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Wasser über Deck und Luken - Seefahrt in den 1950-60er Jahren: Band 60 in der maritimen gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski
Wasser über Deck und Luken - Seefahrt in den 1950-60er Jahren: Band 60 in der maritimen gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski
Wasser über Deck und Luken - Seefahrt in den 1950-60er Jahren: Band 60 in der maritimen gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski
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Wasser über Deck und Luken - Seefahrt in den 1950-60er Jahren: Band 60 in der maritimen gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski

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Einen Schulversager packt das Fernweh. Die Seefahrt der 1950 und 60er Jahre bietet ihm die Chance, die Welt kennen zu lernen – Kost und Logis frei. Kuddel Senkblei geht auf große Fahrt. Sein Ziel: Er will Kapitän werden. Wie er damit klar kommt, was er auf See und an Land erlebt, wird dem Leser mit einer gehörigen Portion Humor serviert – fast wie selbst erlebt.
Rezension zur maritimen gelben Reihe: Ich bin immer wieder begeistert von der "Gelben Buchreihe". Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights der Seefahrts-Literatur. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechselungsreiche Themen aus verschiedenen Zeitepochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlich hat. Alle Achtung!
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateAug 21, 2015
ISBN9783738037715
Wasser über Deck und Luken - Seefahrt in den 1950-60er Jahren: Band 60 in der maritimen gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski

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    Book preview

    Wasser über Deck und Luken - Seefahrt in den 1950-60er Jahren - Arno Eggers

    Vorwort des Herausgebers

    Ruszfb_3

    Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche, ein Hotel für Fahrensleute mit zeitweilig 140 Betten.  In dieser Arbeit lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.

    Krayenkamp_ca1976_von_oben

    Im Februar 1992 kam mir der Gedanke, meine Erlebnisse bei der Begegnung mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen, dem ersten Band meiner maritimen gelben Reihe „Zeitzeugen des Alltags":

    Seemannsschicksale.

    Insgesamt brachte ich bisher über 3.800 Exemplare davon an maritim interessierte Leser und erhielt etliche Zuschriften als Reaktionen zu meinem Buch. 

    Ein Schifffahrtsjournalist urteilte über Band 1: „...heute kam Ihr Buch per Post an - und ich habe es gleich in einem Rutsch komplett durchgelesen.  Einfach toll!  In der Sprache des Seemannes, abenteuerlich und engagiert.  Storys von der Backschaftskiste und voll von Lebenslust, Leid und Tragik.  Dieses Buch sollte man den Politikern und Reedern um die Ohren klatschen.  Menschenschicksale voll von Hochs und Tiefs.  Ich hoffe, dass das Buch eine große Verbreitung findet und mit Vorurteilen aufräumt.  Da ich in der Schifffahrtsjournalistikbranche ganz gut engagiert bin, ...werde ich gerne dazu beitragen, dass Ihr Buch eine große Verbreitung findet... Ich bestelle hiermit noch fünf weitere Exemplare... Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit dem Buch, - das wirklich Seinesgleichen sucht..."

    oder „...möchte Ihnen zu Ihrem Buch gratulieren ...fahre seit 1960 zur See, seit 18 Jahren als Kapitän bei einer namhaften Reederei.  Habe in meiner Sturm- und Drangzeit selbst mal bei Ihnen gewohnt.  Drei der von Ihnen beschriebenen Personen sind mir persönlich bekannt... Ein Buch, das die Seeleute der 60/70 Jahre treffend beschreibt."

    Diese Rezension findet man bei amazon: „Ich bin immer wieder begeistert von der „Gelben Buchreihe.  Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein.  Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint.  Danke Herr Ruszkowski.

    Diese Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage ermutigen mich, in weiteren Bänden noch mehr Menschen vorzustellen, die einige Wochen, Jahre oder ihr ganzes Leben der Seefahrt verschrieben haben.

    So entstand über die Jahre als Ergebnis meines Rentner-Hobbys diese maritime gelbe Buchreihe.

