Gefreiter Jablonski
Von Michael Siemers
Beschreibung
Die meisten Begebenheiten und Charakterdarstellungen haben sich tatsächlich in der Hamburger Graf Golz-Kaserne zugetragen. Die Geschichte an sich aber ist fiktiv und hat so nie stattgefunden. Es soll gezeigt werden, dass die Bundeswehr nicht nur ein uniformierter Apparat ist, sondern von Menschen in Uniformen, mit ihren Führungsqualitäten und Schwächen, bis hin zur Borniertheit, geführt wird.
Der Autor selbst hat in den Jahren 1971/72 in der Graf Golz-Kaserne als Sanitäter gedient.
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Gefreiter Jablonski - Michael Siemers
Vorwort
Die Bundeswehr mit ihrer Hierarchie hat ihre eigenen Gesetze. Alles ist genormt, geregelt, festgelegt und olivgrün. Menschliches Fehlverhalten aber kann diese Ordnung durcheinanderbringen. Ob nach eigenem Kalkül oder vorgegebene Gesetze, kann jeder dem anderen das Leben schwer machen. Diensteifrige Emporkömmlinge und gleichgültige Wehrpflichtige sorgen für ein reges Gegeneinander. Überzeugung und Desinteresse reiben sich aneinander bis zur erbitterten Feindschaft. So nutzt jeder Führungssoldat seine Macht, die ihm die Bundeswehr ermöglicht, dem einfachen Soldaten zu schikanieren. Es liegt an jedem selbst, mit dem Strom zu schwimmen oder regelmäßig anzuecken. Vielleicht aber sind es auch die Reibereien und Umgehungsversuche der Dienstvorschriften, die das Leben in der Kaserne attraktiver gestalten.
Die meisten Begebenheiten und Charakterdarstellungen haben sich tatsächlich in der Hamburger Graf Golz-Kaserne zugetragen. Die Geschichte an sich aber ist fiktiv und hat so nie stattgefunden. Es soll gezeigt werden, dass die Bundeswehr nicht nur ein uniformierter Apparat ist, sondern von Menschen in Uniformen, mit ihren Führungsqualitäten und Schwächen, bis hin zur Borniertheit, geführt wird.
Der Autor selbst hat in den Jahren 1971/72 in der Graf Golz-Kaserne als Sanitäter gedient.
Kasernenalltag
„Die Rotärsche kommen!" rief einer der Soldaten in halblautem Ton und
kündigte damit das Erscheinen der neuen Rekruten an, die ihr erstes Mittagessen
im Speisesaal der Graf Golz-Kaserne einnehmen durften. Das Geklapper der
Bestecke und das allgemeine Redegewirr verstummten. Kaum, dass der erste
Rekrut den Saal betrat, hämmerten gut 300 Bestecke auf den Tischen und
verursachte einen ohrenbetäubenden Lärm. Zurückhaltend traten die Rekruten
nacheinander ein und sahen sich verlegen um. Steif wie ihre gebügelten Arbeitsanzüge
waren ihre Bewegungen, blass und frisch ihre Gesichter. Jeder trug sein
Namensschild auf der rechten Brust und hatte im Gegensatz zu den anderen
Barettträgern ein Schiffchen auf dem Kopf. Wenn sie auch in einem Panzerbataillon
stationiert waren und den Dienstgrad „Panzerschütze" trugen, so waren
sie von dieser Einheit noch weit entfernt. Sie hatten erst einmal die
Grundausbildung zu absolvieren, bevor sie hautnah mit der 48-Tonnentechnik
eines Kampfpanzers konfrontiert wurden.
Der Empfangslärm ebbte erst ab, als auch der letzte Rekrut den Saal betrat. Von
ihrem Unteroffizier wurden sie an zwei separate Tischreihen geführt, damit sie
sich langsam in das Bataillonsleben integrierten. So lautete die formelle
Anweisung des hiesigen Bataillonskommandeurs Oberst Fleck. Im Klartext hieß
das nichts anderes, als: „Kein Rotarsch soll sich erdreisten, sich an einen Tisch
mit Reservisten zu setzen."
Reservisten waren normalerweise Soldaten, die zur Reserveübung eingezogen
wurden. Doch nannten sich auch diejenigen Reservisten, die das letzte Vierteljahr
abzuleisten hatten. Daher wurden die Rekruten mit der aktuellen Tageszahl „89"
begrüßt. Was das zu bedeuten hatte wurde ihnen sehr schnell klar. Mit ihrer
astronomischen Zahl von über „500" hätten sie nur lockeres Gelächter ausgelöst.
