Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Erleuchtet? Im Namen des Volkes...
Erleuchtet? Im Namen des Volkes...
Erleuchtet? Im Namen des Volkes...
Ebook291 pages3 hours

Erleuchtet? Im Namen des Volkes...

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

In dem Buch schildere ich anhand einer begangenen Straftat in den letzten 10 Jahren der DDR die Tätigkeit von Strafverfolgungsorganen, Staatsanwaltschaften, Gerichten, die Motive und Anreize für die Tätigkeit der Mitarbeiter dieser Strafverfolgungsorgane, die Erfahrungen, die nicht schuldige Beteiligte eines Strafverfahrens machen mussten, wenn politischer Opportunismus, persönliche Interessen, Machtmissbrauch, Angst vor Versagen und Untertanengeist das Handeln der Angehörigen der Strafverfolgungsorgane, dominierte.
Der Roman zeigt die Möglichkeiten und Grenzen einer Strafverteidigung unter den konkreten Bedingungen in der ehemaligen DDR auf und wie es unter den besonderen Bedingungen sich abzeichnender Entspannung in Europa möglich war, derartige Tendenzen im Interesse des Beschuldigten zu nutzen.
Der Roman beginnt mit der Feststellung der Brandstiftung in einem volkseigenen Betrieb in einer Kreisstadt. Er zeigt zu Beginn erste Ermittlungshandlungen und stellt die Ermittlung des oder der Täter in einen Zusammenhang mit den politischen Verhältnissen im Territorium. Er zeigt in diesem Teil, wie die Feststellungen am Tatort, der zeitliche Zusammenhang zum bevorstehenden Jahrestag der Republik und interne Erfolgsaussichten und Karrierevorstellun-gen von Angehörigen der Strafverfolgungsorgane letztendlich zur Festlegung auf ein bestimmtes Täterprofil führten. Der erste Abschnitt endet mit der Verhaftung von Johann Klinger als der Tat Verdächtigen.
Im nächsten Kapitel wird zuerst geschildert, wie die Vorstellungender Ermittler von einem Tatverdächtigen zu den bestimmenden Fakten der weiteren Ermittlungen der Kriminalpolizei und den Entscheidungsträgern der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit wurden, wie der Verdächtige isoliert und in eine körperliche und seelische Verfassung gebracht wurde, in der er die von ihm zunächst bestrittene Handlung in einem Geständnis zugab.
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateJun 30, 2014
ISBN9783847692980
Erleuchtet? Im Namen des Volkes...

Related to Erleuchtet? Im Namen des Volkes...

Related ebooks

General Fiction For You

View More

Related articles

Reviews for Erleuchtet? Im Namen des Volkes...

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Erleuchtet? Im Namen des Volkes... - Peter U. Schäfer

    Vorwort

    Der Geschichte liegen viele tatsächliche Geschehnisse zu Grunde, die ich beruflich während meiner Tätigkeit als Rechtsanwalt in der ehemaligen DDR erlebt und begleitet habe. Der Gedanke. daraus zur Veröffentlichung geeignete Werke zu schreiben, entstand in den letzten Jahren.

    Juristen, die in der DDR als Anwälte tätig waren, mussten nach der Wende wiederholt die zumeist nur indirekt gestellte Frage beantworten, wie man in der DDR als Anwalt tätig sein konnte und wie der Auftrag der Advokatur in einem diktatorischem Staat überhaupt im Interesse der dort lebenden Menschen wahrgenommen werden konnte Mir fiel dabei auf, dass sowohl die in der DDR tätigen Anwälte, andere Juristen, aber auch diejenigen, die annehmen, darüber nachträglich urteilen zu können, die tatsächlichen Verhältnisse nur unvollkommen und verzerrt wiedergeben. Häufig beantworteten die Fragesteller derartiger Themen die von ihnen auf diese Weise aufgeworfenen Fragen gleich selbst und formulieren die Antworten so, wie es der Interessenlage ihres jeweiligen Vorhabens entsprach In den mir zugänglichen Veröffentlichungen, Berichten und Debatten werden Nöte und Zwänge der in der DDR tätigen Anwälte kaum dargestellt und bewertet. Die Handlungen, Motive, Verhaltensweisen, Ängste und die Auswirkungen willkürlicher staatlicher Machtausübung auf die in der Rechtspflege Tätigen und auf andere Beteiligte und die von diesen praktizierten Verhaltensweisenn werden in diesen Abhandlungen teilweise unvollständig, teilweise falsch dargestellt.