    Im vorliegenden Band 60 können Sie wieder erlebte Begebenheiten aus der deutschen Seefahrt der 1950-60er Jahre nachempfinden.

    In diesem Zusammenhang wurde ich bei der Lektüre des Manuskripts wieder einmal an den bekannten Theologieprofessor und langjährigen Prediger auf der Kanzel des Hamburger Michels, Helmut Thielicke, erinnert, der 1958 eine Seereise nach Japan auch auf einem Frachtschiff der Hapag unternahm und seine Erlebnisse an Bord in dem Buch „Vom Schiff aus gesehen" zusammenfasste.  Seine hautnahen Begegnungen auf dieser wochenlangen Reise mit Seeleuten brachten ihn zu dem Bekenntnis, dass ihm eine ganz neue, bisher unbekannte Welt erschlossen worden sei und er nun eigentlich sein kurz zuvor veröffentlichtes Ethikwerk umschreiben müsse: „Ich bemühte mich nach Kräften, offen zum Hören zu bleiben und – so schwer es mir fällt – selbst meine stabilsten Meinungen in diesem thematischen Umkreis als mögliche Vorurteile zu unterstellen, die vielleicht einer Korrektur bedürfen.  Ich frage mich ernstlich, was an diesen meinen stabilen Meinungen christlich und was bürgerlich ist…  Ich merke, wie schwer es ist, sich im Hinblick auf alles Doktrinäre zu entschlacken und einfach hinzuhören – immer nur hören zu können und alles zu einer Anfrage werden zu lassen...  Bei meiner Bibellektüre achte ich darauf, wie nachsichtig Jesus Christus mit den Sünden der Sinne ist und wie hart und unerbittlich er den Geiz, den Hochmut und die Lieblosigkeit richtet.  Bei seinen Christen ist das meist umgekehrt."

    Hamburg, 2012 / 2015                        Jürgen Ruszkowski

    SANDUHR2

    Jugendtraum

    Die Seefahrt war mein Jugendtraum,

    ich hab ihn mir erfüllt.

    Bin früh zuhause abgehau’n

    hab’s Fernweh mir gestillt.

    Wale, Haie und Delfine war’n meine Wegbegleiter;

    Sonne, Sterne und Planeten mir treue Reiseleiter.

    Vom Nordkap bis nach Feuerland, von Frisco bis Schanghai

    hab ich so manchen Sturm erlebt, doch das ist lang vorbei.

    Nun bleibt mir die Erinnerung

    an eine schöne Zeit.

    Ich war so stürmisch, wild und jung

    und habe nichts bereut ...

    Knoten_3

    Vorwort des Autors

    April.

    Von Westen hetzen Wolkenstaffetten über den Hunsrück.

    Raue Winde mit kräftigen Schauern im Gefolge.

    Und das nun schon seit Wochen – mit nur kleinen Unterbrechungen und winzigen Wolkenlücken.

    Einige dieser sonnigen Lichtblicke hatte ich vor Tagen genutzt, um dringliche Gartenarbeiten zu verrichten: Pflanzlöcher ausheben, Bäume pflanzen, Nistkästen basteln und aufhängen, den ersten Grasschnitt in diesem Jahr...

    Und es kam, wie es kommen musste, wie es mir fast in jedem Frühjahr passiert, nur etwas heftiger in diesem Fall. Im Eifer des Gefechts hatte ich wohl das eine oder andere Kleidungsstück zu früh abgelegt im Vertrauen auf die wärmende Kraft der Aprilsonne, hatte das eisige Lüftchen unterschätzt und prompt dafür die Quittung erhalte – eine handfeste Erkältung.

    Dabei fing alles ganz harmlos an: Dumpfes Gefühl unter der Hirnschale, tränende Augen, kaum spürbares Kratzen im Hals und schließlich der Schnupfen.

    Klar, dass so etwas überwiegend nachts stattfindet. Der ersten schlaflosen Nacht folgte ein trübsinniger Regentag, und ich stand mir selbst im Wege.

