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Deutsch-Polnische Stereotype in neuen Medien: Verändert das Internet Vorurteile zwischen Polen und Deutschen?
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Deutsch-Polnische Stereotype in neuen Medien: Verändert das Internet Vorurteile zwischen Polen und Deutschen?
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Deutsch-Polnische Stereotype in neuen Medien: Verändert das Internet Vorurteile zwischen Polen und Deutschen?

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Polenwitze sowie Ressentiments über Deutsche verbreiten sich über das Internet schneller als über bisherige Medien. Soziale Netzwerke wie Google +, Facebook und Twitter, virale Videos auf YouTube und anderen Portalen, individuell angepasste Suchmaschinenergebnisse und Blogs prägen nationale Bilder einer neuen Generation. Benutzergenerierte Inhalte formen Stereotype heute stärker und schneller als je zuvor. Die Tendenz ist steigend. In der vor- liegenden Arbeit wird diskutiert, wie sich die Nutzung des Internets auf die Bildung von Stereotypen auswirkt und wie diese im World Wide Web reproduziert werden (Lippmann). Im Vordergrund steht der Thematisierungsprozess und die Analyse der medialen Aufarbeitung von Stereotypen zwischen Polen und Deutschen. Der Kulturwissenschaftler Erik Malchow analysiert die Folgen der Kommunikation und des Informationsaustauschs von Deutschen und Polen, insbesondere über die sozialen Netzwerke Facebook, YouTube, Wikipedia und Google.
LanguageDeutsch
Publisherepubli
Release dateAug 19, 2015
ISBN9783737562188
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    Deutsch-Polnische Stereotype in neuen Medien - Erik Malchow

    Wie trägt die Nutzung sozialer Medien zur Verfestigung bzw. zur Auflösung von Stereotypen zwischen Deutschen und Polen bei?

    Welche Unterschiede gibt es bei der Internetnutzung von Deutschen und Polen und können diese durch Kulturdimensionen (Hofstede) bzw. –Standards (Thomas) erklärt werden?

    Welche deutsch-polnischen Stereotype sind aktuell bzw. stark verbreitet?

    Wie reguliert sich die Online-Gesellschaft, wenn negative Vorurteile offen geäußert werden?

    Nach der Einleitung, die das erste Kapitel dieser Arbeit bildet und neben Aufbau und Fragestellungen auch einen geschichtlichen Einstieg in das Thema der  deutsch-polnischen Online-Stereotype bietet, beschäftigt sich das zweite Kapitel mit dem Forschungsstand. Hier geht es anfangs um Kommunikationsprozesse im Internet. Nach einer statistischen Übersicht, die die Demographie der deutsch-polnischen Internetnutzung erläutert und erklärt, welche Besonderheiten die computervermittelte Kommunikation im Unterschied zu anderen Kommunikationsformen aufweist, geht es insbesondere darum, wie sich die Sprache im Internet (Netspeak) im deutschen und im polnischen Raum formt und wie eine Regulierung der Nutzer untereinander stattfindet (Netiquette). Außerdem wird kurz auf Gefahrenpotentiale wie Cybermobbing und Internetsucht eingegangen. Darüber hinaus befasst sich dieser Teil der Arbeit mit der Bildung bzw. Verbreitung von Stereotypen im Internet. Es wird aufgezeigt, was Stereotype ausdrücken, und wie sie sprachlich und bildlich im Internet dargestellt werden. Dabei wird auf verschiedene etablierte Theorien der Stereotypenbildung eingegangen und diese immer wieder mit der Spezifik des Internets in Verbindung gebracht. Das dritte Kapitel dieser Arbeit bildet den Hauptteil. Hier wird insbesondere die Etablierung der deutsch-polnischen Stereotype erklärt und mit der aktuellen Debatte in einen Kontext gebracht. Die ausgewählten Online-Portale werden in Bezug auf Sympathien und Antisympathien zwischen Deutschen und Polen untersucht, wobei quantitative und qualitative Methoden angewendet werden. Während bei dem sozialen Netzwerk Facebook mehrheitlich quantitative Methoden, insbesondere Auswertungen der statistischen Tools von Socialbakers⁶ und WolframAlpha⁷, zum Einsatz kommen, werden bei YouTube und Wikipedia eher qualitative Methoden, wie zum Beispiel die hermeneutische Textanalyse von Posts bzw. Kommentaren unter Videos und Beiträgen zu diskursiven deutsch-polnischen Ereignissen (das deutsch-polnische EM-Fußballspiel in Klagenfurt 2008, etc.) angewendet. Nähere Erläuterungen zur Methodik finden sich im Kapitel 2.2.7.

