Angelo
()
About this ebook
Der Schweizer Autor hat den ersten Teil dieser berührenden Geschichte kurz nach dem Krieg geschrieben, als er bei seinen häufigen Aufenthalten in Rom die Straßenkinder sah, die bei der Straßenbahn oft zu dritt oder viert hinten auf der Kupplung saßen oder standen und irgendwo in einem Schlupfwinkel hausten.
Unter dem Eindruck dieses Elends schrieb er die Geschichte des kleinen Angelo, der mit seinen beiden Freunden Mario und Lorenzo aus dem Waisenhaus entflieht. Wir begleiten Angelo in seine Höhle, auf seine Streifzüge in Rom, werden Zeugen einer innigen Freundschaft und sind glücklich mit Angelo, wenn er auf der Spanischen Treppe seine "Mamma" findet, eine junge Frau, die den auf den Tod kranken Jungen ins Krankenhaus bringt und ihn, nachdem er wieder gesund ist, zu sich nach Hause nimmt.
Im zweiten Teil, den der Autor Jahre später schrieb, erleben wir, wie Angelo die Schule besucht, mit Margherita, seiner "Mamma", die Sommerferien am Meer verbringt und in einer Kirche den lieben Gott zu sehen glaubt. Doch es ist ein Mönch, der nun Angelos musikalisches Talent fördert. Enrico, der Opernsäger wird zum Freund des heranwachsenden Jungen wie auch der alte Kupferstecher Filippo, der Angelo seine Geige schenkt.
Nun ist aus dem liebenswürdigen Straßenjungen ein talentierter junger Mann und bekannter Geiger geworden.
Der Autor schildert mit viel Einfühlungsvermögen und leisem Humor die Entwicklung des verwahrlosten Strassenjungen zum sympathischen rechtschaffenen Mann.
Wer Rom und die Kinder liebt, sollte auch dieses entzückende Buch lesen.
Read more from Martin Renold
Otto Pfändler 1889-1966: Sein Leben, erzählt von seinem Sohn Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEchnatons Wahn: Historischer Roman Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsAbraham: Roman Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDaniel in Babylon: Historischer Roman Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer Hügel: Vierzehn Geschichten Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsAuch ich war dabei: Erzählung Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsAlle meine Packer: Beinahe ein Schelmenroman Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Nacht des Weihnachtswunders: Weihnachtsgeschichten zum Vorlesen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMord in Hombrechtikon und Tod am Wasserfall: Zwei Kriminalromane Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEin Mann zwei Leben: Das seltsame Leben des Manfred Keilhofer in St. Gallen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsVon Jerusalem bis Rom: Die Geschichte des Apostels Paulus erzählt von seinem Gefährten Jonas Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Zeit des Zweiten Weltkriegs: erlebt von einem jugendlichen Schweizer Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMein erstes Jahr im Pflegeheim: Ein Tagebuch Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMoses: Prinz und Prophet Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Großen und die Kleinen: Begegnungen mit Menschen Rating: 0 out of 5 stars0 ratings
Related to Angelo
Related ebooks
Die St. Johns von Stonerock (3-teilige Serie) Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDenn du gehörst zu mir Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsElla - Braves Mädchen - Wegwerf-Frau Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsRomantisches Geständnis in Rom Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSolange mein Herz schlägt: Liebesroman Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsStory of the Fallen: Fluch der Unsterblichkeit Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEine Frau allein Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsManhattan Revenge Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie schlechtesten Geschöpfe: Tod den Kuffar Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsIm Sonnenwinkel 47 – Familienroman: Das Kind aus erster Ehe Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsWas in dieser Nacht geschah Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Hüter der Elemente - Luft Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsLetzte Liebeslieder: Was Sterbende wirklich über das Leben und die Liebe denken Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsWas für ein Traum!: Der neue Dr. Laurin 47 – Arztroman Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsBarfuß über Scherben Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsHAPAX - Begegnung mit einem Unbekannten ?: Begegnung mit einem Unbekannten ? Rating: 5 out of 5 stars5/5Das Wechselbälgchen: Erzählung Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Föhr-Affäre: Inselkrimi Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKurzgeschichte der gruseligen Art: Preston allein zu Haus Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsAnna Karenina | Krieg und