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Ich glaube, die Musen können mich mal!
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Ebook451 pages6 hours

Ich glaube, die Musen können mich mal!

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About this ebook

Über dieses Buch.
Renate, gerade 17 Jahre alt geworden, muss nach dem Tod ihrer Mutter, zu ihrer noch einzigen Verwandten nach England übersiedeln. Dort wird sie von ihrer Tante Elisabeth umgehend in ein Internat gesteckt. Allen Beteuerungen zum Trotz 'es wäre nur zu ihrem Besten', fühlt sich Renate abgeschoben und unglücklich. Im College findet sie aber zu ihrer grenzenlosen Erleichterung, in Aveline und Patrick, zwei richtig coole Freunde. Dann gibt es da noch Aidan, einen recht dubiosen Mitschüler. Der scheint nicht nur über den Mord an Renates Mutter Bescheid zu wissen, sondern behauptet doch tatsächlich ein Elbenprinz zu sein. Weiterhin versucht er Renate klar zu machen, dass ihr Name nicht nur 'die Wiedergeborene' bedeutet, sondern sie tatsächlich auch eine ist. 'Nomen est Omen' sozusagen. Aidan überredet sie, mit ihm nach Florenz zu reisen, um dem Mörder auf die Spur zu kommen. Renate muss im Laufe der Zeit nicht nur einsehen, dass mystische Wesen nicht nur in Märchen vorkommen, sondern lernt sie auch persönlich kennen. Elben, Undine, Satyr und angebliche Götter demonstrieren nicht nur Macht und Überheblichkeit, sondern lassen auch tief blicken, mit ihren Intrigen und Eitelkeiten. Renate fragt sich zu Recht: Was mache ich eigentlich hier? Wird es nicht gefährlich, wenn man Mörder jagt? Und seit wann gibt es so süße Elbenbengel? Darf man sich in so einen überhaupt verlieben, oder gibt es dagegen auch Regeln? Während sie noch denkt, sie wäre im falschen Film, steckt sie schon mittendrin in einem Chaos, welches sie bis nach England zurückverfolgt und nicht nur Renate, sondern auch ihre Tante in höchste Gefahr bringt.
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateAug 30, 2016
ISBN9783742792488
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    Book preview

    Ich glaube, die Musen können mich mal! - Renate Göbel

    Impressum: Ich glaube, die Musen können mich mal!

    Ein all age Fantasyroman.

    Von Renate Carlotta Göbel

    Copyright by Renate Carlotta Göbel, Hann. Münden, 2016

    Cover: Florian Jünemann

    Lektorat: Michaela Offermann

    Ca. 420 print pages

    1. Sogenannte Schicksalsschläge und Ärmelkanalüberquerungen sind zum Kotzen!

    Oh, mir war schlecht. So richtig, richtig übel. Man sollte meinen im Sommer hat man Glück und die See ist ruhig. Pustekuchen! Sturm und Wellengang bis zum Erbrechen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Da konnten eine Stunde und 30 Minuten zur Ewigkeit werden. Als ob 600 km Autofahrt nicht schon gereicht hätten, saß ich nun auf der Fähre Calais – Dover und tat mir so richtig selber leid. Spucktüten wurden zwar verteilt, aber ich mochte mich nicht übergeben. Stinkend wollte ich auch nicht in England ankommen. Ja, ganz richtig. Ich musste umziehen und zwar nach England, oder korrekt ausgedrückt ins Vereinigte Königreich. (Wird, glaube ich, sehr viel Wert drauf gelegt). Nicht zum Sightseeing oder Urlaub, nein diesmal sollte es für länger sein.

    Meine Tante Elisabeth holte mich zu sich und zu meinem Onkel. Sie ist seit zehn Jahren verheiratet mit einem Engländer. Oliver Bennet ist Zahnarzt und hat eine Praxis in Canterbury. Die beiden waren jetzt meine einzige Familie, die ich noch hatte. Großeltern tot, Vater hatte ich nie kennengelernt. Das ist unter Umständen noch fast normal, ich meine so etwas kommt vor. Aber das richtig Schlimme war, meine Mutter war jetzt auch tot und nicht etwa durch Krankheit oder Unfall. Nein, sie wurde ermordet!

    Ja genau, ermordet!

    Ich konnte es immer noch nicht fassen und so richtig reden konnte ich auch mit niemandem darüber. Ich war jetzt nicht dabei und habe es miterleben müssen, oder so. Nein, das nicht. Aber als ich an jenem Tag aus der Schule kam, standen vor unserer Wohnung Krankenwagen und Polizei. Das war erst einmal ein Schock, denn wenn solche Rettungskräfte vor der Tür stehen bedeutete das nichts Gutes. Als ich in die Wohnung wollte, um nachzusehen was da los war, ließ man mich nicht hinein. Ein Polizeibeamter verstellte mir den Weg und wollte wissen wer ich war. Ich erklärte ihm, dass ich hier wohnen würde und zu meiner Mutter wollte.

    Ich durfte aber nicht rein und was eigentlich geschehen war wollte man mir auch nicht mitteilen. Ob ich eine Adresse hätte wo ich vorerst hingehen könnte? Es würde sich dann jemand bei mir melden und mich aufklären. Verdattert und verunsichert nannte ich die Adresse meiner besten Freundin Pia Klaas. Ich weiß noch, dass ich tatsächlich dort hingegangen bin und aufgenommen wurde. Pias Eltern hielten mir später auch die Kriminalbeamten vom Hals. Denn als es hieß, meine Mutter sei tot und ermordet worden, stand ich verständlicherweise erst einmal neben der Spur.

