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Drecksmaden: Roman
Drecksmaden: Roman
Drecksmaden: Roman
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Drecksmaden: Roman

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About this ebook

"Dabei musste sie jedoch beständig darauf achten, dass ihr keine weitere Jägerin in die Quere kam. Denn mit Argusaugen beobachtete sie ihre Mitbewerberinnen, die in reizenden Tenniskleidern, die ihre Reize gleichfalls optimal zur Geltung brachten, auf ihren Stühlen am Rande des Rasens saßen, wie Jäger auf ihren Ansitzen.
Die geladenen Waffen der Damen, das waren ihre Dekolletees, ihre nackten, gebräunten, langen Beine, ihre schmalen Fesseln, ihre reizenden Knie, ihre makellosen und glatten Hälse, ihre blutroten Lippen und der stechende und durchdringende Blick ihrer Augen und der seidige Glanz ihres Haares, in dem sich tausende kleiner Reflexe des Sonnenlichtes spiegelten, ähnlich den Tautropfen an den Gräsern einer morgendlichen Wiese.
Sie sah die taxierenden Augen ihrer Mitbewerberinnen, wie sie forschend und abschätzend auf die Tennis spielenden Herren gerichtet waren und dabei tatsächlich den Augen von Jägern vor dem Schuss glichen. Sie sah die Busen ihrer Mitbewerberinnen dabei vor Erregung wogen, während sie nun gleichfalls Witterung aufnahmen. Und sie meinte das brunftige Geschlecht all ihrer Konkurrentinnen regelrecht zu riechen, durch all die feinen seidenen und spitzenbesetzten Höschen und zwischen den elegant und scheinbar züchtig übereinander geschlagenen langen schmalen und braunen und durchtrainierten Beinen hindurch.
Sie sah all die Damen dort drüben, die Vierzig-, die Fünfzig-, die Sechzigjährigen unter ihnen, die sich bemühten, das Äußere von Siebzehnjährigen anzunehmen und auszustrahlen.
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateSep 30, 2014
ISBN9783847614357
Drecksmaden: Roman

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    Drecksmaden - Ralph Ardnassak

    I

    Der Staat ist die nüchterne, blutleere

    Maschinerie, die das Funktionieren

    der kapitalistischen Ausbeutung garan-

    tiert, sonst nichts. Seine Einrichtungen,

    Militär, Justiz, Polizei, selbst Schule

    und Kirche sind nur Hilfsmittel dieser

    einzigen Funktion des Staates. Aber sie

    werden mit dem Schimmer eines sitt-

    lichen Prinzips umkleidet …

    (Erich Mühsam)

    In einem Staat gibt es nichts Ge-

    fährlicheres, als eine Körperschaft, deren

    Interesse nicht mit dem allgemeinen

    Interesse verknüpft ist.

    (Claude-Adrien Helvetius)

    Eine erfolgreiche und wohlhabende, ja reiche Familie, ist nicht nur ein Segen. Im Gegenteil! Sie kann ein Fluch sein, wenn sie eine beständige Erwartung repräsentiert. Einen Karrierewunsch, der wie ein unerfüllbarer Anspruch, dem man gerecht zu werden hat, über einem hängt!

    Eine reiche und wohlhabende Familie ist ein Parasit und ein nimmer satter Moloch zugleich, mit dem man geboren wird, als hätte man einen Mühlstein am Hals. Und dies alles umso mehr, sofern da noch Geschwister existieren, die stets neben einem stehen, um zu beobachten und zu registrieren und aufzurechnen, was man selbst an Gunsterweisungen, an Liebe und an Zärtlichkeiten und vor allem jedoch möglicherweise an Geld und anderen materiellen Dingen geschenkt bekommt, weil diese Gaben das eigene Erbe schmälern.

    Man ist also hinein geworfen, in eine beständige Wettbewerbssituation und irgendwann hasst und verabscheut man niemanden mehr, als die eigenen Geschwister, die ewig neben einem sitzen, wie eine Jagdhundemeute bei der Fütterung nach der Hatz, um einem jaulend und um sich beißend die besten Stücke weg zu schnappen!

    So bestimmen Argwohn und Neid die familiären Bande und nicht Liebe oder Verbundenheit.

