BÖSE im Bett: Rufmord am eigenen Vater
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Eine Geburtstagsfeier gerät aus den Fugen und zwei Mitschüler sterben.
Als dann auch noch ihre Klassengemeinschaft neu zusammengesetzt wird und alte Freundschaften zerbrechen, rutscht Mia langsam ab.
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BÖSE im Bett - Andrea Lieder-Hein
PROLOG
Sie kamen immer wieder, diese Gedanken. Immer wieder, ganz plötzlich und unverhofft. Nie wusste sie, wann. Sie kamen aus dem Nichts, einfach so.
An jenem späten Vormittag gingen sie von der Beerdigung ihrer geliebten Mutter heim, sie und ihr Vater. Mama war vor ein paar Tagen an Krebs gestorben. An einer sehr aggressiven Art von Leukämie, wie ihr Vater ihr erklärt hatte.
Ihr Vater war furchtbar traurig, damals. Noch auf dem Heimweg konnte sie die Spuren seiner Tränen sehen, wenn sie von der Seite auf sein Gesicht schaute. Er war so verzweifelt am Grab gewesen, dass sie fast fürchtete, er fiele gleich mit hinein, in die grün ausgeschlagene Grube.
Später, im Wohnzimmer, hatte ihr Vater noch lange nur so da gesessen, einfach vor sich hin gestiert. Kaum geredet. Und dann hatte er sich plötzlich drei Flaschen Bier geholt. Aus dem Kühlschrank.
Sie sah diesen Film immer in der gleichen Reihenfolge, immer wieder so, als ob alles gerade erst passierte. Und immer hatte sie diesen Kloß im Hals und das Ziehen in der Magengegend. Am Ende würde sie sich übergeben müssen oder mit der Rasierklinge ihre Arme ritzen. Sonst würde die Übelkeit bleiben.
Vater trank keinen Alkohol, weil er ihm nicht schmeckte, und aus Prinzip nicht. Er wollte nüchtern bleiben, sein Gehirn nicht lahm legen, seine Handlungen kontrollieren. Bier gab es nur für Gäste. Und nun standen diese drei Flaschen Bier auf dem Tisch. Er trank sie langsam, eine nach der anderen, und weinte dabei.
Als sie an jenem Abend gegen 20:00 Uhr im Bett lag, dachte sie noch lange über die schrecklichen Ereignisse nach. Mitten in der Nacht wachte sie auf. Ihr Vater legte sich langsam neben sie und deckte sich mit ihrer Decke zu. Er roch nach Bier.
„Ich bin so traurig, Jana, so traurig. Mama kommt nie wieder zu uns. Was soll ich bloß machen? Was sollen wir bloß machen? Er rückte näher an sie heran. Sie roch das Bier. Ganz intensiv. Und sie spürte seine Traurigkeit. Vorsichtig streichelte sie ihm über das nass geweinte Gesicht und flüsterte: „Du bist nicht alleine. Ich bin doch bei dir, Papa.
Bei diesen Worten zog er sie näher an sich heran, presste sie richtig fest an seinen von Schmerz geschüttelten Leib. Ihr wurde allmählich etwas mulmig zumute und sie versuchte, ihn ein wenig weiter wegzuschieben. Aber er rückte immer dichter an sie heran, fuhr über ihren Oberkörper, wischte ihr Shirt über die Schultern und schnaufte plötzlich ganz fremd. Ihr wurde richtig angst und bange.
Was ihr Vater wohl hatte? Ob er krank war? War diese Leukämie vielleicht ansteckend? Dann plötzlich durchfuhr sie ein heftiger Schmerz. Irgendetwas fuhr in ihren Unterleib und ihr Vater zuckte rhythmisch auf ihrem schmalen Körper. Nach wenigen Minuten schnaufte er noch einmal wie der alte Hund ihrer Freundin bei großer Anstrengung, und dann rutschte er von ihr runter und nahm das Ding unten mit aus ihrem Leib.
Kurz darauf war er eingeschlafen.
Am nächsten Morgen wachte sie auf und schaute auf ihren Vater. Er öffnete verschlafen seine Augen.