    Nur zu bereitwillig folgte ich dem Rat meiner Frau: „Geh’ ins Bett, zieh dir die Decke über’n Kopf und schwitz dich gesund!"

    Ich spürte, wie mein gut funktionierendes Immunsystem allmählich die Betriebstemperatur hochfuhr in einen Bereich, in dem die heimtückischen Invasoren in meiner Blutbahn ihre ständige Paarungsbereitschaft einbüßten und meine körpereigenen Fresszellen mit ihnen aufräumten. So, jedenfalls, stellte ich mir die Heilungsabläufe in meinem Inneren vor.

    Während ich also ruhig vor mich hin transpirierte, liefen kleine Erinnerungssequenzen vor meinem geistigen Auge ab: Pubertäre Probleme während der Schulzeit, Fernweh, meine erste Seereise als Schiffsjunge, Gefahren der See, Tod an Bord, Abschied von der Seefahrt, Auszeit und Neuanfang als Landratte, berufsbegleitendes Studium, aufregende Geschäftsreisen, schwierige Verhandlungen mit exotischen Geschäftspartnern, eine gescheiterte Ehe, ein neues Glück ...

    Die Erinnerungen an die Seefahrt sind unbestritten mein kostbarster Schatz.

    Was ich in meiner Jugend erlebt habe, auf kleiner und großer Fahrt, kann sich kaum jemand vorstellen.

    Denkt man heute an Seefahrt, sieht man vor seinem geistigen Auge riesige Containerschiffe mit dem Charme eines Parkhauses oder Kreuzfahrtschiffe, auf denen sich Pauschaltouristen verwöhnen lassen.

    Noch heute, bei feuchtfröhlichen Treffen mit meinen ergrauten Freunden von der Christlichen Seefahrt, packen wir regelmäßig die große Seekiste unserer Erinnerungen aus und lassen es richtig krachen.

    Selbst wenn wir manche „true story" im Laufe der Jahre schon mehrfach gehört oder erzählt haben, sind heftige Gefühlsausbrüche noch immer garantiert.

    Wie oft schon habe ich daran gedacht, ein Buch zu schreiben über mein bewegtes Leben als Seemann. Ebenso oft habe ich die Gedanken wieder verworfen mangels Gelegenheit, aus Zeitmangel, aus Bequemlichkeit...

    Alles Gründe, die für mich derzeit keine Bedeutung mehr haben.

    Die Gelegenheit wird nie günstiger sein: Ich habe Zeit, beherrsche das Zehnfingersystem auf der Tastatur, und die Festplatte meines PCs hat ein Übermaß an verfügbarem Speicher.

    Ein wenig Bammel habe ich schon, denn wenn ich mir etwas vornehme, führe ich es auch zu Ende.

    Basta.

    Nun, der Entschluss ist gefasst.

    Ich freue mich auf meine aufregende Erlebniswelt.

    Sehr hilfreich bei meiner Rückschau sind mir unter anderem die vielen Briefe, die ich als junger Seemann aus aller Welt an meine Eltern geschickt hatte und die meine kluge Mutter gesammelt und mir nach ihrem allzu frühen Tode hinterlassen hat.

    Diese warten nun – fein säuberlich abgeheftet – darauf, erneut gelesen und durchlebt zu werden.

    Ich werde Sie, liebe Leser, mitnehmen auf große Fahrt. Ich möchte Sie teilhaben lassen an all den Begebenheiten, die für mich von Bedeutung waren und noch sind, die ich selbst erlebt habe und die mir in meinen Träumen oft wieder begegnet sind.

    Um mit völliger Unbefangenheit drauflos schreiben zu können, habe ich die Namen aller handelnden Personen geändert und mich hinter einem Pseudonym versteckt.

    Nun wünsche ich Ihnen vergnügliche Unterhaltung.