    Das kollektive historische Gedächtnis von Polen und Deutschen ist sehr unterschiedlich. Die Wahrnehmung von Polen und Deutschen ist geprägt von teils jahrhundertealten Mythen, Stereotypen und Vorurteilen sowie einem damit verbunden erheblichen Anteil an Unwissenheit gegenüber den kulturellen Gegebenheiten der jeweils anderen Nation. Letzterer ist wesentlich höher auf der deutschen Seite.⁸ Die erste Begegnung zwischen Deutschen und Polen ist nicht genau bestimmbar, da schwer zu sagen ist, wann man von Deutschen und Polen sprechen kann. Was die Polanie, ihre Nachbarn und viele weitere Menschen auf der eurasischen Ebene verband, war Sprache bzw. słowo  [das Wort]⁹. Wer verständlich miteinander sprach, waren Słowanie, Sclavinii, Slawen (später Polen, Russen, Tschechen, etc.). Jene, die die Sprache nicht sprachen, waren demzufolge Niemcy [Stumme]¹⁰. Diese waren vor allem in der germanischen Welt, dem heutigen Sachsen, Franken, Bayern und Lothringen, zu finden. Das Ziel des folgenden Kapitels ist nicht, die detaillierte binationale Geschichte wieder zu geben, sondern kurz zu erläutern, welche historischen Kontakte (ob feindlich oder friedlich) die deutsch-polnischen Beziehungen noch heute beeinflussen.

    Die erste kriegerische Begegnung von Polen und Deutschen, die auch heute, etwa tausend Jahre später, im kollektiven Gedächtnis verankert ist, fand in der Nähe der heutigen deutsch-polnischen Grenze, zwischen Frankfurt (Oder) und Szczecin statt. Bereits 972 n. Chr., kurz bevor die Polanen erstmals in den Geschichtsbüchern erwähnt werden, wurde die Schlacht von Cedynia (Zehden) geführt und von Mieszko I, dem ersten christlichen Führer der Polanen, gewonnen. Schon davor bestritt sein Vater Siemomysław bereits Auseinandersetzungen mit den Herrschern der Nordmark, die als erste Kontakte erwähnt werden könnten, jedoch ist die Schlacht bei Zehden, gemeinsam mit der ebenfalls von den Polen gewonnen Schlacht bei Tannenberg (pl. Grunwald), bis heute im nationalen Gedächtnis (der Polen) verankert.

