Das Herz hört alles
By Gitte Loew
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Book preview
Das Herz hört alles - Gitte Loew
Das Herz hört alles…
Erzählungen von Gitte Loew
Inhalt
Das Herz hört alles…
Erzählungen von Gitte Loew
1.Dunkler Rauch
2.Billigflieger
3.Kindermund tut Wahrheit kund
4.Der Wechselbalg
5.Kornsaat
6.Die Entscheidung
7.Florale Boheme
8.Inselwahrheiten
9.Raben-Häppchen
10.Das Geschmeide
11.Guten Abend, gute Nacht
12.Falsches Filet
13.Bernhard und Ulrike
14.Do it yourself
15.Gott würfelt nicht
16.Brunnen im Kastanienrondell
1.Dunkler Rauch
Wir landeten um die Mittagszeit auf dem Flugplatz in Kapstadt. Als wir aus der Maschine stiegen, umhüllte uns die Hitze wie ein schwerer Mantel. Feiner roter Staub wirbelte durch die Luft. Ich blieb bei unserem Gepäck stehen, während Otto nach einem freien Taxi suchte. So ein langer Flug war anstrengend für mich und ich konnte im Gegensatz zu Otto nie schlafen. Als ich die Gangway hinunter ging, schnappte ich erleichtert nach Luft. Die Klimaanlagen in den Flugzeugen machten mir zu schaffen.
Während der Taxifahrt zu Ottos Schwester sprachen wir kein Wort miteinander. Unser Trip nach Afrika war nicht eine der üblichen Urlaubsreisen. Vor einigen Wochen hatte uns ein Brief von Lilli erreicht, aus dem wir nicht schlau geworden sind. Otto versuchte daraufhin, am Telefon herauszubekommen worum es eigentlich ging, doch am Telefon redete seine Schwester nur vage von Problemen. Ich hegte den Verdacht, dass sie mit uns unter vier Augen sprechen wollte. Aus diesem Grund hatten wir beschlossen, Lilli in diesem Jahr im Frühling zu besuchen, und nicht erst wie sonst im Herbst. Wir waren verunsichert und wollten uns vor Ort ein eigenes Bild machen.
Als sich das Taxi dem Anwesen näherte, konnte ich schon von Weitem sehen, dass Lilli in der Tür stand und uns erwartete. Der Fahrer hielt an der Einfahrt zum Grundstück, schrieb die Quittung und reichte sie mir nach hinten. Ich nahm Geld aus meinem Portemonnaie und bezahlte die Rechnung. Otto war in der Zwischenzeit ausgestiegen, holte unser Gepäck aus dem Kofferraum und lief schon Richtung Haus. Lilli rannte ihm mit offenen Armen
entgegen. Ich folgte meinem Mann mit kleinen Schritten und beobachtete meine Schwägerin aus der Distanz.
„Schön dich zu sehen Kleines", lachte Otto zur Begrüßung und drückte seine Schwester voller Freude an sich. Die beiden hingen sehr aneinander, obwohl sie nie offen darüber sprachen. Aus dem Hintergrund beobachtete ich meine Schwägerin. Sie sah noch dünner aus als bei unserem letzten Treffen vor einem halben Jahr. Um ihre Augen herum lagen dunkle Ringe. Ich entschied mich, den Mund zu halten, und nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Es musste etwas Ernstes vorgefallen sein.
Wir liefen zusammen den Weg zu dem hübschen Anwesen entlang und tauschten belanglose Höflichkeiten aus. Lilli sprang leichtfüßig die drei Treppen zum Eingang hoch und öffnete die Tür. In der großen Halle rannten unsere Neffen gerade einem dreifarbigen Köter hinterher und riefen uns lachend zu:
„Hallo, guten Tag!", und waren auch schon durch die Tür in den Garten verschwunden. Lilli ging voran und führte uns direkt ins Esszimmer. Der Tisch war gedeckt und ich verspürte plötzlich Hunger. Auf dem Flug von Deutschland nach Afrika konnte ich nie viel essen. Das Land war so anders als meine Heimat und verursachte in mir eine Nervosität, die mich schon während des Fluges ergriff.
„Wo ist deine bessere Hälfte?", wollte Otto wissen.
„Der werkelt noch in der Garage herum, bitte geh und hol ihn!", rief Lilli ihm aus der Küche zu. Sie lief unruhig zwischen Herd und Esstisch hin und her. Sie war nervös und konnte es nicht verbergen. Mein Mann verschwand nach draußen, um seinen Schwager zu suchen. Ich nutzte unser Alleinsein und wagte die erste Frage zu stellen, bevor der Herr des Hauses auftauchen würde.
„Lilli, wie geht es dir?"
