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Quergefönt
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Ebook198 pages2 hours

Quergefönt

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About this ebook

Murat und ich eröffnen mitten im belebten Geschäftsviertel einen Haushaltswarensonderpostenladen. Während Murat die Wände streicht und die Türen tapeziert, räume ich mit dem Laubbläser das Lager auf.

Mit seinem Debütroman "Quergefönt" gewann Franco Bollo den Autorenwettbewerb "Vom Sofa in die Bestsellerliste" - ein skurriles und groteskes Werk zwischen Wahn und Witz über Freundschaft, Frauen und Fußball
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateJun 29, 2015
ISBN9783738032147
Quergefönt

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    Book preview

    Quergefönt - Franco Bollo

    Freu dich nicht zu spät!

    Unerwartet blickt Murat in ein Lächeln, weich wie der erste Kuss und zart wie die ersten Sonnenstrahlen im Frühling. Er bleibt wie angewurzelt stehen und starrt sie mit offenem Mund aus etwa einem Meter Entfernung an. Sie hält seinem Kuckucksblick unerschrocken stand.

    »Wer ist das?«, flüstert er mir zu.

    Ich will gerade antworten, als mein Handy klingelt.

    »Ja?«, nuschele ich hinter vorgehaltener Hand.

    Eine Stimme krächzt mir ins Ohr wie die letzten Worte eines verschütteten Bergmannes: »Warmmacha kaputt!«

    »Wir sind schon unterwegs«, sage ich und klappe den Fernsprecher wieder zu.

    »Murat, dein Bruder hat angerufen. Ich glaube, die Heizung ist defekt.«

    Doch der kleine Muck steht da wie an einer Südfruchtschlange in der DDR und glotzt sie an.

    »Beeil dich, nimm die Sachen und komm!«, drängele ich und stoße ihn in die Rippen.

    Er schmeißt seine Kippe weg und nölt, immer müsse er alles schleppen. Instinktiv verziehe ich das Gesicht und fasse mir ins Kreuz, halte ihm aber die Tür auf.

    Nach etwa zwei Kilometern erreichen wir unseren Rapid. Er parkt mit dem rechten Hinterrad auf dem Bürgersteig in einer viel zu engen Lücke. Während Murat durch die Beifahrertür die schweren Malereimer nach hinten hievt, begutachte ich den Möwenschiss auf der Windschutzscheibe, überfliege das Knöllchen und klemme es beim Vordermann unter den Wischer.

    Das Auto ist unser ganzer Stolz, ich habe es erst vor einer Woche bei einem Schwager des Arbeitskollegen seines Bruders gegen meine alte Taucheruhr getauscht. Seine Pizzeria lief nicht mehr gut, die Uhr auch nicht, und so war es ein lohnendes Geschäft. Murat nennt es gerne »Lebensabschnittsgefährt«, wo immer er das aufgeschnappt haben mag.

    Jetzt prangen unsere Namen in dicken Lettern auf beiden Seiten, darunter Haushaltswarensonderposten und die Anschrift. Ich musste Tage lang mit ihm diskutieren, damit er alle Buchstaben von Renzos Pizzeria vom Wagen abknibbelt. Er wollte Renzo stehenlassen und HaushaltswaRENZOnderposten daraus machen. Auf der Heckklappe grinst aber nach wie vor der fette Schwager mit einem Pizzaschieber in der Hand. Keine Ahnung, was Murat sich dabei gedacht hat, der kann da jedenfalls nicht bleiben!

    »Diese Frau«, beginnt er im Auto noch einmal, »kennst du sie?«

    »Oh ja, schon viele Jahre!«

    »Ich muss sie wieder sehen! Sie ist so wunderschön!«

    »Das war doch nur …«

    Weiter komme ich nicht, denn er dreht das Radio auf und singt aus voller Kehle mit. Für mich klingt es wie das Vorspiel paarungsbereiter Murmeltiere.

