Eddie Toast
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Martin Cordemann
Tillmann Courth stand jahrelang als Conférencier auf der Bühne des Ersten Kölner Wohnzimmertheaters. Er schrieb und bestritt fünf Kabarett-Soloprogramme und geht heute einigen Kolleg?innen u.a. als Regisseur zur Hand, ist Comicexperte und betreibt die Webseite FIFTIES HORROR. Martin Cordemann ist Autor der Comics „Die DomSpitzen“ und „Bruder Thadeus: Das Münchner Kindl“ (Zeichner: Ralf Paul) sowie des Buches „Dada op Kölsch“. Als E-Book gibt es von ihm jede Menge Krimis und Science Fiction.
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Book preview
Eddie Toast - Martin Cordemann
Schlimmes Erwachen
Als Eddie Toast an diesem Morgen aufwachte, wusste er noch nicht, dass sich sein Leben an diesem Tag von grundauf ändern würde.
Zunächst war alles ganz normal. Sein Wecker klingelte. Er drückte auf die Schlummertaste und drehte sich um. Seine Mutter würde ihn schon wecken. Seine Mutter weckte ihn immer. Jeden Morgen. Immer, wenn er zur Schule musste. Immer, wenn er die Schlummertaste seines Weckers drückte.
Heute kam sie nicht.
Die Zimmertür blieb zu.
Mutter kam nicht herein gestürmt und rief, er solle endlich aufstehen.
Stattdessen hörte er ein Summen. Das Summen seines Weckers. Laut. Unangenehm. Anstrengend. Er kannte das Geräusch nicht. Hatte es noch nie gehört. Seine Mutter kam immer, bevor sich der Wecker noch mal meldete.
Langsam wurde Eddie wach. Drehte sich auf die Seite. Öffnete ein Auge. Der Wecker gab sein nerviges Geräusch von sich. Als wollte er von einem Schuh getroffen werden. Eddie tastete mit einer Hand nach einem Schuh. Unter seinem Bett musste doch einer sein.
Er fand keinen. Und im Hause blieb es still. Seine Mutter kam nicht. Nicht, um ihn zu wecken. Nicht, um seinen nervtötenden Wecker auszuschalten. Sie blieb einfach weg. Nichts war zu hören. Gar nichts.
Eddie wurde mulmig zumute. Irgendetwas stimmte nicht. Irgendetwas war hier ganz und gar nicht in Ordnung. Schon vor einiger Zeit hätte jemand in sein Zimmer kommen müssen. Um ihn zu wecken. Um ihn auszuschimpfen. Um dieses nervige Geräusch abzustellen. Um... aus welchem Grund auch immer. Wo blieben die alle?
War heute Sonntag und niemand hatte es ihm gesagt? Oder ein Feiertag, über den ihn niemand informiert hatte? Klingelte sich sein Wecker gerade völlig sinnlos zu Tode, obwohl er eigentlich friedlich hätte weiter schlummern können?
Mühsam bekämpfte Eddie den Kloß in seinem Hals. Es war kein Feiertag! Es war nicht Sonntag! Es war nur niemand gekommen, um ihn zu wecken. Etwas musste passiert sein. Etwas Unerwartetes. Etwas... Schlimmes?!
Vorsichtig tastete Eddie nach dem Wecker. Schickte ihn zurück in den Schlaf. Dann stand er auf. Langsam. Vorsichtig. Leise. Schlich sich zur Tür. Nur im Schlafanzug. Und presste sein Ohr an die Tür.
Draußen war es ruhig. Im Haus. In dem Haus, in dem er wohnte. Mit seinen Eltern und seinem kleinen Bruder. Alles war still. Es war niemals still, wenn er aufwachte. Irgendwelche Küchengeräte waren an, der Rasierer seines Vaters surrte, das Radio lief, sein Bruder quengelte. Nichts davon war zu hören. Gar nichts.
Eddie versuchte ruhig zu atmen. Es gab keinen Grund, sich zu ängstigen. Warum sollte es einen Grund dafür geben? Okay, er war nicht geweckt worden wie jeden Morgen. Okay, niemand schien im Haus zu sein. Okay...
Nein! Nichts war okay! Überhaupt nicht! Aber... was konnte er tun? Sich in seinem Bett verkriechen, bis alle wieder da waren. Ja, das war eine gute Idee. Vielleicht noch ein bisschen schlafen. Moment. Ihm kam ein Gedanke. Schlafen! Das war es! Das war die Lösung! Er schlief noch. Er war gar nicht wach. Das alles war ein Traum. Ein merkwürdiger Traum zwar, aber ein Traum. Das war... gut?
Eddie war sich nicht sicher. Er kannte seine Träume. Er wusste, was in ihnen passierte. Man traf auf irgendein unheimliches Wesen und wollte weglaufen... aber man kam nicht von Fleck. Im Traum kam man niemals vom Fleck, wenn man flüchten musste. Und wenn er wirklich träumte, würde da draußen irgendein Ungeheuer auf ihn warten. Also warum sollte er da hinaus-
Ein Geräusch. Etwas fiel laut scheppernd zu Boden. Da war jemand. Da war jemand! Oder... etwas!
