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Die Weltenretter
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Die Weltenretter

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Pinkelbein, Darwin, Tentor Tentorius, Freud und Einstein – auf Merson Island treffen sich Nobelpreisträger und andere Geistesgrößen auf Einladung von Lord Palmerstone und seiner nicht weniger seltsamen Lady. Es geht um die Rettung der Welt, weil der Zeiger beängstigend weit über fünf vor hinausgerückt ist. Leider ist aber auf der Insel selbst vieles nicht mehr zu retten, und zwar weil die Liebe sich dort inmitten der strengen Wissenschaft in subtropischer Temperatur entwickelt!
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateJun 27, 2015
ISBN9783738031911
Die Weltenretter

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    Die Weltenretter - Till Angersbrecht

    Einleitende Bemerkungen des Chronisten

    Die WeltenRetter

    Till Angersbrecht

    Was passiert, wenn angereichertes Uran zu einem Klumpen zusammenfügt und dieser dann kontinuierlich vergrößert wird, das weiß heute jeder. Irgendwann wird die kritische Masse erreicht, explosionsartig vermehren sich die freigesetzten Neutronen, und auf einmal entsteht statt eines harmlosen Klumpens ein Feuerball, der ganze Städte verbrennt und verschlingt. Doch was passiert, wenn man die größten unter uns lebenden Geister auf einer Insel zusammenruft, so dass die dadurch entstehende Masse an menschlicher Intelligenz sich zu ungeahnter Intensität entfaltet? Dieses Experiment ist bisher noch nie angestellt worden, aber es hat – wenn auch von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – tatsächlich stattgefunden. So viel steht bereits fest: Eine Explosion nuklearen Ausmaßes war nicht zu beobachten; im Gegenteil, das Experiment verlief derart geräuschlos, dass selbst die Erinnerung an dieses Ereignis spurlos zu verschwinden drohte. Außer den Betroffenen selbst hätte dann niemand nach zwanzig, dreißig Jahren davon etwas gewusst.

    Nein, ganz so darf man über die Begebenheit nicht reden. In führenden Tageszeitungen konnte man einen Artikel aus der Hand eines gewissen Herrn Felix Federlein lesen, der die denkwürdige Zusammenkunft in folgenden Worten beschrieb.

    „Wissenschaft ist heute die Hoffnung, von der die Menschheit nicht nur ihre Zukunft in Wohlstand und Freiheit, sondern sogar das eigene Überleben abhängig macht. Merson Island, eine bis dahin unbekannte und eigentlich völlig unbedeutende Insel im südlichen Stillen Ozean, die allerdings durch den Gymnopterus maximus und seine erstaunlichen Fähigkeiten eine Weile ins Rampenlicht öffentlicher Beachtung geriet, genoss für eine Woche das Privileg, die größten Namen der zeitgenössischen Gelehrsamkeit zu begrüßen. Da trafen in einer exotisch-üppigen Natur - eingeladen von einem exzentrischen Lord und großen Förderer des fortschrittlichsten Wissens - Physik, Neurologie, Biologie, Superdatistik und Sulfo-Zölo-Gamie aufeinander, und zwar in Gestalt der in ihren Fächern weltweit führenden Avatars. Jeder der Anwesenden war sich bewusst, einem Feuerwerk des Geistes beizuwohnen, das den Weg der Menschheit noch für das kommende Jahrhundert beleuchten wird. Merson Island sollte ein Meilenstein in der Geschichte menschlichen Fortschreitens sein."

    Dieser Artikel versetzte mich in einige Unruhe, denn, wie ich schon sagte, blieb dieses angeblich wegweisende Ereignis sonst völlig unbeachtet. Auch fielen mir sehr schnell merkwürdige Widersprüche ins Auge. Geht es nun um Wohlstand und Freiheit oder nur um das Überleben? Zudem hatte ich auf Umwegen gehört, dass einige der Teilnehmer sich bitter über die Zustände auf der Insel beschwerten. Sie seien vom ersten Tage an ausspioniert und von einer rabiaten Lady wie unmündige Schulbuben behandelt worden. Was mich gleichfalls wunderte, waren Ausdrücke wie Sulfo-Zölo-Gamie, die der Journalist Felix Federlein so verwendet, als müssten sie jedem geläufig sein. Ich aber höre davon zum ersten Mal.

