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Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 3: Von Traumtrips, Rattendampfern, wilder Lebenslust und schmerzvollem Abschiednehmen . . .
Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 3: Von Traumtrips, Rattendampfern, wilder Lebenslust und schmerzvollem Abschiednehmen . . .
Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 3: Von Traumtrips, Rattendampfern, wilder Lebenslust und schmerzvollem Abschiednehmen . . .
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Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 3: Von Traumtrips, Rattendampfern, wilder Lebenslust und schmerzvollem Abschiednehmen . . .

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About this ebook

Im dritten Band dieser Seefahrtserinnerungen bleibt der Autor seinem Stil treu und scheut sich nicht, brisante Themen anzusprechen. Offen wird über Tricksereien bei der Verschmutzung der Meere, über riskantes Berechnen der Schiffsstabilität oder über nicht korrekte Besetzung der Schiffe geredet. Ebenso deutlich wird das Thema Sex behandelt, wird ohne falsche Scham über eine andere Perspektive beim Blick auf Konventionen und gutbürgerliche Moral diskutiert. Der Autor nimmt uns beispielsweise mit in das Viertel 'La Pilota' im kolumbianischen Hafen Buenaventura, welches, im nüchternen Zustand betrachtet, ein von Laster, Verbrechen, Elend und Seuchen aufgedunsenes Geschwür war und von den Seeleuten nicht ohne Grund den wenig schmeichelhaften Spitznamen 'Schanker-Hill' bekommen hatte. Wir werden Zeuge, wie redliche Prinzipien über Bord geworfen werden, weil man plötzlich in einer von leidenschaftlichen Gefühlen vernebelten anderen Welt zu leben glaubt. Die Arbeit für einen, von einer jungen Chinesin auf den Philippinen geführten Schmugglerring ist so ein Thema. Der Sturz des Diktators Marcos wird hautnah erlebt, ebenso eine Reise zur Insel des Tyrannen Macias Nguema in Westafrika. Safariabenteuer, der Reiz wunderschöner Küstenstriche, der nüchterne Alltag an Bord oder die zärtlichen Momente eines komplizierten Familienlebens kommen zur Sprache.
"Der Autor", so die Meinung eines Lesers, "hat den Mut zu einer ehrlichen Darstellung der Seefahrt, besonders hinter den Kulissen, gefunden. Alle Härten auf See, aber auch die Schönheiten der Welt sind in ausgezeichneter Weise dargestellt…"
In den letzten Jahren hat sich die Seefahrt rasant gewandelt, fast so dramatisch wie einst, als die Großsegler von den Dampfschiffen, die Stückgutfrachter von den Containerschiffen abgelöst wurden.
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateApr 13, 2014
ISBN9783847684282
Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 3: Von Traumtrips, Rattendampfern, wilder Lebenslust und schmerzvollem Abschiednehmen . . .

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    Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 3 - Mario Covi

    1. AUCH DAS MEER IST UMWELT

    Ein halbes Jahr war ich nun auf der Marlene-S. Nächste Reise sollten wir in die Karibik. Eventuell...

    Wir lagen in Ellesmere, bei Liverpool, und eine Horde von Hafenmädchen tummelte sich an Bord. Arbeitslose junge Dinger, zum Teil ganz niedlich, zum Teil armselige, schlampenhafte Kreaturen.

    Drei Tage später, am 22. April 1982, erfuhren wir, dass es nichts würde mit der Karibikreise. Wir fuhren erst mal nach Antwerpen. Da im Augenblick keine Charter aufzutreiben war, sollten wir anschließend nach Bremerhaven in die Werft gehen. Das war die große Gelegenheit, Frau und Kind wiederzusehen!

