Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Viva la Pizza: Keine Gabel, keine Regel, kein lückenloser Lebenslauf
Viva la Pizza: Keine Gabel, keine Regel, kein lückenloser Lebenslauf
Viva la Pizza: Keine Gabel, keine Regel, kein lückenloser Lebenslauf
Ebook248 pages3 hours

Viva la Pizza: Keine Gabel, keine Regel, kein lückenloser Lebenslauf

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Auch das noch! Nach sechs Monaten Praktikum gibt es für Lucas die Kündigung anstelle der Festanstellung. Dabei ist er für den Job extra in eine fremde Stadt gezogen. Gleich wieder zurück in die Heimat und im Familienbetrieb arbeiten, kommt für ihn nicht in Frage. Lieber heuert er erst einmal als Pizzabäcker in einer Italo-Franchise-Gastronomie an. Doch entgegen den dortigen grammgenauen Rezepten von Quattro Stagioni und Frutti di Mare lässt sich das Leben nicht in ein starres System pressen. Er verliebt sich, prügelt sich, sorgt für eine Überschwemmungskatastrophe und fliegt auf einem Hochbett in die Karibik.
Ein liebenswertes und unterhaltsames Buch über Pizza – dem besten Essen der Welt – das Reisen, die Heimat und an das, was wir "Lebensweg" nennen. Viva la Vita, viva la Pizza!
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateMar 13, 2014
ISBN9783847679134
Viva la Pizza: Keine Gabel, keine Regel, kein lückenloser Lebenslauf

Related to Viva la Pizza

Related ebooks

General Fiction For You

View More

Related articles

Reviews for Viva la Pizza

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Viva la Pizza - Jonathan Pielmayer

    Nr. 01 SALAMI

    Himmel, ist das Wasser wieder kalt!

    Vor Weihnachten ist das Lucas nie aufgefallen. Oder aus der Dusche kamen da einfach noch nicht solche negativthermalen Gebirgswassertemperaturen. Vielleicht hat der unvermeidliche Jahreswechselstress in der Arbeit auch schlichtweg die körpereigenen Kälterezeptoren betäubt. Aber jetzt, Ende Januar und draußen ein trockener und hundsgemein eisiger Winter, nimmt die wärmevernachlässigte Haut jeden weiteren Kälteangriff wie eine Attacke schock-gefrorener Nadelspitzen wahr. Niederträchtiger kann ein frühmorgendlicher Arbeitstag nicht anfangen.

    Zitternd befreit er sich aus dem Duschvorhang und greift sich ein Handtuch. Es bleibt ihm wohl nichts anderes übrig, als dringend seinen Vermieter aufzusuchen und ihn dezent auf den fehl geleiteten Polarstrom in seinen Sanitäranlagen hinzuweisen. Immerhin wohnt der Hüter über Haus und Heizung nur ein Stockwerk unter ihm.

    Seine Hose und sein Shirt hat sich Lucas schon auf dem Hocker neben der Dusche zurechtgelegt und schlüpft nur noch rasch hinein. Föhnen muss er seine Haare nicht. Kurz ein paar Runden mit dem Handtuch gerubbelt und schon wippen seine blonden Fransen sachte über den Augenbrauen.

    Aus dem Schrank im Schlafzimmer zieht er noch ein kariertes Hemd und einen nussbraunen Pulli, dann schlappt er in gefütterten Hauspuschen rüber in die Küche und drückt den kleinen Startknopf der Kaffeemaschine.

    Das Gurgeln der Filteranlage versprüht diesen hypnotisch-beruhigenden Sound, der sich nach ›Zuhause‹ anhört. Ganz genauso das knusprige Rascheln beim Einfüllen der zuckersüßen Frühstücks-Cerealien in die Müslischüssel. Aber dann war es das auch schon mit heimeliger Geräuschkulisse. Nicht immer ist die Ruhe des alleine Wohnens so angenehm wie in einem TV-Spot für ayurvedischen Wohlfühltee.

    Zur Studienzeit in der WG war immer Alarm und davor im Elternhaus, dank zweier lautstarker Brüder, sowieso.

