Ein ehrbares Haus: Ein ehrbares Haus voller ehrenrühriger Leute
By Maxi Hill
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Pam ahnt nicht, welch zwielichtige Biografien hinter den Türen geschrieben stehen. Nur sie – die unbescholtene Deutsche mit dem liebenswerten Fremden – mag man in diesem Haus nicht länger dulden.
Zu guter Letzt schlägt einer ehrlos über die Stränge.
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Book preview
Ein ehrbares Haus - Maxi Hill
Der Anschlag
Blaue Blitze durchschneiden die Stadt. Der Sanka rast mit schrillem Horn durch die Straßen. Es ist Mittwoch, ein Tag wie jeder andere. Der Notarzt kämpft um das Leben einer jungen Frau. Dennoch spricht er von einem Glücksumstand.
Ein Sanitäter hantiert mit Kompressen auf verbrannter Haut. Der Arzt prüft den Puls und die Atmung. Die Verletzte ist ruhig gestellt, spürt nicht mehr, was um sie herum geschieht.
»Was sagt die Polizei?«
»Kein erkennbares Motiv.«
Durch den Kopf des Arztes geht ein unmerkliches Zucken: »Zufallsopfer.«
»Eher nicht.« Die Wortfetzen von den Lippen des Sanitäters klingen grübelnd. Jedenfalls an sie adressiert.«
Der Arzt drückt eine Sauerstoffmaske behutsam auf das Gesicht der jungen Frau, ohne die Apparaturen aus den Augen zu lassen. Der Sanitäter erneuert mit motorischen Griffen eine der Spezial-Kompressen — sein Kopf arbeitet planvoll. »Wie soll man so etwas verstehen?«
Der Arzt denkt, was gibt es für seltsame Gründe. Jetzt keinen Gedanken daran. Wir haben Leben zu retten.
Der Fahrer hinter dem Schiebefenster flucht. Vor der Zufahrt zur Notaufnahme stehen private Autos, behindern das Ausladen der Verunglückten.
»Man kann nichts machen. Es gibt keine klare Regelung«, schimpft der Sanitäter. Für einen Moment strafft er seinen Rücken unter der roten Weste. Der Motor heult auf, während das Gefährt über die Rasensteine holpert. Die Männer werden unsanft gerüttelt, der leblos scheinende Körper der Frau auf der Trage zuckt, ihrer Brust entweicht heißer Atem, doch sie bleibt in der stabilen Lage.
Ein letzter Ruck. Reifen quietschen, Türen schlagen. Mit geübten Griffen rollen die Männer die Krankentrage heraus, umsichtig, aber eilig.
In der Notaufnahme war gerade etwas Ruhe eingekehrt. Jetzt rennen Pfleger und Schwestern durch den langen Flur — Stampfende Schritte. Rufe. Kommandos.
»Das Briefbomben-Opfer«, wiederholt der Arzt, wie er es vor einigen Minuten avisiert hatte. Alle wissen, was zu tun ist. Routine.
Den langen Wandelgang durchquert ein Mann gemächlichen Schrittes. Die lederne Handmappe klemmt unter seinem Arm. Ungerührt macht er der eiligen Fracht Platz. In diesem Teil des Klinikums kennt man die eiligen Prozeduren. Reine Routine. Es hebt niemanden an. Sein Kopf ist noch bei den Worten, die ihm der Arzt gesagt hatte, als ihm das Bild bewusst wird. Er rennt zurück, läuft aufgeregt neben der Trage her. Das Gesicht des leblosen Körpers ist verändert. Sehr verändert. Aber er kennt es…
»Was ist mit ihr?«
Er beugt sich noch einmal über das Gesicht unter der Atemmaske.
»Das ist Pamela Eders, meine Mitarbeiterin. Ich bin Eitel Berg, Leiter der Werbeagentur ArtHill.«
Der Arzt ist dem Englischen mächtig und denkt: Dieser «KunstBerg» war für einen Bösewicht nicht hoch genug. «
Seit ein paar Monaten war Pam happy, weil sie eine Wohnung gefunden hatte, die zu ihren Vorstellungen passte …Passte sie wirklich? Eitel Berg bezweifelt dies seit diesem Moment.