    Als wir Vlissingen passierten, rief Kapitän Edeling (alle Namen meiner Kollegen sind auch in diesem Band geändert) von der Brücke: „Funker, komm mal schnell hoch: Da! Ihre Kollegen! – Und er wies auf ein ankerndes Greenpeace-Schiff, das, wie ich erfuhr, einem Säureverklapper auflauerte. Ich fühlte mich geehrt, mit den weitaus konsequenteren Regenbogenkriegern auf eine Stufe gestellt zu werden. Ich spürte aber auch die hämische Provokation. Denn der Alte machte keinen Hehl daraus, diese Typen alle für Spinner, das Problem der Umweltverseuchung für übertriebenes Gerede, die Proteste gegen eine Vergewaltigung unseres Planeten für inkompetente Behinderung wichtiger Industriezweige durch wirklichkeitsfremde Traumtänzer zu halten. Es ärgerte mich, dass sich derlei Scheuklappenperspektive mit dem Attribut realistischen Denkens zierte. So fragte ich die feixende Brückengarde, ob es denn keine traumtänzerische Beschränktheit sei, vor Tatsachen wie Giftmüllskandalen oder Ölpest die Augen zuzukneifen. Den Alten fragte ich, ob es ihm entgangen sei, dass beispielsweise Elb-Aal wegen Schwermetallrückständen und Blumenkohlkrankheit nicht mehr genießbar sei. Seine Antwort war wie eine Formel, die kaum deutlicher artikulierte, wo der Hund begraben lag: „Wieso, ich esse keinen Aal!

    Das war einer der Augenblicke, in denen es einem die Sprache verschlägt. Der absolute Sieg trivialer Binsenweisheit...

    Es war schon erstaunlich, wie man vor jährlich 50 Millionen Tonnen Umweltgiften, die behördlich abgesegnet in der Nordsee verklappt und verbrannt wurden, die klugen Blauäugelein schließen konnte. Da schütteten Passagierschiffe, auch deutsche, täglich Tonnen von Abfällen ins Meer. Dieselben zu TV-Kitsch vermarkteten Luxus-Liner, die ihren Fahrgästen die heile Welt zu zeigen vorgaben. Ein Offizier berichtete mir, man habe peinlich darauf geachtet, dass – etwa in den malerischen Fjorden Norwegens – der Müll keine imagezerstörenden Gegenstände, auf denen der Schiffsname stand, enthalten habe.

    Da wurden Tanks gewaschen und ohne mit der Wimper zu zucken in verbotenen Zonen Öl und Bilgenschlamm ins Meer gepumpt. Ins gleiche Bild passten die kleinkarierten Behördenmaßnahmen, um Öltagebuchfälschern das Handwerk zu legen. Wenn da ein sowieso schon morscher Supertanker auch noch tüchtig überladen Wilhelmshaven anlief und dies ruchbar wurde, konnte die Wasserschutzpolizei nur die Höchststrafe von 10.000 Mark verhängen. Vorausgesetzt, die Gesellschaft, deren Flagge die potentielle Ölpestbombe zierte, war überhaupt über irgendein Fürstentumpostfach oder einen bananenrepublikanischen Briefkasten zu erreichen. Dabei waren zehn Mille nur ein Trinkgeld im Vergleich zum Reibach, der durch die Überladung gemacht worden war. Das Geld ließ sich lächelnd, mit einem weltmännischen „Sorry!" über den Kapitänsschreibtisch schieben. Im Zweikampf gegen das internationale Profitpiratentum zogen die Behörden dauernd den Kürzeren. Das erbitterte auch viele ehrenwerte Kapitäne, Reeder und Seeleute, die derartiges Verhalten als unfairen Wettbewerb und alles andere als erstrebenswert fanden.

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    Ich blättere in meinen Tagebuchblättern zurück und finde unter dem 20. Juni 1981 folgenden Eintrag: „Erreichen die Straße von Gibraltar. Abends stellen sich der Chief und der Zweite Ingenieur zu einem Tonbandgespräch zur Verfügung, dessen einleitendes Thema mir in den Sinn kommt, als wir die südspanische Sonnenküste entlang pflügen: Das Wasser ist voller Unrat und Dreck. Hier hatte ich mich vor etwa sechs Jahren mit einem Australier im Faltboot hinausgewagt, und in einem langgezogenen Strömungsband voller Abfälle waren wir zweimal einem Hai begegnet, der sich in dieser witterungsgesättigten Jauche sichtlich wohl fühlte. Wir hatten ihm mit leisen Paddelschlägen weiten Raum gegeben, was der haierfahrene australische Kanu-Surfer bei den Ausmaßen der Rückenfinne als Gebot der Vernunft erachtet hatte..."