    Sein Frühstück zum Tisch tragend stößt Lucas einen zwiespältigen Seufzer aus. Jetzt also die erste eigene Wohnung. Dachgeschoss, 2 Zimmer, Küche, Bad. Zum ersten richtigen Job und dann noch in einer gänzlich fremden Stadt.

    Naja, ›richtiger Job!?‹ stellt er zwischen zwei Bissen Weizenwaffeln sein Praktikum in der global agierenden Unternehmensberatung mit Ablegern in ganz Deutschland in Frage. Praktikum zumindest noch drei Wochen, dann geht die Sache in eine Festanstellung über. So war der Deal und überhaupt die Grundvorraussetzung für den Umzug in die Stadt. Von da aus geht es dann Schritt für Schritt weiter. Nach ein, zwei Jahren würden die ersten selbstverantwortlichen Projekte kommen. Im dritten Jahr könnte er schon zum Teamleader aufsteigen und im Jahr Vier der Anstellung zum Projektleiter befördert werden.

    Versonnen schaut er durch die kleine Balkontüre der Küche über die rot-braunen Häuserdächer der Stadt. Spitze Wellen eines geziegelten Ozeans, unter denen noch allerlei unentdeckte Schätze und Abenteuer ruhen. Er kann es gar nicht abwarten, ab Frühsommer dann draußen auf dem kleinen Zwei-Personen-Balkon seinen Kaffee zu schlürfen. Wenn vereinzelte Schwalben über die Dachfirste jagen. Die tönernen Schindeln ringsum die morgendliche Sonnenwärme zurückwerfen. Von der Straße übereifrige Müllmänner nach oben lärmen und man es sich auch schon erlauben kann hin und wieder zu spät im Job aufzutauchen, weil der gestrige Abend am Schreibtisch mal wieder lang wurde. Dann kann man bei guter Sicht bestimmt bis zum nächsten Mittelgebirge schauen.

    Die Entscheidung der Heimat um hunderte Kilometer den Rücken zu kehren, war richtig, ist sich Lucas sicher. Endlich mal raus aus dem Gewohnten.

    Er schiebt die zwei letzten Weizenwaffeln zusammen und löffelt sie samt der restlichen Milch auf. Die benutzte Schüssel stellt er in den Abwasch, leert mit einem Zug den letzten Rest Kaffee – zieht Mantel, Schal und Mütze an; dann springt er mit großen Schritten durchs ächzende Treppenhaus.

    Ein Stockwerk tiefer streift sein Blick den mit einer Blumengirlande bemalten Türrahmen. Schon ein seltsamer Vogel, dieser Vermieter, findet Lucas. Typ alternder Edel-Hippie, der oberschlau jeden mit seiner ungefragter Meinung einräuchert. Wenn die Dachwohnung nicht der ultimative Hammer gewesen wäre, wäre Lucas da niemals eingezogen.

    Den letzten Gedanken hat er aber schon draußen auf der arschkalten Straße.

    Die Fahrt ins Büro dauert 20 Minuten. Immer schön gemächlich mit der Straßenbahn durch die Gassen ruckeln. Eine U-Bahn gibt es hier nicht. Jenseits der beschlagenen Fenster ziehen die grauen Betonwände der 70er-Jahre-Bauten ebenso unbeachtet vorbei, wie ein paar Monate zuvor der schöne Herbst. In der Firma war von Anfang an Doppelschicht angesagt. Zwei neue Kunden galt es zu versorgen. Konzepte schmieden, Budgets verhandeln, Analysen erstellen. Und dann alles noch mal vorn vorne, weil irgendwem irgendwas nicht ganz gepasst hat. Viel Zeit zur Stadterkundung blieb da nicht. Nur mal ein abendliches Bier mit den Kollegen.

    Aber die Zeit hat sich gelohnt. Er hat sich seine Sporen verdient und den Vorgesetzten gezeigt, dass man auf ihn bauen kann. Dass er zuverlässig ist, Durchhaltevermögen besitzt und sich voll in die Arbeit reinhängt. Er mag die Firma, die Kollegen. Und die berufliche Herausforderung auf hohem Level sowieso. Da macht es auch nichts, dass das Samstagsprogramm für vier Monate aus debilem Unterhaltunsgfernsehen und aus dem Internet gesaugten Filmen bestand.