    Zuerst wollte und konnte ich mit niemandem darüber reden und dann stellte sich heraus, dass auch andere nicht gerne über solche Dinge redeten. Vor allem nicht mit den Betroffenen. Ich meine, untereinander wurde im Dorf schon sehr gerne darüber getuschelt. Sensationslüstern war man dann doch. Ein echter Mord wird einem ja schließlich nicht alle Tage so hautnah geboten. Nur mit mir und meinen Gefühlen wollte und konnte man nichts anfangen.

    Auch Tante Elisabeth fing immer gleich an zu weinen und murmelte dann:

    „Du armes Mädchen! Was für ein Schicksalsschlag!"

    Alle anderen waren nur peinlich berührt und versuchten schnell abzulenken. Nun ja, kam ich eben allein damit klar. So gesehen war es sogar ganz gut aus Deutschland wegzukommen. In England kannte mich keiner, und ich würde den Teufel tun, irgendjemandem meine Familiengeschichte zu erzählen. Also, wenn alles gut ging würde nicht hinter meinem Rücken getuschelt werden. So etwas ist nämlich ganz schlimm.

    Mir fehlte bestimmt niemand, außer meiner besten Freundin Pia natürlich. Die würde ich mit Sicherheit schmerzlich vermissen. Wir kannten uns schon so lange und so gut, dass uns manche Leute sogar für Geschwister hielten.

    Schon an unserem ersten Kindergartentag hat sie mich vor einem frechen Jungen beschützt, der mir meine Sandförmchen wegnehmen wollte. Wutschnaubend und mit blitzenden Augen, schrie sie den Jungen an:

    „Geh weg du Idiot! Sonst schubse ich dich um."

    Der war es anscheinend nicht gewohnt von einem Mädchen fertiggemacht zu werden. Denn er lief heulend davon, und ich war erst einmal beeindruckt, was für tolle Schimpfwörter das Mädchen drauf hatte.

    Zu mir sagte sie dann mit zuckersüßer Stimme, aber auch sehr bestimmend:

    „Ich spiele jetzt mit dir."

    Hocherfreut, dass überhaupt jemand mit mir spielen wollte, nickte ich wie wild meine Zustimmung. Ich musste zwar noch ein bisschen schniefen, weil ich wegen dem fast Verlust meiner Förmchen kurz vorm Weinen gewesen war, aber mit zitternder Stimme brachte ich heraus:

    „Oh ja. Ich will nämlich Sandkuchen backen."

    An Selbstbewusstsein mangelte es ihr nicht, denn sie meinte:

    „Die kann ich ganz toll. Pass auf!"

    Sie machte in der Tat die schönsten Sandkuchen, die ich bis dahin gesehen hatte.

    Damit war es besiegelt, wir wurden die besten Freundinnen.

    Diese plötzlichen Stimmungswechsel und das bestimmte Auftreten hat Pia übrigens bis heute gut drauf und macht damit manch einen mundtot. Weil ich selten Widerworte hatte oder mich wehrte, (war es mangelndes Selbstvertrauen oder nur Verträumtheit?) war sie immer für mich eingestanden und hatte mich beschützt. Gelegentlich auch vor mir selbst, wenn ich im Begriff war etwas Dummes zu tun.

    Kindergarten, Grundschule und Realschule haben wir gemeinsam durchgestanden. Wir hatten uns auch zusammen an einer Fachoberschule angemeldet. Wollten das Abitur machen, danach studieren und dann eine eigene Praxis für Ergotherapie eröffnen. Oh ja, wir hatten große Pläne zusammen und waren unzertrennlich. Bis jetzt halt.

    Tante Elisabeth rüttelte an meiner Schulter und holte mich in die unschöne Wirklichkeit zurück.

    „Rena! Rena träumst du? Geht's dir gut? Wir sind gleich da."

    Oh, ich hasste es wie Tante Elisabeth meinen Namen aussprach. Oder vielmehr, ich mag meinen Namen überhaupt nicht. Renate? Wie altmodisch war das denn? Ich hätte lieber einen anderen. Charlotte wäre mir lieber. Pia lachte mich deswegen immer aus. Der Name wäre ja noch altmodischer, meinte sie. Aber ich mochte Charlotte irgendwie.

    Tante Elisabeth drängelte weiter:

    „Komm jetzt. Nimm deine Sachen, wir müssen zum Auto!"

    Zu meiner Übelkeit kam nun auch meine Gereiztheit und schlechte Laune raus und ich motzte sie an:

    „Seit gestern heißt es nur noch ; 'Mach hin, beeil dich, keine Zeit, du gehst ins Internat und finde dich damit ab'. Mir reicht's!"

    Jetzt war auch sie angefressen und ziemlich gereizt gab sie zurück:

    „Du weißt ganz genau warum. Jetzt komm!"

    Ja, ich wusste es und weil ich keine andere Wahl hatte, gab ich für den Moment klein bei. Ich schnappte mir meinen Rucksack und stand endlich auf.

    „Komme ja schon. Kann es kaum erwarten von dieser verdammten Fähre runterzukommen. Mir ist schlecht, Tante Elisabeth."