Das Panzerbataillon 174 war in der Graf Golz Kaserne in Hamburg-Rahlstedt
stationiert. Urkundlich tauchte das namensgebende märkische Uradelsgeschlecht
schon im Jahre 1297 auf. Wie sehr es vom militärischen Flair überschattet war,
bewiesen 22 Generale, von denen mindestens vier in die Geschichte eingingen.
Der letzte unter ihnen war Rüdiger Graf von der Golz, General und Kommandeur
jener deutschen Truppen, die Finnland im Jahre 1918/19 von der Roten Armee
befreiten. In dieser Kaserne waren die erste Stabs- und Versorgungs-, die dritte
und vierte Kampf- und die zweite Ausbildungskompanie untergebracht. Die
klotzigen Backsteingebäude waren genauso trist wie das Leben darin. Alles war
gleich: jeder Flur, jede Stube und jeder Keller. Persönliche Gestaltung war
lediglich in den Büros zu finden, wenn man einige Bilder und Blumen so nennen
durfte. Die Stuben der Soldaten, sechs bis acht Betten und Schränke, sowie die
gleiche Zahl Stühle und einen Tisch waren nach dem Architekturschema „F"
gestaltet. Anfang der siebziger Jahre wurden die Blocks renoviert. Unterrichts-und
Sanitätsgebäude waren derzeit die einzigen Neubauten, die sich im Stil von
den übrigen Blocks abzeichneten. Die Steinböden der Flure rochen nach scharfen
Reinigungsmitteln, die sich mit allen möglichen Gerüchen vermischten. Schweiß,
Leder, Chlor und gelegentlich wohlriechende Seifen und Deos durchzogen die
Räume der Kompanien. In der Kasernenmitte breitete sich der riesige, asphaltierte
Exerzierplatz aus, auf dem Appelle, Befehlsausgaben, Begrüßungen, Beförderungen
und Verabschiedungen im großen Stil abgehalten wurden. Rechts vom Exerzierplatz
standen die Hallen der Lkws und die Werkstätten der Instandsetzung. Dahinter reihten
sichkorrekt ausgerichtet die schwerfälligen M48-Kampfpanzer, die in Lärm,
Anfälligkeit und Kraftstoffverbrauch unschlagbar waren. Sie warteten darauf,
durch den modernen Leopard Panzer abgelöst zu werden.
Vorgeschmack war der Bergepanzer Leopard, kurz „Leo" genannt. Selbst wenn
dieser einen Panzer im Schlepp hatte, so musste der „M-48" schon eine heiße
Kette hinlegen, um nicht die Schlusslichter entschwinden zu sehen. Es gab
Soldaten, die sich auf zwei Jahre verpflichteten, wenn sie in dieser Zeit den Leo
lenken durften. Man mag darüber denken, was man will, aber eine schöne
Geländefahrt in einem Panzer dieser Größenordnung war eines der beliebtesten
Dinge, die einem in so einem Bataillon widerfahren konnte.
Der achtzehnmonatige Wehrdienst war mit Ausnahme der dreimonatigen Grund-,
Fahr- und Fachausbildung, ein träges Dahinsiechen. Langeweile und
Lustlosigkeit machten sich da breit, wo es galt, seine Zeit abzubummeln. Die
Unproduktivität ihrer Arbeit, das stumpfsinnige Pflegen und Warten der
Maschinen und Geräte sowie die langatmigen Appelle ließen die Männer
abstumpfen. Fairerweise aber sei gesagt, dass Ausnahmen nicht selten waren.