    Seine Station kommt und Lucas schiebt sich beim Ausstieg an einer alten Frau mit orthopädischem Krückstock vorbei. Diese Stöcke mit den grauen Gummibömmeln unten, die man auch als Türstopper verwenden könnte – in so altbackenen Häusern, wie jenes, in dem auch das Büro untergebracht ist. Keine hundert Meter weiter. Ein schmuckloser Stahl- und Glasbau aus den späten Achtzigern, die Fassade schon von Wind und Wetter abgeschmirgelt. Weitere Mieter in dem Haus sind ein Dentallabor, zwei Anwälte und ein Cleaning-Service für Großräume aller Art. Doch wie gesagt: die Leute in der Firma sind echt nett.

    Lucas teilt sich sein Büro mit drei Kollegen. Alle um die Dreißig, alle im Job etabliert. Jeder von ihnen hat sein Netzwerk schon fest verankert und so manche Seilschaften mit weiß-Gott-wem geknüpft. Er aber, er fängt erst an und der Ausblick durch die Fensterfront schenkt eine dankbare Ablenkung von den kalten Wassern, in die man beim Berufsbeginn gerne mal geworfen wird. Auf das offene Parkhaus eines Fußgängerzonenkaufhauses kann man schauen, direkt gegenüber – und dank der Innenstadtlage ist der Job auch mit genügend Imbiss- und Restaurantauswahl gesegnet.

    »Hey Lucas. Wir gehen heute zum Chinesen, kommst du mit?« will einer der Kollegen kurz vor Eins wissen.

    »Hm. Eigentlich hatte ich heute eher Lust auf Pizza, aber mal schauen. Vorher muss ich noch telefonieren. Ich komm dann vielleicht nach. Ihr seid eh bei dem, wo wir immer sind!?«

    Der Kollege nickt, steht auf und nimmt sich seinen Mantel vom Garderobenständer. Die anderen zwei machen sich ebenfalls zum Gehen bereit.

    »Mahlzeit Jungs!« tönt es da schräg von der Tür her. Der CEO hat sich lässig gegen den Innenrahmen gelehnt und schaut wie nebenbei in den Raum hinein.

    »Mahlzeit!« kommt es kumpelhaft aus vier Mündern zurück.

    »Du Lucas, kannst du nach dem Essen mal bitte kurz zu mir kommen?« redet der CEO genauso locker weiter. »Ich wollt da noch eine Kleinigkeit mit dir bereden.«

    »Ja klar, natürlich,« sagt Lucas und erntet ein joviales Grinsen von seinem Vorgesetzten.

    »Komm einfach vorbei, wenn es gerade passt,« meint der noch und ist dann auch schon wieder aus dem Türrahmen verschwunden.

    »Na dann,« etwas unkoordiniert sammeln sich die drei Kollegen in der Raummitte, »Mahlzeit erstmal.«

    »Mahlzeit. Bis gleich,« hebt Lucas die Hand und wartet bis die drei aus dem Raum sind und er alleine ist im Zimmer. Er steht auf, zieht sein Smartphone aus der Hosentasche und geht rüber zur Tür, die seine Kollegen störenderweise einfach offen gelassen hatten. Mit Links drückt er sie zu, mit Rechts wischt sein Daumen über das Touchscreen. In den Kontakten scrollt er zu Alex - dem jüngeren seiner großen Brüder, setzt sich dann wieder auf den Stuhl und hält das Telefon ans Ohr. In dem Moment springt der Bildschirmschoner an und ein psychedelischer Regenbogen schwimmt durch ein schwarzes Meer aus eingeschlafenem Nichts.