    Mit diesem von mir vorgelegten Buch und einigen weiteren geplanten Werken will ich versuchen, durch die persönliche Schilderung erlebter Vorgänge und deren Verknüpfung mit beruflichen Erfahrungen einen Beitrag zu leisten, der es den Lesern ermöglicht, die Verhältnisse der damaligen Zeit nachzuvollziehen Dabei habe ich versucht, weitgehend belehrende rechtliche oder moralisierende Bewertungen der Handlungen und Motive in dem Werk vorkommender Personen zu vermeiden, soweit mir dies für die Schilderung der Handlung nicht unbedingt erforderlich erschien. Selbstverständlich sind alle im Werk dargestellten Personen frei erfunden und ihre Handlungen und Motive können lebenden oder verstorbenen Individuen nicht zugeordnet werden. Nach alldem will ich betonen, dass es sich bei dieser Geschichte um einen Roman handelt. Die Geschichte selbst, der Ort es jeweiligen Geschehens und darin vorkommende Personen sind frei erfunden oder wurden von mir so verfremdet, dass eine Parallele zu realen Abläufen nicht mehr möglich ist. Trotz des ernsthaften Anliegens soll der Roman natürlich unterhalten und ich hoffe, auch diesem Anliegen gerecht geworden zu sein. Ich wünsche deshalb viel Spaß bei der Lektüre.

    Die Stadt des Geschehens – sie besteht bereits seit mehr als 1000 Jahren. Sie wurde ursprünglich als Befestigung des Deutschen Reiches gegen die drohenden Einfälle slawischer Stämme und Völker begründet. Gelegen in einer Tieflandbucht und an einem Flusstal, bietet sie Besuchern viele landschaftlich reizvolle Ansichten und interessante historische Objekte Im Mittelalter war die Stadt ein bedeutender Handels- und Verkehrsknotenpunkt. Die günstige Lage in einem von Süden nach Norden verlaufenden Flusstal führten schon frühzeitig zur Ansiedlung wohlhabender Kaufleute. Ihre vom Selbstbewusstsein und Wohlstand der Erbauer zeugenden Patrizierhäuser prägen noch heute das Erscheinungsbild der Altstadt. Der historische Stadtteil liegt auf dem östlichen, jüngere Stadtteile befinden sich auf dem westlichen Flussufer. Trotz der Kriegshandlungen im zweiten Teil des II. Weltkrieges, insbesondere der schweren Bombenangriffe auf das nahe gelegene Zentrum der chemischen Industrie, ist die auf dem östlichen Flussufer gelegene mittelalterliche Altstadt fast unbeschädigt geblieben. Das mittelalterliche Schloss auf dem roten Felsen überragt die auf beiden Flussufern erfolgte Besiedlung.

    Die Altstadt entstand im Mittelalter. Reizvolle alte Gebäude, eine zeitbezogene Architektur und das alles überragende Schloss prägen das Stadtbild. Die Neustadt entstand nach 1920 im Zusammenhang mit der Errichtung des nahe gelegenen Chemiekomplexes. Hier befinden sich schmucklose Wohngebäude als Zweckbauten, es erfolgte eine massenhafte Ansiedlung von Arbeitern, die in den nahe gelegenen Unternehmen und überwiegend in der Chemieindustrie ihren Lebensunterhalt verdienten. Die Errichtung von Plattenbauten im Rahmen des Wohnungsbauprogramms der SED seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts hat diesen Stadtteil architektonisch nicht attraktiver gemacht.

    Die Stadt selbst und ihre Menschen sind fest in sozialistischer Hand, kaum eine Möglichkeit für eine aktive und individuelle Lebensgestaltung. Versorgungsengpässe selbst bei einfachsten Gebrauchsgegenständen, kaum Reisemöglichkeiten, eine alle Verhaltensweisen durchdringende und einengende Politisierung auch im Alltagsleben bestimmen die Verhaltensweisen und Handlungen der Bürger. In der Stadt sind der durch Mangel und Planwirtschaft verursachte Verfall, Interesselosigkeit und Unvermögen bei der Erhaltung der überwiegend im Privatbesitz befindlichen älteren Gebäude und die permanente Unterversorgung auch unübersehbar. Abbrechende Stuckverzierungen an Häusern und Bauwerken, abblätternde und alte Anstriche zeigen die Versäumnisse bei der Instandhaltung durch die staatliche Verwaltung bei der Stadtplanung.