    Offensichtliche Ungereimtheiten wie diese erregten nicht nur meine Aufmerksamkeit, sondern beunruhigten mich so sehr, dass ich mich entschloss, der Sache nachzugehen. Dabei gelangte ich schon bald zu einer überraschenden Einsicht. Die Zusammenkunft der größten Gelehrten des Globus auf der kleinen Pazifik Insel hat sehr wohl eine Spur in der Geschichte hinterlassen, eine Spur von größter Bedeutung für unsere Geschichte - nur wird darüber bis heute geschwiegen. Als selbstverständlich nehmen wir beispielsweise hin, dass die Menschen vom Reich der Mitte uns mittlerweile in beinahe jeder Hinsicht den Rang ablaufen. Diese Dominanz, die sie mit einer expansiv-aggressiven Politik verbinden, betrachten wir als ein Naturereignis, dem wir uns ebenso duldsam zu unterwerfen hätten wie einem Vulkanausbruch, der Meereserwärmung oder dem Abschmelzen der Pole. Wir verschweigen, ja wir unterschlagen, dass es sich in diesem Fall keineswegs um ein unabwendbares Schicksal handelt, sondern um ein welthistorisch folgenreiches Versehen, dessen Wurzeln im südlichen Pazifik, nämlich auf Merson Island, zu suchen sind. Die Chinesen sind damals in den Besitz einer Erfindung gelangt, die sie der gewaltsamen Entführung von Benedict Krzsymanski, dem großen Nobelpreisträger, verdanken. Wir, ein verwöhnter und, wie manche sagen, mittlerweile geradezu dekadenter Westen, ließen uns damals die einmalige Chance entgehen, die größte Erfindung unseres Jahrhunderts – den eigenen Bürgern zugänglich zu machen.

    Nachdem ich dieses Versagen und seine Folgen erkannte, stand es für mich außer Frage, dass es für mich nun kein Zurück geben würde. Was ging damals wirklich auf Merson Island vor? Das war die Frage, die mich fortan keinen Augenblick mehr loslassen sollte. Um ehrlich zu sein, hatte meine bisherige Tätigkeit mich auf solche Nachforschungen nicht unbedingt vorbereitet. Bis dahin war ich ein unbedeutendes Rädchen im politischen Apparat unserer Republik gewesen, damit beschäftigt, als Ghostwriter die Reden wechselnder Politiker sozusagen nach Maßgabe ihrer jeweiligen Mediokrität so zurechtzuschneidern, dass sie möglichst faltenlos zu ihrer mehr oder weniger dürftigen Persönlichkeit passten. Wie sich der Leser denken kann, ist das ein Lügengewerbe, dessen ich schließlich so überdrüssig wurde, dass ich nach der Wahrheit zu streben begann. Da war dann allerdings nichts natürlicher, als dass ich irgendwann auf Merson Island und die Zusammenkunft der größten Wahrheitssucher unserer Zeit stoßen würde.

    Warum die Chinesen den größten Nutzen aus diesem Treffen ziehen sollten, das habe ich bald begriffen, doch es dauerte einige Zeit, bis ich die Gründe dafür durchschaute, warum die kritische Geistesmasse - diese unglaubliche Ballung von Wissen und Wahrheit - keine Explosion erzeugte, warum sie den Erdball nicht einmal mit kleinen Stößen von drei oder vier auf der Richterskala zu erschüttern, geschweige denn ihn vor den furchtbaren Bedrohungen unserer Zeit zu retten vermochte. Da trafen Wissende aufeinander, von denen jeder gewappnet war, um sich den Reitern der Apokalypse entgegenzustellen. Auf den ersten Blick schien es geradezu undenkbar, dass ein Treffen wie dieses so wenig Aufsehen erregte. Denn eines ist ja nicht mehr zu leugnen. Nicht nur das Quantengehirn, die Erfindung Krzsymanskis, alias Newtons, hat sich längst durchgesetzt, wenn auch vorerst nur im östlichen Asien – auch die übrigen in Merson Island entworfenen Projekte für eine andere und, wie manche hartnäckig behaupten, bessere Welt sind längst auf dem Wege der Verwirklichung; einige vorerst noch heimlich wie die Sulfo-Zölo-Gamie andere in aller Öffentlichkeit.