Frieden Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsInsonnia: Nächte des Grauens Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEin Graf sieht rot: Der kleine Fürst 265 – Adelsroman Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsImmerwährend Mein Marquess Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie verborgene Kriegerin Rating: 4 out of 5 stars4/5Donovan Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsAnna Karenina Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsVerführt vom griechischen Milliardär Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer Schein trügt: Der neue Dr. Laurin 39 – Arztroman Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer Geltstag: Die Wirtschaft nach der neuen Mode Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsZeuge der Wahrheit: Der kleine Fürst 233 – Adelsroman Rating: 0 out of 5 stars0 ratings
General Fiction For You
Denke (nach) und werde reich: Die 13 Erfolgsgesetze - Vollständige Ebook-Ausgabe Rating: 5 out of 5 stars5/5Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke: Neue überarbeitete Auflage Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDas Nibelungenlied Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Welle: In Einfacher Sprache Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsAnnas Tagebuch: A Short Story for German Learners, Level Elementary (A2): German Reader Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsVerlaufen in Berlin Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDienstanweisung für einen Unterteufel Rating: 4 out of 5 stars4/5König Artus: Die Geschichte von König Artus, seinem geheimnisvollen Ratgeber Merlin und den Rittern der Tafelrunde Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSämtliche Creative Writing Ratgeber: 5 x Kreatives Schreiben Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGesammelte Werke: Romane, Memoiren, Essays, Novellen und Erzählungen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsFriedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsAna im Kreis: Novela en alemán (nivel A1) Rating: 3 out of 5 stars3/5Kaiserin Elisabeth und die historische Wahrheit Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsItalienisch lernen durch das Lesen von Kurzgeschichten: 12 Spannende Geschichten auf Italienisch und Deutsch mit Vokabellisten Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGesammelte Werke Gustav Meyrinks Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsJames Bond 01 - Casino Royale Rating: 4 out of 5 stars4/5Die Edda - Nordische Mythologie und Heldengedichte Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer Tod in Venedig Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSchöne neue Welt von Aldous Huxley (Lektürehilfe): Detaillierte Zusammenfassung, Personenanalyse und Interpretation Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGermanische Mythologie: Vollständige Ausgabe Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsHandbüchlein der Moral Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEin Haus mit vielen Zimmern: Autorinnen erzählen vom Schreiben Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsIlias & Odyssee Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSchneewittchen und die sieben Zwerge: Ein Märchenbuch für Kinder Rating: 4 out of 5 stars4/5Immanuel Kant: Gesammelte Werke: Andhofs große Literaturbibliothek Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGrimms Märchen: Mit hochauflösenden, vollfarbigen Bildern Rating: 4 out of 5 stars4/5
Reviews for Angelo
0 ratings0 reviews
Book preview
Angelo - Martin Renold
ERSTER TEIL
Er hieß Angelo.
Wer ihm diesen Namen gegeben hatte, und warum er so hieß, wusste er nicht. Aber er kümmerte sich nicht darum, fragte nicht danach. Solange er sich erinnerte, hatten ihn seine Kameraden so genannt, und er war stolz darauf; denn Angelo war der schönste Name, den er sich denken konnte.
Aber es gab noch vieles, das der kleine Angelo nicht wusste, vieles, was andere Kinder in diesem Alter sonst wissen, ausgenommen seine Kameraden, die mit ihm aufwuchsen. So wusste Angelo nicht, wer sein Vater und auch nicht, wer seine Mutter war. Er hatte beide nicht gekannt. Ja nicht genug: Seinem kindlichen Verstand war es lange gar nicht bewusst gewesen, dass Kinder wie er sonst eine Mutter und einen Vater haben. Doch auch später, als er davon wusste, glaubte er, es sei ein besonderes Vorrecht, oder vielleicht auch ein Nachteil, Vater und Mutter zu haben, ein Vorrecht, das manche Kinder besitzen und manche, wie er und seine Kameraden, nicht. Vielleicht aber, und das war gewiss nicht ausgeschlossen, würde auch er einmal einen Vater und eine Mutter bekommen. Seine dunklen Augen konnten strahlen, sie waren voller Liebe, wenn er so dachte. Und sein Mund konnte sich zu einem schelmischen Lächeln verziehen, wenn er so siegesbewusst auf die Erfüllung seiner heimlichen Sehnsucht hoffte.