Pioniere beispielsweise, die bei Sturm und Regen Brücken bauten, um sie danach
wieder wegzusprengen. Grenadiere, die durch Schlamm robbten und Schützengräben
aushoben, während ihnen der eisige Sturm ins Gesicht fegte. Hinzu kamen
die Einengung der Privatsphäre, die unbezahlte Anwesenheit für Wachen,
Bereitschaften, Übungen und Sonderdienste. Dies erstickte jedes Interesse an der
Bundeswehr.Doch hatte der Wehrdienst auch seine positiven Aspekte. Gerade Mütter
dienender Soldaten begrüßten die Sauberkeit und Ordnung. Das Leben in der
Gemeinschaft lehrte zur Solidarität und Kameradschaft. Jede erdenkliche
Ausbildung war großzügig, gut und teuer. Der knappe Wehrsold zwang zur Sparsamkeit
und die Verantwortung für Wäsche und Geräte veranlassten die Soldaten,
sorgsam und pfleglich mit den ihnen anvertrauten Sachen umzugehen. Um es auf
einen Nenner zu bringen: Der Wehrdienst war in den Augen der Eltern der letzte
Schliff ihrer, auf der Strecke gebliebenen, Erziehungstheorien.
Die Mittagspause war gerade beendet und das allgemeine Betriebsleben nahm
seinen Lauf. Einige Teileinheiten der ersten Kompanie marschierten geschlossen
zu ihren Arbeitsplätzen. Ein paar Offiziere pendelten zwischen Stab, Kasino und
Kompanien hin und her. Vor einigen Kompanieblocks standen Lkws, die be- oder
entladen wurden.
Es war ein Tag wie jeder andere und alles ging recht lahm und lustlos voran. Die
Neuen brachten wenigstens ein bisschen Abwechslung in den olivgrünen Alltag
der Kaserne, und man konnte endlich wieder die sorgsam gehüteten Witze an den
Mann bringen. Auf dem Exerzierplatz reihten sich gerade die Rekruten zur
Formalausbildung auf. In ihren sauberen kräftig grünen Kampfanzügen sahen sie
noch recht geschniegelt aus. Die Zugführer waren bemüht, ihnen Disziplin und
Gehorsam einzubrüllen und somit die krause Zivilhaltung auszubügeln. „Würden
Sie und „könnten Sie
wechselte in „Marsch, Marsch, und „Zack, Zack
.
Mit dummen Bemerkungen mitten aus der Reihe heraus marschierte der Inst.-Zug
(Instandsetzungszug) der Ersten an ihnen vorbei. In ihren blauen verwaschenen
Arbeitsanzügen sahen alle gleich aus und der ablehnende Ausdruck ihrer
Gesichter machte jeden Rekruten deutlich klar, dass diese Männer ihre
Grundausbildung schon weit hinter sich hatten.
„Ruhe da vorn!", mahnte der nebenher marschierende Feldwebel, als die Lautstärke
der Witzeleien zunahm. Es war ein Entgegenkommen gegenüber ihren
ausbildenden Kameraden, die jedoch genug mit ihren Soldaten zu tun hatten und
sich gar nicht darum kümmerten.
Langsam stieg der Gefreite Gerd Jablonski die grauen Steinstufen zum VU-Boden
(Versorgungsunteroffizier) im Dachgeschoss hinauf. Seine Beine waren
noch schwer wie Blei nach seinem Mittagsschlaf, den er sich regelmäßig gönnte.
Das Resultat war jedoch immer gleich: Er war hinterher noch niedergeschlagener
als vorher. Das stets ungekämmte blonde Haar reichte knapp bis zu seinem
Kragen. Mit gestrecktem Hals und heruntergezogenem Kragen konnte er sich
jedoch stets durch den Haarappell mogeln. 1970 wurde der sogenannte
„Haarerlass" erteilt, was den Soldaten erlaubte, das lange Haar zu behalten. „Es
kommt nicht darauf an was der Soldat auf dem Kopf hat, sondern was er im Kopf
hat", war die Wahlparole der damaligen SPD und verbuchte so erfolgreich einige
Wählerstimmen für sich. Für das Tragen langer Haare war die Benutzung eines
Haarnetzes vorgeschrieben. Die ersten Haarnetze waren so dünn, dass sie
allenfalls drei Tage hielten. Es dauerte nicht lange und der Nachschub kam ins
Stocken. So wurden dann die ersten Ausnahmen erteilt, was wiederum zur Folge
hatte, dass die Soldaten bei der Beschädigung nachhalfen. Nach ca. einen halben
Jahr kamen die neuen Haarnetze. Dunkelbraun, stabil und so eng wie eine zu
klein geratene Pudelmütze. Einige fanden heraus, dass man darin locker fünf
Flaschen Bier transportieren konnte, und es hieß, es ließe sich sogar ein LKW
damit abschleppen. Wie die meisten Soldaten zog es auch der Gefreite Jablonski
vor, sein Haar kurz zu tragen, um dieses unbequeme Witzteil nicht benutzen zu
müssen. (Zwei Jahre später wurde der Erlass wieder zurückgenommen.)