    Damals, Mitte der siebziger Jahre, war mir die Verschmutzung dieser Gewässer hautnah vorgeführt worden. Inzwischen war mir beim Schippern durch das Mittelmeer immer deutlicher geworden, welche Sauerei da stattfand. Im Bereich großer Küstenstädte wurde die See zur keimstrotzenden Kloake. Streckenweise konnte man im Mittelmeer alle paar Meter ein Stück Plastik schwimmen sehen: leuchtende Einkaufstüten, bunte Kunststoffkanister, weiße Styroporfetzen, die Farbenpracht sämtlicher Polyäthylen-Gebrauchsartikel, denen eine gedankenlose Wegwerfgesellschaft Lebewohl gesagt hatte. Und diese farbenprächtige Schweinerei war nur die augenfällige Oberfläche eines weitaus tiefer gehenden Problems, vor dem auch wir Seeleute gerne die Augen verschlossen.

    So fragte ich also den Chief, was mit dem alten Öl gemacht werde.

    „Normalerweise kommt das in den Schlammtank, und dann – irgendwie geben wir das dann an Land. Wenn die Möglichkeit besteht. Oder man pumpt es ab, in Ölzonen, wo das erlaubt ist."

    „Nun sind Sie aber in einem Fahrtgebiet, wo das nicht möglich ist. Was machen Sie dann?"

    „Tja, was mach ich dann... Wenn’s dunkel ist, dann raus den Mist. Und hoffen, dass es keiner sieht!"

    „Es ist nicht erlaubt. Aber, aus welchen Gründen machen Sie es trotzdem?"

    „Um Schwierigkeiten mit der Reederei aus dem Wege zu gehen. Und weil ich keine Gelegenheit habe, das Zeug abzugeben. Wo soll ich damit hin?"

    „Haben Sie das schon so praktiziert?, fragte ich noch einmal. Des Chiefs Antwort war ehrlich: „Natürlich!

    Wir kamen auf das Öltagebuch zu sprechen. Chief und Zweiter waren sich einig, dass man eventuelle Falscheintragungen mit größter Vorsicht vornehmen sollte. Der Chief gab zu: „Ja, man muss es schon frisieren, mit der Menge, muss eben sagen, dass alle vier Wochen oder so gepumpt wurde. Oder mal richtig was aufschreiben: fünf, sechs, sieben Tonnen. Und da muss man mit hinkommen. Man darf da nicht zu oft was reinschreiben!"

    Der Zweite meinte zu diesem Problem: „Wurst ist mir das auf gar keinen Fall! Und wenn ich Öl über Bord pumpe, dann ist das für mich, dass ich unter einem Zwang stehe, das zu machen. Weigere ich mich, dann kann ich damit rechnen, dass ich die längste Zeit, wenn ich Chief wäre, als Chief gefahren bin. Also ist das eine reine Überlegungssache, dass einem das Hemd näher ist als die Hose, und man dann das Öl doch in verbotenen Gebieten über Bord pumpt. Es bleibt einem ja gar keine andere Möglichkeit, wenn man Familie hat, wenn man Verpflichtungen hat..."

    Die beiden Schiffsingenieure konnten noch ein markantes Beispiel für die Aggressivität des Mittelmeerwassers beisteuern. Sie erzählten, dass sie die Seewasserrohre im Mittelmeergebiet alle sechs Monate austauschen müssten. „Dann sind sie durchgefressen, sagte der Chief. „Wenn wir aber im Atlantik, oder sonst wo herum schippern, dann halten die Dinger gut und gerne zwei Jahre!