„Papa, was hast du gestern mit mir gemacht? Du hast mir weh getan, und so geschnauft. Ihr Vater schaute ziemlich erschrocken und antwortete eindringlich: „Wir zwei sind jetzt ganz alleine auf dieser Welt. Wir gehören zusammen. Wir sind eins. Du darfst es aber NIEMANDEM erzählen, was heute Nacht geschehen ist, sonst trennen sie uns und du bist dann ganz alleine. Aber mit diesem Ritual zeige ich dir, wie lieb ich dich habe. Du wirst es lernen zu mögen. Denke immer daran, wir haben nur noch uns. Wir sind EINS und müssen das auch spüren.
Diese letzten Sätze waren es gewesen, die sie damals überzeugt hatten. Damals. Damals, als sie gerade neun geworden war. Sie hatte nie etwas erzählt, keinem. Bis jetzt nicht. Aber sie hatte gelernt, ihren Vater zu hassen und zu verachten.
Inzwischen wusste sie genau, was er tat und warum. Sie hasste ihn dafür täglich mehr, und manches Mal wünschte sie sich, einfach seinen Penis abzuschneiden, ihn ihm in den Mund zu stopfen. Oder ihn anzuzünden. Einfach so.
Dennoch hatte sie durchgehalten. Bis jetzt.
Sie hatte ihr Abitur gemacht und wollte eigentlich Lehrerin werden. Aber wegen ihres Vaters war sie zur Polizei gegangen, Kommissarin geworden. Sie wollte solche Schweine wie ihren Vater nicht mit so etwas durchkommen lassen. NEIN. Sie wollte alle überführen. ALLE. Das war ihre Rache.
TEIL Eins 001 Mias Geburtstag
Draußen war es noch dunkel, als der Wecker schrillte. Elke Beyer fasste erschrocken hin, um ihn zum Schweigen zu bringen. Erst kurz vor fünf. Aber dieses war ein ganz besonderer Tag, der 14. Geburtstag ihrer Tochter Mia-Marie. Mit einem Handgriff brachte Elke den Wecker zum Schweigen. Leider nicht schnell genug. Eine Hand tastete sich im Bett vor und streichelte sanft ihren Körper. Johann Beyer liebte diese kurzen Momente vor dem Aufstehen im Bett mit seiner Frau. Dabei dachte er an nichts anderes als an Wärme und Geborgenheit.
Langsam drehte er sich zu ihr um und begrüßte sie wie immer mit einem morgendlichen Kuss. Ein Ritual, dass er nicht missen mochte. „Schlaf noch ne Runde, Johann. Es ist erst eben vor fünf. Ich gehe schon mal nach unten und bereite den Tisch für Mia vor. Vierzehn Jahre! Wo ist sie hin, die Zeit?"
„Gut, aber dann rufst du mich. Ich möchte unbedingt dabei sein, wenn unsere Tochter die Geschenke auspackt." Johann Beyer drehte sich noch einmal um und dachte an Mia. Wie sehr hatten sie sich beide ein Kind gewünscht, aber es wollte nicht klappen. Johann nahm es für Gott gewollt. Dieses Argument hatte er als Pfarrer oft ausgesprochen, wenn Frauen aus seiner Bochumer Gemeinde mit dem gleichen Problem kämpften. Verzweifelt oft und Antwort suchend. Warum ich? Das fragten sich viele, und ganz heimlich auch er. Damals.
Dann, vor fast sechzehn Jahren, hatte er seine Pfarrei gewechselt. Eine kleine evangelische Gemeinde in der Nähe von Wittmund suchte einen Pfarrer. Raus aus dem Ruhrgebiet und an die Küste? NRW verlassen zugunsten von Niedersachsen? Nächte lang hatten sie diskutiert. Die Nähe zu den Inseln war letztlich ausschlaggebend gewesen. Und dann war Elke plötzlich schwanger. Die Nordseeluft, die frische Brise? Egal, Hauptsache ein Kind.
Währenddessen deckte Elke in der großen Küche den gemeinsamen Frühstückstisch. Mitte Mai gab es nur wenige Blumen im Garten, aber ein paar gelbe Tulpen zusammen mit Pfingstrosen zauberten viel Frische auf den Tisch. Dann platzierte sie die Geschenke neben Mias Teller. Es waren drei. Von Oma Imme bekam sie einen iPod, den Mia beim Joggen tragen wollte. Von Papa Johann ein neues Fahrrad und von Mama ein Tagebuch und eine Gitarre. Ja, eigentlich war es viel zu viel. Aber Mia war nun mal ihr Sonnenschein, und das wollten Eltern und Oma auch immer gerne zeigen.