Sein schwarzes Barett mit silbernem Panzeremblem saß schräg auf seinem Kopf.
Über die Schulter hing lose der Parka, den er tauschen wollte. Der Gefreite
Jablonski war Wehrpflichtiger und hatte noch ein Vierteljahr abzuleisten. Stolz
wie jeder Reservist, der etwas auf sich hielt, trug er eine Maßbandrolle, deren
Zentimeter die jeweilige Tagesrestzahl anzeigte. Er war nicht das, was man einen
Mustersoldaten nannte, dafür aber war er clever genug, sich durch zumauscheln
und konnte seine Vorgesetzten gut unterscheiden. Vom zackigen Gruß, zum
freundlichen guten Morgen bis hin zum kleinen Scherz, wusste Jablonski sehr
gut, wie er sich zu verhalten hatte. Außerdem war er recht beliebt bei seinen
Kameraden, da er als Sanitäter das Behandlungszimmer des San-Bereichs
(Sanitätsbereich) unter sich hatte. Alle, die vom Stabsarzt kamen, holten sich bei
ihm Verbände und Medikamente ab. Da lag es schon nahe, dass sich der eine
oder andere etwas zu besorgen versuchte. Der Küche und der Werkstatt gegenüber
war Jablonski besonders großzügig, was ihm einige Extrawürste einbrachte.
Die Medikamente der Bundeswehr waren ohnehin gut und teuer, was auch die
Angehörigen der Soldaten zu schätzen wussten. Die Legende von roten und
weißen Einheitspillen war die Erfindung unwissender Soldaten. Dass viele die
gleichen Medikamente bekamen, lag daran, dass sie mit den gleichen, meist
simulierten Symptomen zum Stabsarzt gingen.
Als Jablonski die schwere Eisentür zum VU-Boden öffnete, kam ihm der Geruch
von Mottenkugeln und Lederstiefeln entgegen. Unteroffizier Hechler war der VU
(Versorgungsunteroffizier) und ein Streber, der seinesgleichen suchte. Sein
kantiges Gesicht, die braunen Augen, die sich hinter einer Hornbrille versteckten,
hatten zynische Züge an sich. Seit er zum Stabsunteroffizier vorgeschlagen
worden war, kannte seine Eifrigkeit keine Grenzen. Seine Lebensauffassung
bestand darin, nach oben zu kriechen und nach unten zu treten. Daher war er hier
oben in seinem Kleiderloch recht gut aufgehoben. Sogar Soldaten seines Ranges
legten keinen großen Wert auf seine Gesellschaft. Die wenigen Freunde, die er
hatte, akzeptierten ihn auch nur deshalb, weil er als Versorgungsunteroffizier mal
das eine oder andere ohne große Formalitäten beschaffen konnte. Offiziere hatten
bei ihm natürlich Vorrang. Da genügte ein Anruf und schon schickte er seinen
Gehilfen los. Es spielte auch keine Rolle, wann der Anforderungszettel eingereicht
wurde. Hechler war gerade mit Unteroffizier Schrader beschäftigt, der
einige Sachen zu tauschen hatte. Schrader war Fahrlehrer der ersten Kompanie,
bei dem auch Jablonski seine Führerscheine C.E und F1 gemacht hatte und zu
dem er noch immer guten Kontakt hatte. Er grüßte nickend, als Jablonski seinen
Parker auf den Tresen legte. Dabei blickten seine Augen müde zwischen die
Regale hindurch zum VU.
„Hemd, Hose, Schuhe. Alles?", fragte Hechler, als er die Sachen über die
Tresenplatte schob.
„Ne Krawatte kannst du mir noch mitgeben, meine ist schon so ausgeblichen. Die
bringe ich dir nachher hoch", sagte Unteroffizier Schrader tonlos. Der VU
verschwand hinter den Regalen, auf denen pedantisch geordnet die
verschiedensten Wäschestücke lagerten. Ein Bilderbuch hätte die Ordnung nicht
besser darstellen können. Selbst die ausgesonderte Kleidung war trapezförmig
auf dem Fußboden gelagert. Die Schuhe standen sortiert in Reih und Glied. Eine
DIN A4 Seite verriet, dass er noch immer die Hemden in Rekrutenmanier
zusammenlegte. Die Abstände zwischen den Wäschestapeln betrug genau 4
Zentimeter, das Maß eines Dachlattenstückes. Unteroffizier Hechler brachte ihm
die Krawatte. Schrader packte seine Sachen zusammen und ging zum Ausgang.