    Sie drehte sich nochmal zu mir um:

    „Sag bitte, bitte nicht 'Tante' zu mir. Wenn eine 17jährige 'Tante' zu mir sagt, fühle ich mich uralt. Und Elisabeth heißt hierzulande die Queen, für mich reicht Elisa. O.K. Schatz?"

    Jetzt musste ich aber doch lachen. Ein wenig eitel war sie ja schon.

    „Schon klar. Ich habe, im Gegensatz zu anderen, Verständnis für Leute, die ihren Namen nicht mögen."

    „Ja, ja. Denk halt dran! Und dass du es weißt, nicht nur dir ist übel."

    Schien mir ein bisschen zerstreut das Tantchen. War aber auch kein Wunder nach den letzten Monaten. Ich war ja auch ein bisschen durch den Wind und mir kam alles so unwirklich vor.

    Nach der Beerdigung von Mama wurde beschlossen, dass unsere Wohnung aufgelöst wird, ich das Schuljahr zu Ende bringe und dann nach England zu meinen Verwandten ziehe. Ich hatte alles mit mir machen lassen und jede Entscheidung hingenommen, denn ich fühlte mich wie betäubt. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Das waren doch ganz einschneidende Ereignisse in meinem Leben. Der Tod von Mama, die polizeilichen Ermittlungen, die Beisetzung und die Entscheidung was nun aus mir werden sollte. Aber die Erinnerung an manches war sehr bruchstückhaft, wie im Nebel. (Kann man im Gehirn Nebel haben?)

    Ich musste auch zu einem Psychologen. Der meinte, dass das ein normaler Schutzmechanismus sei um schmerzhafte Dinge zu verdrängen.

    Na ja, Einzelheiten wollte ich gar nicht mehr wissen, Nebel im Kopf war wohl barmherziger.

    Familie Klaas hatte mich jedenfalls solange bei sich aufgenommen und für mich gesorgt bis das laufende Schuljahr zu Ende war. Anna und Felix Klaas waren sowieso die besten Ersatzeltern und ich wäre gerne bei ihnen geblieben. Pia hätte mich als Schwester aufgenommen. Das wäre so richtig gut geworden, darin waren wir uns einig. Aber unsere Erziehungsberechtigten hatten anders entschieden.

    Als ich an all dies zurückdachte war ich wohl stehen geblieben. Denn Elisa drängelte schon wieder.

    „Komm endlich raus hier! Wenn du willst können wir auch erst nochmal an Deck gehen und zusehen wie das Schiff in den Hafen einläuft."

    Wollte sie mich damit etwa aufmuntern? Die Kreidefelsen hatte ich schon oft gesehen und bei dem trüben Wetter waren sie eher grau als weiß, also nichts Tolles. Ich winkte ab.

    „Nein, ich mag nicht. Zu stürmisch."

    Wir gingen dann lieber gleich zum Parkdeck. Richtig gut war es da allerdings auch nicht. Es war stickig und es roch nach Abgasen. Wir setzten uns ins Auto und warteten, dass wir an der Reihe waren, um endlich von diesem Kahn runterzukommen. Gute Gelegenheit um nochmal nachzufragen:

    „Sag mal Elisa, warum besteht ihr eigentlich darauf, dass ich in die Sommerschule gehe? Die Schule in Deutschland habe ich gerade hinter mir und nun soll es hier sofort weitergehen."

    Hatte ich nämlich gar keinen Bock drauf. Ich hätte lieber Ferien statt sechs Wochen extra Schule. Vielleicht half ein bisschen Quengelei? Leider war meine Tante so gar nicht empfänglich für meine Jammerei und fing mit der gleichen Litanei an, die ich in den letzten Wochen schon so oft gehört hatte.

    „Rena, hör auf! Dass das notwendig ist, haben wir doch zur Genüge besprochen. Du gehst da ab morgen hin! Tut mir ja auch leid, dass das alles so kurzfristig ist, aber du lernst schon mal das College kennen, machst dich fit in der englischen Sprache und wenn das Schuljahr richtig anfängt, hast du es leichter mitzukommen."

    MANN! Das war ja mal eine Neuigkeit, und sie war noch nicht fertig.

    „Ich weiß, es ist für dich nicht gerade schön, das 10. Schuljahr noch einmal machen zu müssen, mein Schatz. Aber wenn du die Sixth Form, also die Hochschulreife in einem englischen College schaffen willst, was ich doch sehr hoffe, dann brauchst du eine angemessene Anlaufzeit. Für Internationale Schüler ist es nicht so einfach, wie mir Rektorin Wyler bestätigt hat."

    Das ratterte sie runter ohne Luft zu holen. So richtig schön einstudiert. Konnte sie auch schon auswendig, hat sie mir oft genug erklärt.

    Aber wenigstens konnten wir jetzt fahren. Die Fähre hatte angelegt und die Klappe für die Autos wurde geöffnet. Zum Glück waren wir in Calais so ziemlich als letzte auf die Fähre gefahren, also kamen wir hier auch schnell weg. Kaum waren wir auf der Straße, redete Elisa schon weiter.

    „Und weil wir gerade in Dover sind, fahren wir mal kurz am College vorbei. Dann kannst du sehen wo du ab morgen wohnst."