    Über die Manipulationen, mit denen Kapitän und Chief eines Säureverklappungsschiffes die Umwelt betrogen hatten, berichtete mir ein ehemaliges Besatzungsmitglied: „Die bekamen pro Abfahrt eine extra Prämie. Also ließen sie beim Laden über die geöffneten Ventile den Dreck gleich in den Fluss fließen. Und wenn dann das Schiff offiziell voll war, hatten sie bereits einen Teil der Ladung abgelassen und Zeit für eine schnelle Tour gewonnen. Den Rest pumpten sie während der Fahrt aus den Tanks, also schon lange, bevor das Schiff die genehmigte Verklappungszone in der Nordsee erreichte. Die fuhren nur rein und raus, und kassierten Prämien..."

    Als vor einigen Jahren das Öldesaster auf einer Bohrinsel von einem Mitglied der Crew eines Versorgers fotografiert wurde, was von einem Hubschrauber aus beobachtet worden war, sollte der Mann den belichteten Film herausrücken. Als er sich weigerte und nicht unter Druck setzen ließ, kaufte man sich sein Schweigen für angeblich zweieinhalbtausend Dollar.

    Auch das Meer, vor allem das Meer ist Umwelt! Aber es wird weiter gemauschelt, beschissen und betrogen. Über die Leihgabe Erde können wir kleinen, einzelnen Menschlein längst nicht mehr bestimmen. Wir dürfen zwar kräftig mithelfen, den ollen Globus mit Überfluss voll zu müllen. Doch besitzen wir den Planeten Erde? Nein, den Anspruch haben längst Institutionen erhoben: Der weltweite Filz der Konzerne und Trusts, die Multis, die ‚Global Player‘...

    2. KRIEGSGELÜSTE UND FATALES KAFFEEKOCHEN

    Für eine ganze Woche hatte ich mich während der Werftzeit in Bremerhaven nach Hause absetzen können. Sieben rundum schöne Tage, obwohl sich unser Mädchen mit einem bösen Keuchhusten quälen musste. Sie war aber sichtlich glücklich, wieder einen Papa zu haben und deutete jede sichtbare Dreierkonstellation ihrer kindlichen Umwelt – etwa drei zufällige Sonnenkringel – mit anrührendem Plapperstimmchen: „Mama, Papa, Miriam!"

    Mitte Mai 1982 lagen wir am Scheldekai Antwerpens. Die Beladung der Marlene-S mit einer kompletten, für den Irak bestimmten Fabrikanlage in Kisten und Kästen, dauerte gleich mehrere Tage. Es war tatsächlich wieder so wie einst in der Stückgutfahrt, und wir nutzten die Liegezeit zu ausgiebigen Stadtbesuchen.

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    Seit Bremerhaven hatte sich die Mannschaftsliste wieder stark geändert. Unten wie oben gab es neue Gesichter. Wir hatten einen neuen Chief, und Kapitän Ruhnau wirkte weitaus gemütlicher und gelassener als sein Vorgänger. Schließlich befand sich noch ein Gast an Bord: die Verlobte des Zweiten Steuermanns.

    Im östlichen Mittelmeer herrschte endlich prachtvolles Sommerwetter. Abends saß ich meistens beim Chief Thiele, dessen Kammer zur ‚blauen Grotte‘ erkoren worden war, um mit ihm und dem Ersten Schlüter einen gemütlichen Plausch zu halten. Gelegentlich gesellten sich der Zweite Ing, der Zweite Offizier und seine Verlobte dazu, oder der Alte warf einen kurzen Blick in unsere fidele Korona und bedauerte es sichtlich, von 20 bis 24 Uhr auf Wache gehen zu müssen. Ja, die Stimmung war wieder harmonisch. Ganz eindeutig!

    Zwei Dutzend Schiffe aus aller Welt hatten vor Mersin, im Osten der Türkei, Anker geworfen. Am Haken schwojend genossen wir die Tage der Ruhe, räkelten uns während der Freizeit in der Sonne und hielten abends kurzweilige Klönschnacks. Der neue Alte, Kapitän Ruhnau, schien noch einer von diesen gemütlichen Seebären zu sein, die in der Seefahrt einen befriedigenden Lebensinhalt sahen und dies in einer von genießerischer Lebensart geprägten Ruhe auf ihre Umwelt übertrugen. Er liebte ein anregendes Beisammensein mit Storys und Geschichten über die Dinge, die hinter der Kimm auf Entdeckung warteten. Er liebte die dazugehörenden Drinks und seinen stets qualmenden Tabaksknösel.

