Die verschlossene Tür: von Teuflischem und Engelsgleichem
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Book preview
Die verschlossene Tür - Adriana Wolkenbruch
Kapitel 1
Es gibt drei Arten Frauen: die, die Putzfrauen haben, die die keine Putzfrauen haben und die, die Putzfrauen sind.
Ach, Isabelle. Das sagst du nur, weil du immer so viel putzen musst, hier.
Nein. Das sage ich, weil ich als Putzfrau arbeiten muss. Und zwar in meiner eigenen Firma in der ich mein eigener Chef bin.
Schlechte Firma. Bringt wenig Geld.
Ja. Weil ich mein Leben verschonen will und sie hier nicht rauchen dürfen!
Arme Isabelle. Leben ist ein Desaster.
Wenn mir diese Scheißbude wenigstens Spaß machen würde.
Aber hat Zukunft. Jetzt wo Nichte da ist. Du arbeitest nicht umsonst. Nichte kann Gasthaus weiterführen.
Die muss erstmal wieder auf die Beine kommen...wenn sie jemals wieder richtig auf die Beine kommt...
Wird, Isabelle, wird. Starke Tante, starke Nichte.
Hier, Nadeschda der Kaffee muß noch getrunken werden und ich spendiere Dir einen kalten Apfelstrudel.
Apfelstrudel muss wohl gegessen werden auch...
Ja, aber nicht zwingend von Dir. Du darfst ihn auch gerne liegen lassen.
Nein, ist gut für Abendessen, danke Dir.
Und, wie läufts da oben?
Ach dafür noch: ich auch Putzfrau und noch Melkfrau und noch Kinderfrau...Alles viel...MEIN GOTT.... Bauerchef wieder so traurig und nie sage etwas.
Und sein Vater?
Vater ist gut; Aber so alt. Aber liebe, ganz liebe zu Enkeltochter. Immer erzählt Geschichten und will machen gut.
So wie Du das sagst, rührt mich das richtig.
Ach Isabelle. Du bist gute Frau, nur niemand weiß.
Wie jeden Mittag sitzt er auf der alten Eichenholzbank, die vor dem Wohngebäude neben der Haustür unter dem Küchenfenster steht. Seit vielen Jahren steht sie dort und man hat einen sehr weiten Blick, wenn man auf ihr sitzt und die Straße herunter schaut. Er sitzt jeden Mittag hier, meistens auch schon ab elf uhr, wenn die zuverlässige Haushälterin mit den Vorbereitungen für das Mittagessen beginnt. Er hat immer ein leichtes zittern in der Brust und das lässt erst nach, wenn er sieht, wie sie auf dem Fahrrad um die Ecke biegt. Der Schulranzen ist auf dem Gepäckträger festgeklemmt und sie tritt unbekümmert in die Pedalen. Wenn sie dann auf den Hof biegt, ruft sie Hallo Opa!
und wenn sie an der Hauswand das Fahrrad abstellt sagt er Na mein Deern, wieder in heimischen Gefilden.
Oder Hast Du den Lehrern auch genug beigebracht.
Oder eine andere Begrüßung. Dann ist er erleichtert, daß sie wieder da ist. Das ihr nichts passiert ist, das sie gesund ist.Heute dauert es länger. Er hört, wie Nadeschda in der Küche mit den Töpfen klappert und das sind angenehme Geräusche. Nadeschda mit ihrem dicken Hintern,dem breiten Rücken, den kräftigen Schultern und dem runden Gesicht,den beiden Speckrollen, die sie unter der Schürze zu verstecken versucht. Nadeschda mit den lieben Augen und dem dünnen, leicht gewelltem, ganz kurz geschnittenem Haar, mit den zupackenden Armen und den kleinen runden Händen.
Ganz anders als Marietheres. Sie war so hochgewachsen und elegant, das blonde Haar zu einem Zopf geflochten und als sie älter wurde zu einem Knoten zusammengerollt. Ihre Hände waren schlank und ihre Finger lang . Aber dadurch, dass sie ihm ihm Viehstall mithelfen mußte, wurden ihre Hände mit der Zeit breiter, die Muskeln zwischen den Handknochen wurden stärker und schoben alles in die Breite und die Gelenke wurden dicker und die Haut immer faltiger und trotzdem waren ihre Hände noch feinfühlig genug, um den Sauern beim Abferkeln zu helfen.Ihre Arme wurden sehniger und als sie älter wurde traten dicke Adern immer mehr hervor, so blau wie ihre hellen Augen, die ihn oft nachdenklich stimmten.Und wenn sie dann am Abend, nach dem Füttern der Tiere untermalt von deren zufriedenen Kaugeräuschen den Stall verließen und sich zusammen auf die Bank setzten um auszuruhen und die Luft und den Himmel zu genießen und sich ihre Hand langsam in seine schob, dann war das das größte Glück auf Erden. Oder im Winter, wenn draußen der Sturm tobte und sie den Ofen feuerten und ihre Gesichter ganz rot wurden von der Wärme und er seine Pfeife rauchte, während sie Kleidungsstücke ausbesserte und sie nicht bemerkte, wie er ihr dabei zuschaute und sie gar nicht ahnte, wie sehr er sie liebte, welche Gefühle ihre Anblick in ihm hervorriefen...