Ja, Angelo hatte entbehren müssen, was gewöhnlichen Kindern sonst zur nächsten Umgebung gehört, sind doch das liebevoll lächelnde Gesicht der Mutter und das glücklich freundliche Antlitz des Vaters den Augen eines Kindes das Vertrauteste von der Zeit an, da sie als Formen erkennen, was ihnen zuvor ein buntes Gewirr von Licht und Farben war. Angelo wusste nichts davon. Die ganze Vergangenheit seiner kleinen, aber doch so wichtigen Person war gleich schwarz und undurchsichtig wie die dunkle Nacht. Und wer hätte sie ihm erhellen können? Es wusste ja niemand mehr über ihn als er selber. Ist es da verwunderlich, dass ihm der Ort, wo er zur Welt kam, unbekannt war? Wahrscheinlich war dieser Ort irgendwo in einem schmutzigen Haus in der engen, übel riechenden Gasse der sonst so glanzvollen Stadt Rom, die sich die Ewige nennt. Noch weniger verwunderlich ist es unter diesen Umständen, dass er auch darüber keine Auskunft zu geben wusste, wie lange er schon auf dieser Erde weilte, von der er sich gar keinen Begriff machen konnte. Ihm war, als sei er schon immer hier gewesen. Und dass man einmal geboren wird, irgendwo in einem schmutzigen Haus in einer übel riechenden Gasse, war eine Tatsache, die es in seinem Bewusstsein nicht gab. Es interessierte ihn auch nicht im Geringsten, wie alt er in Wirklichkeit war; denn die meisten seiner Kameraden waren über ihr Alter gleich unwissend wie er. Und darum schwieg man darüber. Und wenn ihn doch einmal jemand fragte, so sagte er einfach, er sei gleich alt wie Lorenzo, und der behauptete wenigstens, er sei sieben Jahre alt. Angelo sagte dies, weil er gleich groß war wie Lorenzo. Also musste er doch auch gleich alt sein. Manchmal hatte es Streit gegeben, wenn ein Kamerad ihm nicht hatte glauben wollen. Aber diese Zwiste waren immer bald vergessen. Oft hatte Mario geschlichtet. Aber die Streitfrage hatte auch er nicht lösen können. Die konnte überhaupt niemand lösen.
Dies war nun schon lange her, als Angelo noch nicht sein eigener Herr und Meister war. Jetzt fragte ihn niemand mehr nach seinem Alter und seiner Herkunft. Die spielen keine Rolle mehr, wenn man eine eigene Wohnung hat, und eine solche hatte er jetzt. Allerdings nicht allein, sondern zusammen mit Mario und Lorenzo. Jetzt sorgte er für sein Leben allein. Manchmal schon auch zusammen mit Mario und Lorenzo. Oft aber doch meistens ganz allein.
Aber was war nicht immer so gewesen.
Im Waisenhaus
Angelo erinnerte sich nicht mehr an jene Zeit, da er erst mit seinem schwachen, zarten Körper in dieser harten, unbarmherzigen Welt gelebt hatte, seine Seele aber noch in der anderen Welt, aus der wir alle herkommen, zu weilen schien. Aber an die Zeit, die jener folgte, konnte er zurückdenken. Wenn er dies tat, ungern zwar, dann sah er sich im Kreis von ein paar Dutzend Kindern. Viele waren gleich groß wie er, andere waren älter, schon große Knaben, die Angelo mit Achtung und Bewunderung betrachtete; denn sie kannten viele Dinge, die er damals noch nie gesehen hatte. Sie waren schon oft in der Stadt gewesen, manchmal im Geheimen, und sie erzählten den Jüngeren davon mit leuchtenden Augen. Angelo hätte auch gar so gerne einmal den Petersdom aus der Nähe gesehen und die vielen andern schönen Sachen, die es in der Stadt zu bewundern gab. Mario erzählte ihm oft davon, und Angelo war stolz, dass er zu den Bevorzugten gehörte, die ihm zuhören durften. Viele der Kinder waren aber noch kleiner als Angelo. Manche konnten noch gar nicht gehen und schrien den ganzen Tag hindurch und oft auch in der Nacht.