    Kuddel Senkblei

    Knoten_1

    Bordsprache

    der Seemann sagt:            der Seemann meint:

    der Alte                   der Kapitän (wenn der’s nicht hört)

    der Erste                  1. Offizier

    der Zweite                  2. Offizier

    der Dritte                  3. Offizier

    OA                        Offiziersanwärter

    Chief                        Leitender Maschineningenieur

    2. Ing.                        2. Ingenieur

    hieven                        Last hochziehen, heran holen

    fieren                         absenken, nachgeben

    Riemen                        Ruder zum Fortbewegen eines Bootes

    Zepter                        Rudergabel, Lager für Riemen

    pullen                        rudern

    anheuern, anmustern            Borddienst antreten

    Heuer                        Seemannslohn

    Heuerstall, -büro                  Vermittlungsstelle für Seeleute

    einklarieren                  Schiff abfertigen durch Hafenbehörden

    Kombüse                  Schiffsküche

    Polytikus                  Schöpfkelle

    Pütz                        Wassereimer

    Back                        Tisch in der Messe – auch: erhöhtes Vordeck

    Moses, Schiffsjunge            Decksjunge, Seemann 1. Ausbildungsjahr

    Jungmann                  Seemann im 2. Ausbildungsjahr

    Leichtmatrose                  Seemann im 3. Ausbildungsjahr

    Matrose                        ausgebildeter Seemann mit Matrosenbrief

    Bootsmann                  Vormann der Decksbesatzung

    Chef, Smutje                  Koch, Küchenchef

    Messejunge                  Bedienungs- und Reinigungskraft

    Seemann, Seeleute            Personal mit seem./nautischer Ausbildung

    Seefahrer, Fahrensleute            übrige Besatzungsmitglieder

    Kümo                        Küstenmotorschiff

    Dampfer                        Sammelbegriff für Handelsschiffe

    Musikdampfer                  abschätzig für Passagierschiffe

    MS „..."                        Motorschiff

    TS „..."                        Turbinenschiff

    NAWK                        Nordamerika Westküste

    ZAWK                        Zentralamerika Westküste

    SAWK                        Südamerika Westküste

    Kommandobrücke, Brücke            Ruderhaus mit Kartenhaus

    Brückennock                  freier Raum neben der Brücke

    Luke, Ladeluke                  Laderaum

    Gangway, Fallreep            Vom Deck an Land führender Laufsteg

    Kammer                        Wohnraum für Besatzung

    Kabine                        Wohnraum für Schiffsleitung, Passagiere

    Bauernnacht                  Nacht im Hafen ohne Ladungsarbeiten

    Backbord                  links, linke Schiffsseite

    Steuerbord                  rechts, rechte Schiffsseite

    Tampen                        Leine, Tauwerk

    Auge                        ringförmiges Tauende, Befestigungsring

    Reling                        Schutzgeländer

    Verschanzung                  stählerne Schutzwand

    Speigatt                        Wasserablauf am Fuß der Verschanzung

    Steven, Bug                  Vorderteil des Schiffes

    Achtersteven, Heck            Hinterteil

    Gang                        Gruppe von Schauerleuten

    Betriebsgang                  Korridor in Aufbauten

    Schauermann                  Hafenarbeiter

    bunkern                        Treibstoff, Frischwasser übernehmen

    löschen                        entladen

    Stückgut                        Kisten, Ballen, Säcke, Verschläge

    Ladung                        Transportgut

    Fracht                        Beförderungsgebühr

    Messe                        Speiseraum für Mannschaft und Offiziere

    Salon                        Messe für Schiffleitung und Passagiere

    Hospital, Apotheke            Raum an Bord für Krankenbehandlung

    Manta-Gang                  Unterstützungs-Crew für SAWK-Fahrt

    Capataz                        Vormann der Manta-Gang

    Manntau                        Sicherungstau für Rettungsbootseinsatz