    Während dieser Zeit war es gängige Praxis, Streitigkeiten im Grenzgebiet an der Oder durch arrangierte Ehen zu schlichten. Zudem profitierte Polen im frühen zwölften Jahrhundert von deutschen Siedlern, Migranten aus Sachsen, Franken und den Benelux-Ländern, und gewährte ihnen besondere Rechte, wie zum Beispiel die Erbauung von Siedlungen nach deutschem Recht. Bereits im 13. Jahrhundert wurden ehemals polnische Dörfer wie Wlen oder Städte wie Breslau aufgrund der zunehmenden Zahl ihrer deutschen Bewohner deutsch. Vor allem der Deutsche Orden, ein Zusammenschluss von Kreuzrittern, hatte einen großen Einfluss auf das nördliche Polen bis 1410, als die Kreuzritter in der Schlacht von Tannenberg geschlagen wurden. Diese Schlacht prägt bis heute die Wahrnehmung von Deutschen in Polen, was unter anderem an etlichen Denkmälern und Straßenbezeichnungen zu erkennen ist. In der Folge der Schlacht war der Deutsche Orden gezwungen, im Jahr 1466 den „Zweiten Thorner Frühling zu schließen. Damit wurde das Königreich Preußen in Polen eingegliedert. Fast zweihundert Jahre später, im Jahre 1660, wurde diese Souveränität über das Herzogtum Preußen im „Frieden von Oliva wieder aufgegeben. Im 18. Jahrhundert wurde Polen dreimal (1772, 1793, 1795) geteilt, bis es gänzlich, bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, von der Weltkarte verschwand. Die polnischen Gebiete wurden unter Preußen, Russland und Österreich aufgeteilt. Die polnische Exilregierung versuchte in dieser Zeit wiederholt, seine Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen, was am 3. Mai 1791 in der Verabschiedung einer neuen Verfassung, die als erste moderne Verfassung Europas gilt, mündete.

    Im Jahre 1830 brach in Polen ein Aufstand aus, der heute als „Polnischer Frühling" bezeichnet wird und im Hambacher Fest 1832 seinen Höhepunkt fand, als neben der Schwarz-Rot-Goldenen Fahne auch der polnische Adler wehte und viele Redner die Leistungen Polens rühmten¹¹. Im Zuge der sogenannten Polenbegeisterung kamen, vor allem in den siebziger Jahren, etwa 300.000 Polen während der Industrialisierung nach Deutschland. Viele von ihnen wurden von der preußischen Regierung unter dem Kanzler Otto von Bismarck wenige Jahre später im so genannten Kulturkampf verdrängt. Im Ersten Weltkrieg wurde Polen zum Teil durch Deutschland besetzt, konnte jedoch gegen Ende des Krieges wieder eigene Ländereien beanspruchen. Im Jahr 1921 ist Polen ein Vielvölkerstaat mit 69% Polen sowie nationale Minderheiten von Ukrainern, Weißrussen, Deutschen, Russen, Juden und Tschechen.

    Im Jahre 1939 lehnt Hitler den deutsch-polnischen Nichtangriffspakt von 1934 ab und überfällt Polen, was den Beginn des Zweiten Weltkriegs markiert. Der zweite Weltkrieg prägt die deutsch-polnischen Beziehungen bis heute maßgeblich. Außerdem spielt der jüdische Aufstand im Warschauer Ghetto 1943, der Warschauer Aufstand 1944 und das Massaker von Katyn 1940 eine bedeutende Rolle im heutigen deutsch-polnischen Diskurs. Drei Millionen polnische Juden und 2,5 Millionen nichtjüdische Polen starben im zweiten Weltkrieg und in Konzentrationslagern, nur ein Zehntel von ihnen waren Angehörige der polnischen Armee. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Deutsche in Polen als hitlerowcy bezeichnet, ein Begriff der auch heute noch gebräuchlich ist. Polen verlor seine östlichen Teile und gewann die ehemaligen deutschen Gebiete im Westen durch das Potsdamer Abkommen, in dem Polen kein Abstimmungsrecht hatte. Über 1,5 Millionen Polen sowie andere Minderheiten und 2,3 Millionen Deutsche wurden in westlicher Richtung umgesiedelt. Deutschland wurde zwischen den Alliierten und den Sowjets geteilt und Polen und die DDR wurden zu Nachbarn, die eine schwierige Freundschaft verband, während der westliche Teil Deutschlands vorerst als der ehemalige Feind Polens angesehen wurde. Dieser Hass wurde von der sowjetischen Propaganda genährt. Beide Länder, sowohl die DDR als auch Polen, litten unter den stalinistischen Repressionen. Auch die deutsche Minderheit in Polen litt unter dem kommunistischen Regime, was zu einer starken Migrationsbewegung in die Bundesrepublik Deutschland führte.