    Murat findet wie immer keinen Parkplatz vor unserem Geschäft und kurvt genervt um den Block. Bei der dritten Runde springe ich vor der Tür raus und laufe die paar Meter. Sein Bruder steht unter dem löchrigen Dach, knabbert Sonnenblumenkerne und spuckt die leeren Hülsen zu Boden. Wir unterhalten uns, ob Haushaltswarensonderposten nicht doch ein zu langes Wort ist. Wir könnten es auch einfach Renzos Lädchen nennen?! Er nickt und zeigt mir die angeschmorte Zuleitung vom Wasserkocher.

    Endlich kommt Murat mit den beiden Eimern angeeiert. Er stellt sie ab und wischt sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.

    »Wir sind spät dran«, sage ich zu ihm und gucke demonstrativ auf mein linkes Handgelenk, wo mich ein Stückchen helle Haut begrüßt. »Fang doch schon mal an, die Wände zu streichen. Ich besorge in der Zwischenzeit ein neues Kabel und lade die Nachbarn zu unserer Eröffnung nächste Woche ein!«

    Was wäre, wenn Leonardo die Mona Lisa nicht gemalt hätte?

    Klapperkasten und ein perfektes Dinner

    Mein erster Weg führt mich direkt zum Kabelbaron. Ich wühle mich durch Klappkisten voller Strippen, Schalter, Stecker und Sicherungen, finde einen gut erhaltenen Raclettegrill, nehme noch ein Sortiment Knopfzellen, eine Stange günstige Zigaretten und für Murat eine breite Farbrolle mit. In den Regalen verstecke ich heimlich ein paar kopierte Neueröffnung!-Zettel. An der Kasse bekomme ich einen Tee und 10% Rabatt auf meinen ganzen Einkauf. Für die Plastiktüte zahle ich 50 Cent extra. Diese Marketingstrategie muss ich mir merken.

    Mit dem PVC-Sack unter dem Arm schlendere ich weiter und komme an einem Haushaltswarenfachgeschäft vorbei.

    »Oh«, denke ich, »da gucke ich doch mal.«

    Das große Eckschaufenster ist hübsch dekoriert mit unzähligen Hutschenreuther-Figürchen, die in der Preisklasse unseres Rapids liegen. Schmuckes Geschirr von Rosenthal und Dibbern verspricht, jeden Abendbrottisch zum perfekten Dinner zu machen. Mir fällt ein, dass bei meinem Raclettegrill etwas fehlt. Ich ziehe die Tür auf, ein Klingeling signalisiert mein Eintreten.

    Ein ergrauter Chefverkäufer tritt aus einem Nebenraum durch einen schweren Brokatvorhang auf mich zu. »Womit kann ich Ihnen dienen, mein Herr?«

    »Ja«, sage ich und halte den verschlissenen Karton hoch, »ich suche Holzspatel, damit ich mir die Pfännchen hier nicht mit der Metallgabel verkratze. Haben Sie die?«

    Das Korkgesicht wird puterrot. Er hat vermutlich an diesem Tag noch keinen erfreulichen und einträglichen Verkaufsabschluss verzeichnet oder ich störe ihn hinter seinem Vorhang bei einer Bio-Orange zum Abendbrot. Seine Schwiegermutter ist ein Drachen und die eigentliche Herrin im Geschäft. Seine Frau hat einen deutlich jüngeren Liebhaber, den sie aushält, und die Kinder heißen Kevin und Jacqueline, was alleine schon ausreicht für ihre psychiatrische Einweisung. Die Putzfrau hat sich krankgemeldet, beim SLK rutscht die Kupplung und der TÜV ist abgelaufen. Sein Handicap hat sich verschlechtert, die Aktienkurse fallen und die Moral verkommt.

    »Wo haben Sie den denn gekauft?!«, blafft er mich an, »bei uns gibt es die umsonst dazu!«

    »Och«, sage ich und zeige in die Richtung, »ich mache mit meinem Knastkumpel Murat drüben einen Haushaltswarensonderpostenladen auf. Die Spatel fehlen uns im Sortiment.«

    Er glotzt mich ungläubig an wie Josef und Maria den Storch.