Da waren auch zwei alte Frauen, immer schwarz gekleidet mit langen, faltigen Röcken. Sie hatten strenge Gesichter, und beide trugen Brillen mit runden Gläsern vor ihren Augen. Angelo fürchtete sich vor ihnen. Auch die andern Knaben und Mädchen hatten Angst; denn es gab viel Schläge und wenig Essen. Manchmal, wenn sie nicht gehorsam waren, wurden sie mit dem Stock bestraft, und dann mussten sie obendrein erst noch ohne Nachtessen ins Bett. Dabei hatten sie doch schon den ganzen Tag gehungert. Ihr bloßer Aufenthalt in diesem Haus wäre schon Strafe genug gewesen. Dies glaubten wenigstens Einige von ihnen.
Außer den beiden Frauen war auch noch ein lieber Gott da. Doch Angelo hatte ihn noch nie gesehen. Aber die Kinder mussten immer vor dem Essen den lieben Gott um das Brot bitten und ihm danken für das Wenige, das sie bekamen. Dazu mussten sie immer die Hände falten und ein ernstes Gesicht machen. Keiner durfte dabei lachen.
In einigen Zimmern waren Bilder aufgehängt. Auf vielen war eine Frau zu sehen, die fast immer einen blauen, weiten Mantel trug und in ihren Armen ein Kind hielt. Das war Maria, die Mutter Gottes. Angelo wusste nicht, was das bedeutete. Man hatte ihm nur gesagt, dass das Kind nicht der liebe Gott sei – das hatte er sich auch nie vorgestellt –, sondern das Christkind. Und sein Vater war der liebe Gott. Und die Frau mit dem blauen Mantel war die Mutter des Christkindes und des lieben Gottes. Aber das war viel zu schwer zu verstehen. Wie sollte er, Angelo, dies verstehen, wenn es nicht einmal seine älteren Kameraden verstanden?
Manchmal kam ein Mann, der war so alt wie die beiden Frauen. Auch er war ganz schwarz gekleidet. Er trug einen langen Roch – nicht wie die gewöhnlichen Männer – und war auch immer ernst und machte ein böses Gesicht. Die Knaben waren froh, wenn er wieder ging. Er sagte ihnen nämlich, sie sollten gehorsam sein und sich nicht mit den Mädchen streiten. Die beiden Frauen waren immer freundlich, wenn der schwarze Mann da war. Der konnte doch nicht der liebe Gott sein. Denn es gab noch viele solche, die wie er in schwarzen Röcken herumliefen. Angelo hatte sie schon oft gesehen, drunten in den Straßen. Überall traf man sie. Der konnte also ganz gewiss nicht der liebe Gott sein. Zudem hatte er ihnen noch nie Brot gebracht. Und der liebe Gott hätte wohl kaum ein so böses Gesicht mit so stechendenden Augen, vor denen einem bangte.
Angelo hatte einmal Lorenzo gefragt, wer denn der liebe Gott sei, aber Lorenzo hatte es auch nicht gewusst. Dann hatten sie Mario gefragt, und der hatte ihnen gesagt, sie sollten doch nicht glauben, dass der liebe Gott das Brot bringe. Das sei ein Märchen. Er habe selber schon oft beim Bäcker Brot holen müssen. Es gebe überhaupt keinen lieben Gott. Er wenigstens habe ihn noch nie gesehen. Lorenzo hatte es zuerst nicht glauben wollen. Ob er nicht doch zur Sicherheit noch den schwarzen Mann fragen sollte? Aber er getraute sich nicht. Auch Angelo wolle lieber nicht fragen. Der wisse es doch auch nicht, meinte Mario. Er würde ihnen gewiss nicht die Wahrheit sagen. Die großen Leute sagen überhaupt selten die Wahrheit.