    Im Jahre 1970 erkannte West-Deutschland mit dem Warschauer Vertrag de facto die Oder-Neiße-Linie als Westgrenze zu Polen an. Nach der Unterzeichnung des Vertrages kniete Willy Brandt, damaliger Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, vor dem Denkmal des Aufstandes im Warschauer Ghetto nieder, was in Polen und Deutschland als eine Geste der Demut und Buße (Warschauer Kniefall) gesehen wurde. In der Zeit zwischen 1980 und 1990, explodierte die Migrationsbewegung aus Polen in die Bundesrepublik Deutschland regelrecht. Etwa eine Million Polen ließen sich in West-Deutschland nieder. Diverse Konflikte prägten die Beziehungen zwischen der DDR und der Republik Polen bis zur Wiedervereinigung Deutschlands, und nur wenige Polen emigrierten permanent in die DDR. Außer der Zeit zwischen 1972 und 1980, als die Grenzen zwischen Polen und der DDR geöffnet waren, gab es fast keinen Kontakt zwischen den Bürgern beider Staaten. Die Solidarność-Bewegung im Jahr 1989 führte zur Unabhängigkeit Polens und hatte maßgeblichen Einfluss auf den Fall der Berliner Mauer und damit auf die Wiedervereinigung Deutschlands. Deutschland zahlte Polen Kompensationen für die Verluste durch den zweiten Weltkrieg und unterstützte den Beitritt Polens zur Europäischen Union. Seit 1999 ist Polen Mitglied der NATO.

    Zwischen 2000 und 2014 prägten Themen wie das relative Gewicht von EU Abstimmungen, der Bau einer Gas-Pipeline unter der Ostsee von Russland direkt nach Deutschland, die Anerkennung der deutschen Minderheit im polnischen Parlament (Sejm) sowie die Aktivitäten des Bundes der Vertriebenen (BdV) unter der Präsidentschaft von Erika Steinbach die deutsch-polnischen Beziehungen. Deutschland ist Polens wichtigster Wirtschaftspartner und einer der wichtigsten politischen Partner in Europa.

    So, wie sich die deutsch-polnischen Beziehungen während der letzten tausend Jahre entwickelt haben, gab es auch in der Medienlandschaft eine erhebliche Evolution, die vorerst in den heutigen Digitalen Medien endet. Letztlich haben sich die digitalen Medien aus den analogen elektronischen Medien (z.B. Fernseher) entwickelt, welche wiederum ohne die Erfindung des Buchdrucks im 16. Jahrhundert undenkbar gewesen wären. In diesem Zusammenhang spricht Faulstich¹² von einer Medienkulturgeschichte, welche seinen Ursprung etwa 2500 Jahre vor unserer Zeitrechnung in der Sprache fand. Somit kann man schwer von „neuen Medien" sprechen, da sich diese aus alten Medienlandschaften heraus entwickelten.

    Außerdem ist zu bemerken, dass die Zeitabstände zwischen den einzelnen Phasen der Medienentwicklung im Laufe der Zeit immer kürzer wurden. Während laut Faulstich die Entwicklung der Sprache noch dreißig- bis vierzigtausend Jahre dauerte, entwickelte sich die Schriftsprache in vergleichsweise wenigen, nämlich ca. viertausend, Jahren. Bis zum Buchdruck dauerte es folgend nur vierhundert Jahre, zur Entwicklung elektronischer Medien nur noch einhundert Jahre. Diese Dynamik prägt auch unsere heutige mediale Kommunikation. Medien lösen sich schneller ab bzw. ergänzen einander.¹³

    Abbildung 1: Entwicklungsphasen der Medienkulturgeschichte nach Faulstich¹⁴

    Grundvoraussetzung für die Medienentwicklung ist Sprache bzw. Text, welcher für die Erforschung einer Kultur unbedingt notwendig ist. In diesem Zusammenhang werden auch die Texte und speziell die Sprache einzelner Kommentare in polnischer und deutscher Sprache in der folgenden Arbeit genau untersucht und in die umfangreiche Analyse der Stereotype miteinbezogen.

