Ich bleib dann mal dick!: Eine Geschichte von Siegen und Niederlagen, Gott und der Welt und einem wider Erwarten versöhnlichen Ende
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Aber bereits nach wenigen Zeilen wird klar, hier geschieht etwas völlig Anderes. Ein Ich-Erzähler, der zufällig dick ist, was jedoch nichts zur Sache tut, weil er genauso gut dünn oder klein oder groß sein könnte, erzählt in fünf angenehm kurzen Kapiteln, auf gerade einmal 90 Seiten, Geschichten über Gott und die Welt, sich selbst und die Menschen, die ihn begleitet haben, ihn zu dem gemacht haben, was er ist.
Das ist oft spannender als ein guter Krimi, manchmal zärtlicher als ein Liebesroman und jederzeit unglaublich witzig. Keine Seite, die nicht ein fröhliches Grinsen in die Seele zaubert, jeder Satz ein Kurzurlaub, ein Ausbruch, in unserer rastlosen Zeit.
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Ich bleib dann mal dick! - Claus Jahrmann
Wie alles begann
Schon seit vielen Jahren, um genau zu sein, seit dem 27. Mai 1957, beschäftigt mich ein Projekt, das ich unglaublich spannend finde, das mich Tag und Nacht begleitet, das ich niemals loswerde. Das Projekt hat einen Namen, nämlich meinen, und der 27. Mai 1957 war für mich ein sehr besonderer Tag, es war der Tag an dem mich meine Mutter, unter Mühe, wie sie mir regelmäßig unter die Nase reibt, in diese Welt hinaus presste. Sie haben es erraten? Ja, das Projekt bin ich selbst und mein gesamtes Leben. Und wie es sich für ein ordentliches Projekt gehört, gibt es große und kleine Teilprojekte, ganz unterschiedliche Themen und Fragestellungen.
Eines dieser Themen betrifft einen Umstand, der nicht einfach für mich ist: Ich war schon immer dick, mal mehr, mal weniger, aber meistens eher mehr als eher weniger. Zunächst ist man ein süßes pausbäckiges Baby, später ein nettes pummeliges Kleinkind, ein kräftiger Heranwachsender. Irgendwann fallen die verniedlichenden Attribute weg und was bleibt, mitten in den Wehen der Pubertät, ist ein dicker Jugendlicher, dem schmerzlich bewusst wird, dass er anders ist als die Anderen. Während die Freunde bereits Händchen haltend im Freibad liegen, ist man plötzlich ziemlich allein. Die Mädchen zeigen kaum Interesse, zumindest nicht die hübschen, und die dicken mag man nun wirklich nicht, denn dick ist man selbst schon genug.
Was danach kommt, kennt wahrscheinlich jeder stämmige Mensch. Es ist „Eine Geschichte von Siegen und Niederlagen", viel treffender kann man den sogenannten Jo-Jo-Effekt nicht zusammenfassen. Ich kenne den Jo-Jo-Effekt nicht nur, ich bin der Jo-Jo-Effekt, oder, besser formuliert, die Reinkarnation, die Fleischwerdung des Jo-Jo-Effekts.
Einen der größten Siege habe ich vor etwa fünf Jahren errungen. Das war der Zeitpunkt, zu dem die Gefahr bestand, dass selbst die sehr gut sortierte Übergrößenabteilung im vierten Stockwerk meines Lieblingsmodehauses in München an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit kommen könnte. Aufgrund der langjährigen Erfahrung und der gründlichen Auseinandersetzung entwickelte ich für mich eine eigene, völlig neue Diät, quasi die Eklektikerin unter den Diäten, und versah sie flugs mit einem psychologischen und philosophischen Überbau.
Das Resultat - einfach grandios! In nur wenigen Monaten verlor ich deutlich über 30 Kilogramm. Gute Bekannte erkannten mich nicht mehr auf Anhieb und Freunde, die ich länger nicht gesehen hatte, wagten es nicht, mich darauf anzusprechen, weil sie in Sorge waren, dass eine schwere Krankheit die Ursache des dramatischen Gewichtsverlustes sein könnte.