    Bla, bla, bla, ja ich hatte es geschnallt. Obwohl ich meinen mittleren Abschluss hatte, machte ich ihn hier nochmal. Dann zwei Jahre fürs Abi, was hier Sixth Form hieß, und eine Internatsunterbringung gab es noch obendrauf.

    Danke Leute! Hörte sich an als ob ihr mich für sonst was bestrafen wolltet.

    Elisa fuhr durch den Ort und auch fast wieder raus, denn das Schulgelände lag so ziemlich am Rand von Dover.

    Und dann entfuhr mir ein erstauntes „Ooh!"

    So im Vorbeifahren sah das Ganze schon ziemlich beeindruckend aus.

    „Siehst du!", meinte meine Tante sehr selbstgefällig.

    „Sehr repräsentativ das Haus, stimmt's? Du wirst dich da schon wohlfühlen. Ganz bestimmt. Es war aber auch ein Glücksfall, dass wir diese Schule für dich gefunden haben und die Rektorin scheint mir sehr kompetent. Jetzt fahren wir erst einmal nach Hause. Ich habe Oliver schon angerufen. Er wartet mit Kaffee und Kuchen auf uns."

    Sie stöhnte und gähnte dann auch noch herzzerreißend.

    „Das habe ich jetzt auch nötig."

    Sie gab mächtig Gas und raste mit überhöhter Geschwindigkeit durch Dover, Richtung Canterbury.

    Bei dem Affenzahn, den sie drauf hatte, konnte ich nicht viel von Dover sehen. Aber das würde sich ja ab morgen ändern.

    Dafür kannte ich Canterbury etwas besser.

    Tante und Onkel haben ein schönes Haus in der Barton Mill Road mit Blick auf den Stour (das ist ein Fluss). Hier hatte ich so manche Ferien verbracht und mit Elisa und Oliver viele Ausflüge unternommen. Zum Beispiel: Die Abtei St. Augustinus, angeblich das erste Kloster in Südengland. Das Canterbury Norman Castle (Ruine) und natürlich die Canterbury Cathedral (sehr schön, ich liebe alte Kirchen und Burgen). Im Canterbury Heritage Museum kann man unter anderem auch lernen, seinen Namen in Wikinger Runen zu schreiben. Zum Wildwood Discovery Park musste ich auch mit. War mir aber zu viel Wald und zu viele Tiere. Das waren allerdings Ferien und es hatte noch Spaß gemacht. Ab morgen, in Dover würde es wohl anders werden. Das war jetzt der Ernst des Lebens. Freute ich mich darauf? Nein!

    Meine Tante hatte die Strecke von 28 km in Rekordzeit hinter sich gebracht. Vor Radarfallen hatte sie wohl keine Angst, oder wurde hier nicht so wild geblitzt wie in Deutschland?

    Mir sollte es recht sein. Wurde auch Zeit, dass wir endlich da waren. Ich wollte ebenfalls einen Kaffee und auf die Toilette musste ich auch mal. Auf der Fähre wollte ich nicht, die waren ekelhaft.

    Onkel Oliver (Entschuldigung, Oliver. Er mochte das Onkel vorweg auch nicht), wartete tatsächlich schon auf uns. Mit Kaffee und Kuchen für Elisa und mich, er selbst bevorzugte Tee und Sandwich. In der Beziehung war er ganz britisch. Komische Essgewohnheiten halt und immer freundlich ironisch und ein bisschen von oben herab. Aber wenn man die Briten mal etwas besser kennenlernte, wusste man sie einzuschätzen und zu handhaben.

    Ich mag meinen Onkel jedenfalls super gern.

    „Welcome Rennae."

    Wie er meinen Namen ausspricht, mochte ich allerdings überhaupt nicht. Hörte sich an wie Renee, gaaanz schreckliche britische Form von Renate. Obwohl, der Name und seine Aussprache müssten hier im Land eigentlich bekannter sein. Elton John war mal mit einer deutschen Renate verheiratet. Echt wahr.

    „Meine kleine, fast erwachsene Lieblingsnichte."

    (Kein Kunststück, er hat ja nur die eine.)

    „Happy birthday, nochmal persönlich."

    Er umarmte mich und gab mir ein Küsschen auf die Stirn wie er es schon immer gemacht hatte seit ich ihn kenne und überreichte mir ein kleines Päckchen.

    Stimmt, ich hatte ja vor ein paar Tagen Geburtstag und der war bei der ganzen Hektik ein bisschen untergegangen. Jaah, ich war jetzt 17! Und mein Geschenk? Zack, zack war es ausgepackt.

    „Oh, ein neues mobile phone. Danke, danke, danke."

    Ich umarmte ihn ganz stürmisch zurück und dann meine Tante auch noch, weil ich mich so freute. Es war nämlich ein ganz tolles Smart Phone und das hatte ich echt nötig. Mit dem Uraltding, das ich bis jetzt hatte, habe ich mich ungern sehen lassen.

    „Wir mussten dir hier für England sowieso einen neuen Vertrag machen. Also keine Ursache."

    So spielte er die Sache runter.

    Aber man sah, Elisa und Oliver freuten sich, dass ich mich freute.

    Okay, sollten sie ruhig noch gute Laune haben. Das würde sich bald ändern, denn ich hatte da noch ein paar unangenehme Fragen.

    Erst einmal musste ich ins Badezimmer und dann Kaffee und Kuchen.