    »Hallo kleines Brüderchen,« kommt es aus dem Lautsprecher. »Sind die Sachen schon in der Post?«

    »Nein«, wehrt Lucas ab, »ich ich hatte am Wochenende gegen eine kleine Grippe kämpfen müssen und da bin ich die Sachen noch nicht durchgegangen.«

    »Ach Luci, so lange kannst du dir aber nicht Zeit lassen. Der Anwalt braucht die Papiere wieder, damit er alles fertig machen kann.« Lucas hört durch den Hörer geradezu, wie sein Bruder mit dem Kopf schüttelt. »Kaum lassen Matthias und ich dich aus den Augen wirst du krank und bekommst nichts mehr auf die Reihe. Oder hast du Sorge um deine drei Prozent? Die Unterlagen haben aber nichts mit der Wette zu tun.«

    »Natürlich, ich weiß. Aber was kann ich denn dafür, wenn ich krank werde? Im Gegensatz zu euch da oben ist es hier im Süden des Landes um einige Grade kälter. Das bin ich noch nicht gewohnt. Und so ein Notar-Kauderwelsch ist auch verdammt schwer zu kapieren. Selbst wenn man keine zugeschwollene Stirnhöhle hat.«

    »Tja, kleines Brüderchen,« brummt Alex in der entfernten Heimat, »dass das jetzt mit dir alles so kompliziert geworden ist. Hättest halt einfach doch da bleiben müssen. Dann wäre das alles ganz einfach und wir könnten uns direkt mit dem Anwalt zusammen setzen.«

    »Ja. Ist halt nicht,« entschuldigt sich der kleine Bruder fast.

    Eine kurze Pause entsteht, in der Lucas paralysiert dem Regenbogen auf seinem 20-Zoll-Monitor verfolgt. »Außerdem wird es schon nicht so eilig sein,« spielt er sein Versäumnis herunter. »Sonst hätte Papa uns seine Firma ja nicht am Heiligabend vermacht. Sondern irgendwann an einem Montag Vormittag.«

    Lucas hasst die Diskussion um seinen Fortzug. Seine Brüder waren von Anfang an dagegen. Wegen des etablierten Netzwerkes, das man wegwirft. Der Familie, den Nichten und Neffen – die ihren Onkel jetzt nur noch vom Skypen her kennen würden – und natürlich wegen des Familienunternehmens. Ein Baumaschinenzulieferer, der seit letzte Weihnachten den drei Söhnen gehört. Zu je 33,3 Prozent. Einfach so in die Fremde wollte das kleine Brüderchen ziehen. Kopfüber und mit allem drum und dran. So etwas Hirnrissiges könne ja nur zum Scheitern verurteilt sein, waren sich die älteren Geschwister sicher. Also sah Lucas sich genötigt zu kontern. Irgendwie musste er seinen Brüdern ja zeigen, dass er es ernst meinte. An einen der hitzigen Gesprächsabende gingen sie eine kleine Wette ein. Pro Kopf drei Prozent des Firmenanteils – also sechs Prozent zusammen – wenn er es binnen eines Jahres schafft dort unten, in den Tiefen Süddeutschlands, Fuß zu fassen. Beruflich, sozial, Haus, Kind Garten, was auch immer. Hauptsache, er war nicht mehr das kleine Brüderchen unter den wohlwollenden Fittichen von Alex und Matthias.

    »Macht dein Job da unten wenigsten noch Spaß?« will der immer noch große Bruder wissen.

    »Auf jeden Fall. Ich geh auch gleich mit den Kollegen essen. Die sind nur schon mal vorgegangen.«

    »Aber trotzdem ist es immer noch nur das Praktikum, nicht wahr?« In Alex’ Stimme schwingt etwas Sorge durch den Äther mit.

    »Ja, schon.« Lucas kommt nicht drumherum sich über dessen dezente Besorgnis zu ärgern. »Aber nachher gehe ich mal zum Chef. Der wollte was von mir. Bestimmt wegen der Umstellung zur Festanstellung.«

    »Na gut. Dann dir viel Glück. Ich muss jetzt auch mal weiter machen. Und setze dich heute Abend an die Papiere, dann ist Ende der Woche alles unter Dach und Fach.«

    Alex verabschiedet sich und legt auf. Auch Lucas steckt sein Smartphone zurück in die Hosentasche. Steht dann auf und greift nach seinem Mantel. Er wird sich etwas beeilen müssen, wenn er seine gebratenen Nudeln mit Ente nicht alleine essen will.