    Ich nicke ihm höflich zu und gehe. In der Tür drehe ich mich ein letztes Mal um: »Auf gute Geschäftsbeziehungen!«

    Klingeling!

    Als ich zurückkomme, deckt Murat immer noch den Fußboden mit Zeitungspapier ab. Auf der Fensterbank steht ein durchweichter Pizzakarton. Eine Melange aus Lösungsmitteln, Knoblauch und Bier steigt mir in die Nase. Ich entdecke eine Werbebeilage vom Baumarkt ohne Tiernahrung und Pflanzen und nehme sie hoch.

    »Guck mal«, sage ich zu ihm, »hier gibt es Farbe, die nicht riecht, nicht kleckert und schnell trocknet! Was hältst du davon?«

    Ich lehne mich an den Türrahmen, ehe er antworten kann. Er rollt mit den Augen. Meine schwarze Lederjacke pappt am Rahmen wie eine Fliege am Klebestreifen. Mit einem Geräusch wie Leukoplast am haarigen Unterarm reiße ich mich los. Motzend gehe ich in den Nebenraum und beginne, das versengte Kabel vom Wasserkocher auszutauschen. Die Zigaretten schmecken nach getragenen Schuhen. Ich überlege, sie später Murat anzudrehen, dem ich noch Geld schulde.

    »Weißt du, wen ich getroffen habe?«, rufe ich ihm durch den Vorhang zu.

    Er klettert von der Leiter und steht mit der alten Pernod-Kappe, dem blauen Overall und seiner Dalmatinerfratze in der Tür.

    »Renzo?«, fragt er.

    »Nein, denk mal nach! Die Frau!«

    Murat wird ganz zappelig, geht zum Waschbecken und schrubbt sich die Farbe aus dem Gesicht.

    »So willst du ja wohl nicht los«, sage ich und zeige auf seine Schirmmütze, »außerdem: Meinst du nicht, sie ist ein bisschen zu alt für dich?«

    »Nun erzähl schon!«

    Ich biete ihm eine Zigarette an, er stochert aufgeregt mit seinen Farbfingern in der Schachtel umher.

    »Also«, beginne ich, »du weißt doch noch, wo …«

    PFUMP macht es, als ich den Stecker in die Dose drücke, und alles ist dunkel.

    »Oh«, mache ich. »Warmmacha kaputt!«

    Was wäre, wenn Strom flüssig wäre?

    Tiernahrung

    Am nächsten Tag will ich neue Sicherungen und einen Wasserkocher besorgen. Murat besteht darauf, mitzukommen, vielleicht träfen wir sie ja?! Ich überlege, ob wir noch mal in diesen netten Laden gehen, entscheide mich aber doch für Bijou Praktiker. Dann können wir auch die andere Farbe kaufen, die Türrahmen müssen dringend gestrichen werden!

    Im Eingang laufen wir Renzo in die Arme. Er hat da einen kleinen Stand mit mediterranen Spezialitäten. Heute gebe es bei ihm auf alles 20%, verkündet er stolz. Sein Geschäft ginge gut, die Leute seien verrückt nach seinem eingelegten Gemüse.

    Murat probiert gespannt eine Piri-Piri-Salsa. Hummerrot hustet er sich in die Faust.

    »Hast du dich erkältet?«, frage ich besorgt.

    Er nickt mit dem Kopf.

    Renzo wiegt ihm daraufhin eine Mordsportion in einem klaren Becher ab, wickelt schweinefarbenes Papier herum und packt sie in eine Tüte. Er tippt eine zweistellige Zahl ein, nimmt sein Handy von der Waage und stellt die Salsa auf die Glastheke.

    »Und ein Fladenbrot umsonst, weil ihr es seid! Das macht genau fünfzehn Euro«, rechnet er uns vor, »ach ja, minus zwanzig Prozent, sind, äh, vierzehn-achtzig«, schiebt Renzo flott hinterher.

    Murat zählt seine Finger durch und stutzt. Dann nestelt er zwischen einer Handvoll Dosenpfand ein zusammengerolltes Bündel aus seiner Hosentasche und reicht einen großen Schein über den Tresen.