    Als ich wieder aus dem Bad kam, saßen die beiden da und knutschten. Igitt, als ob sie sich seit Tagen nicht gesehen hätten. Na gut, hatten sie ja auch nicht. Aber ich musste das nicht sehen, nochmal igitt. Etwas verlegen setzten sie sich wieder anständig hin und Elisa meinte:

    „Nun tu nicht so Rena, setz dich, iss was und dann kannst du mal hoch gehen und dein neues Zimmer anschauen. Hoffentlich gefällt dir, wie wir es eingerichtet haben."

    Oliver redete ihr dazwischen (mit vollem Mund).

    „Ja, dein Tantchen hat sich richtig Mühe gegeben für dich."

    „Also bitte!"

    Das Tantchen hätte sich beinahe verschluckt.

    „Ich bin keine alte Tante, merkt euch das!"

    Oliver und ich brachen in Gelächter aus. Nach ein paar bösen Blicken von Elisa, versuchten wir uns aber zusammenzureißen und halbwegs anständig zu essen. Dann, selbst hämisch grinsend, fuhr sie fort:

    „Ja, ich habe mir Mühe gegeben. Ich war sogar im College Shop und habe dir deine Schuluniform besorgt, damit du morgen korrekt gekleidet bist. Ich hoffe es passt dir alles. Ich komme gleich mal mit hoch und du probierst die Sachen an."

    Peng! Jetzt guckte ich dumm aus der Wäsche. Stimmte ja, hier musste ich eine Schuluniform tragen. Das ist an englischen Schulen so üblich. Schön fand ich es nicht. Sowas von überhaupt nicht schön! Hoffentlich gab es für Mädchen auch Hosen. Ich konnte Röcke und Kleider nämlich nicht ausstehen. Das fehlte mir auch noch, in Rock und feinen Strümpfchen herumlaufen zu müssen. Damit käme ich mir vor wie untenrum gut durchlüftet. Unangenehm und blöd halt. Mir ist nämlich immer zu kalt.

    „Mach doch nicht so ein angewidertes Gesicht." Oliver kicherte jetzt über mich, aber er schaute mich wenigstens mitfühlend an.

    „Es tragen doch schließlich alle dieselben Sachen. Das ist ja Zweck der Uniform, dass niemand aufgrund seiner Kleidung hervorsticht. Außerdem werden dir die Farben gefallen, grau und schwarz ist ja, glaube ich, dein Ding. Habe jedenfalls noch nie etwas Buntes an dir gesehen."

    O.k. Da hatte er recht, mit den Farben meine ich, aber alles andere fand ich doof. Aber da musste ich die nächsten Jahre wohl oder übel durch.

    Na gut. Ich half noch das Geschirr wegzuräumen, dann wollte ich nach oben und mich überraschen lassen, vom neu eingerichteten Zimmer und von den ekelhaften Schulklamotten. Bitte, bitte nichts in Pink. Wer wusste schon ob Oliver mich mit schwarz und grau nicht nur hänseln wollte.

    So, nun stand ich da, hatte die Tür zu meinem neuen Zimmer geöffnet und dachte erst einmal: 'Wow'! Da hatte Elisa ja mal Geschmack und Einfühlungsvermögen bewiesen. Es sah toll aus: helle Möbel, dunkler Boden, ganz mein Geschmack. Nur die auf dem Bett ausgebreiteten Kleidungsstücke störten. (Tatsächlich RÖCKE! Ach nee.)

    Tante und Onkel kamen auch schon hinterher gestiefelt. Upps! Sie schleppten meine Koffer die Treppe hoch. Hätte ich vielleicht helfen müssen? Egal.

    „Na, wie gefällt es dir?"

    Die beiden guckten mich erwartungsvoll an.

    Ich ließ mich aber nur zu einem: Ja, ganz gemütlich., herab.

    Ich wusste, dass das ein bisschen muffelig klang. Aber ich hatte keine Lust mich zu freuen. Später vielleicht. Jetzt war genau die richtige Zeit für das Unangenehme.

    „Aber sagt mal, warum habt ihr für mich alles neu gemacht, wenn ich doch im Internat untergebracht werde? Ich hatte das Gefühl, ihr wolltet mich nicht hier haben und ich wäre euch im Weg."

    Na das war ja mal eine berechtigte Frage und ich wartete gespannt auf die Antwort.

    „Ach Rena. Das haben wir doch schon x-mal besprochen. Jetzt finde dich einfach damit ab!"

    Genervt und enttäuscht drehte Elisa sich um und verschwand. Oliver schaute etwas unsicher, er mochte es nicht wenn wir uns stritten. Deshalb sagte er nur:

    „Mach dich erst einmal frisch. Nachher beim Abendessen können wir ja nochmal in Ruhe reden."

    Dann war auch er weg. Tja, mein Verhalten war ganz trotziger Teenager. Nicht gerade nett oder feinfühlend. Aber wenn sie ein erwachsenes Verhalten erwarteten, dann müssten sie warten bis ich zwanzig war.

    Aber es stimmte, die beiden hatten recht. Seit Wochen versuchten sie mir schon zu erklären wie eingespannt sie mit ihrer Praxis waren. (Meiner Meinung nach hatte Elisa es gar nicht nötig zu arbeiten. Aber ich glaubte sie hatte Oliver gerne im Auge wegen seiner Sprechstundenhilfe. Jane hieß sie und war ziemlich hübsch.)