    Für einen Besucher erscheint die Stadt grau, trist und provinziell. Selbst die Friedrich-Engels-Straße als Hauptgeschäftsstraße der Stadt präsentiert sich im monotonen Einheitsbild der staatlichen Handelsunternehmen. Kein Straßenleben, kaum Gastronomie und genervt durch die wenigen Geschäfte hastende Bürger auf der Jagd nach Gegenständen des täglichen Bedarfs, unter dem sozialistischen Regime war die Stadt wie andere Städte im Lande überall zur Schlafstadt für die Werktätigen des Arbeiter- und Bauernstaates verkommen. Daran änderte auch die angeordnete Festbeflaggung zum bevorstehenden Jahrestag der Republik, der jährlich am 7. Oktober, dem Gründungstag der ersten sozialistischen Republik auf deutschem Boden begangen wird, nichts. Straßen, Häuser, Plätze, öffentliche und private Gebäude waren mit Fahnen und Losungen über neue Kampf- und Produktionsziele dekoriert. Die von den Tageszeitungen veröffentlichen Losungen zum Jahrestag der Republik waren überall und vollständig präsent.

    Die Lebensqualität der Bewohner der Stadt verbesserte dies trotz der rituellen Demonstration der vermeintlichen Verbundenheit der Bevölkerung mit Partei und Regierung nicht. Die Menschen nahmen die verordnete Feststimmung kaum zur Kenntnis. Das tatsächliche Leben der Bürger fand in den Wohnungen, im Kleingarten und in Wochenendgrundstücken statt. Dort war trotz der überall spürbaren Mangelwirtschaft Fantasie- und Organisationsvermögen sichtbar. In diesem Bereich fand ein zweites Leben der Menschen statt. Im Kreis von Freunden, Familien und Nachbarn herrschten Solidarität und ein gemeinschaftliches Zusammenleben, frei von rituellen Bekenntnissen vor. Dieser Lebensbereich war trotz mehr als 30jähriger sozialistischer Propaganda und Erziehung weitestgehend privat. Hier wurden die Bekanntschaften und Beziehungen geknüpft und gepflegt, die Menschen brauchten, um überhaupt in der durch die sozialistische Planung geschaffenen Mangelwirtschaft einigermaßen zurecht zu kommen. Als Kreisstadt sind in der Stadt die Kreisverwaltung, eine Kreisleitung der SED, ein Volkspolizeikreisamt und eine Kreisverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit, ein Kreisgericht und eine Kreisstaatsanwaltschaft als regionale Institutionen des Staats- und Parteiapparates vorhanden.

    Kapitel 1

    Petra Schöne war 24 Jahre alt. Sie hatte in der nahe gelegenen Universitätsstadt studiert und im Frühjahr des vergangenen Jahres das Examen als Ingenieurökonom abgelegt. Sie arbeitet als Absolvent in dem VEB Musikinstrumentenbau unserer Stadt. Es war ihre erste Anstellung nach dem Studium. Sie war froh, dass dies so geklappt hat. Die Berufslenkungskommission an der Universität war sehr bestimmend und sie hatte die Argumente des Vorsitzenden der Lenkungskommission immer noch im Ohr: „ Die sozialistische Gesellschaft hat Ihnen das Studium ermöglicht, nun müssen Sie auch bereit sein, einen Einsatzort zu akzeptieren, an dem Sie tatsächlich gebraucht werden! Persönliche Interessen spielen dabei eine untergeordnete Rolle." Johann Klinger, von ihr liebevoll Hans genannt, war ihr Freund. Mit ihm war sie seit Beginn des Studiums zusammen. Er schloss sein Studium im gleichen Jahr an derselben Universität als Volkswirt ab. Ihn hatte die Lenkungskommission in diese Stadt zur Kreisdirektion der Staatlichen Versicherung vermittelt und eingewiesen. Seit September des vorigen Jahres wohnte sie mit ihm hier in einer kleinen Altbauwohnung in der Neustadt in einer Lebensgemeinschaft. Die Wohnung bestand aus zwei Wohnräumen, einer Küche und einem Bad. Sie befand sich im dritten Obergeschoss in einem Altbau in dem östlichen Teil der Stadt. Die Wohnung war mit Ausnahme des Badezimmers ohne jeden Komfort. Alle Räume waren zur Beheizung mit Kohleöfen ausgestattet. Auch das warme Wasser für das Bad musste mit einem Kohlebadeofen bereitet werden. Dennoch waren sie froh, nach dem Studium eine eigene abgeschlossene Wohnung zugewiesen erhalten zu haben. Im Rahmen der öffentlichen Bewirtschaftung von Wohnraum durch die Stadtverwaltung war dies keinesfalls selbstverständlich.