    Die Schattlings repräsentieren eine uralte Kaufmannsdynastie in der Stadt, die sich auch während der Zeit der DDR ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit wahrte und durch gute Beziehungen zu allen lokalen Größen aus der Partei und dem Staatsapparat ihr einigermaßen Vermögen unbeschadet auch über die Zeit der massiven staatlichen Reglementierung hinüber gerettet hatte.

    Im Organisieren von Waren, im Eröffnen von Beschaffungsquellen, im Verhandeln und Feilschen, hatten sie bereits während der Mangel- und Hungerjahre des Ersten Weltkrieges, ausgelöst durch die britische Seeblockade, eine besondere Geschicklichkeit entwickelt und daher zu den wenigen Privilegierten in der Stadt gehört, die niemals Hunger litten, stets über einen reich gedeckten Tisch verfügten und die vor allem immer etwas zum Tauschen im Lager hatten.

    Darüber waren ihnen Neid und Missgunst in der Stadt erwachsen, zugleich aber ein quasi angeborenes Bewusstsein, etwas Besonderes unter den Menschen dieser Stadt zu repräsentieren. Eine Familie zu sein, die in besonderer Art und Weise vom Herrgott gesegnet war und geliebt wurde und die daher immer ein Leben für sich beanspruchen konnte, das ein wenig luxuriöser sein musste, als jenes der Menschen in der Nachbarschaft.

    Begonnen hatte ein Urgroßvater mütterlicherseits, ein gewisser Hermann Christoph Schattling, etwa um die Mitte des 19. Jahrhunderts herum, in dem kleinen, anfangs noch gemieteten Ladengeschäft, einen Obsthandel aufzubauen, um die Bürger der Straße und des benachbarten Viertels mit Obst zu versorgen, das ihm die Bauern der Umgegend und sogar die Bauern aus dem Gebiet um Werder, in ihren Wagen und Karren anlieferten.

    Es waren zunächst lediglich heimische Waren gewesen. Also Kern-, Stein-, Beeren und Schalenobst, wobei später schließlich die besonders begehrten importierten Waren hinzu gekommen waren. Nämlich nahezu sämtliche exotischen Früchte und die wie Obst verwendeten exotischen Gemüsesorten.

    Während der Hungerjahre des Ersten Weltkrieges hatte eine Großmutter, die Männer der Familie standen ja überwiegend im Felde, schließlich die von den Bäuerinnen angelieferten Obstmengen in Tafel- und in Wirtschaftsobst unterteilt, wie es auch allgemein im Einzelhandel mit Obst bereits üblich war.

    Das Tafelobst, Waren von höchster Qualität und für den direkten Verzehr bestimmt, wurde im Ladengeschäft an die Kunden verkauft oder unter dem Tresen gegen andere Güter eingetauscht, das Wirtschaftsobst wurde hingegen zu Saft oder Most verarbeitet oder hinten im Lager eingemacht und dann im Glas teurer als Einmachobst verkauft.

    Im stets kühlen, aber trockenen Keller, wurde Lagerobst zur Nachreifung eingelagert und da Kochobst aufbewahrt.

    Mit Schläue und Geschäftssinn hatte es die Großmutter Amalia Augustine Schattling schließlich, während der Gatte als Vizefeldwebel in Frankreich stand, so weit gebracht, dass die Familie das gesamte Gebäude nebst Grund und Boden aufkaufen konnte und somit ein repräsentatives Bürgerhaus mit zugehörigem Ladengeschäft im Erdgeschoß in bester und zugleich repräsentativer Vorstadtlage besaß.

    Der Schattlingsche Obsthandel war schließlich nicht nur bei den Bürgern der Straße geschätzt, sondern auch der Konditormeister und der Gastwirt Henze um die Ecke und noch andere Gewerbetreibende aus der Stadt und der näheren Umgebung, kamen häufiger vorbei, um auch größere Mengen an Obst oder Eingemachtem zu ordern.

    So war das „Geschäft", wie es der Großvater stets zu nennen pflegte, nicht nur eine Erwerbsquelle, sondern spätestens seit den 1920er Jahren zu einer regelrechten Goldgrube geworden, die unzweifelhaft das Potential haben würde, der gesamten Familie und auch noch den nachfolgenden Generationen eine propere Existenz zu sichern, sofern keine gravierenden wirtschaftlichen Fehler gemacht würden.

    Aber mit der Freude über den erreichten Wohlstand wuchs auch die Sorge, diesen beständig erhalten, sichern, vermehren und bewahren zu können.