    Warum also hat das damalige Treffen so wenig Aufmerksamkeit erregt? Die Antwort auf dieses Paradox lässt sich keineswegs aus dem Handgelenk schütteln. Sie ist auch nicht damit abzutun dass - außer dem zuvor schon erwähnten Felix Federlein - die Medien praktisch keine Notiz von dem Ereignis nahmen oder allenfalls den berühmten Nacktvogel Gymnopterus maximus kurz erwähnten, weil dessen genetische Programmierung in der breiten Masse eine gewisse Neugierde erweckte. Selbst diese Neugierde ist uns Heutigen allerdings schwer verständlich, sind wir doch längst gewöhnt, von Tieren umgeben zu sein, die aufgrund des Einbaus menschlicher Gene mit uns kommunizieren können. Kommunikation mit der bis dahin stummen Kreatur ist möglich und verschafft besonders den sensibleren Naturen in unserer Mitte ein hohes Maß an Befriedigung, denn zum ersten Mal wissen wir jetzt, wie unsere Mitgeschöpfe über uns denken. Mit-Leid, Mit-Gefühl, aber auch Mit-Freude, kurz eine alle höheren Lebewesen umgreifende und sie vereinende Empathie, sind damit zum Markenzeichen unserer Epoche geworden, ein gewaltiger Fortschritt, den ich keineswegs schmälern möchte. Aber Merson Island auf den Nacktvogel und dessen Erfinder Bobby Spiderton zu reduzieren, wäre denn doch zu einfach. Ein solches Vorgehen liefe auf eine drastische Verengung der Perspektive hinaus. Die Erfindungen und intellektuellen Heldentaten der übrigen Teilnehmer besaßen eine mindestens ebenbürtige Dimension – darüber bestand für mich von dem Augenblick an nicht der geringste Zweifel, als ich tiefer in die Protokolle und Aussagen der auf Merson Geladenen einzudringen begann.

    Und damit bin ich auch schon bei dem springenden Punkt oder vielmehr, dem Punkt, der mich selbst zum Springen und dazu brachte, meine Laufbahn als subalterner Ghostwriter für noch subalternere Politiker aufzugeben und mich ganz der Forschung des damaligen Treffens zu widmen. Ich selbst – das möchte ich der Wahrheit halber gleich zu Anfang berichten – bin nie nach Merson Island gekommen. Seit Lady Lonedale vereinsamt und wohl auch verbittert in einem Altenheim in Heathrow, London, gestorben ist, war wohl auch jede Verbindung zu der entlegenen Insel gekappt. Das sei auch völlig richtig, ließ mich die Lady bei meinem letzten Besuche in London wissen, denn der Lord sei mit ihr nach England zurückgekehrt, als sie aus Altersgründen die Insel aufgeben musste und sich in ein Heim für adlige Senioren begab (da irrt die Lady, denn Lord Palmerstone war bereits tot, als die Lady kurz nach dem Treffen der Koryphäen Merson Island für immer verließ). Ohne den Lord, so die Lady, sei die Insel doch nur eine Anhäufung von totem Gestein und grüner Vegetation gewesen. Der Lord habe die Insel erst zu einem Zentrum der spirituellen Kraft und Ausstrahlung gemacht. Da hatte sie zweifellos recht.

    Seit es uns beide dort nicht mehr gibt, leben dort nur die Möwen, vielleicht sind auch noch einige Exemplare des Nacktvogels übrig. Wer weiß das schon?

    Also, das berichtete die Lady anlässlich meines letzten Interviews kurz vor ihrem Tode, wobei sie immer wieder von der spirituellen Kraft und Ausstrahlung auf Merson Island sprach. Dazu will ich mich noch nicht äußern, umso weniger als die vermeintlichen spirituellen Kräfte in der Tat eine gewaltige, wenn auch, meiner Meinung nach, eher verderbliche Rolle spielten. Die Lady jedenfalls ließ nichts von solcher Kraft erkennen, als ich Sie in ihrem Heim besuchte. Im Gegenteil machte sie einen kränklichen und, wie ich schon sagte, sogar verbitterten Eindruck. Sie beschwerte sich sogar über den längst verstorbenen Lord. Aus einer ihr unbegreiflichen und für sie zutiefst kränkenden Laune sei ihr dieser seit geraumer Zeit nicht mehr erschienen, obwohl er dieser Gewohnheit seit seiner Verwandlung in feinkörperliche Substanz doch regelmäßig oblegen hätte. Diese fehlende Zuwendung eines Mannes, dem sie ihr ganzes Leben gewidmet habe, bereite ihr furchtbare Pein. In der Fortsetzung ihrer irdischen Existenz könne sie allein deswegen keinen Sinn mehr erblicken.

