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Kirche im Nachkriegs-Mecklenburg um 1950-60: Berichte zur Zeitgeschichte - Anthologie - Band 72 in der gelben Reihe "Zeitzeugen des Alltags"
Kirche im Nachkriegs-Mecklenburg um 1950-60: Berichte zur Zeitgeschichte - Anthologie - Band 72 in der gelben Reihe "Zeitzeugen des Alltags"
Kirche im Nachkriegs-Mecklenburg um 1950-60: Berichte zur Zeitgeschichte - Anthologie - Band 72 in der gelben Reihe "Zeitzeugen des Alltags"
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Kirche im Nachkriegs-Mecklenburg um 1950-60: Berichte zur Zeitgeschichte - Anthologie - Band 72 in der gelben Reihe "Zeitzeugen des Alltags"

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Nach dem verlorenen 2. Weltkrieg und dem Zusammenbruch der verbrecherischen Hitler-Diktatur, nach dem Verlust der Heimat, von Hab und Gut suchten die Menschen in dem schrecklichen Chaos nach Halt und Sinn. Viele sahen in dem gerade Erlebten ein Gottesgericht. Man besann sich auf tiefere Werte, die Kirchen füllten sich. Hier fand man Trost und Hoffnung. Aber das gefiel den neuen Herren von Stalins Gnaden nicht. Laut Karl Marx war ja Religion Opium fürs Volk.
Als Jugendlicher fand auch der Herausgeber dieser Anthologie im Nachkriegs-Mecklenburg seinen Weg zur Kirche und erlebte – wie auch die anderen Autoren – den Kampf der atheistischen Staatspartei unter Ulbricht und der Honnecker-FDJ gegen die junge Gemeinde der Kirche.
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateMay 15, 2014
ISBN9783847688228
Kirche im Nachkriegs-Mecklenburg um 1950-60: Berichte zur Zeitgeschichte - Anthologie - Band 72 in der gelben Reihe "Zeitzeugen des Alltags"

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    Kirche im Nachkriegs-Mecklenburg um 1950-60 - Jürgen Ruszkowski

    Vorwort des Herausgebers

    Zu den von mir bevorzugt gelesenen Büchern gehören Dokumentationen zur Zeitgeschichte und Biographien.

    Menschen und ihre Geschichte sind immer interessant.

    Seit etwa zwei Jahrzehnten sammle ich Zeitzeugenberichte, zunächst von Seeleuten, mit denen ich über Jahrzehnte in meinem Beruf als Diakon und Dipl.-Sozialpädagoge in einem Seemannsheim täglichen Kontakt hatte. So kam es, dass ich in etlichen Bänden Lebensläufe und Erlebnisberichte von Fahrensmännern aufzeichnete und zusammenstellte.

    Menschenschicksale sind immer interessant und aufschlussreich, und wir können viel aus dem Erleben unserer Mitmenschen lernen.

    Nach dem verlorenen 2. Weltkrieg und dem Zusammenbruch der verbrecherischen Hitler-Diktatur, nach dem Verlust der Heimat, von Hab und Gut suchten die Menschen in dem schrecklichen Chaos nach Halt und Sinn. Viele sahen in dem gerade Erlebten ein Gottesgericht. Man besann sich auf tiefere Werte, Die Kirchen füllten sich. Hier fand man Trost und Hoffnung. Aber das gefiel den neuen Herren von Stalins Gnaden nicht. Laut Karl Marx war ja Religion Opium fürs Volk.

    Als Jugendlicher fand auch ich im Nachkriegs-Mecklenburg meinen Weg zur Kirche und erlebte den Kampf der atheistischen Staatspartei unter Ulbricht und den Honneckers gegen die junge Gemeinde der Kirche.

    Neben meinen eigenen Erinnerungen kommen in diesem Band die aufschlussreichen Berichte einiger Zeitzeugen der 1950er Jahre zu Wort. Den Autoren sei Dank für Ihre Einwilligung zur Veröffentlichung.