Pam Eders ist seine beste Kraft, unsentimental und heiter. Immer offen und herzlich, nur bisweilen zeigt sie eine gewisse Wandlungsfähigkeit.
Sie ist eine, die kein Schicksal mit sich herumschleppt wie er: Eins von den unverstandenen Zeiten. Pam ist zu jung um erlebt zu haben, was er erleben musste. Jung aber nicht naiv. Pam kann zuhören und sie kann zugeben, was sie selbst betrifft. Naivität? Nicht die eines Kindes. Wenn es die Sache erfordert, kann sie sich sehr gut zurücknehmen Dann wirkt sie beinahe geheimnisvoll. Geheimnisse sind unsichtbar wie das Glück. Nur wenn es einen verlässt, malt es Bilder des Schreckens.
Ein ehrbares Haus
Der Anblick des Hauses verschlägt Pamela die Sprache. Es ist eines der ersten – für diese Stadt spektakulär – restaurierten Häuser der Stadt nach der grauen Zeit. So sagte es Eitel, ihr Chef, und in seiner Stimme lag etwas Unergründliches.
Sie biegt an der Nordseite auf den kleinen Platz unweit vom Zentrum der Stadt. Vor Jahrhunderten war hier ein Dorfanger. Ringsum ducken sich kleine, inzwischen in kräftigen Farben restaurierte Gehöfte. Inmitten des Platzes die Grünfläche unter majestätischen Buchen und Kastanien, mit Bänken aus poliertem Stahlgeflecht und stählernen Papierkörbe. Rundherum die glänzende Asphaltbahn.
Sie kann es sich leisten, geduldig zu sein. Der Mann vom Maklerbüro kommt nicht vor zehn Uhr.
Sie macht sich in Gedanken Notizen, wonach sie schauen will, was sie erfragen muss. Gibt es einen Stellplatz für den Janes Kinderwagen? Und zwei für die Autos, die sie täglich brauchen? Wie steht es mit der Reinigung vom Treppenhaus? Darf man im Garten am Haus mit dem Kind spielen? Ist der Mietpreis all inklusiv?
Es gibt gewiss noch mehr, worauf sie erst kommen wird, wenn sie eingezogen ist.
Dass ihr gerade flau im Magen wird, ignoriert sie. Als Werbedesignerin liegen ihre Prioritäten auf den schönen Dimensionen von Dingen. Der Klang von Münzen ist sekundär. Nicht dass sie nicht mit Geld umgehen könnte. Geld ist nicht alles. Die traurige Wahrheit ist: Die Arbeit von Edís steht mal wieder auf der Kippe. Wenn es einer Firma an Gewinnerwartung fehlt, müssen zuerst die Ausländer gehen, rechtens oder nicht. Edís ist in Deutschland geboren; zu leugnen sind seine Ahnen dennoch nicht.
Gerade unternimmt er einen Vorstoß bei seinem Boss, um Klarheit zu haben. Doch auch im positiven Falle werden sie sich einschränken müssen. Das ist der diffuse Horror, der auf Pam lastet. Edís ist Optimist. Er ist immer Optimist — angeboren oder vererbt von seinen türkisch-iranischen Ahnen.
Edís war es, der das Haus entdeckt hat mit dem Schild: Wohnungen / kaufen oder mieten. Es war Liebe auf den ersten Blick. Dazu ist Edís in der Lage.
Er war klug genug, die Verhandlungen ihr zu überlassen. Die Leute sind skeptisch, sehen in jedem Ausländer einen Halunken, eine subversive Kraft, zumindest aber einen Spekulanten.
Pam gelingt mit Erfolg, was Edís unerklärliche Mühe bereitet. Sie ist wortgewandt, hat ein hübsches Gesicht und naturblondes Haar, das sie zu seinem Leidwesen jetzt kürzer trägt. Als sie sich kennen lernten, fiel es in großen Wellen bis weit über die Schulter. Der südländisch dunkle Typ sah nichts anderes in ihr, als ein Model für exklusives Haarshampoon. Dass ein solches Mädchen sich in ihn verlieben konnte, und die Liebe sieben Jahre halten würde, hat er in seinen kühnsten Träumen nicht für möglich gehalten.