    Gegenwärtig saß Petra im Pkw Moskwitsch 1500 des Abteilungsleiters für Materialwirtschaft des Volkseigenen Betriebes (VEB) Musikinstrumentenbau. Sie befand sich auf dem Rückweg zum Hauptsitz des Unternehmens. Die Inventur in einem Außenlager in der benachbarten Kreisstadt war heute abgeschlossen worden.

    „Soll ich Sie zu Hause absetzen?"

    „Nein, ich muss nochmals in den Betrieb, vielen Dank."

    Der Abteilungsleiter stimmte zu. Wenige Augenblicke später hielt das Fahrzeug auf dem Betriebshof in der Bahnhofstraße. Petra ging zu ihrem Arbeitsplatz. Es war gegen 16:30 Uhr und die meisten Mitarbeiter waren gerade im Begriff, das Betriebsgelände zu verlassen oder sie waren bereits auf dem Heimweg. Petras Arbeitsplatz befand sich im Erdgeschoss des Hauptgebäudes. Sie ging durch einige Gänge in ein Materiallager. Dort entnahm sie einem Regal zwei Notenständer aus Metall, mehrere Spannschrauben und zwei Ständer für Trommeln. Diese Gegenstände trug sie in ihr Arbeitszimmer. Sie war erleichtert, dass niemand sie gesehen hatte. Sie verschloss die Tür und ging über den Hof zur Pforte.

    „Guten Tag und einen angenehmen Feierabend. Paul Alter war bereits Rentner, mit der Anstellung als Pförtner in dem Betrieb besserte er seine bescheidene Rente auf. Die junge Frau fand er sehr sympathisch. Sie hatte ständig ein nettes Wort für ihn, sie war überhaupt nicht überheblich oder so hochnäsig, wie mancher andere der studierten jungen Leute. Petra winkte dem Pförtner zu, ein netter alter Herr, immer freundlich. – Sie musste sich beeilen, auf dem Heimweg musste sie noch einige Einkäufe erledigen und um 18:30 Uhr wollte sie sich mit Hans in der Eisdiele am Bahnhof treffen. Die Instrumententeile mussten abgeholt werden. Anschließend nach Leipzig in die Oper, das wurde eng. Hoffentlich kommt Hans rechtzeitig. Hans – sie liebte ihn. Seine zurückhaltende, schüchterne Art, die gemeinsame Mitgliedschaft in der Jazzband „Blue Singers, das verband.

    Johann Klinger war ebenfalls auf dem Weg nach Hause. Er war mit seinem Pkw Trabant 601 unterwegs. Er musste noch in die Neustadt zur gemeinsamen Wohnung, um sich umzuziehen und dann zurück bis zur Eisdiele in der Bahnhofstraße, in der er Petra gegen 18:30 Uhr treffen wollte. Er war mit seinem ersten Arbeitsplatz nach dem Studium nicht zufrieden. Nach dem Examen hatte ihn die Absolventenlenkungskommission der Universität hierher vermittelt. Er entstammte einer katholischen Familie aus dem Eichsfeld. Johann Klinger war als Waisenkind in einem Kinderheim der Karitas aufgewachsen, weil seine Eltern in seinem dritten Lebensjahr durch einen Verkehrsunfall ums Leben gekommen waren.