    Hamburg, im Mai 2014, Jürgen Ruszkowski

    Landesjugendpastor Friedrich Franz Wellingerhof – Schwerin

    Zeitzeugen-Bericht von Elisabeth Wellingerhof

    Schweriner Dom

    Die Monatsrüste war zuende. Wir hatten wie an jedem 1. Tag des Monats mit über 300 Jugendlichen im Halbkreis um den Altar des Schweriner Doms gestanden, uns die Hände gereicht und gesungen „Herr, wir stehen Hand in Hand, als unsere Jugendleiterin O.A. uns 17-jährige Mädchen zusammenholte und uns erzählte: „Pastor Wellingerhof, unser Landesjugendpastor, hat zum 1. Mal ein Sommerlager für 15-17jährige Jungen geplant, er hat 65 Anmeldungen und die sowjetische Militärkommandantur hat es verboten. Ich bitte Euch, betet für diese Freizeit, denn P.W. hält sie für so wichtig, dass er sie auf alle Fälle durchziehen will.

    Und wir haben gebetet – vielleicht tat ich es mehr als die anderen – ich wusste noch nicht, dass ich ein gutes Jahr später die Frau des Landesjugendpastors sein würde – und die Sache ging gut.

    Als ich meinen späteren Mann dann fragte, ob er keine Angst gehabt hätte, schließlich gab es noch Verbannung nach Sibirien oder andere schlimme Strafen, meinte er, das sei sicher der Fall gewesen, aber das half nichts. Freizeiten wären für ihn unverzichtbar für kirchliche Jugendarbeit, da ging es ums Ganze.

    Pastor Wellingerhof

    Aber, ich denke, ich erzähle der Reihe nach, so, wie ich es erlebt habe oder wie mein Mann es mir erzählt hat.

    Mein Mann war vorher 6 Jahre Soldat gewesen, davon 4 Jahre Sanitäter in Russland. Er erzählte von endlosen Märschen bei sommerlicher Hitze und bei minus 40 Grad Kälte. Er hatte viele Nächte in Gräben und Bunkern, die unter Beschuss standen, verbracht, war verwundet und in Todesgefahr gewesen. Er hatte es nicht fassen können, dass er sich 1945 tatsächlich gesund in Hannover wiederfand und schrieb seine Bewahrung der betenden Mutter zu.

    Als der mecklenburgische Landesbischof ihm 1946 schrieb und ihn bat, die Jugendarbeit im Lande zu übernehmen, war dies für ihn der Ruf Gottes. Er selbst war als Junge im Rostocker Schülerbibelkreis (B.K.) gewesen, hatte während des Theologiestudiums einen Jugendkreis dort geleitet, hatte nach dem Krieg ein Jahr lang die Schülerarbeit in Hannover aufgebaut und wusste, wie wichtig die kirchliche Arbeit mit und an der Jugend ist.

    So kam er heimlich über die Grenze in die damalige „Ostzone, die noch geprägt war von dem Zusammenbruch und von Hunger und von plötzlichen Verhaftungen durch die sowjetische Militärbehörde. Der kirchlichen Jugendarbeit begegnete man mit großem Misstrauen. Ein Kommandant sagte einmal sehr böse: „Du sollst mit Jungen beten, nicht baden, als es um eine Freizeit ging. Trotzdem wollte mein Mann wirken „solange es geht".

    Die erste Unterkunft, die Schwerin ihm bieten konnte, war ein Lagerraum der Bibelgesellschaft. Dort wurde eine Matratze auf einige Bücher gelegt und etwas frei geräumt, der Raum aber war nicht heizbar.

    Später wurde ihm ein möbliertes Zimmer von einem Sekretär angeboten, der im Gericht arbeitete und auf Anfrage sogar bereit war, nach Feierabend einige Schreibarbeiten für meinen Mann zu machen.

    Es konnte keiner ahnen, wieviel Schwierigkeiten dies mit sich bringen sollte. Denn als Herr I. zwei Monate später, am 24.12. vormittags zum Dienst ging, schloss man plötzlich hinter ihm ab. Man bedrohte ihn und nötigte ihn, er solle den Landesjugenpastor bespitzeln, täte er das nicht, könne er das Weihnachtsfest im Zuchthaus verbringen. Ihm schien kein anderer Ausweg, als zu unterschreiben. Zitternd erzählte er dies, trotz scharfen Verbots, einige Tage später meinem Mann und fragte, was er tun solle.

    Beide fanden einen Kompromiss: Mein Mann diktierte ihm wöchentlich harmlose Briefe an irgendwelche Leute oder Gemeinden. Herr B. nahm diese Texte auf neuen Blaubogen mit zum Dienst. Er wurde dafür sehr gelobt und bekam monatlich einen Zentner Briketts dafür, damals ein Vermögen, das sich beide teilten.