    Und dann kam immer die Erklärung warum das Internat gut für mich wäre. Nämlich:

    Jeden Tag 28 km nach Dover und dann wieder zurück wäre zu umständlich. Außerdem wäre ich in der Boarding-School bestens aufgehoben, von wegen netter Zimmernachbarin und so. (Na hoffentlich). Und gezwungen zu sein nur englisch zu sprechen könnte mir auch nicht schaden. Bei schulischen Problemen, die ich ja wohl unweigerlich am Anfang hätte (die trauten mir nicht gerade viel zu), wären dann praktischerweise immer Lehrer und die Bibliothek in der Nähe. Ja, ich hatte es verstanden. Aber Tag und Nacht in Reichweite und im Blick von den Lehrern zu sein fand ich nicht gerade erstrebenswert. Außerdem hätte ich auch lieber ein Einzelzimmer mit Bad. Punkt! Sommerschule, die den ganzen Juli und den halben August dauerte anstatt Ferien zu haben (und die hätte ich bitter nötig), war schon doof. Verflixte Umstände. Ich schmiss die Klamotten auf den Boden und lege mich aufs Bett.

    Was war das denn? Ach Mensch. Da hatten sie mir auch noch Broschüren von der Schule hingelegt. So zur richtigen Einstimmung, oder was? Ich schaute mir das Infomaterial mal näher an.

    White-Cliff College

    Privat- und Boarding-School

    Folkestone Road, Dover

    Kent CT179RH Vereinigtes Königreich

    Hier eine kleine Einführung in das englische Schulsystem, für unsere internationalen Schüler: ….....

    .

    Ach hört auf! Bla, bla, bla. Hatte ich schon alles irgendwo gehört. Wurde seit Wochen damit zugetextet.

    Und was war das? Eine Preisliste. Interessant. Mal schauen was ihnen ihre Ruhe wert war.

    Preisliste:

    Boarding-School: £ 9.300 pro Schuljahr zuzüglich Bücher, Lehrmaterial und Aufwendungen für diverse Ausflüge und Veranstaltungen.

    Für internationale Schüler ist im ersten Jahr Englisch als Fremdsprache kostenlos.

    Sommerschule: £ 8.400

    Sonderkonditionen sind verhandelbar.

    WAS? Soviel Geld? Ich glaubte es ja nicht! Würde ich nicht schon auf dem Bett liegen wäre ich glatt umgefallen. Für heute reichte es. Ich hatte keine Lust mehr auf Abendessen. Mir war nämlich schon wieder schlecht und Bauchschmerzen hatte ich auch. Koffer auspacken brauchte ich nicht, die musste ich ja eh morgen früh mit ins Internat schleppen.

    Anstatt zu Tante und Onkel zurückzugehen, lag ich weiter auf meinem Bett und richtete mir mein neues Handy ein.

    Dann schrieb ich mir mit Pia ein paar WhatsApp und beklagte mich bitterlich über die Ungerechtigkeit dieser Welt. Pia versuchte zwar mich zu trösten, schaffte es aber nicht so wirklich. Weil alles Jammern überhaupt nichts brachte, kuschelte ich mich in meine Bettdecke und versuchte zu schlafen.

    Gute Nacht.

    2. Erste Schultage sind nervenaufreibend. Neue Schulen erst recht.

    Der neue Tag fing ziemlich laut an.

    Ich lag im Bett und träumte, dass eine Gruppe irischer Stepptänzer einen wilden Tanz aufs Parkett legten und das klackerte wie verrückt.

    Nur in Wahrheit kam der Krach gar nicht von den irischen Tänzern, sondern meine Tante klopfte wie wild gegen die Tür und schrie (jawohl, sie schrie!):

    „Aufwachen, Rena, los! Es wird allerhöchste Zeit. Bist du endlich wach?"

    Noch etwas verwirrt nuschelte ich:

    „Oh ja, ist ja gut. Hör auf mit dem Gehämmer!"

    Gähnend sah ich zum Wecker, den ich natürlich nicht gehört hatte, 5.30 Uhr!!

    Ja verdammt, das war mitten in der Nacht.

    Auf der anderen Seite der Tür hörte ich Elisa erleichtert seufzen.

    „Na endlich. Beeil dich! In einer halben Stunde gibt es Frühstück."

    Okay, wurde wohl Zeit so richtig wach zu werden.

    Ich hätte zwar lieber den irischen Stepptänzern weiter zugeschaut und vielleicht sogar mitgetanzt ( ich tanzte nämlich sehr gerne), aber die Wirklichkeit hatte mich wieder.

    Super! Heute war also der große Tag, an dem ich abgeschoben werden sollte. Okay, jeder sah das aus einem anderen Blickwinkel.

    Die Erwachsenen meinten, dass das eine große Chance für mich wäre.

    Aber ich? Verdammt, ich hatte Schiss.

    Man stelle sich vor: neues Land, fremde Sprache, neue Schule, neue Lehrer und Mitschüler. Von der verflixten Schuluniform mal ganz zu schweigen.

    Diese verfluchten Sachen hatte ich dann allerdings doch mal anprobiert. Als ich gestern Nacht nicht so richtig einschlafen konnte, wollte ich dann doch wissen wie ich darin aussah.

    Ich konnte nur sagen, blöd, blöd, blöd. Aber gepasst hat alles, wenigstens etwas Gutes.