    Die Verbindung mit Merson Island ist also völlig abgerissen. Die Insel ist in den Tiefschlaf zurückgefallen, aus dem sie seit Beginn der Geschichte nur zwei Male aufgeweckt wurde. Immerhin ist es mir aber gelungen, die meisten Teilnehmer des damaligen Treffens persönlich zu kontaktieren und auszufragen. Es ist wahr, dass sich Darwin (Bobby Spiderton) zu diesem Zeitpunkt bereits in einem Zustand fortgeschrittener Auflösung befand, seine berühmt-berüchtigte violette Punkfrisur hat einer schrumpeligen Glatze weichen, sein ehemals stattlicher Kugelbauch zu einer Art fehlplaziertem Kropf schrumpfen müssen. Manni Zhou, deren Können als geübte Agentin und Verführerin eines Nobelpreisträgers das Reich der Mitte den Zugriff auf das Quantengehirn verdankt, wurde zu einer für uns Westler unzugänglichen Eminenz, aber sie hat Memoiren verfasst, aus der ihre damalige Rolle hinreichend deutlich hervorgeht. Maximilian Wendell, den sympathischen alten Herrn, habe ich kurz vor seinem Ableben noch ausführlich sprechen können.

    Setzen Sie zehn Gelehrte um einen Tisch, und Sie werden zwanzig verschiedene Meinungen erhalten, hat er das Treffen auf Merson Island in einem einzigen Satz zusammengefasst. Setzen Sie diese Gelehrten auf einer Insel aus, wo sie einander täglich ertragen müssen, und es werden in kürzester Zeit zentrifugale Kräfte zwischen ihnen entstehen, die sie irgendwann wie eine Supernova mit äußerster Sprengkraft zerplatzen lassen. Sehen Sie, der einzige Bekannte, mit dem ich später noch Kontakt pflegen konnte, ist dieser ehemalige Schüler, Sie wissen schon, Julian Seebenstein, den sie dort als Sekretär angestellt hatten. Er ist übrigens in meine Fußstapfen getreten – ein lieber Mensch und recht erfolgreicher Psychologe, wie Ihnen ja bekannt sein dürfte. Damals schon war er ein lieber Kerl, der an die Güte des Menschen, aber ein gesundes Misstrauen gegenüber unseren allzu selbstbewussten Wissenschaftspropheten und Forschern hegt. Wir beiden schreiben uns bis heute, aber fragen Sie mal die anderen: Pinkelbein, Tentorius, Darwin und wie sie sonst noch heißen. Die sind alle im Zorn auseinander gegangen. Und von dem jungen Theologen hat man nichts mehr gehört. Wie heißt er noch?

    Gottlieb Theophrast, springe ich ein. Damals nannten ihn alle Jesus.

    Richtig, Jesus kam als glühender Weltverbesserer, aber er ging voller Ekel und Zorn. Von Versöhnung wollte er danach nichts mehr wissen. Von seinen Bemühungen um einen gemeinsamen Glauben, der die Menschheit einen sollte, hat auch niemand mehr etwas gehört. Soweit ich weiß, ist er als Eremit auf den Athos gezogen.

    Das stimmt, ich habe ihn dort sprechen können, aber es war nur wenig aus ihm herauszubekommen.