    Locker                        Verschlussraum

    Lockergut                  Wertladung unter Verschluss

    Kimm                        Horizont

    Kieker                        Fernglas

    Pantry                        Anrichte

    Seemeile                  152 Meter

    Kabellänge                  1/10 Seemeile = 185,2 Meter

    achteraus segeln                  die Abfahrt des Schiffes verpassen

    Geienblock                  Teil eines Flaschenzuges

    Lansch                        von spanisch lancha: großes Boot

    Schwell, Schwellhafen            dauerhafte Dünung, betroffener Hafen

    Dünung                        lange Wellen durch konstanten Wind

    Windsee                        durch Wettergeschehen bewegtes Meer

    Vorläufer                  dehnbares Tauwerk am Festmacher

    Festmacher                  Stahltrosse mit Auge zum Festmachen

    Fender                         Puffer zwischen Pier und Schiff

    Speiserolle                  Mindeststandard für Bordverpflegung

    Charter                        Schiffsmiete

    Döntjes                        (wahre?) Geschichten aus dem Leben

    Kabelgatt                  Raum unter der Back für Ausrüstung

    Persenning                  wasserdicht imprägniertes Segeltuch

    Mug                        Becher mit Henkel

    Krängung                        Schräglage des Schiffes

    rollen                        Schiffsbewegung um die Längsachse

    stampfen                        Schiffsbewegung um die Querachse

    Schiffsstabilität                  Aufrichtvermögen in Schräglage

    weich, rank                  Neigung zu langsamer Rollbewegung

    steif                        Neigung zu kurzer, harter Rollbewegung

    KNOTETAU

    Mosesfabrik

    Schluss damit.

    Es reicht jetzt.

    Für was soll die Quälerei gut sein?

    Meine schulischen Leistungen waren seit einiger Zeit rückläufig. Ich war unkonzentriert, aufmüpfig, vorlaut und unausstehlich.

    Als ich meinen Eltern offenbarte, dass ich die Schule schmeißen wolle, bekam ich was zu hören. Von Berufsausbildung war die Rede, von verschenkten Möglichkeiten, von Fleiß, Ehrgeiz und anderen Begriffen, mit denen ich nichts anfangen konnte und wollte.

    Ich wollte einfach nur weg – zur See fahren.

    So, wie ich es in unzähligen Büchern über Seefahrt, Fischfang und Abenteuer mit Begeisterung gelesen hatte.

    Hinaus in die weite Welt.

    Bei anderen Jungs an der Oberschule, die kurz vor der Mittleren Reife standen, war das Thema „Berufswahl" hoch aktuell.

    Kurz nach dem Krieg, Deutschland war im Aufbau, wurden Arbeitskräfte überall gesucht. Den Schulabgängern standen alle Türen offen. Heiß diskutiert war besonders der Bergmannsberuf. Hier ließ sich gutes Geld verdienen.

    Meine Eltern redeten auf mich ein, wenn schon nicht das Abitur, so doch wenigstens einen Abschluss der Mittleren Reife zu versuchen.

    Noch heute bin ich dankbar für diese Überzeugungsarbeit.

    Mein Vater, der als reisender Handelsvertreter in Norddeutschland unterwegs war, hatte Kontakt aufgenommen zur Schiffsjungenschule in Elsfleth.

    In diesem verträumten Ort waren fast alle Einwohner in irgendeiner Weise mit der Seefahrt verbunden. In kleinen schmucken Häuschen hinter dem Weserdeich wohnten etliche Familien, die einen Kapitän oder Steuermann hervorgebracht hatten. Oder Bootsmann, Matrosen, Heizer oder sonstige Fahrensleute.

    Für andere war der örtliche Werftbetrieb das Bindeglied zur Seefahrt. Hier entstanden große Schiffe, die die Weltmeere befuhren.

    An der Staatlichen Seefahrtschule in Elsfleth erwarben gestandene Matrosen nach drei Semestern das Patent zum Seesteuermann auf großer Fahrt und später, nach einigen Jahren Praxis an Bord und erneutem Studium, schließlich das Patent zum Kapitän auf großer Fahrt.

    Dies, genau dies, war mein Ziel: Kapitän zu werden.

    Dafür büffelte ich an der Schule weiter bis zur Mittleren Reife. Als ich mein recht unansehnliches Zeugnis endlich hatte, durfte ich auf die Schiffsjungenschule – offizielle Bezeichnung: Seemännische Berufsfachschule – wechseln.