    Er flüstert mir zu: »So ein alter Gauner, der wollte mich glatt bescheißen!«

    Mit zwei weißen Plastiktüten fahren wir auf einem endlosen Rollsteg ins Untergeschoss. Während Murat die Farben sucht, schlendere ich zu den Sonderposten und schaue mir einen Laubbläser an. Der hat ein sattes Grün und 3000 Watt.

    »Boah«, denke ich, »ganz schön laut!«

    In der Werkzeugabteilung entdecke ich einen Stromprüfer. Neugierig will ich wissen, ob der auch bei Niederspannung funktioniert und gucke mich nach einem Verkäufer um. Aber offenbar sind die alle hinten im Lager und schneiden die Stecker von den Elektrogeräten ab. Doch dafür kann man zwischen den Hochregalen den Preis sprechen hören. Ich nehme ihn trotzdem, er ist reduziert.

    Am Autozubehör treffen wir uns wieder. Kritisch begutachte ich seinen Wagen, den er mit Farbeimern, einem Edelstahl-Wasserkocher, einer breiten Farbrolle und allerlei Schächtelchen vollgepackt hat.

    »Was hast du denn damit vor?«, frage ich ihn und zeige auf die Knopfzellen.

    »Oh«, meint Murat, »Renzo hatte kein Wechselgeld. Da hat er mir supergünstig diese Taucheruhr verkauft« und hält sie mir triumphierend unter die Nase. »Ich glaube, da ist nur die Batterie alle!«

    An der Zahlstelle ist wie immer die Hölle los. Die Aushilfskassiererin kann Styropor nicht von Porenbeton unterscheiden und tippt für den Spannungsprüfer doch den Originalpreis ein. Bis endlich die Bankenaufsicht kommt, ist Arminia Bielefeld einmal auf- und einmal abgestiegen.

    Am Imbiss draußen kaufen wir zwei halbe Hähne, beobachten Renzo und rauchen getragene Schuhe.

    Noch drei Tage bis zur Eröffnung. Murat ist echt fleißig. Er ackert und schuftet von früh bis spät, streicht die Wände und tapeziert die Türen.

    Ich lade die anderen Ladenbesitzer ein, auch die Bio-Orange von gegenüber, und verteile Zettel an die Passanten. Beim Kabelbaron finde ich tatsächlich Holzspatel. Ich tausche die verschmorte Zuleitung um und bekomme einen putzigen Krümelsauger in Form eines kleinen Marienkäfers als Entschädigung. Die Taucheruhr schwatze ich Murat gegen die Zigaretten wieder ab. Ich schraube den Boden auf und will die alte Batterie mit dem Spannungsprüfer testen, weiß aber nicht, wie das geht. Kurzentschlossen wechsele ich sie einfach aus, Murat hat ja zum Glück noch neue. Er braucht die ja nicht mehr.

    Um Mitternacht ist er endlich fertig mit den Fußleisten, die Uhr piept. Klasse! Ich schnorre mir eine von seinen Nikotinröhrchen und schicke ihn nach Hause. Erschöpft ziehe ich das Buschfeuer in meine Lungen. Ich sitze da und probiere den Marienkäfer aus. Er schafft sogar ganze Maiskörner. An einer Olive verschluckt er sich röchelnd, ich muss ihn notgedrungen zurückbringen.

    Mir schießt in den Sinn, dass ich Murat versprochen habe, sauber zu machen, damit er unsere große Lieferung gleich einräumen kann. Ich hole den Laubbläser aus dem Auto und fange an.

    Zufrieden über mein gestriges Tagewerk lade ich ihn am nächsten Morgen auf einen Kaffee beim SB-Bäcker ein. Und da passiert es:

    Unerwartet blicke ich in ein Lächeln, weich wie der erste Kuss und zart wie die ersten Sonnenstrahlen im Frühling.

    Verdattert schaue ich mich um. Doch da ist niemand außer mir und Murat und der stöbert in einer Ecke in Heimwerkerzeitschriften.

    Dieses Lächeln gilt also mir?! Umso

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