„Empfehlen Sie uns weiter, Herr Unteroffizier!", rief Jablonski ihm scherzhaft
nach. Schrader nickte kurz und ließ ein knappes Lächeln über die Lippen
huschen.
„Einmal tauschen", sagte Jablonski tonlos, schob den Parka rüber und legte
seinen Anforderungszettel daneben. Eindringlich untersuchte Hechler den Parka,
während Jablonski ihm schweigend mit berechtigter Vorahnung auf die Finger
sah. Er hatte schon einmal Ärger mit diesem VU gehabt. Damals wollte Jablonski
durchlöcherte Strümpfe tauschen, doch musste er sie erst stopfen, tragen und
wieder waschen. Als es dann endlich soweit war, waren keine Strümpfe auf
Lager. Sein Protest wurde mit dem kurzen Befehl „Raus!" beendet. Hechler
verstand es, wenn auch ungewollt, seine Beliebtheitsskala auf den Tiefstand zu
bringen. Mit jedem UvD (Kompaniewache als Unteroffizier vom Dienst) oder
Wachdienst schaffte er sich neue Feinde. Fieberhaft suchte er nach Fehlern am
Parka.
„Suchen Sie Flöhe?", fragte Jablonski ungeduldig.
„Ihr Parka weist diverse Löcher auf. Es fehlen drei Knöpfe und schmutzig ist er
auch. So nehme ich ihn nicht an."
„Wäre er in tadellosem Zustand würde ich ihn wohl nicht tauschen wollen."
„Interessiert mich nicht!", wehrte Hechler ab und begründete sein Handeln: „Laut
Dienstvorschrift hat er sauber und heil zu sein."
„Westphal hat es nie so eng gesehen", erinnerte Jablonski ihn, womit er auf
dessen Vorgänger anspielte.
„Ich bin nicht Westphal", wehrte Hechler gelassen ab.
„Rein menschlich sind Sie auch weit davon entfernt, Herr Unteroffizier!", sagte
Jablonski, nahm seinen Parka und wollte gehen.
„Ihr Ton passt mir nicht, Herr Gefreiter!", schrie Hechler ihn an und stützte seine
Hände auf. Lässig zog Jablonski sein Maßband aus der Tasche und hielt sie dem
Unteroffizier sichtbar hin. „Neunundachtzig,", kommentierte er knapp. Hechler
blähte sich auf und drohte: „Wenn Sie mir noch einmal ihre Tageszahl nennen,
nehme ich Sie fest!"
„Sie können mich so fest nehmen wie Sie wollen, Herr Unteroffizier, das ändert
nicht an der Tatsache, dass ich nur noch 89 Tage habe", wiederholte Jablonski
und steckte das Maßband wieder weg. Wie von einer Tarantel gestochen jagte
Hechler um den Tresen herum und baute sich drohend vor Jablonski auf. Dieser
sah ihn erwartungsvoll und abwartend an.
„Gefreiter Jablonski, hiermit nehme ich Sie vorläufig fest. Folgen Sie mir aufs
Geschäftszimmer!"
Unbeeindruckt steckte Jablonski die linke Hand in die Hosentasche und fragte: „
Wie wollen Sie ihre Festnahme begründen?"
„Wegen Beleidigung eines Unteroffiziers."
Jablonski überlegte kurz. Ein Gedankenblitz ließ sein Gesicht aufhellen.
„Okay", sagte er überlegen, „Sie machen Meldung über die Beleidigung und ich
beschwere mich darüber, dass Sie mir in den Schritt gefasst haben. Was halten
Sie davon?"
Unteroffizier Hechler verschlug es die Sprache. Er rang fieberhaft nach Worten
und brauchte eine geraume Zeit, sich zu fassen. Ihm war klar, dass er ohne
Zeugen gar nichts machen konnte. Seine Unsicherheit festigte Jablonskis
Haltung.
„Selbst wenn meine Beschwerde abgelehnt wird, so werden sich doch einige ihre
Gedanken machen. Und wer sich Gedanken macht, plaudert gern. So entstehen
Gerüchte Herr..."