    Die Weltgeschichte hatte wieder ein Schlagzeilenthema: Der Falklandkonflikt lieferte auch unserer täglichen Funkpresse aufwühlende Textblöcke. Da schlugen abermals sich zivilisiert bezeichnende Völker aufeinander ein. Nationalistische Leidenschaften wurden strapaziert. Und junge Männer ließen sich für den eitlen Wahnwitz geschniegelter Operettengeneräle und für eine im Britannia-rules-the-waves-Denken steckengebliebene Eiserne Lady die Gliedmaßen zerfetzen und die Gedärme zerfleischen. Und die beschränkten Mariner-Bräute jubelten auch noch! Sie hatten scheinbar ihr letztes Krümelchen Verstand vervögelt, denn keine plärrte Rotz und Wasser bei der Vorstellung, dass Krieg barbarisch in die Weichteile fetzt, dass sie ihren pimmelstrammen Kriegshelden querschnittsgelähmt, ohne Gesicht, mit abgeschossenen Eiern, als einen in seiner eigenen Kacke dampfenden Torso zurückbekommen könnte! Falls überhaupt. Wie phantasielos Säbelgerassel macht, wurde uns von neuem vor Augen geführt. Und wir nahmen es zur Kenntnis, und keiner kotzte! Nein, keiner kotzte!

    Als wir dann im Hafen die unzähligen Kolli löschten, erinnerten wir uns, dass auch hier ein Gebiet mit Nachschub versorgt wurde, wo Krieg die Herzen höher schlagen ließ. Wir ahnten nicht, dass sich der Name Saddam Husseins noch lange nach dem Iran-Irak-Krieg in die blutbesudelten Seiten der Geschichtsschreibung brennen würde. Und wir alle waren daran beteiligt, den Kriegstreibern die georderten Güter zu liefern. Fracht, die in jeder nur möglichen Form der Verschleierung und Täuschung garantiert nichts weiter als Kriegsmaterial war.

    Wieder einmal saßen wir vergnügt beisammen und hatten uns bis nach Mitternacht mit den verrücktesten Storys vollgelabert. Nach Wachschluss gesellte sich Kapitän Ruhnau zu uns und wusste einige Döntjes beizusteuern:

    Man ankerte vor Barranquilla. Wegen der berüchtigten kolumbianischen Piraten wurden vier Mann zur Nachtwache eingeteilt. Ein Matrose vorn, ein Matrose achtern, der Zweite Offizier auf der Brücke und ein Assi (Ingenieursassistent) im Maschinenraum. Gegen Mitternacht verschwand der Matrose, der das Achterschiff bewachte, zum Kaffeekochen in die Aufbauten und ging in die Pantry. Auf diesen Augenblick hatten in der Finsternis der Tropennacht die Banditen in ihren Kanus gewartet. Behände enterten sie den Pott und legten sich auf die Lauer.

    Als der Matrose vom Kaffeekochen zu einem Rundgang aufs Achterdeck zurückkehrte, wurde er von den Flusspiraten wahrgenommen. Ein kurzes Handgemenge, dann war er seine Uhr los, war geknebelt und an die Verschanzung gefesselt. Die Banditen hatten Nummer eins ausgeschaltet, und es dauerte nicht lange, da erschien der Assi an Deck. Er hatte in der Messe seinen mitternächtlichen Kaffeepartner vermisst und wollte nach ihm schauen. Nun ereilte ihn das gleiche Schicksal: aus dem Schatten der hinteren Aufbauten stürzten sich die braunhäutigen Desperados auf den Ahnungslosen. Nummer zwei wurde fachmännisch an das Schanzkleid des Schiffes gebunden. Mittlerweile hatte der Matrose auf dem Vorschiff auf die Meldung seines Kameraden gewartet, dass der Kaffee fertig sei und er für ein Weilchen verschwinden könne. Als sich nun sein Macker immer weiter verspätete, wurde er unruhig und entschloss sich, mal achtern nachzusehen: Auch Nummer drei lief in die Falle. Der Seemann musste seine Uhr hergeben und das Schanzkleid des Schiffes zieren.