Von da an glaubten auch Lorenzo und Angelo nicht mehr daran, und oft zwinkerten sie sich während des Gebetes über den Tisch zu. Sie wussten es besser, und ihnen konnte man nichts vormachen. Doch trug es ihnen viele Püffe und Schläge ein, wenn es die Frauen sahen, und einmal waren sie vom Tisch weggeschickt worden. Die Frauen hatten sie nach dem Grund ihres spöttischen Lachens gefragt, und Lorenzo hatte geantwortet, sie wüssten schon, dass es keinen lieben Gott gebe. Da hatten die beiden Frauen getobt und die drei Knaben als Sünder vor die anderen Kinder hingestellt. Als der schwarze Mann wieder einmal gekommen war, hatten sie es ihm gesagt. Der hatte etwas von kindlichem Unverstand gemurmelt und hatte ihnen dann eine lange Rede gehalten und ihnen gesagt, sie müssten es glauben, dass es einen lieben Gott gebe. Der habe die Welt erschaffen und alles, was auf dieser Welt lebt. Angelo wusste nicht mehr, was er sonst noch alles erzählt hatte. Sie hatten nicht auf ihn gehört. Sie wussten es ja besser. Aber sie sagten nichts mehr, damit sie nicht wieder Prügel bekamen. Von da an galten sie als die schwärzesten Schafe in der sonst schon dunklen Herde.
Einmal waren drei Knaben durchgebrannt. Da waren die beiden Frauen sehr zornig gewesen. Und die Kinder hatten sich vor ihrem Zorn gefürchtet.
Am dritten Tag waren zwei der Ausreißer reumütig wieder zurückgekehrt in das muffige Haus. Aber sie hatten ihre Reue noch nicht sogleich bekannt, sondern waren stillschweigend mit den anderen Kindern am Tisch gesessen. Aber nicht lange, so waren sie bemerkt worden, und sie hatten den Stock heftig zu spüren bekommen. Dann hatten sie ins Bett gehen müssen und nichts zu essen erhalten, obwohl sie den ganzen Tag noch kein Stückchen Brot oder sonst etwas gegessen hatten.
Den dritten Flüchtling hatte nach einer Woche die Polizei zurückgebracht. Sie hatten ihn erwischt, als er bei einem Bäcker ein Brot hatte stehlen wollen. Auch er bekam Schläge und wurde drei Tage lang in ein dunkles Zimmer gesperrt, wo er fast nichts zu essen bekam.
Mario war dieser drei Ausreißer wegen schlecht gelaunt. Auch er hatte Fluchtpläne gehabt, aber nun musste er vorderhand von ihrer Ausführung absehen – nur vorderhand, wie er behauptete und einigen eingeweihten Freunden, darunter auch Angelo und Lorenzo, erklärte. Sobald der Vorfall vergessen sei und die Frauen nicht mehr so streng auf Schloss und Riegel achteten, würde er gehen.
Mario hatte schon vor längerer Zeit Lorenzo versprochen, ihn mitzunehmen. Aber jetzt schien er auf einmal nichts mehr davon wissen zu wollen. Im Gegenteil – jetzt war er oft zornig gegen Lorenzo, weil der ihn immer wieder drängte, ihn mitzunehmen.
„Du verrätst noch meinen Plan, wenn du immer davon sprichst", sagte ihm Mario.
Im Stillen tadelte Mario die drei Ausreißer, die wieder zurückgekehrt waren und sich von der Polizei hatten erwischen lassen. Die drei hatten seine eigenen Fluchtpläne durchkreuzt. Sie waren ihm zuvorgekommen. Es war ihm eine große Enttäuschung, dass das, was er im Geheimen geplant hatte, von anderen durchgeführt worden war, und dazu auf eine so unwürdige und