    ***

    »Hey, du wolltest mich sprechen?«

    Lucas hat nach der Pause noch etwas Zeit verstreichen lassen, ehe bei seinem Chef an die Tür klopfte. Er wollte nicht den Eindruck vermitteln, er hätte sonst nichts zu tun.

    »Ja. Komm’ rein und nimm Platz.« Sein Chef zeigt auf den freien Stuhl vorm Schreibtisch. Das Büro ist sehr groß. Ein Eckbüro und beglückt mit der besten Aussicht von allen Räumen in der Firma.

    Erwartungsvoll setzt sich Lucas in den dunklen Lederstuhl, verschränkt leicht seine Beine und achtet darauf, nicht übermäßig hingefläzt zu wirken. Konzentriert beugt er seinen Oberkörper ein paar Zentimeter in Richtung Vorgesetzten. Der spielt leicht abwesend mit einem kleinem Schreibtischhelfer aus Edelstahl. Einem Männchen mit Scharnieren und Gelenken, das anstelle von Händen zwei spitze Greifklammern hat. Für Notizen oder als Stifthalter. Eines der Dinger, die man in Designshops kauft und mit denen man am Schreibtisch rumspielen kann, wenn man sich ablenken möchte.

    »Also, du warst die letzten Wochen ja hautnah mit dabei. Hier in unserem Unternehmen,« reißt sich der Chef schließlich zusammen und lässt von dem Helferlein ab. »Und da hast du ja auch gemerkt, wie es hier läuft, wie so die Kunden ticken und so weiter.«

    Lucas nickt freudig, überlässt das Reden aber seinem Gegenüber.

    »Und dass der eine oder andere Kunde, wie soll ich sagen, sehr eigenwillig ist. Und manchmal halt nicht einfach. Oder nicht ganz das hält, was wir uns von ihm versprechen.«

    Nichts was aus dem Rahmen fallen würde, denkt sich Lucas. Nickt aber trotzdem eifrig weiter.

    »Und dann natürlich noch immer der Druck von oben, dem Headquarter.« Der Chef deutet mit seinem Daumen zum Himmel. »Da wird halt knallhart kalkuliert. Egal, ob sie sich dabei ins eigene Fleisch schneiden oder nicht.«

    Das Telefon klingelt und während sein Gegenüber ausgiebig über Dinge diskutiert, die man viel effektiver per Mail klären könnte, fühlt sich Lucas gerade, als würde er an den spitzen Klammern des Helferleins zappeln. Worauf wollte sein Chef hinaus?

    »Wo waren wir?,« setzt er schließlich wieder an, nachdem er das quälend überflüssige Telefonat beendet hat. »Genau. Dass Zentrale und Kunden manchmal unseren Spielraum hier ungemein einengen. Was soll ich sagen, lieber Lucas? Du bist ein ganz toller Mitarbeiter und ein großartiger und super Kollege.« Er beugt sich auf seinen Schreibtisch vor, als könne er damit der Last, die auf seinen Schultern ruht, ein Stück ausweichen. Dann driftet sein Blick ab. »Aber leider können wir dir nun doch nicht die Festanstellung bieten, die wir uns so für dich erhofft haben.« Er fällt wieder zurück in seinen Sessel und hebt abwehrend beide Hände. Egal ob ›Mich trifft keine Schuld‹ oder ›Bleibe mir bloß vom Leib‹, irgendwie sagt seine Körperhaltung gerade beides aus. »Tut mir wirklich Leid.«

    Lucas fühlt sich mit einem Schlag unendlich flau. Aus seinem Körper scheint alle Kraft zu weichen und sein Fleisch eins mit der weichen Polsterung des Lederstuhls zu werden.

    »Und … was … heißt das jetzt?« bringt er mit wankender Stimme hervor.