    Auf der Brücke wunderte sich der Zweite Offizier nach geraumer Weile, warum unten an Deck keiner der Wachleute mehr auf einem Rundgang zu sehen war. Sollten die Jungs solch ein lasches Pflichtbewusstsein haben? Er rief die Messe an. Keine Antwort. Auch aus dem Maschinenraum war weder über die Wechselsprechanlage noch über das Bordtelefon eine Antwort zu bekommen. Komisch... Hocken vielleicht in der Kammer und saufen, dachte sich der Zweite als er letztendlich nach unten ging, um nach dem Rechten zu sehen. Doch weder in der Messe, noch in einer der Kajüten saßen die drei. Als der Steuermann schließlich an Deck ging, stand das gewalttätige Empfangskomitee längst grinsend bereit.

    Nun hatten die Piraten freie Hand. Alle an Bord schliefen, glaubten sie doch, dass vier Mann den Dampfer vor bösen Seeräubern bewachten. Mit seemännischer Sachkenntnis fanden diese indessen den Zollstore, knackten das Zollsiegel, brachen die Tür auf und schleppten die teure Beute in ihre Kanus. Mit Zigarettenkartons, Kisten voller Whisky, Gin und Rum sowie allerlei anderen zollfreien Waren beladen, paddelten die Banditen in die schwarze Nacht davon. Den vier Gefesselten gelang es erst im Morgengrauen, sich zu befreien und Alarm zu schlagen.

    Unsere Plauderrunde kam auf das Thema ‚Style‘ und ‚Style-Reedereien‘ zu sprechen. Ausgiebig wurde mit kleinen Anekdoten belegt, wie das da und dort so war, wie man als Dritter grundsätzlich fertig gemacht wurde von dünkelhaften Vorgesetzten, die ihrerseits von hochmütigen Kapitänen zur Schnecke gemacht worden waren, denen wiederum einst im Mai der Stolz auf Flagge und Uniform und das dazugehörende elitäre Gebaren eingebläut worden waren. Verbiesterter Kastengeist uferte da manchmal grotesk aus, wenn beispielsweise einem Ingenieursassistenten verboten wurde, mit einem Matrosen nach Feierabend einen Klönschnack zu halten. Dass die beiden nahe Verwandte waren, tat nichts zur Sache, es war einfach unter der Würde eines Offiziersanwärters, mit einem popligen Polleraffen kameradschaftliche Nähe zu praktizieren. Die Disziplin, die Hierarchie, Zucht, Ordnung, Etikette und andere heilige Kühe verknöcherter Marinetradition wären in Frage gestellt worden!

    Ein Koch, der unzählige Jahre lang beim Norddeutschen Lloyd gefahren war, kündigte entsetzt, als die traditionsreiche Bremer Reederei mit der verhassten Hamburger Konkurrenz Hapag fusionierte. Es war für ihn unzumutbar, so seine felsenfeste Überzeugung – mit der er absolut nicht allein stand -, unter einer durch die Hapag verfärbten Lloydflagge zu fahren. Undenkbar! Glatter Verrat! Dass der Mann nun unter den schäbigsten Trampflaggen und viel mieseren Bedingungen sein Brot verdiente, schien bei ihm als Argument nicht zu verfangen. Über diese Variante kleinkarierter lokalpatriotischer Verbohrtheit war ich doch leicht erschüttert...