    Also schleppte ich mich jetzt unter die Dusche. Ach nee. Ich mochte lieber Badewanne. Musste mich wohl echt umstellen hier.

    Nun gut. Schnell geduscht, Haare gebürstet und angezogen. Zum Glück konnte ich für den ersten Schultag noch meine normalen Klamotten anziehen (diese Galgenfrist hatte ich noch).

    Lange vorm Spiegel stand ich nicht. Das machte ich nie. Ich fand an mir war nichts besonderes. Ich war zwar schlank, fast zu dünn und groß genug, um nicht als Zwerg durchzugehen, aber dauernd in den Spiegel gucken lohnte nicht.

    Vor allem weil ich nichts vom Schminken hielt. Ich war zu ungeschickt dafür.

    Jedenfalls, als ich zum Frühstück in die Küche kam, saßen Elisa und Oliver schon am Tisch und man merkte, sie hatten gerade verschiedene Meinungen (Streit). Zuerst dachte ich sie streiten meinetwegen. Das stimmte aber nur zum Teil, und ich konnte auch wirklich nichts dafür.

    Elisa nahm mich nur als Vorwand, weil sie vor den anderen Eltern angeben wollte, mit dem AUTO. Das nannte ich mal niedere Beweggründe.

    Tante und Onkel hatten zwei Autos: einen wie blöd Sprit vergurgelnden Jeep (Oliver) und einen winzigen Mini (Elisa). Sie wollte heute den großen Jeep haben, um mich zur Schule zu bringen. Angeblich wegen der Koffer und Taschen.

    Er war von der Idee überhaupt nicht begeistert, weil:

    Elisa nicht richtig mit dem großen Auto umgehen könne.

    Die Koffer hätten ja schließlich auch in ihr Auto gepasst als sie mich aus Deutschland hergeholt hatte. (Da hatte er recht.)

    Mit dem Mini würde er sich nicht gerne sehen lassen, weil das an seinem Image kratzte.

    Die hatten vielleicht Sorgen. Ha!

    Der Streit war dann auch wie weggeblasen, als sie mich bemerkten. Ich wurde regelrecht unter die Lupe genommen. Anstatt eines fröhlichen 'Guten Morgen' wurde ich von Kopf bis Fuß gemustert: Haare, Kleidung und Schuhe. Hätte nur noch gefehlt, dass sie meine Fingernägel überprüften.

    Mensch, ging's noch? Ich wusste selbst, wie man anständig aussieht. Meistens jedenfalls.

    Als mich Elisa lange genug gemustert hatte, kam dann doch noch:

    „Guten Morgen, Schatz. Setz dich und iss erstmal was!"

    Während ich noch den Frühstückstisch inspizierte und überlegte, ob ich überhaupt was essen wollte (meinem Magen ging es immer noch nicht gut), redete sie schon weiter:

    „Wir nehmen heute den Jeep, da passt alles bequemer rein."

    Sie guckte Oliver dabei trotzig an, der guckte böse zurück und brummte nur.

    „Hm."

    Ich bekam ein Lächeln von ihr, dass ich allerdings so früh am Morgen gar nicht zu würdigen wusste.

    „Hast du alles gepackt oder soll ich dir noch etwas helfen?"

    Unter anderen Umständen wäre Elisas Angebot sehr nett gewesen, aber ich war im Moment nicht nett drauf.

    „Nein danke. Ich habe erst gar nichts ausgepackt, ihr wisst schon warum. Aber ich habe neben meinem Bett die Preisliste gefunden. Schon nicht so billig das Ganze. Warum schmeißt ihr für mich so viel Geld raus?"

    Oliver mischte sich ein:

    „Das ist kein rausgeschmissenes Geld. Wir investieren in deine Zukunft. Ich glaube, dass du das auch langsam so sehen solltest. Denk mal darüber nach, denn irgendwann wirst du dich ja beruhigt haben."

    Elisa wusste auch noch etwas dazu zu sagen:

    „Es war wirklich ein Glücksfall, dass wir dieses College gefunden haben. Die Broschüren lagen genau zur richtigen Zeit im Briefkasten, als ob jemand geahnt hätte, dass wir für dich etwas Passendes suchen. Da gibt’s für Härtefälle sogar Sonderkonditionen."

    Elisa kam ins Stottern, weil sie selber merkte, dass ich das jetzt in den falschen Hals kriegen würde.

    „Ich meine nicht dass du ein Härtefall bist. Ganz im Gegenteil. Aber deine momentane Situation ist einer. Und ich muss sagen, Rektorin Wyler war da sehr entgegenkommend."

    Das ließ ja tief blicken. Rektoren mit Verständnis für Erziehungsberechtigte haben meist keines für Schüler.

    Ich dachte noch darüber nach was Oliver gesagt hatte, wegen der Zukunft und so, als Elisa besorgt wissen wollte:

    „Sag mal, warum bist du gestern Abend nicht mehr heruntergekommen? Du hast dich da oben eingeschlossen und wir haben nichts mehr von dir gehört. Wir wollten dich in Ruhe lassen, aber du musst schon sagen, wenn es dir nicht gut geht."

    Da wurde der Arzt in Oliver hellhörig.

    „Ja genau. Wenn es schlimm ist, rufe ich sofort Ethan an. Der kann sich gleich um dich kümmern. Du siehst auch nicht gut aus, hast du Schmerzen?"