„Halt die Schnauze!", fuhr Hechler ihn an, wobei sein ganzer Körper bebte und
das rotanlaufende Gesicht verriet die Wut, die in ihm tobte. Die Fäuste ballten
sich und er wankte unschlüssig hin und her. Der sonst so dienstbewusste
Unteroffizier vernachlässigte seine vorschriftsmäßige Umgangsform nur dann,
wenn er in Rage geriet und es keine dritten Zuhörer gab. Er nutzte die Zeit
einiger Atemzüge, um zu überlegen, wie er diesem rotzfrechen Gefreiten
beikommen konnte. Aber ihm fiel nichts gescheites ein.
„Du mieses kleines Dreckschwein", fluchte er leise vor sich hin.
„Dienstgeile Z-Sau!", konterte Jablonski, drehte sich um und ließ ihn stehen.
„Eines Tages krieg ich dich!", schrie Hechler in seiner Verzweiflung hinterher.
Ohne sich noch einmal umzudrehen, hob Jablonski die Faust in die Höhe und
streckte den Mittelfinger. Deutlicher hätte er seine Abneigung gegen Hechler
nicht zeigen können. Dem VU blieb nichts anderes übrig, als zahlreiche Flüche
hinterher zu schicken. Diese kleine Niederlage bekam der VU-Gehilfe Gefreiter
Liebherr zu spüren. Für seine fünfminütige Verspätung faltete Hechler ihn
gnadenlos zusammen und ließ ihn die ausgemusterten Stiefel putzen, die auf
einem Regal unterhalb des Fensters aufgereiht waren.
Liebherr war ein stiller, introvertierter Typ mit einem regelrechten Milchgesicht,
der nur schwer mit der rauhen Realität der Bundeswehrumgebung zurechtkam.
Hechlers Opportunismus machte ihn unweigerlich zum Duckmäuser und
Denunziant. Niemand legte Wert auf seine Bekanntschaft und er fühlte sehr wohl
die Ablehnung seiner Kameraden. Er selbst aber verbaute sich, ob ungewollt oder
aus Dummheit, den Anschluss an das kameradschaftliche Kasernenleben. Der
Hang zur Absonderung ließ ihn zu einen Leisetreter werden. Die Anbiederungen
an Hechler tat ihr übriges. Er und der VU verkörperten das typische Herr- und
Knechtgespann.
Jablonski hängte seinen Parka wieder in den Spind zurück und ging ohne große
Eile zum San-Bereich. Nach kurzer Rückmeldung beim Gruppenführer begab er
sich in das Bestrahlungszimmer, wo der Gefreite Hoppe hastig einen Lappen griff
und vorgab, als putze er die Geräte. Er ließ sich und den Lappen auf einen Stuhl
fallen, als er seinen Kameraden erkannte.
„Bestrahlung?", erkundigte er sich scheinbar besorgt. Jablonski beantwortete die
überflüssige Frage gar nicht erst. Es war längst ein offenes Geheimnis, dass sich
von Zeit zu Zeit die Sanitäter eine Bestrahlung verabreichten. Er nahm den
Lichtkasten, schraubte fünf der sechs Glühbirnen lose und legte sich auf die
Liege. Hoppe stülpte ihm den Kasten über den Kopf. Doch der Schein trog im
wahrsten Sinne des Wortes. Statt der Hitze genoss Jablonski für die nächste halbe
Stunde die Ruhe. Die eine Birne tat seiner Müdigkeit keinen Abbruch. Dies alles
wurde vom San-Gruppenführer Oberfeldwebel Hamann stillschweigend und
indirekt geduldet. Er legte nur Wert darauf, dass ihm die lasche Disziplin nicht
außer Kontrolle geriet. Wichtig waren ihm die An- und Abmeldung, die
morgendliche Meldung des San-UvD´s (Sanitätsunteroffizier von Dienst) und die
Beschäftigungsbereitschaft seiner Soldaten. Es interessierte ihn nicht, ob das
Ordentliche noch einmal geordnet, das Geprüfte noch einmal geprüft oder das
Saubere noch einmal gereinigt wurde. Die Hauptsache war, das niemand untätig
herumstand. Wenigstens nicht in seiner Nähe. Seine Bemühung, es jedem Recht
zumachen war zwar lobenswert, aber es klappte