Eddie schluckte und drückte vorsichtig die Klinke herunter. Es war nur ein Traum. Es war nur ein Traum! Nein! Falscher Weg! Kein Traum! Es war alles, nur kein Traum! Kein Traum, kein Ungeheuer, keine Angst. Es war alles ganz normal und jemand war in der Küche und schmiss einen Topf oder so etwas auf den Boden.
Er schob langsam die Tür auf und lugte durch den Spalt. Niemand zu sehen. Nichts zu hören. Alles war wieder still. Alles war...
Ein weiterer Topf ging zu Boden. Scheppernd. Laut. Eddie atmete tief durch. Vielleicht waren es Einbrecher. Sie hatten seine Eltern gefesselt und jetzt schmissen sie mit Pfannen und Töpfen herum. Was nicht unbedingt ein cleverer Plan war. Aber wer sagte ihm denn, dass Einbrecher clever sein mussten? Eddie dachte nach. Er konnte weglaufen. Auf die Haustür zu rennen, auf die Straße laufen und um Hilfe schreien. Aber vielleicht war ja alles in Ordnung?
Getuschel kam aus der Küche. Leises Kichern. Kichern war gut. Kichern bedeutete Sicherheit. Freude. Friede. Dass alles in Ordnung war.
Eddie nahm all seinen Mut zusammen. Alles war in Ordnung. Er ging einen Schritt auf die Küchentür zu. Sie war halb offen. Alles war in Ordnung. Ein weiterer Schritt. Durchatmen. Alles war in Ordnung. Kein Grund für Angst. Er war eben nur nicht geweckt worden. Alles war in Ordnung. Er erreichte die Küchentür. Ein Schatten bewegte sich schnell hinter den Küchentisch. Alles war in Ordnung. Eddie trat in den Türrahmen. Sah in die Küche. Alles war in Ordnung. Er atmete noch einmal tief durch und ging hinein. Unsicher flüsterte er: „Hallo?" Alles war in-
„Uaaaaaaahhhhrggghhhhhh!"
Ein grüngesichtiges Monster sprang hinter dem Küchentisch hervor.
Eddie schrie auf vor Angst.
Es war nur ein Traum, es war nur ein Traum, es war nur ein Traum!
Er drehte sich um, um aus der Küche zu rennen. Aber er konnte nicht. Nicht, weil er nicht vom Fleck kam. Das funktionierte ganz gut. Offenbar war es doch kein Traum. Aber er kam keinen Schritt weit, weil ein anderes Monster ihm den Weg versperrte. Es hatte keine grüne Haut, sondern blaue. Aber das half Eddie auch nicht weiter.
Schreiend versuchte er, sich an dem Monster vorbei zu kämpfen. Er wollte die Haustür erreichen. Wollte auf die Straße laufen und schreien. Wollte...
Lachen?
Eddie hörte auf zu strampeln. Was war das? Die Monster lachten? Tatsächlich. Na, wenigstens würde er von freundlichen Ungeheuern gefressen werden. Was für ein Trost.
Das Monster, das ihn im Arm hielt, griff sich mit einer Hand an den Kopf. Eddie befürchtete schlimmes. Er hatte genug Filme über Außerirdische und andere Dämonen gesehen. Das Ding griff sich an ein Horn und zog daran. Seine Gesichtshaut begann sich zu straffen. Die Haut... löste sich vom Gesicht. Jetzt war es aus. Jetzt war alles vorbei. Wenn sich ein Monster die Haut vom Gesicht zog, das wusste er, würde alles ein schlimmes Ende nehmen. Dann würde er ein schlimmes Ende nehmen.
Mit einem Plopp zog sich die komplette Haut vom Kopf des Monsters und was darunter zum Vorschein kam, war... das Gesicht seines Vaters. Es grinste ihn lachend an und schrie: „Fröhliches Halloween!"
Auf dem Schulweg
Eddies Vater lachte. Sie hatten ihn reingelegt. Es war alles nur ein Spaß gewesen. Denn sie hatten gewusst, dass er so reagieren würde. Sein Vater knuffte ihn freundlich in den Arm, während er sich die Tränen aus den Augen rieb.
„Wir wussten, dass du darauf reinfallen würdest!" sagte er lachend.
Seine Mutter lächelte ihn an.
„Du bist so ein misstrauischer kleiner Bursche, sagte sie und strich ihm eine Strähne aus der Stirn. „Wir wussten, dass du so reagieren würdest, wenn ich dich nicht wecken würde.
Was sie alles wussten.