Opa, Opa, bist du tot!!?
Nein, ich war nur kurz im Himmel.
Sie hört es deutlich, während sie die Tür abschließt. Nur am Wochenende hat sie länger geöffnet und in Ausnahmefällen wie Vereinssitzungen. Die Jäger oder Imker oder der landwirtschaftliche Ortsverein oder eine politische Veranstaltung. Oder Feiern. Trauerfeiern, Taufen, Kommunion, vielleicht mal ein runder Geburtstag. Sie hört es ganz deutlich, während sie Wut in sich aufsteigen spürt. Es gibt drei Arbeitsbereiche in diesem Haus, denkt sie. Das Gasthaus für den Lebensunterhalt, meine Nichte um dem letzten bisschen Familie gerecht zu werden. Und meine Bilder, um mich am Leben zu halten. Aber eigentlich will sie jetzt nur eines: eine heiße Dusche- eine Badewanne gibt es in diesem Haus nicht- und dann schlafen. Nur einschlafen können. Aber sie hört es deutlich. Dieses Wimmern. Sie seufzt und versucht sich zu sammeln und abzuschätzen, was jetzt das Beste wäre. Sie atmet einmal tief durch und nimmt die erste Stufe der knatschenden Treppe. Das Wimmern wird lauter. Sie steht jetzt vor der Tür. Sie atmet ein zweites Mal tief durch und drückt mit klopfendem Herzen die Klinke herunter, schiebt die Tür nach innen und steht in dem Zimmer. Das Wimmern verstummt abrupt. Das Mädchen, eigentlich eine junge Frau, denkt Isabelle, hält sich die Hände vor ihr verheultes Gesicht.
Du brauchst dich nicht zu schämen. Jeder hat schon mal geweint.
Aber nicht so, denkt sie. Und nicht so häufig.
Eydis scheint zu Stein geworden zu sein. Isabelle geht langsam zu dem Bett, auf dem die eingerollte Steingestalt liegt. Sie setzt sich auf die Bettkante und legt eine Hand auf die Schulter ihrer Nichte. Ein krampfartiges Zucken als Antwort. Dann wieder Versteinerung. So sitzt sie eine Weile da. Sie hört, wie ihre Nichte Luft holt, dann lockert sie ihre Hände und dreht sich um, damit Isabelle ihr Gesicht nicht sieht. Sie schämt sich.
Eydis. Das wird besser.
Sie sagt es mehr zu sich selbst, als wolle sie sich Mut machen. Aber es klingt etwas Schmerzliches in jedem Wort mit.
Sie hat sich einen inneren Tritt gegeben, um die Kraft zu haben, den Tag zu beginnen. Irgendwie und irgendwann muss der Tag begonnen werden. Eydis ist klug genug um zu wissen, dass man letztendlich für sich selbst verantwortlich ist und sie ist stark genug, um sich nicht aufzugeben. Und sie weiß, daß es für Jemand gut ist, dass sie hier ist. Auch wenn es komisch ist, hier zu sein. Aber so schlecht ist es auch nicht. Es gibt hier auch Wiesen und Wälder und Wind, den sie so gern mag. Allerdings ist der Himmel hier viel ruhiger. Sie schaut durch das Fenster und sieht den Jemand unten an seinen Zwingerstäben stehen. Er ist ein Hund und er sollte vielleicht das Gasthaus bewachen. Aber er liegt meistens nur neben seiner Hütte und sieht sehr traurig aus. Er ist mindestens so traurig wie ich, denkt Eydis. Sie zieht sich an und geht die Stufen hinab. Sie schlüpft in die Gummistiefel, die neben der Hintertür stehen. Ihr Herz klopft, als sie auf den Zwinger zugeht. Jemand hebt den Kopf, als wäre er sehr überrascht, dass er nicht unsichtbar ist. Eydis hört, wie sie Worte murmelt, während sie sich neben Jemand hockt und eine Hand durch die Gitterstäbe steckt. Sie empfindet den Klang ihrer Stimme als sehr ungewöhnlich und das Murmeln verstummt bald wieder.