuf zuckte zusammen, als er den Großwesir auf sich zukommen sah. Kara Mustafa ignorierte ihn und pflanzte sich vor den Gesandten auf. „Der Sultan will euch verabschieden. Es war ein Versehen, dass ihr eingeladen wurdet!"

    „Oh, wie bedauerlich sagte der Ungar in schlechtem Türkisch. „Wird die Gnade gewährt, den Mantel des Sultan küssen zu dürfen?

    „Sie wird" antwortete Kara Mustafa knapp und die beiden machten sich auf den Weg.

    Yusuf, der ihnen folgen wollte, wurde der Weg versperrt. Kara Mustafa wartete, bis der Sultan mit den Gesandten beschäftigt war, dann schlug er mit der flachen Hand zu. Obwohl Yusufs Wangen brannten, fühlte er sich erleichtert.

    Mehmed hatte die Misshandlung seines obersten Hofmeisters nicht mitbekommen. Er nickte Kara Mustafa freundlich zu, als er bei seinen Füßen Platz nahm.

    „Bevor wir beraten, soll gehört werden, was Kara Mustafa Pascha von den dunklen Machenschaften unserer Feinde weiß. Rede Großwesir!"

    „Es scheint begann Kara Mustafa, „dass die kläglichen Niederlagen und der bittere Frost unsere Feinde gelähmt haben. Die Garnisonen von Raab (ungarisch: Györ) und Komorn (Grenzfestungen östlich von Wien, die noch dem Kaiser gehörten) unternehmen nichts und die kleine Streitmacht in Graz wärmt sich die Hintern am Feuer. Einzig am nördlichen Donauufer nahe bei Wien kommt es hin und wieder zu Gefechten. Dort befiehlt ein junger Capitan, der unserem Vasallen Imre Tököly Sorgen bereitet. Sobald der Schnee schmilzt, wird Kara Mehmed Pascha über die Donau gehen und dem Spuk ein Ende bereiten.

    „Und wo haust dieser schreckliche Capitan?" unterbrach Ali Pascha.

    In einem Städtchen an der ersten Donaubrücke nach Wien. Es trägt den wunderlichen Namen - Kara Mustafa verzog den Mund wie bei starken Zahnschmerzen - „Krems. Die Ungläubigen müssen aus Krems vertrieben werden!

    „Das hätte der Tatarenkhan schon im letzten Jahr tun sollen" schimpfte Ali Pascha.

    „Wahr sprichst du, Scheichsohn sagte Kara Mustafa, „deshalb hat er seinem tüchtigeren Sohn Platz gemacht. Jene, die wussten, wie es dabei zugegangen war, grinsten.

    „Schreiben wir dieses Krems auf die Liste unserer Kriegsziele sagte der Sultan. „Was weißt du noch?

    „Dass es die christlichen Herrscher mit dem Kaiser halten und sich gegen unseren Verbündeten Ludwig XIV. von Frankreich stellen."

    „Woher weißt du das?"

    „Ich weiß es vom englischen Gesandten und vom niederländischen. Beide haben das Gleiche gesagt, siegreicher Herr."

    „Gesandte lügen."

    „Sie lügen, weiser Sultan, wenn es ihnen zum politischen Vorteil gereicht. Doch in diesem Fall reden sie die Wahrheit. Der französische König steht alleine da und muss fürchten, dass der oberste Hüter der Ungläubigen, den sie Papst nennen, ihn verstößt."

    „Wie kann der ihn verstoßen?"

    „Von der Prozedur verstehe ich nichts, Herr, aber es ist in der Vergangenheit geschehen."

    „Und wenn er vom Papst verstoßen wird, ist er kein Christ mehr? Und wenn er kein Christ ist, was ist er dann? Ein Gottloser?"

    Fragen wir Mavrocordatos schlug Kara Mustafa vor. Mehmed winkte den griechischen Arzt, der dem Großwesir als Dolmetsch und diplomatischer Berater diente, nach vorne.

    Sag, kann der Papst einem Christen den Glauben verbieten?

    Bevor der Grieche antworten konnte, wurde er vom Vani Efendi, der das Wort Papst einmal zu viel gehört hatte, zur Seite gestoßen. „Er soll schweigen, Herr! Was kümmert uns der Irrgläubige in Rom? Allahs Zorn trifft jene, die sich mit Irrlehren beschäftigen!"

    „Lass ihn reden, Prediger! gebot Mehmed, „die Sache macht mich neugierig. Rede Grieche!

    „Mächtiger Herr, diese Prozedur nennt sich Exkommunikation. Der Bestrafte bleibt durch die empfangene Taufe Christ, ist aber vom Empfang der Sakramente ausgeschlossen, was bedeutet, er würde im Zustand der Sünde leben und sterben. Eine schreckliche Vorstellung für Christen."

    „Dann wird König Ludwig also dem Papst nachgeben und sich mit dem Kaiser gegen mich zusammenschließen?" fragte der Sultan.

    „Vielleicht antwortete Mavrocordatos. „Er könnte aber auch seine eigene Kirche gründen wie es vor lange Zeit ein englischer König getan hat.

    „Bei Allah, ich hoffe, das wird er tun!"

    „Für König Ludwig steht noch ein weiterer Weg offen fuhr Mavrocordatos fort. „Er könnte die französischen Bischöfen einen Gegenpapst wählen lassen, der ihm gewogen ist. Auch das gab es bereits.

    „Und der jetzige Papst" fragte der Janitscharengeneral.

    „Würde auch im Amt bleiben. Es gäbe dann zwei Päpste."

    „Die sich bekriegen würden?"

    „Ja, mit Worten."

    „Ha, bloß mit Worten, wollen sie sich bekriegen lachte der Sultan. „Was für Memmen! Ich werde ein Schreiben an meinen französischen Bruder aufsetzen lassen - der Sultan sprach nun in gönnerhaften Ton - „und ihm zum einzigen wahren Glauben raten. Er soll Muslim werden!"

    Mavrocordatos und jene im Rat, die politisch und praktisch dachten, rissen erstaunt die Augen auf. „Als Muslim kann sich Ludwig über die Anfeindungen des Papstes hinwegsetzen dozierte Mehmed „Liebt er die Frauen, Mavrocordatos?

    „Nicht weniger als ihr, hoher Herr."

    Aber er besitzt nur eine Gattin?

    Besaß, erhabener Herr. Sie starb im letzten Sommer.

    „Dann soll in dem Schreiben auch stehen, dass er fortan mehrere Gattinnen nehmen darf. Und weiter, dass ich ihm eine Teilung des Reiches der Deutschen vorschlage. So! Wuchtig schlug der Sultan mit seinem silbernen Streitkolben auf ein abgestelltes Kaffeetablett, das in zwei Teile zersprang. Ich nehme mir die östlichen Provinzen der Deutschen, er die im Westen, nach denen es ihn schon lange gelüstet! Bei Allah, so soll es geschehen!"

    „Gott will es! rief Vani Efendi, „preiset unseren Sultan!

    Kara Mustafa, der die Außenpolitik des Reiches leitete, lief es kalt über den Rücken. Mit Frankreich bestand ein mündlicher und sehr geheimer Vertrag mit

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