Mitten in OstHolstein: Morden für Gerechtigkeit
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Als seine Tochter von einem Schüler auf dem Zebrastreifen mit einem gestohlenen Auto totgefahren wird, fällt der Arzt in ein tiefes Loch.
Der Todesfahrer, ein angehender Abiturient, wird auf Bewährung freigesprochen. Von da an beginnt die Mordserie des Arztes. Bei jedem ihm ungerecht erscheinenden Gerichtsurteil im Zusammenhang mit Kindern greift er ein und repariert das Urteil durch Mord.
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Mitten in OstHolstein - Andrea Lieder-Hein
PROLOG
Dr. Leif Jorgensen schaute liebevoll auf seine Frau und streichelte zärtlich ihre linke Hand. Freya schlief, und so konnte er ein paar Augenblickte verweilen, um ihr schönes Gesicht zu betrachten.
Freya war vor fünf Jahren in sein Leben getreten. Damals, in Travemünde, als er in Eile einen Cappuccino trinken wollte. Er hastete in eine der Bäckereien an der Vorderreihe und hielt wenige Minuten später sein Getränk in Händen. Aber alle Sitzplätze waren belegt.
Da fiel sein Blick auf eine junge Frau, die alleine an einem Tisch saß und in den „Lübecker Nachrichten" blätterte. Ihr Gesicht war halb verdeckt von den braunen Locken. Leif betrachtete die anmutige Frau mit seinem medizinischen Blick. Das konnte er nicht lassen. Das war immer so. Als plastischer Chirurg an einer Schönheitsklinik schaute er zuerst auf den Gesamteindruck. Bei dieser fremden Frau stimmte alles. Ihr schlanker Körper war bekleidet mit einer Jeans, einer bunten Bluse und sportlichen Schuhen. Dezent elegant und doch jugendlich flott.
Noch während er verträumt mit seinem Cappuccino mitten in der Bäckerei verharrte, hob sie ihren Kopf, lächelte ihn mit einem auffordernden Blick an und sagte: „Bei mir ist alles frei."
Fast erschrocken tauchte er aus seinen Betrachtungen auf und setzte sich zu ihr. Zehn Minuten später waren sie ein Paar. Er dachte an diesem Tag nur noch an sie, und sie an ihn, wie sie ihm später gestand.
Sie war gerade erst 21 Jahre alt geworden, damals im Juni. Sie studierte seit zwei Jahren Medizin in Kiel und hieß Freya Petersen. Zwei Jahre später heirateten beide in Lübeck. Es war ein Traum. Als Freya schwanger wurde, legte sie eine Baby-Pause während ihres Studiums ein. Und vor drei Monaten war Amelie auf die Welt gekommen, ihre Tochter.
Langsam senkte sich sein Blick auf Freya, wie sie ruhig atmend im Bett lag. Dann schaute er auf seine Tochter, die sich in Bauchlage an ihre Mutter schmiegte. Er liebte sie so, sie beide, so sehr, dass er fast weinen musste.
Kurz nach der Entbindung, als das Glück perfekt schien, erfuhr Freya von ihrem Darmkrebs. Mit 26 Jahren. So weit fortgeschritten, dass nichts mehr zu retten war. Sie lag hier, um friedlich zu sterben.
Hallo, mein Schatz. Du hast geschlafen.
Ja, ich bin so müde.
Hast du Schmerzen?
Nein, keine Schmerzen. Und Amelie ist bei mir. Und du. Ich bin nicht alleine.
Soll ich sie dir abnehmen? Drückt sie dich?
Nein, gar nicht. Es ist schön so.
Möchtest du etwas trinken?
Leif, ich liebe euch. Es war der schönste Moment in meinem Leben, als ich dich traf.
Das stimmt. Freya. Das war auch mein schönster Moment.
Plötzlich wurde Freya unruhig. Ihre Augen fingen an zu flattern und sie hob zitternd ihren Kopf. Zeitgleich fing Amelie fürchterlich an zu schreien. Leif hob seine Tochter in seine Arme und beugte sich erschrocken zu Freya hinunter, als diese ein letztes Mal nach Luft rang, um danach erschöpft in sich zusammen zu sacken. Leif bediente den Notruf und fühlte Freyas Puls, aber da war nichts mehr. Freya hatte seine Welt verlassen und Leif Jorgensen bleib zurück. Voll Trauer, aber getröstet durch seine Tochter Amelie.
Von nun an würde es nur noch eine Aufgabe für ihn geben, nämlich für Amelie da zu sein, sie zu beschützen, ihr die Mutter zu ersetzen und ihr über den tragischen Tod hinweg zu helfen. Noch ahnte Amelie nichts von ihrem Schicksal, aber es würde nicht mehr lange dauern, bis sie nach Mama fragen würde, genauso wie ihre Freunde oder späteren Schulkameraden.
***
Wie in Trance ging Leif Jorgensen hinter dem Sarg seiner geliebten Frau her, Amelie in einem Tragegurt am Körper und das Gesicht von Tränen gezeichnet. In der Hand hielt er einen bunten Blumenstrauß, gedacht als letzten irdischen Gruß.