Dergestalt euphorisiert, war ich mir sicher, dass nun der Augenblick in der Weltgeschichte gekommen war, die gesamte Menschheit mit der „Jahrmann-Diät von ihren Fettpolstern zu befreien, mehr noch, entstand vor meinem inneren Auge die „Jahrmann Diet Group mit Sitz in Liechtenstein
, was ich für eine junge aufstrebende Firma, gerade unter steuerlichen Aspekten, für einen hervorragend geeigneten Hauptsitz halte. Und natürlich war klar, dass ich ob des unaufhaltbaren Erfolges, endlich damit aufhören könnte, mit Dingen, auf die ich wenig Lust habe, Geld für die Miete verdienen zu müssen, um stattdessen wunderbare Kochbücher und Ratgeber für eine freudig abnehmbereite Gemeinde zu schreiben.
Nun war es leider so, dass auch bei der „Jahrmann-Diät" irgendwann der Zeitpunkt kam, an dem die Pfunde nicht mehr ganz so purzeln wollten, wie man sich das wünscht. Das alleine erschien mir nicht das Problem zu sein, da ich auf diesen Effekt aufgrund umfangreicher Vorerfahrungen vorbereitet war. Ich hatte zwar noch kein gutes Gegenkonzept in der Tasche, aber das würde sich im Rahmen des Selbstversuches sicherlich ergeben. Doch dann geschah das völlig Unerwartete, etwas, was mich aus der steil nach unten zeigenden Kurve des Excelsheets werfen sollte, in das ich täglich gewissenhaft das aktuelle Gewicht eintrug. Eigentlich war es ein Zufall, eine kleine Recherche nur im Internet, aber bald schon bange Gewissheit. Ein neuer Abnehmguru, ein gewisser Frederic Surfeld, dessen Namen ich bis dato nie gehört, hatte mir die Idee geklaut. Er war der strahlende Star, der Oberguru unter den Abnehmgurus, Liebling der Medien, ein Entertainer, der, Witzchen machend, Possen reißend über die Bühnen hüpft, ganze Säle mit dicken Menschen füllt, ja eine eigene Show im Fernsehen hat.
In derlei Situationen reagiert das menschliche Gehirn blitzartig mit einem Notprogramm, um dem anstehenden Suizid zu entgehen. Mein Gehirn ist diesbezüglich offensichtlich sehr einfach gestrickt und so begnügte ich mich damit, einige seiner Regionen mit alkoholischen Mischgetränken zu betäuben und einige andere mit Glückshormonen, gerne in Form von Schokoriegeln, zu füttern. Beides, vor allem in Kombination, ist allerdings schlecht geeignet, Körperformen auf ein Normalmaß zu bringen. So dauerte es nicht lange, bis die eilig gekaufte digitale Kamera nebst Stativ und Tageslichtlampen, mit der ich all die wunderbaren Gerichte fotografiert hatte, die meine Rezeptbücher und Ratgeber illustrieren sollten, nutzlos in der Ecke standen und die ersten Fragmente des psychologisch, philosophischen Überbaus begannen, in irgend einem Ordner irgendeiner Festplatte zu verstauben.
Aber dann wollte ich sie doch haben, die finale Gewissheit. Beim gern besuchten und gut sortierten Online-Buchhandel stellte ich fest, dass der gerade erst entdeckte Konkurrent unter dem Motto „Ich bin dann mal dünn! bereits eine Armada von Kochbüchern und Ratgebern veröffentlicht hatte. Es sollte eine Weile dauern, bis ich die verständliche Abneigung überwand, die Schaltfläche „Für 15,99 Euro kaufen
betätigte und Sekunden später sein zentrales Werk im virtuellen Regal meines eBook-Readers stand.
Nach wenigen Bildschirmseiten hatte ich, wonach ich suchte. Ein junger, durchtrainierter Mann, ein Mensch in der Blüte seiner Jahre, ein Kerl, der niemals nur ein Pfund zu viel auf den Rippen hatte, er will uns alten Dicken erzählen, wie es geht? Auch seine Ratschläge zur Ernährung, seine Rezepte, zugegebenermaßen mit ansprechenden Fotografien dekoriert, wärmten nur die Konzepte auf, die das Bücherregal in meinem Arbeitszimmer schon seit Jahrzehnten bevölkern. Das ist nun wirklich