    Für die Untersuchung bieten die Digitalen Medien im Internet eine für den Forscher geeignete und aktuelle Plattform, da alle vorhergehenden Medienentwicklungsstufen ebenfalls im Internet ihren Platz finden. Hier sind viele analogen Medien wie Telefon, Schallplatte und Hörfunk (audiotiv) oder Foto, Film und Fernsehen (visuell), aber auch Nachrichtenportale von Printmedien vereint. Im Gegensatz zum dispersen¹⁵ Publikum, zwischen dessen Mitgliedern keine Kommunikation stattfindet, arbeiten Digitale Medien mit dem Internet, welches ein Feedback seitens der Nutzer zulässt. Das World Wide Web, ursprünglich als Netzwerk für Wissenschaftler des CERN¹⁶ zur wissenschaftlichen Kommunikation innerhalb der Organisationsstruktur organisiert, gewann seit 1993, dank der Entwicklung eines Browsers, auch für die breite Öffentlichkeit an Bedeutung.

    Die Sozialen Medien, die im Fokus dieser Arbeit stehen, entwickelten sich aufgrund der veränderten Internetnutzung, da ab 2003 Nutzer auch die Möglichkeit bekamen, selbst Inhalte zu erstellen und zu bearbeiten. Blogs (Weblogs), Foren, soziale Netzwerke, Video-foren und Wikis waren die Folge. Mit dem Erscheinen des Apple iPhone und bald darauf den Android-Mobiltelefonen sowie weiteren Smartphones wurden Apps, Applikationen für Mobilfunkgeräte, immer populärer und machen zum Stand dieser Studie den Hauptteil des Internetverkehrs aus.

    Der Untersuchungsteil dieser Arbeit folgt einem qualitativen Zugang, bei dem die Gegenstandsangemessenheit von Methoden und Theorie, der Bezug auf und die Analyse von unterschiedlichen Perspektiven sowie die Reflexion des Forschers über die Forschung als Teil der Erkenntnis charakteristisch sind. Dabei nimmt der Forscher im qualitativen Forschungsprozess keine objektive Außenposition ein, sondern er ist vielmehr Teil des Forschungsprozesses. Seine eigene kulturelle Prägung wirkt vor dem Hintergrund seines bestehenden Vorwissens zumindest implizit auf den Forschungsprozess mit ein. Die Verbindung von Forscher und Forschungsfeld sollte daher nicht als „Störvariable, sondern als „expliziter Bestandteil der Erkenntnis betrachtet werden, da die Reflexion des Forschers, dessen „Handlungen und Beobachtungen im Feld sowie Eindrücke, Irritationen, Einflüsse, Gefühle etc. zu Daten werden und letztlich in die Interpretation einfließen."¹⁷

    Der Ursprung des Forschungsinteresses ist häufig in der persönlichen Biografie des Forschers und seinem sozialen Kontext zu finden. Die Wahl bestimmter Fragestellungen hängt damit auch von den eigenen Interessen des Untersuchers und seiner Einbindung in bestimmte soziale Kontexte ab.¹⁸ Zudem spielt auch die kulturelle Identität des Forschers, speziell bei kulturkontrastiven Untersuchungen eine maßgebliche Rolle, da der Wissenschaftler auch selbst einer bestimmten Kultur angehört und Untersuchungen zu interkultureller Kommunikation selbst als Form interkultureller Kommunikation gelten. Gudykunst und Kim schlussfolgern:

    Intercultural communication researchers have all of the problems other communication researchers have when they are not studying people from different cultures, plus some additional ones because their research is cross-cultural or intercultural in nature. […] In order to develop the skills to engage in high quality intercultural research it is necessary to have a firm grounding in general methodological issues, research techniques, statistics, methods for doing cross-cultural psychological research, methods for doing comparative sociology and traditional anthropological methods."¹⁹