Sie antwortete nicht, sondern zuckte nur wortlos mit den Schultern, aber ihr Gesicht sah dabei ernst und angespannt aus. Ich wollte sie nicht bedrängen und ließ Lilli vorerst in Ruhe. Stattdessen verschwand ich im Badezimmer und versuchte, mir den Staub von der Reise abzuwaschen, und kämmte mir zum Abschluss das Haar. Als ich wieder im Flur stand, wäre ich um ein Haar mit den Männern zusammengestoßen, die gerade ins Haus kamen.
Wigand begrüßte mich mit einem kalten Händedruck. Dann ging er auf direktem Weg an uns vorbei ins Esszimmer und setzte sich hin, ohne Otto und mir einen Stuhl angeboten zu haben. Wir folgten ihm, warfen uns gegenseitig erstaunte Blicke zu und nahmen dann ohne eine Bemerkung am Esstisch Platz.
„Wie war der Flug?, wollte Wigand wissen. Es erweckte den Anschein, eine Antwort von uns zu erwarten, aber es klang mehr wie eine Begrüßungsfloskel. Fast im gleichen Atemzug rief er: „Lilli, der Wein fehlt!
Seine Frau drehte sich auf dem Absatz um und ging wieder in die Küche. Kurze Zeit später kam sie mit der Weinflasche in der Hand zurück und schenkte uns reihum ein.
„Lilli, wo sind die Kinder, wir wollen anfangen zu essen", unterbrach er sie erneut.
Sie stellte die Flasche auf den Tisch und verschwand, ohne ein Wort zu sagen, um nach den Kindern zu sehen. Ich warf Otto einen Blick zu, doch der senkte die Augen. Ich spürte wie Ärger in mir hochstieg. Warum war mein Mann so feige und ließ zu, daß Wigand seine Schwester so behandelte? Mir wurde plötzlich kühl. Vermutlich war ich übermüdet und nur geschafft von dem langen Flug. Die Buben stürmten lachend ins Esszimmer und setzen sich unter lautem Stühlerücken zu uns an den Tisch.
„Ihr seid groß geworden", stellte Otto anerkennend fest und lächelte ihnen zu. Thomas grinste und plapperte gleich los:
„Ich spiele seit letztem Monat Handball und Daniel ist seit diesem Jahr bei den Schwimmern", seine Augen glänzten, während er redete.
„Die Jungs kommen nach mir, schaltete sich der Vater der Knaben ein. Er blickte dabei sichtlich zufrieden auf seinen Nachwuchs. Ich schluckte das Wort „Scheißkerl
hinunter und spülte mit Wein nach. Das Gespräch verebbte und Stille legte sich über die Anwesenden. Ich hatte Hunger und griff eifrig nach den aufgetischten Köstlichkeiten, während ich Lilli vorsichtige Blicke zuwarf. Sie reagierte nicht auf mich. Niemand sprach ein Wort. Alle schienen froh zu sein, nichts sagen zu müssen. Nur das Klappern der Bestecke war zu hören. Nach einer Weile legte Otto sein Messer zur Seite, trank einen Schluck Rotwein und räusperte sich, bevor er zu reden begann:
„Was glaubst du Wiegand, wie lange wird die Baustelle hier in Kapstadt noch dauern?"
Mein Schwager sah nicht von seinem Teller auf, während er antwortete, sondern aß einfach weiter:
„Wahrscheinlich länger, als vorgesehen war. Deshalb will ich auch das Haus in Niedersachsen verkaufen."
Ich schielte zu Otto. Der bevorstehende Hausverkauf könnte der Grund für Lillis Andeutungen in ihrem letzten Brief gewesen sein. Wenn sie das Haus in Deutschland verkaufen würden, wäre das letzte Seil zu ihrer Heimat gekappt und eine Rückkehr in die Heimat fast unmöglich. Ich konnte nicht länger den Mund halten und wollte wissen, ob das der Grund für den Streit zwischen den Eheleuten war.
Ich richtete meine Frage direkt an Wigand und sah ihm dabei ins Gesicht:
„Wollt ihr nicht mehr nach Deutschland zurückkehren?"
Während mein Schwager sein Fleisch auf dem Teller geräuschvoll zerteilte, antwortete er mir auf seine knappe Art, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen:
„Es macht keinen Sinn. Ich weiß nicht, wo die nächste Baustelle sein wird. Mein Job erfordert Flexibilität."
Er steckte sich genüsslich einen Bissen in den Mund und ich konnte sehen, wie er das Fleisch buchstäblich mit den Zähnen zermalmte. Dabei hob er den Kopf und grinste mich herausfordernd an. Ich wusste von unseren früheren Besuchen, dass für ihn damit das Thema beendet war. Manchmal pflegte er bei solch einem Anlass auch zu sagen: „Aus,