    Die Stadt seines ersten „Einsatzes" nach dem Studium hatte ihn von Anfang an irritiert. Der Ort war geprägt durch die chemische Industrie in der näheren Umgebung. Er hatte wenig zu bieten, war schmutzig und heruntergekommen. Johann vermisste die Vertrautheit mit den Bewohnern und mit den Freunden seiner Jugend, die weitläufigen Wälder und Wiesen und überhaupt. – Auch seine Beziehung zu Petra war nicht frei von Spannungen. Er liebte sie. Sie hatte die Stellung in der Instrumentenbaufabrik nur seinetwegen angenommen, um auch nach dem Studium mit ihm zusammen leben zu können. Er wollte jedoch so bald als möglich zurück ins Eichsfeld. Nach dem Studium musste er den unerwünschten und langweiligen Posten bei der Kreisdirektion der Staatlichen Versicherung in dieser Stadt annehmen. Er war als Assistent des Abteilungsleiters der Schadenabteilung für die Landwirtschaft tätig. Im Auftrage dieses Unternehmens war er heute schon den ganzen Tag bei mehreren landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften unterwegs, um die Ursache für Ernteausfälle bei Kleesamen durch Mäusefraß und die Regulierungspflicht der Versicherung zu prüfen. Diese Tätigkeit war sehr spannend und gerade das hatte er sich nach dem Studium vorgestellt.

    Er musste sich beeilen. Petra wartete sicher schon in der Eisdiele. Mit ihr war er bereits seit fünf Jahren zusammen. Sie liebte ihn und er sie. Das Verhältnis zu Petra war das beste und spannendste, dass er bisher erlebt hatte. Er konnte es noch immer kaum glauben, weshalb sie gerade mit ihm ging. Er hatte wenige Freunde in dieser Stadt, nur die Musik. Er war ruhig, zuweilen schüchtern und hatte gelegentlich Hemmungen, mit anderen Menschen eine nähere Beziehung herzustellen. Er war auch kein Adonis. Krauses, schütteres Haar, frühzeitig sich zeigende „Geheimratsecken" und eine eher magere Gestalt trugen auch nicht dazu bei, ihn vom äußeren Erscheinungsbild her zu einem Mädchenschwarm zu machen. Nur die Musik, ja, wenn er mit der Klarinette spielte. – Was hatte er doch für ein Glück, mit Petra hatte er das große Los gezogen. Die Musik – er musste sich beeilen. Sie wird bald in der Eisdiele sein und bis 18:30 Uhr sollte auch er dort sein.

    Kurz nach 18:30 Uhr betrat Johann die Eisdiele. Petra war schon da. Sie bezahlte, begrüßte ihn und beide stiegen in den ihnen gehörenden Pkw Trabant. Zwei Minuten später erreichten sie die Instrumentenbaufabrik. Abseits und außerhalb des Blickfeldes des Pförtners stellten sie das Fahrzeug ab. Durch eine Lücke im Zaun betraten sie das Betriebsgelände und gingen durch einen Seiteneingang des Hauptgebäudes sofort in Petras Arbeitszimmer. Dort nahmen sie die bereitliegenden Instrumententeile auf und verlassen auf dem gleichen Wege scheinbar unbemerkt das Werksgelände. Der gesamte Aufenthalt im Betrieb hatte kaum mehr als zehn Minuten gedauert. Zu Hause angekommen entluden sie das Fahrzeug. Beide zogen sich um und fuhren gegen 19:15 Uhr in die benachbarte Großstadt zum Opernbesuch. Die Zeit war knapp und so hielten sie sich in der Wohnung nicht länger auf, als es unbedingt notwendig war.

    Um 19:40 Uhr schrak Paul Alter hoch. Er hatte gerade eine Zeitung aus der Hand gelegt und wollte in den Nebenraum des Pförtnerhauses gehen, um sich frisch gebrühten Kaffee zu holen. Lautes Prasseln und ein explosionsartiges Krachen hörte er aus der Richtung des Produktionsgebäudes. Paul Alter ging vor die Tür des Pförtnerhauses. Der Anblick lähmte ihn einen Moment. Durch das Dach des dreigeschossigen Hauptgebäudes schlugen helle Flammen. Es gab eine starke Rauchentwicklung. Die Fensterscheiben aller Geschosse zerbarsten und aus diesen Öffnungen leckten ebenfalls gelbrote Flammen. Paul Alter ging in das Pförtnergebäude zurück. Er rief über den Notruf die Polizei und die Feuerwehr. Danach benachrichtigte er nach dem vorliegenden Alarmplan den Betriebsdirektor und die weiteren aufgeführten Leitungsmitglieder.