    Entsprechend diesen theoretischen Gedanken entwickelten sich auch die Fragestellung und der Aufbau der vorliegenden Arbeit. Einerseits war ich bereits früh mit den aktuellen Entwicklungen des Internets und später des Web 2.0 konfrontiert. Soziale Medien sowie die Auseinandersetzung mit filmischem Material spielen in meinem persönlichen und beruflichen Alltag eine große Rolle, woraus ein tiefes Interesse für die Strukturen und Elemente dieser Formen erwachsen ist. Andererseits ist mein Interesse für das Thema der deutsch-polnischen Kommunikation meinem persönlichen und familiären, aber auch beruflichen Hintergrund geschuldet, weshalb ich bereits sehr früh mit diesem Thema in Berührung gekommen bin. Daher liegt mein besonderes Interesse in der Untersuchung der Verbindung aus aktuellen Formen der Stereotypisierung im Zusammenhang mit der Informationsgewinnung über das jeweilige Nachbarland Deutschland oder Polen. Zwar ähnelt die Herangehensweise im qualitativen Teil dieser Arbeit der teilnehmenden Beobachtung, jedoch wurde im Analysezeitraum nicht aktiv in das Geschehen eingegriffen, also in keinem der untersuchten Sozialen Netzwerke aktiv gepostet. Daher sehe ich mich im Forschungsprozess als objektiv Außenstehender.

    Wie bereits weiter oben erwähnt, haben sich die digitalen Medien innerhalb der letzten Jahre insbesondere in technischer, aber auch in paradigmatischer Hinsicht stark verändert, was Faulstich auch als „das Aufbrechen des vormals bestehenden Sender-Empfängerverhältnisses"²⁰ beschreibt. In dieser Arbeit soll speziell der Zeitraum von Januar 2012 bis November 2014 hinsichtlich der deutsch-polnischen Kommunikation untersucht werden. Im Untersuchungszeitraum wurden in den ausgewählten Medien Facebook, YouTube, Wikipedia und der Suchmaschine Google Daten gesammelt, die die deutsch-polnische Kommunikation dokumentieren. Bei der Sammlung und Analyse der Daten wurde ein besonderer Wert auf die Ausbildung von Stereotypen in Bezug auf die Bewohner des Nachbarlandes auf der anderen Oderseite gelegt. Da es der Rahmen dieser Arbeit bzw. die Fülle an Informationen im Internet nicht erlaubte, alle verfügbaren Materialien zu sammeln, wurde hier ein thesengenerierendes qualitatives Verfahren gewählt, nach dem die mehrfache Wiederholung sowie die Verbreitung eines Stereotyps auf mehreren Kanälen ausschlaggebend für seine Existenz sein sollte. In den Portalen YouTube und Facebook wurden vornehmlich die Kommentare zu Polen- bzw. Deutschland-relevanten Themen analysiert.

    Auch wenn die Textsorte Kommentare international gebraucht wird, so gibt es dennoch kulturelle Spezifika und ausgeprägte einzelsprachliche Konventionen in der polnischen und deutschen Sprache. Alle Texte, die dem Rezipienten aus einer anderen Kultur, latente Verstehens- und Interpretationsprobleme bereiten, können somit als kulturelle Texte angesehen werden. Ein Nicht-, Anders- oder Missverstehen bestimmter Phänomene der fremden Kultur ist meist vorprogrammiert. Durch Standardisierungsmechanismen der Kommunikation in den Sozialen Medien (Smileys, Emicons, Anglizismen, etc.) können bestimmte kulturelle Übersetzungsfehler der Sprache aufgefangen werden, aber auch intrakulturell kommt es weiterhin zu einem problembehafteten Textverstehen.