    Mein Mann hat mir diese Geschichte erst viele, viele Jahre später erzählt und sagte dann: „Eigentlich konnte mir ja nichts besseres passieren, als meinen Spitzel zu kennen. Trotzdem musste er regelmäßig beim sowjetischen Militärkommandanten erscheinen, um über seine Arbeit zu berichten. Am liebsten wollte der ihm alle Veranstaltungen verbieten, die nicht gottesdienstliche Formen hatten. Mein Mann konnte dann an die Nazizeit erinnern und noch Gestapovorladungen aus der Zeit der Bekennenden Kirche in Rostock vorzeigen und ihn damit verunsichern. Wenn er nicht zu diesen „Vorladungen einen Lutherrock angezogen hätte, um auf diese Weise an einen Popen zu erinnern, wäre er wohl als Mann der Kirche gar nicht ernst genommen worden. Trotzdem machte er völlig gelassen und fröhlich weiter: „Wirken, solange noch Zeit ist."

    Zunächst war der Schwerpunkt seiner Arbeit, zumindest an den Wochentagen, Schwerin. Er bat die Pastoren dort, in den Konfirmandenstunden zum Jugendkreis einladen zu dürfen und hatte bald mehrere Gruppen der 12-14jährigen, machte offene Abende für ältere Jugendliche, Kreise für konfirmierte Jungen (Mädchen wurden in fast jeder Gemeinde von Gemeindehelferinnen des Burckhardthauses gesammelt), er übte Laienspiele ein und fasste alle Schweriner Jugendarbeit zusammen in der Monatsrüste, die an jedem 1. des Monats 19:00 Uhr stattfand.

    Sonnabends und Sonntags fuhr er mit dem Zug in Städte und Dörfer des Landes; dort hielt er Jugendsonntage und machte durch Kinder-, Jugend- und Gemeindeveranstaltungen Mut zur regelmäßigen Arbeit mit der Jugend.

    Ich muss mich fast wundern, dass er bei aller Beanspruchung einen Termin für unsere Hochzeit fand, die unter großer Beteiligung der Jugend in der Schelfkirche stattfand.

    Zehn Tage danach fuhr ich als Köchin zu einer Freizeit mit. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie man und wieviel man für 40 Jungen kocht, aber ich fand gute Beratung und vor allem Kartoffeln und Gemüse im Pfarrhaus. Die Jungen halfen beim Schälen und Putzen, es machte Spaß. Dies war eine besondere Rüstzeit. Es waren hierzu konfirmierte Jungen aus ganz Mecklenburg eingeladen, die sich mit dem Gedanken trugen, in den kirchlichen Dienst zu treten. Sie kamen zweimal im Jahr meist in Dobbertin zusammen und waren später unter dem Namen „Dobbertiner Bruderschaft" bekannt. Aus diesem Kreis ging fast eine ganze Pastorengeneration in Mecklenburg hervor.

    Die zweite Freizeit, die ich kennenlernte und die mich sehr beeindruckte, war ein Zeltlager der 12-14 jährigen Jungen im Ostseebad Graal-Müritz. „Die Kreuzfahrer", so hieß diese Elitegruppe, hatten mich für einen Tag dorthin eingeladen. Ich fand die 35 Jungen mit meinem Mann 5 km vom Ort entfernt in den Dünen, am Rande des Moores. Die Zelte waren einfach in den Sand gebaut, da sparte man Luftmatratzen und Gummiboden (beides gab es noch nicht). Kartoffeln kochten sie mit dem Salzwasser der Ostsee, Kaffee mit Moorwasser, das durch ein Tuch gegossen wurde.

    Bibelarbeit, der wichtigste Teil jeder Freizeit, fand hier im Dünensand statt. Nachmittags spielten wir und machten Olympiade am und im Wasser.

    Die Jungs hatten sich mir vorgestellt als „Mose (er hatte keine Schuhe zum Gottesdienst angezogen und sich dabei auf Mose berufen), „Kluten, er mochte die Kluten so gern in der morgendlichen Trockenmilchsuppe, „Obadja", er sagte gern das Wetter voraus, da es nur selten stimmte, war er nur einer der kleinen Propheten. Einer wurde gerade ausgelacht, er hatte den Einladezettel zur Freizeit gut gelesen und Schuhputzzeug mitgebracht, war aber barfuß angereist.