    Aber, so war es eben. Selbstverständlich war der eiserne Stolz ab und an auch heftig erschüttert worden. Kapitän Ruhnau erinnerte sich, wie während eines Ankermanövers im strömenden Regen der Dritte Offizier, schmuck uniformiert, mit einem Regenschirm auf die Back geeilt war. Als der Kapitän den Dritten mit modischem Schirm auf dem Vorschiff stehen sah, brach für den Mann eine Welt zusammen. „So etwas, soll er entsetzt aufgestöhnt haben, „ist mir während meiner ganzen, langjährigen Lloydlaufbahn noch nicht untergekommen!

    Dass der Dritte für eine verbale Hinrichtung reif war und gehen musste, war die logische Folge seines unverzeihlichen, jeglicher seemännischer Würde hohnlachenden Handelns. Nun ja, ein bisschen seemännischer hätte der Kerl sich schon verhalten können, oder?

    Und dann hatte der Alte noch eine letzte Episode zu erzählen, bevor sich die gutgelaunte Runde auflöste:

    Auf einem Karibikfahrer, dessen Kommandant ein übler Zeitgenosse gewesen sein soll, war der Steward gesackt und zum Passagier umgemustert worden. Ein Zustand allerdings, dem, außer der Bezahlung der Passage, sämtliche Fahrgastprivilegien fehlten. So war dem Zwangspassagier auch der Landgang verwehrt. Der Steward aber schlich sich in einem der wüsten Hafenlöcher an Mittelamerikas Dschungelküste heimlich über die Gangway – und wurde vom verblüfften Kommandanten erspäht!

    Nun begann eine Hatz besonderer Art. Der Steward, als eifriger Landgänger mit allen Wassern gewaschen, versuchte den verhassten Alten abzuschütteln. Dieser wiederum, die gerechte Sache zu hundert Prozent auf seiner Seite wissend, stürmte wütend hinterher: ein Racheengel, die Nemesis höchstpersönlich, ein von gerechtem Zorn gebeutelter Na-warte-du-Halunke-Sheriff. Der Steward schlug Haken, wuselte um die Schuppen, täuschte Richtungen vor, setzte zu Sprints an – und hielt nichts weiter als Abstand. Der Alte war wie ein Bluthund nicht von der Spur abzuschütteln.

    Sie hatten das exotische Dörfchen erreicht. In diesem Geviert kannte sich der Steward bestens aus. Aber auch dem Kommandanten schienen die sündigen Pfade seiner Janmaaten zu den Kneipen und Kaschemmen nicht unbekannt zu sein. Der Verfolgte legte eine labyrinthische Fährte, lief durch Schlammlöcher, wo sich Schweine suhlten und Geier zankten, durchwatete Bäche voller Unrat und Krankheitskeime - es half nichts: der Alte klebte hartnäckig und vor Wut schier krepierend an den Fersen des Bösewichts.

    Da hatte der um die Früchte seiner waghalsigen Flucht Betrogene einen Einfall. Er besann sich seiner Spanischkenntnisse und schrie: „Hilfe! Räuber! Ein Bandit verfolgt mich und will mich ausrauben! Da! Der Kerl da hinten!"

    Das half. Sofort solidarisierte sich das Volk mit dem Verfolgten, alarmierte die Polizei, und der Rachefeldzug des Kapitäns endete unerwartet dort, wo er den Steward eigentlich hin wünschte: im Kalabus! Der Steward sah sich noch zufrieden den von wilden Protesten begleiteten Abtransport des Alten Richtung Knast an, und stürzte sich vergnügt in die liederliche Schwüle der nächstbesten Spelunke.

    In der Zwischenzeit versuchte der Alte auf der Polizeiwache die Lage zu klären. Da er sich aber nicht ausweisen konnte, blieb er hinter Gittern. Seine Beteuerungen, Kapitän des deutschen Motorschiffs Soundso zu sein, wurden mit Hohn beantwortet: „Auf so dumme Sprüche fallen wir doch nicht rein, Señor!" – Und weil er keine Ruhe gab, machte er schmerzhaft mit dem ‚Migränestab‘ Bekanntschaft.