    Dass diese Einrichtung auch despektierlich „Mosesfabrik" genannt wurde, erfuhr ich erst viel später.

    Am 15. Mai 1955 wurden außer mir einige Dutzend milchbärtiger Jünglinge aus der elterlichen Obhut entlassen und zwecks seemännischer Grundausbildung in die Hände altgedienter Ausbilder, alles Fahrensleute, übergeben.

    Die Schiffsjungenschule hatte Internatscharakter: Unterricht, Kost und Logis rund um die Uhr, drei Monate lang.

    In dieser Zeit wurde uns angehenden Schiffsjungen Zucht und Ordnung beigebracht und was das Leben an Bord fürs Erste an Kenntnissen und Fertigkeiten in Theorie und Praxis erforderte – und einiges mehr.

    Frisch eingekleidet in Latzhose, Wolltroyer, Pudelmütze – ein Päckchen Ölzeug mit Südwester und Gummistiefel im Spind – begannen wir uns allmählich wie echte Männer zu fühlen.

    Selbstgedrehte Zigaretten gehörten dazu.

    Der Unterricht bechränkte sich nicht auf die Theorie. Auch die praktische Seemannschaft, wie der Umgang mit Takelage und Tauwerk, Knoten und Spleißen, kam nicht zu kurz.

    Besonders der Bootsdienst stellte uns vor Herausforderungen. Auf dem Bootssteg, zwischen eisernen Davits, hingen zwei schwere hölzerne Rettungsboote.

    Auf das Kommando des Bootsmanns wurde einer dieser Kutter klargemacht zum Fieren.

    Beim ersten Zuwasserlassen spürte ich, dass trockenes Tauwerk, wenn es schnell durch die Hand rauscht, viel Hitze erzeugt und Haut von der Handfläche mitnimmt.

    Rohe Handflächen sind sensibel. Besonders, wenn man damit fest zupacken muss. Das war der Fall, als ich den schweren Riemen ins Zepter heben und auf Kommando pullen musste.

    Das Boot, von kräftigen Händen mit Bootshaken ins Fahrwasser gedrückt, wurde von der Strömung erfasst und schnell flussabwärts getrieben.

    Keiner von uns Jungen hatte jemals in einem solchen Boot gesessen, geschweige denn einen derart schweren Riemen bewegen müssen. Die Kommandos des Bootsmannes lösten Verwirrung aus.

    Einige Bootsinsassen kippten rücklings von den Bänken, andere verloren ihren Riemen – es war das reinste Chaos.

    Als wir schließlich einigermaßen geordnet den Ruderkommandos gehorchen und die Riemen im Takt bewegen konnten, war das Boot bereits meilenweit abgetrieben und der Bootssteg außer Sicht.

    Hinten im Boot an der Pinne, mit Blick in Fahrtrichtung stand der Ausbilder und schrie die Kommandos, dass ihm der Hals schwoll.

    Es dauerte unendlich lange, bis das Boot Fahrt über Grund aufnahm. Der Bootssteg kam näher, und völlig ausgepumpt konnten wir das Rettungsboot schließlich anlegen.

    Nie zuvor hatte ich so viele geschundene Handflächen gesehen.

    Im Laufe der Wochen veränderte sich unser Aussehen merklich. Blasse Gesichter und schlaffe Haltung waren passé. Die Arbeiten an frischer Luft und der körperliche Einsatz zeigten Wirkung: Schwielige Handflächen, frische Gesichtsfarbe und schwellende Muskelpartien ließen uns wie gestandene Seeleute aussehen.

    Dann kam die Zeit der Prüfungen und die Vermittlung der Schiffsjungen an Reedereien und Heuerbüros.

    Als einer der Ersten ergriff ich die Gelegenheit, auf einem Kümo anzumustern.

    Ahoi Seefahrt – ich komme!

    KNOTETAU

    Küstenmotorschiff „APHAIA"

    Aller Anfang ist schwer

    Kuemo_APHIA
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