    Gegen 19:50 Uhr trafen die Polizei und mehrere Einsatzwagen der Feuerwehr ein. Diese wurden fortlaufend verstärkt. Bis 20:15 Uhr waren acht Löschfahrzeuge im Einsatz. Trotzdem gelang es der Feuerwehr nicht, das Feuer schnell zu löschen. Es konnte nicht verhindert werden, dass das Feuer auf die am Hauptgebäude angebaute neue Fertigungshalle übergriff. Im weiteren Verlauf mussten Paul Alter und alle Anwesenden zusehen, wie trotz des massiven Einsatzes der Feuerwehr das Hauptgebäude und die Fertigungshalle bis zum Keller ausbrannten und das Dach der Fertigungshalle in die darunter liegenden Produktionsräume stürzte.

    Kapitel 2

    Die Deutsche Volkspolizei war in der DDR keine zivile Behörde, das gleiche galt für die Einheiten des Ministeriums für Staatssicherheit. Beiden Institutionen stand der Minister und zwar ein Offizier im Generalsrang vor. Die Dienstabläufe und die Unterstellungsverhältnisse waren streng militärisch organisiert. Die absolute Befehlsgewalt lag bei dem jeweiligen Minister. Die Angehörigen der Einrichtungen hatten militärische Dienstgrade, im Unterschied zur Nationalen Volksarmee verwiesen diese Dienstgrade mit den Zusätzen „der Volkspolizei, „der Kriminalpolizei oder „der Staatssicherheit" auf ihre Zugehörigkeit zu den jeweiligen Organisationen. Zentrale Dienststelle beider Bereiche der Sicherheitsorgane der DDR waren die jeweiligen Ministerien, für die Volkspolizei das Ministerium für Innere Angelegenheiten, für die Staatssicherheit das Ministerium mit gleichem Namen. Entsprechend der zentralistischen Verwaltung der DDR gab es in den Bezirken für die Volkspolizei die Bezirksbehörden der Deutschen Volkspolizei und für die Kreise die Volkspolizeikreisämter. Innerhalb der Volkspolizei gab es die Bereiche Schutzpolizei, Bereitschaftspolizei und Kriminalpolizei. Innerhalb der Staatssicherheit wurden die Regionalverwaltungen Bezirksverwaltung und Kreisverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit bezeichnet. Die Bezirksverwaltungen und die Kreisverwaltungen betrieben Aufklärung nur nach innen, die Geheimdienstarbeit im Ausland war der Zentrale des Ministeriums vorbehalten.

    Hauptmann der Kriminalpolizei Siegfried Hammer saß am Freitag, den 27.9. vor der Gartenlaube seines Schrebergartens. Er war 29 Jahre alt, Mitglied der SED, verheiratet und hatte zwei Kinder. Der Hauptmann hatte nach dem Abitur sich freiwillig zur Bereitschaftspolizei gemeldet und dort seinen Wehrdienst absolviert. Danach hat er sich bei der Kriminalpolizei beworben und war eingestellt worden. Hier wurde er ausgebildet und als Leutnant der Kriminalpolizei nach der Polizeischule auf Befehl seines Dienstherrn der Branduntersuchungskommission bei der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei (BDVP) zugeteilt. Während seiner Ausbildung bei der Kriminalpolizei wurde er Mitglied der SED. Er wurde zugleich als Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) angeworben und war seit dem Offizier dieses Ministeriums in besonderem Einsatz. Er wurde alsbald zum Hauptmann befördert und mit der kommissarischen Leitung einer Branduntersuchungskommission der BDVP betraut. Diese Stellung hatte er nun zwei Jahren inne und er war als erfolgreicher und energischer Brandermittler bekannt. Hauptmann Hammer hatte beruflich noch viel vor. Im nächsten Jahr war seine Delegierung zur höheren Polizeischule vorgesehen und nach einem erfolgreichen Abschluss würde ihm der Weg zu einem Führungsposten in der Volkspolizei oder anderswo offen stehen. Diese Laufbahnplanung war mit der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit abgestimmt.