    Abends, als durch die Nähe des Moores die Mücken unerträglich wurden, räucherten sie die Zelte kurz aus mit schwelenden Grassoden. Es war eine tolle Stimmung hier. Ich wäre gern geblieben, aber ich hatte andere Verpflichtungen und die Jungen brauchten keine Köchin. Sie bereiteten ihr Mittag auf einem selbstgebauten Herd (vier Ziegelsteine), den sie mit Kiefernzapfen, die man im Moor reichlich fand, heizten.

    Gern erinnere ich mich an eine Abiturientenrüste. Hier schliefen 15 Jungen und 14 Mädchen in je einem Raum, in dem Stroh auf den Boden geschüttet und gleichmäßig verteilt war. In der Mitte blieb ein Gang. Die Morgenandachten gestalteten sie selber, bei der Bibelarbeit waren rege Diskussionen. Als ein damals bekannter Künstler, den mein Mann für einen Tag eingeladen hatte, Mut zu eigenen Versuchen auf verschiedenen Gebieten der Kunst gemacht hatte, entstanden durch einige Schüler supermoderne Kunstwerke, die sehr witzig und geistreich auf der „Gemäldeausstellung vorgeführt wurden. Andere dachten sich Sketche aus, von denen mir einer sehr im Gedächtnis blieb: Ein Schüler stellte einen völlig unbeholfenen Vikar dar, andere waren würdige Oberkirchenräte, die nach der theologischen Prüfung völlig verzweifelt waren: was sollen wir mit dem nur machen, den kann man doch keiner Gemeinde zumuten. Bis einer der hohen Herren eine Idee hat: „Wir machen ihn zum Landesjugendpastor, dafür reicht’s immer noch.

    Kurz vor der Hochzeit hatten wir eine Wohnung zugewiesen bekommen: Zwei Mansardenzimmer mit Küchenbenutzung parterre. Wir waren glücklich. Es machte uns nichts aus, dass unser kleines Schlafzimmer, bestehend aus zwei Couchen, einem Schrank und einer Kommode, von 8:00 bis 12:00 Uhr auch der Sekretärin als Büro diente. Da wurde die Waschschüssel auf den Schrank gestellt und mit der Schreibmaschine vertauscht. So einfach war das.

    Als 1950 unser Sohn geboren wurde, mein Mann war natürlich gerade auf einer Freizeit, bekamen wir eine tolle Dreizimmerwohnung mit eigener Küche und eigenem Bad. Die eigene Küche war besonders wichtig, denn die Hauptmieterin der vorigen hatte mir das Windelkochen verboten. Hier hatten wir eine wunderschöne Zeit. Die Angst um die Weiterführung der Jugendarbeit ließ uns zwar nie ganz los, aber es war schön, dass zwei Jugenddiakone aus Neinstedt und die Leiterin der Mädchenarbeit, Elisabeth Frahm, im gleichen Haus wohnten. Wir hatten morgens gemeinsame Andacht, die Reisen ins Land konnten abgestimmt und ausgewertet werden.

    Alle waren viel unterwegs, machten Jugendtreffen, Gemeinde- und Elternabende und natürlich Freizeiten.

    Mein Mann legte dabei besonderen Wert auf die 12 - 14jährigen. „In diesem Alter werden die Weichen für's Leben gestellt", sagte er. Als in Schwerin die Jungscharkreise zu groß wurden, hielt er wöchentlich einen Vorbereitungskreis mit 16 - 18jährigen Jungen, die dann zu zweit einen Jungscharkreis leiteten.

    Um auch im Lande das Interesse für diese Arbeit mit dieser Altersgruppe zu wecken, nahm er bei einem Schweriner Wochenendtreffen Dias auf, Bilder von lustigen Szenen, Bibelarbeit und Singen. Er gewann einen jungen Mann, der mit dem Fahrrad diese Diaserie auf den Dörfern und in Städten den Konfirmanden und Jugendlichen zeigte und dabei zu Freizeiten einlud. Im Jahr darauf konnten wir uns nicht retten vor Anmeldungen. So mussten Mitarbeiter gewonnen und geschult werden (wie oft lese ich im Tagebuch von damals: „Herr, bitte schicke uns Mitarbeiter.") und Pastoren, die ihre Konfirmandensäle für Jugendfreizeiten oder Wochenenden zur Verfügung stellten.

    Die Heime, die nach und nach entstanden, (die Beschaffung der Bauplätze, der Materialien und des Geldes dazu wäre ein eigenes langes Kapitel) waren mehr „Barackstil" als Barock, aber es war Leben da, tägliche Beschäftigung mit der Bibel und ausgelassene Freude.

    Uns alle verband das Zeichen

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