    Als am folgenden Morgen der Agent an Bord kam und nach dem Kommandanten fragte, waren die Offiziere bereit, das steife Image des Alten zu überdenken: „O lala! Sollte unser Master in den willigen Armen einer süßen Hafenbraut versumpft sein?" – Als er gegen zehn Uhr immer noch nicht auftauchte, reuezerknirscht und verschwiemelt, machte man sich Sorgen, zumal: der gesackte Steward verschwunden, der Alte weg – da stimmte doch etwas nicht!

    Der Agenturvertreter rief die Polizei an: „Der Capitano des deutschen Schiffes ist spurlos verschwunden... „

    „Wie? Kapitän? Vom deutschen Motorschiff... Caramba! Wir haben da so einen Rabauken, der pöbelt hier rum und behauptet Capitano zu sein!", kam es vom anderen Ende der Leitung.

    „Mierda! Das muss er sein, claro que si! Wie ist es nur möglich, dass Sie diesen Caballero in den Kalabus werfen, Madre de Díos!" – Und endlich klärte ein temperamentvolles Feuerwerk den peinlichen Zwischenfall. Der Kommandant wurde mit höflicher Zuvorkommenheit und unter theatralisch vorgetragenen Ausdrücken allertiefsten Bedauerns an Bord eskortiert. Dort ließen es sich die Janmaaten natürlich nicht nehmen, schadenfroh grinsend dem Empfang des ziemlich mitgenommen aussehenden Alten beizuwohnen.

    „Den Steward aber, beendete Kapitän Ruhnau seine Story, „brachten die Polizisten ein paar Stunden später. Sie hatten ihn bald in einem der Puffs aufgelesen und auf die Wache mitgenommen. Und dort hatten sie ihren verletzten Stolz, von dem Kerl so böse reingelegt worden zu sein, mit brutalen Schlägen gerächt. Mann, der sah übel zugerichtet aus!

    3. SCHWANZPARADE

    Time keeps on slippin‘... into the future ... Jaja, die Zeit verrinnt, die Jahre rauschen vorüber. Wehmütige Liedtexte kamen mir in den Sinn. Aber auch blöde Schnacks: Schnell ist nichts getan, packen wir’s an!

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    Damals, am 14. Juni 1982, zelebrierte ich Erinnerung: Zwanzig Jahre zuvor, also 1962, hatte ich vor der Oberpostdirektion in Hamburg meine Prüfung zum Erwerb des Seefunkzeugnisses zweiter Klasse abgelegt. Ein Grund zum Feiern? Na klar, zwanzig Jahre Funkenpusterei und noch immer nicht in der Klapsmühle. Damals war ich noch freudig dabei, die Morsetaste zu quälen, die Antennen zu heizen, ein Familienleben auf Sparflamme zu führen. Ich war weder Junggeselle noch Ehegatte, ein Urlaubsvater und Liebhaber auf Zeit, ein im naiven Glauben an das Abenteuer hinter den Horizonten schon ziemlich ergrauter Träumer.

    Also feierten wir und klemmten uns in meine kleine Kajüte, die nicht geräumiger als ein Eisenbahnabteil war. Rasch fanden wir in eine gemütliche Plauderstimmung, kramten in Erinnerungen und erzählten wieder einmal Begebenheiten aus unseren Seefahrtsjahren.

    Es war manchmal witzig, wie sich bei derlei Story-Abenden plötzlich ein Thema herauskristallisierte. Da berichtete zum Beispiel einer von einem dieser älteren Pötte ohne Klimaanlage, auf denen man wegen der Hitze immer sämtliche Kammertüren geöffnet ließ. Nach einer wüsten Geburtstagsparty schlichen sich im Mannschaftslogis ein paar Unentwegte von Koje zu Koje. Sie spannten dünne Schnüre, die sie dem einen schnarchenden Sailor ums Bein, dem nächsten röchelnden Matrosen um den großen Zeh, einem selig seinen Rausch ausratzenden Schmierer ums abstehende Segelohr und um jeden erreichbaren, in der Tropenschwüle ins Freie drängenden Janmaatenpimmel, um jedes freischaukelnde Beischlafsgeschirr

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