Die März-Sonne scheint in ihr Gesicht. Pam lächelt die Gedanken fort und schaut auf ihre silberne Uhr. Noch glaubt sie nicht, dass der Makler Wort hält. Warum sollte es für dieses Haus keine besser betuchten Interessenten geben? Sie kennt nichts Vergleichbares in der Gegend. Ihr Herz hüpft vor Aufregung. Ihre Hände werden feucht. Dann sieht sie, wie auf der Straße der Mann im schwarzen Anzug aus einem schwarzen Mercedes steigt.
»Haben Sie sich schon umsehen können?« Er grinst voll Stolz und todsicher vor Gewissheit, dass er noch heute das Geschäft abschließen wird.
»Legendär«, sagt Pam, und zieht nach der förmlichen Begrüßung lächelnd den Kopf zum Haus hin. Der Mann wiederholt das Wort erleichtert.
»Legendär. Der Bau hat damals für Furore gesorgt … Vor allem, weil das Geld schon seinerzeit von keinem der vielen westlichen Investoren kam, die hier ihr Kapital für sich arbeiten lassen.«
Heute sind auch die Makler von hier, denkt Pam. Und sie denkt, dass ein guter Makler sich verkniffen hätte, was sie noch zu hören bekommt:
»Über die Geldquelle redet man nur hinter vorgehaltener Hand.«
So ähnlich hat es auch Eitel formuliert, nur mit mehr Feuer im Blick. Offenkundig erfährt Pam von dem Mann mehr als sie erwarten kann.
Als er ihr das Zeichen gibt, ihm zu folgen, denkt er bei sich. An dieser Frau scheint alles zu stimmen. Für den Moment glaubt er sogar, der Mann vom Obergeschoss sei stehen geblieben, um die junge Frau zu bewundern. Dieser Hunskötter. Es wäre kein Wunder, handelte es sich um diesen Don Juan vom Parterre, so nennt er den feinen Adligen vom Rhein.
Diese Art Blicke wären allerdings bei jedem verständlich. Doktor Gauß soll auch kein Verächter junger schöner Frauen sein, wie man munkelt.
Die blonde junge Frau ist auch nach dem Geschmack des Maklers. Sie hat ein bezauberndes Lächeln, einen ebenso gut proportionierten Körper wie ausgezeichnete Manieren und einen sehr selbstbewussten Gang. Ein Glücksfall fürs Geschäft. Wer sollte etwas gegen eine solche Erscheinung haben?
Wenn er nur erst die Präsentation erfolgreich hinter sich hätte. Wenn sie bloß nicht fragt, warum es für diese eine Wohnung bisher keinen Mieter gab…
Nein, kaufen kann sie nicht, sagt Pam. Aber alles, was sie sieht, gefällt ihr. Die Wohnung ist hell und geräumig und hat einen prächtigen Balkon, der einem kleinen Vorgarten gleicht. Der kleine Mangel ist zu verschmerzen. Es ist die Mittelwohnung. Zu gerne hätte sie eine der Eckwohnungen bezogen. Es ließe sich besser auf die Sonne reagieren und auch sonst sei es angenehmer, den Blick nach zwei Seiten zu haben.
»Sie haben sehr ruhige Nachbarn«, beteuert der Makler und weist nach rechts.
»Der honorige Herr Hunskötter. Er führt das Amt für Umwelt bei der Stadtverwaltung.«
Beim Anblick des Türschildes kommt Pam ein Schmunzeln über die Lippen. Da versucht sich einer in kalligrafischer Besonderheit. Für diese Dinge hat sie ein Gespür. Ihr Geschmack ist diese Schrift nicht, die er sich als Aushängeschild ausgesucht hat: «Gigi». Mit Schriften kennt sie sich aus.
Links neben ihrer künftigen Wohnung steht ins glänzende Türschild aus feinem Messing edel eingraviert in klassischer Antiqua: Dr. Manuel und Julia Gauß.
Doktor Gauß sei in den besten Jahren, flüstert der Makler, aber die Frau ist noch verdammt jung. Nur wenig älter als sie, Pam, vermutlich sei. Der Augenspezialist habe eine Methode entwickelt, die weltweit für Aufsehen sorgt. Es kämen schon Patienten aus Übersee. Kein Wunder also, wenn der Erfolg zu Kopfe steigt.
Pam denkt in verschiedenen Bildern