    Die Zeit des Dritten Reiches hatte die Familie Schattling nicht nur unbeschadet überstanden, sondern auch noch erheblich Kapital daraus schlagen können, wovon allerdings niemand wusste.

    Die kleine enge Straße, in der die Schattlings ihr Geschäft hatten, eigentlich viel eher eine ruhigere Nebenstraße, war ein Paradies für kleine Ladenbesitzer und Handwerker. Darunter besonders viele Juden.

    Da gab es die Gaststätte in jüdischem Besitz, den jüdischen Teppichhändler, den Schuhmacher, den Zahnarzt, der ein Jude war, den Rechtsanwalt und den bärtigen alten Herrn, der in seinem ebenerdigen Ladengeschäft die Nähmaschinen anderer Leute reparierte.

    Und es gab die Familie Hirschmann, die die Herrenburger Lichtspiele schon einige Jahre vor der Machtergreifung eröffnet hatten. Mit einer Eröffnungsanzeige in der lokalen Zeitung, welche Kläre Schattling, der seinerzeitigen Inhaberin, nicht nur freundliche Töne entlockte, sondern auch ein leises zorniges Murren über den wirtschaftlichen Erfolg all der Juden in ihrer Straße, der scheinbar regelrecht mühelos gelang.

    „Herrenburg: Heute, Donnerstag, Eröffnung der Kino-Schauspiele", so hatte die große und teure Annonce damals allzu prahlerisch, wie Kläre Schattling fand, verkündet:

    „In diesem Neubau vereinen sich alle Anforderungen, welche an ein modernes Lichtbild-Theater gestellt werden.

    Und glaube ich, annehmen zu dürfen, dass ich mein Theater so eingerichtet habe, dass es den Beifall aller mich beehrenden Besucher findet.

    Um auch den Minderbemittelten Gelegenheit zum Besuch meines Theaters zu geben, habe ich die Eintrittspreise gleich denen eines alten Theaters beibehalten.

    Ich werde auch weiterhin stets bemüht sein, ein buntes, reichhaltiges und vor allem einwandfreies Programmangebot zu bieten.

    Durch Anschaffung all der neuen Maschinen und Theatereinrichtungen werde ich in der Lage sein, allen technischen Anforderungen zu genügen. Um breite wohlwollende öffentliche Unterstützung meines Unternehmens bittend, zeichne hochachtend

    Samuel Jacob Hirschmann, Besitzer und technischer Leiter"

    „Der verfluchte Itzig!", hatte Kläre Schattling, die eigentlich keinesfalls antisemitisch, sondern stattdessen im gutbürgerlich-protestantischen Glauben zur Rechtschaffenheit und zum Zusammenhalten und Vermehren ihrer Einnahmen angesichts dieser Zeitungsanzeige wütend gezischt.

    Die schmutzige Schürze noch umgebunden und die Brille auf der Nasenspitze hatte sie mitten im Ladengeschäft vor dem Tresen gestanden, als die Rollläden vor den beiden großen Schaufenstern noch herunter gelassen waren und die Morgenausgabe der Zeitung gelesen.

    „Tut ja gerade so, als ob er ein Wohltäter der Stadtarmut wäre! Dabei hat er eine große Jagd draußen am Herrenbruch gepachtet und sein eigenes Segelboot mit Kajüte oben auf den Berliner Seen liegen, wie jeder in der Straße längst weiß!, so hatte Kläre Schattling voller Missgunst geschimpft und die Zeitung achtlos neben die große Waage gelegt: „Und unsereins steht vierzehn Stunden täglich im Laden und rackert sich den Rücken kaputt! Nur dafür, dass man das Anwesen für die Nachkommen erhalten kann!

    Kläre Schattling war damals eine sehr junge Frau, gerade erst einmal Anfang der Zwanzig und noch nicht verheiratet. Weil es den Eltern nicht mehr gut ging, führte sie in ihrem jungen Alter jedoch schon das Obstgeschäft.

    Die schmale Straße lief auf die prachtvolle Gertraudenkirche zu. Jenes zweitürmige Gebäude, das als einzige Baulichkeit in der Straße mit anthrazitfarbenem Naturschiefer gedeckt war.

    Hinter schmiedeeisernen Metallzäunen und schmalen Gärten, die meist mit Hecken und Ziersträuchern bepflanzt waren, lagen die zwei- oder dreigeschossigen gutbürgerlichen Fronten der Wohnhäuser oder Ladengeschäfte der Gegend.