    „Alles in Ordnung. Bin nur aufgeregt glaube ich."

    Mehr wollte ich dazu nicht sagen. Das fehlte mir auch noch, jetzt zum Internisten zu müssen.

    Ethan und Amelia Preston sind beide Ärzte und mit Tante und Onkel befreundet. Was normalerweise für mich praktisch ist, denn ich brauche oft einen Arzt. Ich habe nämlich eine doofe Krankheit: Morbus Crohn.

    Das ist eine chronisch entzündliche Darmerkrankung und macht ganz oft Probleme. Aber solange es nicht ganz schlimme Schmerzen waren ignorierte ich das. Ich wollte ein normales Leben ohne zu viele Gedanken.

    Oliver sah mich zweifelnd an, meinte dann allerdings nur:

    „Nun das musst du selbst entscheiden. Also nur aufgeregt, hm? Du brauchst dich nicht verrückt machen, an ersten Schultagen sind alle nervös. Übrigens, passen denn die Röckchen?"

    Jetzt grinste er mich doch ganz frech an (Mistkerl).

    Dann machten sich die beiden noch ein bisschen lustig über mich und die Röcke und eine eventuell schreckliche Zimmernachbarin. Bis Oliver, Gott sei Dank, in seine Praxis musste (er mit dem Mini, ha ha).

    Ich half Elisa die Küche aufräumen, sie half mir die Koffer und Taschen zum Auto zu schleppen und dann ging es los.

    Die Fahrt nach Dover kam mir unheimlich lang vor, weil wir beide in Gedanken versunken waren. Was Elisa durch den Kopf ging weiß ich nicht, ich jedenfalls malte mir eine Schrecklichkeit nach der anderen aus (das machte einen nicht gerade entspannter).

    Beim College angekommen, suchte Elisa einen Parkplatz, der groß genug war für den Jeep. Oliver hatte recht, sie konnte mit dem Ungetüm nicht anständig fahren. Sie wollte aber auch ziemlich nah ans Hauptgebäude ran, damit sie nicht so weit laufen musste. Elisa hatte sich nämlich in Schale geschmissen und ihre schönsten, teuersten und natürlich die unbequemsten Schuhe an. Selbst Schuld. Ich wusste nicht wen sie damit beeindrucken wollte. Andere Eltern, Lehrer? Keine Ahnung. Wer nur auf Äußerlichkeiten achtet war bei mir sowieso schon unten durch.

    Obwohl, so ein wenig konnte ich Elisa verstehen. Denn es war schon mächtig viel los auf dem Schulgelände und alle, wirklich alle, Eltern protzten mit Statussymbolen. Mit Autos, Kleidung, Handys und Schmuck. Hey, wir waren hier anscheinend auf einer Modenschau. Und ich sah nicht wenige Schüler, denen das genauso peinlich war wie mir. Na, zum Glück hatte ich wohl ganz normale Mitschüler. Ich musste aber erst mal sondieren, denn nicht alle, die heute hier ankamen, blieben nach den sechs Wochen Sommerschule auch weiterhin hier. Das musste ich noch herausfinden.

    Also sah ich mir die neuen Mitschüler etwas genauer an und zählte mal durch. Sieben Mädchen und vier Jungen konnte ich ausmachen.

    Ich konnte es nicht lassen, mal nachzurechnen.

    £ 8400 mal elf waren £ 92400. Tja, da lohnt es sich, die Schule in den Ferien offen zu halten.

    Alle Neuen, bis auf eine, schienen gute Laune zu haben. Wie kann es sein, dass man sich auf extra Schule freut? Ich konnte es nicht fassen.

    Die einzige, die genauso muffelig herumstand, wie ich selbst, war eine großgewachsene Blondine und ich musste es leider zugeben, sie war so richtig hübsch. Sei es drum, wer meine Launen teilte und ähnlich dachte konnte nicht so verkehrt sein. Darum machte ich mich mal auf den Weg, um sie anzusprechen.

    Die Schimpferei von Elisa, dass niemand vom Personal beim Gepäck half sei ja wohl eine Schande, ignorierte ich mal. Hatte sie etwa gedacht, dass das hier ein Hotel ist?

    Bei der Blonden angekommen, merkte ich sehr schnell, dass deren Eltern genauso aufgebracht waren wie meine Tante. Wegen der Koffer und dass keiner mit anfasst.

    Na, anscheinend war sie in der gleichen Situation wie ich. Dadurch ermutigt konnte ich sie ganz cool ansprechen.

    „Hallo, ich bin Renate. Ich habe hier sozusagen eine Zwangseinweisung bekommen. Bist du auch zu sechs extra Wochen verdonnert worden?"

    Ich gehe sonst nie so offen auf Leute zu. Bin eher verschlossen. Deshalb war ich aufgeregt und merkte gar nicht, dass ich deutsch gesprochen hatte. Umso erstaunter war ich, dass ich eine deutsche Antwort bekam.

    Das Mädchen drehte sich zu mir um, lächelte mich an und reichte mir die Hand.

    „Hi, ich bin Aveline McAlister. Freut mich dich kennenzulernen. Und nein, ich bleibe länger."

    Oh ja, somit hatte ich also eine Schicksalsgefährtin (nennt man das so?) und sie war nicht nur hübsch, sondern sprach auch noch deutsch. Juchhu! Und gute Manieren hatte die mal, alle Achtung.

    Sie hatte

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