    Vor der Gartentür seines Kleingartens hielt ein Funkstreifenwagen.

    „Genosse Hauptmann, ich soll Sie abholen und zum Einsatzort bringen, ruft der Fahrzeugführer dem Hauptmann aus dem geöffneten Fahrzeugfenster zu. „Es gibt einen Großbrand in einer Musikinstrumentenbaufabrik in der benachbarten Kreisstadt.

    Hauptmann Hammer steht auf. Er läuft auf den Pkw zu und dieser fährt ab, unmittelbar, nachdem er eingestiegen ist „Was liegt an, Genosse? „In der Musikinstrumentenbaufabrik im Nachbarort ist ein Brand ausgebrochen. Der Offizier vom Dienst (OvD) hat angeordnet, dass ich Sie zum Brandort fahre. Leutnant Ehrlich wurde ebenfalls benachrichtigt. Er wird am Bahnübergang vor dem Chemiewerk zusteigen. Über das eingebaute Funktelefon wird der Hauptmann über die Lage am Einsatzort informiert. Er erfährt, dass auch der Brandsachverständige der BDVP unterwegs ist.

    In der Musikinstrumentenbaufabrik kommt der Hauptmann gemeinsam mit Leutnant Ehrlich gegen 20:30 Uhr an. Kreisstaatsanwalt Schleich ist schon anwesend und hat einen Krisenstab eingerichtet. Nach verschiedenen Telefonaten und Rückrufen bei der Bezirksstaatsanwaltschaft wurde eine Sonderkommission bestimmt, der neben dem Kreisstaatsanwalt Hauptmann Hammer und Leutnant Ehrlich als Ermittler, der Sachverständige der BDVP Dr. Nassau, Oberleutnant Kanzler von der Kreisverwaltung des MfS und der Einsatzleiter der Berufsfeuerwehr angehörten.

    Die Kommission trat um 21:00 Uhr erstmalig zusammen. Nach dem Bericht des Einsatzleiters der Feuerwehr war mit einer unmittelbaren Spurensuche am Brandort vor dem nächsten Tag nicht zurechnen. Man könne zum gegenwärtigen Zeitpunkt zur Brandursache noch nichts sagen, Brandstiftung könnte nicht ausgeschlossen werden. Kreisstaatsanwalt Schleich verwies im Falle der Brandstiftung auf einen möglichen Zusammenhang zum bevorstehenden.Jahrestag der Republik, auf die Bedeutung des Unternehmens als Alleinhersteller von Schlagzeugen in der DDR und auf den Umstand, dass der Betrieb ein wichtiges Exportunternehmen der bezirksgeleiteten Industrie sei.

    Es wurde beschlossen, Kriminaltechniker der kriminaltechnischen Abteilung (KTA) der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei sofort hinzuzuziehen und mit der Befragung von Betriebsangehörigen zu beginnen. Die Versammelten wollten sich gerade erheben, als der Betriebsdirektor und der Sicherheitsbeauftragte des Unternehmens den Raum betraten.„Genosse, bitte folgen Sie mir, ich glaube, es liegt eine Brandstiftung vor. Der Betriebsdirektor ist sichtlich erregt, er wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Ich zeige Ihnen, warum ich dies annehme. Alle Anwesenden folgten ihm und dem Sicherheitsbeauftragten über den Hof in die separat stehende Fabrikantenvilla des früheren Eigentümers der Fabrik. Dort befand sich das Büro des Betriebsdirektors. Über eine Außentreppe und durch eine Diele erreichten sie das Vorzimmer des Direktors. Die Türen eines dort befindlichen Kleiderschrankes standen offen. Alle konnten sehen, dass auf dem Innenboden des Schrankes ein Löschblatt abgelegt war. Darauf lag ein Stück Kohlenanzünder der handelsüblichen Sorte mit ölgetränkten Holzspänen. Auf dem Kohlenanzünder stand eine weiße Haushaltkerze, die zwar entzündet, aber kaum abgebrannt und offenbar unmittelbar nach dem Entzünden erloschen war.

    „Treten Sie bitte alle zurück und verlassen Sie sofort das Gebäude, hier müssen erst die Genossen der Spurensicherung ihre Untersuchungen vornehmen." Hauptmann Hammer klang gereizt.

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1