    Man nannte dieses Viertel eitel nur das Westend und dieser Name stand als Synonym oder Anspruch der Bewohner für die Tatsache, dass beinahe alle von ihnen möglichst hoch hinaus wollten. Und jeder, der das nicht wollte oder mit dem allgemeinen Wohlstand nicht mithalten konnte, der passte nicht hierher, ins Westend und der wurde weggebissen, wie es die Mutter von Kläre Schattling stets zu nennen pflegte.

    Die kopfsteingepflasterte Straße war seinerzeit eher ruhig, solange noch nicht die grölenden Horden der städtischen SA über sie hin marschierten, um die Schaufenster und Fronten derjenigen Geschäfte, von denen man wusste, dass sie sich in jüdischem Besitz befanden, mit ungelenken Pinselstrichen zu beschmieren.

    Und wenn Sonntags, morgens um 9:30 Uhr, die Kirchenglocken der nahen Gertraudenkirche läuteten, so schien ihr Klang jedes Blatt an den gepflegten Ahornbäumen hier im Westend zu erfassen und mit schwingen zu lassen.

    Kläre Schattling war eine schwache, flachbrüstige und dünne Person. Blutarm war das richtige Wort, welches die Geschäftsleute im Westend seinerzeit meist für das hoch aufgeschossene dürre Ding mit den bereits verhärmt wirkenden Gesichtszügen zu gebrauchen pflegten.

    Ihre Arme und Beine wirkten spindeldürr und man sah ihr weder Busen noch Hinterteil an.

    Ihre Lippen wirkten blass und blutleer und aus dem schmalen und sommersprossigen Gesicht starrten ein paar große, aber stets berechnend wirkende Augen, denen man bereits ansah, dass Kläre Schattling darauf bedacht war, bei allem ihren wirtschaftlichen Vorteil zu wahren.

    Im krassesten Gegensatz zu ihrem ausgemergelten, ja geradezu schwächlichen Habitus, stand jedoch ihr Ehrgeiz, es möglichst zu etwas zu bringen.

    Weniger wegen ihres Äußeren, wohl aber wegen ihrer Mitgift und des väterlichen Obstgeschäftes, stand Kläre Schattling daher in dem Ruf, eine gute Partie zu sein.

    Das dünne halblange und rotlockige Haar hatte sie meist hochgesteckt und unter einem bunten Kopftuch verborgen, welches mit einer Haarnadel am Scheitel fest gemacht war.

    Und erhitzte jugendliche Männerphantasien wurden nicht müde, sich vorzustellen, sie würde ein bestimmtes männliches Körperteil ebenso geschickt und geschwind handhaben können, wie den Bleistift, den sie flink beim Zusammenrechnen der Beträge in der Hand führte und den ihr der Vater, der meist in Schürze und Mütze noch hinter dem Tresen im Laden saß, umständlich mit dem Taschenmesser anzuspitzen pflegte.

    Obwohl Kläre Schattling nie eine höhere Schule oder ein Gymnasium, sondern nur die Volksschule und die Handelsschule besucht hatte, träumte sie angesichts der hellen Fassaden im Westend oft davon, sie befände sich in Griechenland. Besonders im Sommer, wenn die Hitze so groß war, dass das Obst trotz der Kühlung rasch verdarb und der Vater sich einen Spaß daraus machte, etwas Obst am Abend an die auf der Straße spielenden Kinder zu verschenken, dann erinnerten sie die flachen Giebel und all die Erker der Fassaden an griechische Tempel. Und sie liebte es dann, davon zu träumen, das Westend wäre die Akropolis! Und die Illusion wäre beinahe perfekt gewesen, würde sie nicht regelmäßig von den lauten quietschenden Tönen zugedeckt, die von nebenan kamen, wo die Elektrische in der Kurfürstenstraße an der Lithografischen Anstalt und Stein- und Buchdruckerei lärmend um eine ganz besonders scharfe Ecke fuhr.

    Wie frisch angespitzte Bleistifte so ragten die beiden Zwillingstürme der Gertraudenkirche in den blauen Himmel.

    Hell und sauber glänzten die gewaltigen Sandsteinquader der Gertraudenkirche hoch oben an den Türmen, während sie unten, nahe dem Fundament und bis hinauf

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