Mia-Marie besuchte im nahegelegenen Wittmund die achte Klasse des Hans-Berger Gymnasiums. Sie war beliebt, klug und Klassensprecherin. Alles Dinge, auf die Mutter Elke sehr stolz war.
Gegen sechs Uhr stand alles bereit. Der Tisch war zauberhaft geschmückt, das Fahrrad eingepackt und mit einer riesigen roten Schleife verziert, der iPod in einem kleinen Holzkästchen untergebracht und das Tagebuch in Folie eingewickelt. Einzig die Gitarre lehnte unverpackt an Mias Stuhl. Umrahmt von Blumen und ein paar Süßigkeiten. Nun konnten ihr Mann und ihre Tochter kommen.
„Mia, Johann, das Geburtstags-Frühstück ist fertig, rief Elke überglücklich. Johann hatte schon auf diesen Moment gewartet, denn er litt mitunter an Migräne-Anfällen, und deshalb stand er immer zur gleichen Zeit auf. Punkt sechs Uhr in der Früh. Jeden Tag. Seit Jahren. Das hatte ihm sein Bochumer Arzt damals eingebläut. „Immer alles zur gleichen Zeit, Herr Beyer, und Sie werden sehen, das hilft.
Wie es schien, half es tatsächlich.
Pastor Beyer zupfte seine karierte Flanell-Hose zurecht und öffnete gerade die Tür, als Mia-Marie in ihn hineinstolperte. „Sorry, Papa, ich hab dich nicht gesehen", rief sie über ihre Schulter hinweg und eilte die Treppe hinab.
„Mia, herzlichen Glückwunsch, mein Kind. Schau mal, was du bekommen hast. Hier, das ist von Oma Imme, das von Papa und diese Geschenke sind von mir." Während sie sprach, schlang sie ihre Arme um Mia und drückte ihr einen schmatzigen Kuss auf die linke Wange.
„Danke, Mama, aber jetzt mit 14 geht das auch ohne Kuss, nur Umarmung. Sonst lachen alle, weil ich noch so kindisch behandelt werde. Elke verzog das Gesicht sichtlich irritiert. „Du bleibst doch immer unser Kind, mein Liebling.
„Nein Mama, ich bleibe eure Tochter, nicht euer Kind. Das nehmen wir gerade in Reli durch, erwachsen werden und Freunde haben. „Freunde, Mia? Du meinst Freundinnen.
Eine Antwort blieb Mia erspart, denn nun war ihr Vater auch unten und trank seinen ersten Tee, wie immer im Schlafanzug. „Lecker, dieser Ostfriesen Tee mit Kluntje und der Sahnewolke. Hätte nie geglaubt, dass ich mal lieber Tee als Kaffee trinken würde." Johann Beyer goss sich eine zweite Tasse ein und schaute liebevoll auf seine Tochter. „Und? Wie gefallen dir deine Geschenke?"
Mia zerriss gerade das letzte Papier. Es war ein 24 CityBike in schwarz-weiß und nannte sich „Wild Cat
. Am Lenker hing ein schwarz-weißer Helm. Mia wusste im ersten Moment gar nicht, was sie sagen sollte. So viele Geschenke, und alle so super toll. „Danke, danke, danke für alles, stammelte sie und fügte hinzu „ab heute fahre ich mit dem Rad zur Schule.
Elke huschte noch schnell in die Küche und holte eine Transportbox, gefüllt mit selbstgebackenem Kuchen. „Hier, Mia-chen, für deine Mitschüler, habe ich gestern noch gebacken. Apfelkuchen. Die Sahne ist in einer Extra-Box."
„Mama, ich hätte lieber Hanuta oder Snickers mitgenommen. Die sind auch leichter zu tragen."
Kurz nach sieben schwang sich Mia samt Tragebox auf ihr neues Fahrrad. Vorne am Lenker befand sich ein großer Weidenkorb. Ein zweiter auf dem Gepäckträger. Für ihren Schul-Rucksack. Den Helm fand sie nicht so pralle, aber auch den trug sie.
Ihre Mutter ging ihr manchmal gehörig auf den Senkel. Immer behandelte ihre Mutter sie wie ein Baby, und oft schämte sich Mia auch, wenn ihre Mutter sie von der Schule abholte und sie herzte und küsste. Gott lob nahm ihr das keiner ihrer Mitschüler übel, denn sie war sehr beliebt. Das hing auch damit zusammen, dass sie mit ihren Mitschülern ein ausgeklügeltes System des Betrügens bei Klassenarbeiten