    Die kulturellen Lakunen bzw. kulturelle Gaps bezeichnen Elemente, die in einer Kultur vorkommen, in der anderen aber nicht, können im Text sowohl lexikalisch, grammatisch als auch stilistisch auftreten.²¹ In der Regel werden die Lakunen bei Kommentaren von Nicht-Muttersprachlern gefunden, da eine nötige Erklärung der kulturellen Brisanz des Themas im eigenen Land fehlt. Im Verlauf der Arbeit sollen beispielsweise syllogistische und kulturemotive, aber auch Lakunen des Humors (Polenwitze vs. Żarty o Niemcach siehe Kapitel 3.3), untersucht werden.

    Das in Deutschland stark verbreitete und über 500 Jahre alte²² Stereotyp, dass Polen stehlen und das Stereotyp von Deutschen als Nationalsozialisten soll in dieser Arbeit genauso Thema sein wie die Analyse neuzeitlich gebildeter Stereotype auf beiden Seiten der Oder, die über das Internet eine schnelle Verbreitung finden. Des Weiteren soll geklärt werden, wie die Nutzung sozialer Medien zur Verfestigung oder zur Auflösung von Stereotypen zwischen Deutschen und Polen beitragen und welche Unterschiede es bei der Internetnutzung und bei der medialen Verbreitung von Stereotypen in Deutschland und Polen gibt.

    Zur Vorbereitung der eigenen Untersuchung wurden vorhandene kulturwissenschaftliche (meist sozialwissenschaftliche, medienwissenschaftliche und linguistische) Untersuchungen über die Internet-Nutzung gesichtet. Nach einem kurzen Überblick zur Sozialdemografie der Internet-Nutzer sowie einer Typologie damit verbundener Differenzierungen wird dargestellt, wie die soziale Interaktion im Medium Internet gegliedert ist, welche Besonderheiten der Kommunikation es im Internet gibt und welche Konzepte und bisherigen Untersuchungen damit in Verbindung stehen.

    Einige Untersuchungen nehmen bereits explizit Bezug auf Stereotypisierungen im Internet, wobei es mehrheitlich um Internetnutzer generell geht und keine Trennung zwischen einzelnen kulturellen Gruppen vorgenommen wird. Zudem können die vorhanden Typologisierungen darüber Aufschluss geben, wie soziale Gruppierungen und inhärente Abspaltungen organisiert sind. Somit kann auch die Frage geklärt werden, ob durch das Internet neue soziale Gruppierungen entstehen, die für die Mitglieder identitätsrelevant sind. Zu guter Letzt ermöglicht die Darstellung der empirischen Ergebnisse eine Gegenüberstellung mit den eigens gemachten Beobachtungen der verschiedenen Nutzertypen.

    Damit Ergebnisse zum Sozialverhalten und zu sozialer Kompetenz von Internet-Nutzern eingeordnet werden können, werden die Besonderheiten sozialer Interkation im Internet dargestellt. Da beim Kommunikationsprozess im Internet zwangsläufig ein Computer als Medium zwischengeschaltet ist, spricht man auch von Computer-vermittelter Kommunikation, einem Sonderfall parasozialer Interaktion.²³

    In den letzten Jahren ist die Internet-Bevölkerung in Deutschland wie auch in Polen stetig gewachsen und nähert sich immer mehr der Durchschnittsbevölkerung der beiden Länder an. Vorreiter in der Internetnutzung ist mittlerweile die Generation der 16- bis 24-jährigen, was auch der rasanten Entwicklung von mobilen Geräten wie Tablets und Smartphones zu verdanken ist. Diese Altersgruppe nähert sich in Polen am ehesten der deutschen Vergleichsgruppe an. Je älter die Menschen in Polen werden, desto seltener besteht die Möglichkeit einer Verbindung zum Internet. In Deutschland nutzten im Jahr 2012 dreimal mehr Rentner das Internet als in Polen.

    Abbildung 2: Internetnutzung in Polen und Deutschland (nach Jahren und Altersgruppen) (%)²⁴

    Während Smartphones besonders beliebt sind bei den Unter-30-Jährigen, sind Tablets, die inzwischen in 8 Prozent der deutschen Haushalte vorhanden sind, die Domäne

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