    Und dabei hat damals alles so großartig, so hoffnungsvoll begonnen! Da trafen sich doch lauter Genies auf engstem Raum. Wir versprachen uns davon einen Aufbruch, eine Revolution, eine Erneuerung unseres Denkens und unserer Lebensart – und was ist dabei herausgekommen? Vielleicht haben wir einfach zu viel von den Wissenschaftlern erwartet, wir meinten ja alle und viele meinen es heute noch, dass uns ein paar Formeln erlösen könnten. Doch, sehen Sie, darin liegt für nicht der einzige, nicht einmal der Hauptgrund für das Scheitern des Experiments. Was mich betrifft, bin ich der Meinung, dass Lord Palmerstone, der doch die besten Absichten hegte, wesentlich schuld am Misslingen trägt. Der Lord und die Lady wollten Gelehrte bei sich sehen. Sie glaubten, den reinen Geist nach Merson eingeladen zu haben, doch es kamen leibhaftige Menschen - das war nicht vorgesehen. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

    Wendell, in der damaligen Runde Freud genannt, war ein renommierter Psychologe, ohne Zweifel einer der hervorragendsten seiner Zeit - Wendell sagte tatsächlich nicht mehr. Nur als ich ihn nach dem ‚Retter’ fragte, lebte der alte Mann noch einmal auf.

    Alle hassten ihn, sie begriffen nicht, wie ihn der Lord überhaupt einladen konnte, einen Mann, der die Wissenschaft hasste, der in ihr die Ursache für die meisten uns heute bedrängenden Übel sah. Lord Palmerstone war eben ein Exzentriker durch und durch. Er sah alles in Gegensätzen, die er vereinigten wollte – Coincidentia Oppositorum. Sie kennen diesen Ausdruck natürlich aus der Philosophie der Mystik. Auf Merson Island sollte sich alles treffen und frontal zusammenstoßen: fanatische Forschungsverneinung und grenzenloser Forschungsglaube. Ja, und genauso ist es denn auch gekommen.

    In diesem Gespräch begriff ich zum ersten Mal, wie groß die Wunden waren, die dieses Treffen in den Teilnehmern hinterlassen hatte – gerade weil es zunächst so gewaltige Hoffnungen erregte. Bald wurde mir auch bewusst, dass jeder der ehemaligen Teilnehmer und heutigen Zeugen die Ereignisse von damals aus einer anderen Perspektive sah. Allenfalls gab es zwischen ihnen eine Übereinstimmung im Hinblick auf die nackten Fakten – doch selbst das war nicht immer der Fall. Dieser Vielfalt musste ich unbedingt Rechnung tragen, wenn ich die Ereignisse nicht einseitig darstellen und dadurch verfälschen wollte. So beschloss ich, die Teilnehmer selbst zu Worte kommen zu lassen, damit sie jeweils von ihrem Standpunkt, ihrer eigenen Warte aus – so beschränkt und willkürlich diese auch bisweilen erscheint – ihre je eigene Sicht darlegen.

    1. Das Schiff

    Benedict Krzsymanski:

    Da könnte ich doch manchmal an mir selbst irre werden. Ein wenig strahlende Feriensonne genügt, ein paar spielende Delphine, die vor dem Schiffsbug aus dem Wasser schnellen, ein bisschen lauer Wind, der die Haut mit seidenweichem Finger streichelt, und schon vergisst man die innere Berufung, mutiert zu einem schlichten Urlaubsbürger. Und damit noch nicht genug, auf einmal bringt es mir noch dazu Spaß, hin und wieder einen Seitenblick auf Tamara zu werfen, sie ist ja wirklich schön, wie ihr die leichte Meeresbrise so durch die Haare fährt, ihr eine blonde Strähne über die Augen legt, die sie dann mit lächelnder Ungeduld wegretuschiert, als führte sie einen Liebeshändel mit den Winden des Stillen Ozeans.

    Bin ich, ein Mann der Physik, denn immer noch so primitiv programmiert, dass der alte Adam in mir auf derartige Reize wie ein Pawlowscher Hund reagiert? Längst sollte ich doch begriffen haben, dass genau darin der ganze Betrug unseres Lebens liegt. Immer wieder lassen wir uns von flüchtigen Reizen, etwas Sonnenschein oder einem Lächeln, betören. Dabei ist das alles nicht mehr als Gaukelei, Lüge und Schein. Das Meer ist das Meer ist das Meer, und meine Assistentin bloß Assistentin – nicht mehr und nicht weniger als eine halbwegs brauchbare Hilfskraft. Natürlich ist sie nebenbei auch eine junge und hübsche Frau, aber als Forscher hat mich das rein gar nichts anzugehen! Davor habe ich die Augen zu schließen, ganz bewusst und ohne Wenn und Aber.

    Dennoch, immer gelingt das nicht, schon Beispiel

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