„Wenn ich mal sterbe, wirf mir bitte keine weißen Blumen hinterher, die sind so traurig hatte Freya mal gesagt, als sie von ihrem Krebs wusste. „Bunt sollen sie sein, bunt und fröhlich wie das Leben
fügte sie hinzu. Er wollte ihr diesen letzten Wunsch erfüllen.
***
Drei Monate war die Beerdigung nun her und er hatte in dieser Zeit viel erledigt und viel hinzu gelernt.
Er konnte perfekt Windeln wechseln, Babynahrung richtig temperiert füttern, kochen, putzen, Amelie die Welt erklären. Diese Beschäftigungen dämpften seinen Schmerz, lenkten ihn ab.
Gleich nach der Beerdigung hatte er angefangen, seine beruflichen Dinge zu ordnen. Er wollte nichts anderes mehr als für Amelie da sein, ihr die Mutter halbwegs ersetzen und ihr die Welt zeigen.
Sein erster Schritt dahin war der Verkauf seiner Klinik. Die „Privatklinik für Ästhetisch-Plastische Chirurgie" in Eutin war äußerst erfolgreich, da er und sein Team wirkliche Wunder verbringen konnten. Das betraf sowohl verbrannte und schwer entstellte Menschen als auch die sogenannte Schönheitschirurgie.
Die gutgehende Klinik hatte er von seinem Vater geerbt, als dieser mit 55 noch einmal heiratete und in die Vereinigten Staaten zog.
Mit dem Erlös der Klinik war sein Leben mit Amelie mehr als gesichert.
001 Sechs Jahre später
Es ist noch zu früh, Amelie. Die Einschulung beginnt erst um 10 Uhr.
Ja, aber ich möchte noch zu Mami ans Grab. Die Schultüte zeigen.
OK, dann aber los. Hast du alles?
Ja, Papa.
Hand in Hand gingen Amelie und ihr Vater auf den Dorndorfer Friedhof. Das taten sie mindestens einmal die Woche, aber inzwischen nicht mehr traurig, sondern freudig und lachend, um Freya die neuesten Dinge zu berichten. Amelie nahm auch immer ihre Stoffpuppe Mukkel mit, das war Pflicht, denn die hatte ihr Mama zur Geburt geschenkt.
Es war ein warmer August-Samstag und Amelie trug schwer an der prall gefüllten Schultüte und Mukkel.
Der Friedhof befand sich etwas außerhalb von Dorndorf. Die Gräber lagen geschützt vor zu viel Sonne, Regen oder Schnee zwischen Fichten und Birken. Amelie liebte diesen stillen Ort, an dem ihre Mama lag. Ihre Mutter, die sie nie kennen lernen durfte.
Kurz vor zehn fuhren die beiden zur Christophorus-Kirche. Dort begann die Einschulung jedes Jahr mit einem Gottesdienst. Die kleine Kirche war immer voll, obwohl der Gottesdienst nicht verpflichtend war. Alle Eltern und Verwandten freuten sich mit den Erstklässlern auf diese gemeinsame Stunde in der Kirche. Das Besondere war nämlich, dass die Jahrgänge 2-4 die gesamte Stunde selbst gestalteten. Immer. Die Kleinen sangen oder spielten kleine Szenen. Die Großen lasen kleine Texte oder spielten auf ihren Instrumenten. Sogar die kurze Predigt wurde von den Kindern mit kleinen Text-Einschüben begleitet.
Auch dieses Mal war es wieder ein ganz wunderbares Erlebnis für alle in der kleinen, alten Backsteinkirche mit den bunten Glasfenstern.
Nach dem gemeinsamen Gottesdienst ging es endlich in die Klassen. Die kleine Grundschule lief zwei- bis dreizügig. Dieses Jahr wurden in zwei Klassen je 21 Kinder eingeschult.
Es war ein schöner Einstieg und Amelie verkündete stolz: „Jetzt beginnt der Ernst des Lebens, worüber ihr Vater herzlich lachte. „Ein wenig altklug, aber doch wahr
, dachte er und schmunzelte in sich hinein.
002 Versetzt in Klasse ZWEI
Papa, Papa, hier, mein Zeugnis.
He, Amelie, Ferien!!!
Ja, aber schau mal, mein Zeugnis... hier
Oh, Sozialverhalten prima, selbstständig arbeiten,
Zahlenrechnen auch, sicher und gewandt bei Addition und Subtraktion, ... Amelie, du bist großartig. Was machen wir heute? Als Belohnung?
Zoo gehen... Zoo gehen... Erlebnis-Zoo Grömitz.
OK, dann zieh dich locker an, es ist ziemlich warm. Willst du noch was essen?
Nein, machen wir da.
Gut, bis gleich. Ich zieh mich auch eben um.
Der Grömitzer Zoo war ein Erlebnis-Zoo auf einem riesigen Gelände von über 10ha. Da Leif und Amelie sportlich waren und den ganzen Tag über Zeit hatten, konnten sie alles begutachten, was Amelie so liebte. Und dann waren sie endlich da!
Der weiße Multi-Van