    »Ja.« Der Chef schüttelt beinahe unmerklich den Kopf. Auf sein Gesicht hat sich der typische Ausdruck eines Firmenoberhaupts gelegt, mit dessen übermenschliche Verantwortung nicht selten auch eine immense Tragik einher geht. »Wenn es dir hilft, könnten wir noch einmal das Praktikum verlängern. Aber ob die Situation sich in einem halben Jahr ändert, kann ich dir nicht versprechen. Das verstehst du sicher, oder?«

    »Schon. Aber die Festanstellung war ja eigentlich Vorraussetzung für das Praktikum. Also im Sinne: Ich soll schauen, ob es mir hier gefällt. Dann wird das Ganze fix. Und mir gefällt es hier. Also …!«

    Der Chef rudert hektisch mit den Armen durch die Luft. »Ja ich weiß. Und glaube mir, wir könnten dich so gut brauchen. Du bereicherst die Firma ungemein. Aber ich kann mich ja nicht den Anweisungen aus der höheren Etage entziehen. Und nicht, dass da was missverstanden wird,« er hebt wieder abwehrend eine Hand in die Höhe, »auch von unserer Seite war das Praktikum nur ein Test und keine Garantie für dich.« Er schlägt noch ein wenig die Arme umher, dann lässt er sie wieder schlaff nach unten fallen und glotzt beleidigt auf seinen Schreibtisch.

    Wenn er jetzt wieder dieses blöde Kugelgelenk-Helferlein anfasst, schießt es Lucas durch den Kopf, dann rammt er ihm den in seinen bescheuerten Arsch. Mit den spitzen Greifklammern voran.

    Zurück bei den Zimmerkollegen hängt eine merkwürdige Mischung aus Neugierde, böser Vorahnung und durch die Gerüchteküche geflossene Gewissheit in der Luft.

    Viel kommt Lucas nicht über die Lippen. Nur ein paar Worte, dass es wohl bei diesen paar Monaten bleibt und eigentlich schon zum Wochenende vorbei ist. Er habe ja noch ungenütze Urlaubstage übrig.

    Den Rest des Tages überarbeitet er mechanisch ein paar Tabellen. Aber es könnten da jetzt auch chinesische Schriftzeichen stehen, beides scheint mit einem Mal gleich bedeutungslos. Gelegentlich schaut er noch raus aus der Fensterfront und rüber auf das oberste Geschoss des Kaufhaus-Parkdecks. Er konnte nie eine gewisse Schadenfreude unterdrücken, wenn manche Kunden drei Versuche brauchten, um ihren übergroßen SUV in eine normale Parklücke zu manövrieren.

    ***

    In der Küche brennt einzig die kleine Lampe über dem Tisch, ansonsten ist nur noch der sich aufheizende Backofen ein weiterer, schwacher Lichtspender. Draußen vor dem Fenster hängt schwarzer Abendhimmel und drinnen in den Zimmerecken trübe Schatten.

    Lucas öffnet die Klappe seines Gefrierfachs und zieht eine Tiefkühlpizza hervor. Immerhin, denkt er sich. Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ’ne Pizza her. Er reißt kurz die Pappe auf, befreit den gefrorenen Fladen von der eingeschweißten Verpackung und starrt auf die freigewordene Salamipizza, die mit all dem fleischigen Rot und dem weißgelben Käse im Halbdunkel aussieht wie ein kryonisch eingefrorenes Frankenstein-Experiment. Kopfschüttelnd holt er aus dem Kühlschrank noch ein paar Stücke gegrillte Paprika aus dem Einmachglas und drei kleine Brocken Schafskäse. So gepimpt wird die Pizza kurzerhand ins Rohr geschoben und anschließend stiert Lucas in das Nichts aus dunklen Dachfirsten jenseits seiner Wohnung. Mit der Sache heute hätte er nie gerechnet. Keine Sekunde. Beim Vorstellungsgespräch haben sie mehrmals und nachdrücklich versichert, dass sie eine langfristige Teamergänzung suchen. Und das Praktikum, das sei höchstens eine verlängerte Probezeit oder ein Entgegenkommen von Lucas nicht gleich mit einem Vollzeitgehalt anzutreten. Ein sehr großzügiges Entgegenkommen, denn schon

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1