Und was er nicht wusste! Halloween. Natürlich. Damit hatte er nicht gerechnet. So lange wurde dieser Tag in diesem Land noch nicht gefeiert. An Karneval war er gewöhnt, seit er sich erinnern konnte. Da gab es Umzüge mit Wagen, da flogen Süßigkeiten durch die Luft und da verkleidete man sich. Aber Halloween hatte man erst vor kurzem auch in Deutschland eingeführt. Und noch wurde es nicht mit vorhersehbarer Regelmäßigkeit gefeiert. Ein Umstand, den sich seine Eltern zunutze gemacht hatten. Um ihn hereinzulegen. Und sogar sein kleiner Bruder hatte mitgespielt. Eddie seufzte. Das Leben eines Zwölfjährigen konnte schon sehr anstrengend sein.
„Natürlich gehst du nicht verkleidet in die Schule!"
„Aber ich will aber!"
Peter, Eddies kleiner Bruder, sträubte sich. Er war wie irgendein Monster gekleidet, das sich nachts unter den Betten von Kindern versteckte und dann später mit seinen Kollegen von der Spätschicht in der Kneipe an der Ecke einen trinken ging. Jedenfalls war das oft Eddies Eindruck, wenn er zu Karneval den nach Alkohol riechenden Monstern begegnete, die Mühe zu haben schienen, sich auf den Beinen zu halten. Kein Wunder, dass die Kinder erschrocken waren, wenn sie voller Angst unter ihr Bett lugten und ihnen ein Schwall alkoholisierter Luft entgegen schlug. Wahrscheinlich, dachte Eddie, war das der eigentliche Grund, warum sich die Kinder vor den Wesen unter ihren Betten überhaupt fürchteten. Was das anging, hatte er keine Sorge. Eddie glaubte nicht an Monster. Jedenfalls nicht an die Art, vor der man als Kind für gewöhnlich Angst hatte.
Mutter half Peter, sich aus dem engen Kostüm herauszuwinden. Es hatte eine schuppige grüne Haut, zwei riesige Glubschaugen, ein Horn genau in der Mitte der Stirn und buschiges blaues Haar. Um cool zu wirken hatte Peter dem Monster außerdem eine Sonnenbrille aufgesetzt. In Eddies Augen wirkte das eher lächerlich. Aber immerhin war er es, der beinahe schreiend auf die Straße gerannt wäre und der Nachbarschaft gesagt hätte, dass die Erde von außerirdischen Invasoren angegriffen wurde, also entschied er sich, besser nichts zu sagen.
Sein Vater, jetzt in Anzug, Krawatte und ekliger Monstermaske, kam in die Küche und griff nach seiner Tasse Kaffee. Durch die Maske hindurch hörte Eddie noch immer sein Lachen über einen gelungenen Streich.
„Ähm, Papa", setzte Eddie an, aber es war zu spät. Da sein Vater es irre witzig fand, ein Monster im Anzug darzustellen, hatte er vergessen, dass die Maske keinen vernünftigen Mund hatte. Jedenfalls keinen, durch den man trinken konnte. Was zur Folge hatte, dass ihm der heiße Kaffee statt wie üblich in den geöffneten Mund nun über das geschlossene Gummi der Maske hinunter auf seinen braunen Anzug lief.
„Au! schrie Eddies Vater, während er versuchte, den heißen Kaffee von seinem Jackett zu reiben, was die Sache noch schlimmer machte. Er kam schnell zu derselben Erkenntnis. Seufzend nahm er die Maske ab. Darunter kam ein verschwitzter, roter Kopf mit feuchten Haaren zum Vorschein, die alle am Kopf klebten. „Du hättest mich warnen können!
„Hab ich ja versucht", sagte Eddie.
Vater streichelte ihm über den Kopf, als er aus der Küche ging, um sich einen neuen Anzug anzuziehen. Mutter hatte Peter jetzt so weit umgezogen, dass er für die Schule bereit war. Das heißt, keine Verkleidung, sauber gekämmtes Haar und frisch geputzte Zähne.
„Aber wenn ich mich verkleide wird mich niemand erkennen", sagte Peter gerade, während Eddie in eine Scheibe Toast biss.
Seine Mutter ging in die Knie, damit sie mit Peter auf Augenhöhe war. „Und wer soll dich nicht erkennen, mein kleiner Schatz?" fragte sie.
„Na... na..."
„Seine Lehrer?!" warf Eddie ein.
„Genau, nickte Peter, als wäre das die Antwort, nach der er gerade gesucht hatte. „Meine Lehrer.
„Aber wenn deine Lehrer dich nicht erkennen, glauben sie, dass du nicht da bist. Und dann machen sie sich Sorgen. Und dann rufen sie mich an. Und dann muss ich in die Schule kommen und dich suchen und den Lehrern sagen, dass du von einem ekligen glibberigen Monster aus dem Weltraum aufgefressen worden bist!" Während sie das sagte, rieb sie ihre Nase an die von Peter und beide begannen zu lachen.
„Also ist es gut, wenn man mich erkennt", stellte Peter fest, während Eddie sein Frühstück beendete und zum Zähneputzen ins Bad ging. Die anderen hatten schon vorher gefrühstückt. Bevor sie ihm diesen Streich gespielt hatten. Jetzt musste er sich beeilen. Sein Vater kam aus dem Bad. In