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Schwester des Mondes - Teil meines Lebens: Eine authentische Geschichte.
Schwester des Mondes - Teil meines Lebens: Eine authentische Geschichte.
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Ebook277 pages2 hours

Schwester des Mondes - Teil meines Lebens: Eine authentische Geschichte.

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About this ebook

Mein Buch beinhaltet die noch nicht abgeschlossene Dokumentation meines Weges, der gepflastert ist mit vielen Hindernissen, die viele von Euch auch kennen, die Depression, die posttraumatische Belastungsstörung, die Borderline-Persönlichkeit, die Selbstverletzung, die dissoziative Störung, den daraus resultierenden Alkohol- Drogen- und Medikamentenmissbrauch. Die Achterbahn, die die Hass-Liebe, die das Nicht-Nehmen- und Nicht-Geben-Können hervorruft. Das Gefühl, man muss anderen Menschen wehtun, obgleich man keinen Gewinn daraus zieht. Das Gefühl man entfremdet sich seiner Familie, man lässt Gefühle erkalten, meint, man fühlt sich nur noch in sich selber wohl. Und man weiß trotzdem, dass es eine Irreführung ist. Die Ohnmacht, Machtlosigkeit, Hilflosigkeit einem selbst gegenüber, das unbedingte Sich-Beweisen-Wollen, die Perfektion – und das Scheitern daran. Ich lebe im Hier und Jetzt, aber mehr noch im Damals, lebe tief in mir drin, lebe in anderen, fühle mit den Hilflosen, fühle mich aber selbst dabei hilflos.
Mit diesem Buch möchte ich einen Weg aufzeigen, eine Richtung vorgeben, eine Idee weitergeben und eine – noch nicht abgeschlossene – Geschichte erzählen, wie es aussehen könnte!
Wie ein Leben aufrecht erhalten werden kann. Wie man in den ganz kleinen Dingen Mut finden kann, wie schön es sein kann Dankbarkeit zu empfinden. Genauso findet ihr hier auch die größten Abgründe, die Todesgedanken, das Aufgeben.
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateFeb 22, 2015
ISBN9783738016185
Schwester des Mondes - Teil meines Lebens: Eine authentische Geschichte.

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    Book preview

    Schwester des Mondes - Teil meines Lebens - Sorella Di Luna

    Zum Verständnis

    Denken ist etwas, das auf Schwierigkeiten folgt und dem das Handeln vorausgeht."

    Bertolt Brecht

    Was in aller Welt hat mich dazu getrieben, mich mit meiner Vergangenheit zu beschäftigen? Welche guten oder bösen Geister haben dieses Chaos in mir angerichtet, das mich Bilder, Szenen und Gedanken sehen und fühlen lässt?

    Ich habe diese Gedanken niemals bewusst hervorgerufen, nie nach vorne bringen wollen, ich wollte sie nicht haben. Und trotzdem drängen sie sich mir auf, sie bringen mich dazu, einen Zusammenhang zu sehen zwischen dem Tod meiner Mutter im Februar 2006 und meiner jetzigen Lebenssituation. Sie zwingen mich dazu, einen Zusammenhang zu sehen, den es zwischen meinem Leben damals und meinem jetzigen Leben tatsächlich zu geben scheint. Der Tod meiner Mutter scheint einen Weg geöffnet zu haben, den ich gehen konnte, ohne sie nunmehr zu verletzen...

    Diese Gedanken zwingen mich dazu, mich mit dem Thema „Liebe auseinanderzusetzen, eine Auseinandersetzung, die ich bisher in meinem Leben mehr oder minder erfolgreich vermieden habe. Für mich gibt es eine „sexuelle und eine „platonische" Liebe. Beide Arten der Liebe muss ich streng voneinander getrennt halten. Denn die Sexualität ist bei mir von Kind an nicht (er)lebbar.

    Am 16. Januar 2008 hatte ich einen Mail-Austausch mit einem Menschen, der mich bis zur Vollendung dieses Buches auf meinem immer noch ziellosen Weg begleitete, der mich in vielem klar sehen lässt und sich in meinem eigenen emotionalen Chaos besser zurecht findet als ich selbst. Dieser Tag war nicht der erste Tag, an dem ich Mails mit ihm, Giorgio, austauschte, aber es war der Anfang einer für mich ziellosen, für ihn mit Kampf belasteten Reise durch meine Anfänge, meine Vergangenheit bis hin zu dem, was ich momentan bin. Was noch lange nicht mein Ziel bedeutet. Dieses Buch beinhaltet die noch nicht abgeschlossene Dokumentation meines Weges, der gepflastert ist mit vielen Hindernissen, die viele von Euch auch kennen, die Depression, die posttraumatische Belastungsstörung, die Borderline-Persönlichkeit, die Selbstverletzung, die dissoziative Störung, den daraus resultierenden Alkohol- Drogen- und Medikamentenmissbrauch. Die Achterbahn, die die Hass-Liebe, die das Nicht-Nehmen- und Nicht-Geben-Können hervorruft. Das Gefühl, man muss anderen Menschen wehtun, obgleich man keinen Gewinn daraus zieht. Das Gefühl man entfremdet sich seiner Familie, man lässt Gefühle erkalten, meint, man fühlt sich nur noch in sich selber wohl. Und man weiß trotzdem, dass es eine Irreführung ist.

    Die Ohnmacht, Machtlosigkeit, Hilflosigkeit einem selbst gegenüber, das unbedingte Sich-Beweisen-Wollen, die Perfektion – und das Scheitern daran.

    Ich lebe im Hier und Jetzt, aber mehr noch im Damals, lebe tief in mir drin, lebe in anderen, fühle mit den Hilflosen, fühle mich aber selbst dabei hilflos. Und ich fühle mich immer wieder wertlos. So wertlos.

    Ich weiß, es gibt Menschen, die versuchen, mir dieses Gefühl zu nehmen. Menschen, die nicht aufgeben, die ich immer wieder verletze, die trotz allem nahe bei mir sind. Mich verstehen wollen und können.

    Ich weiß, dass nicht jeder von Euch dieses Glück hat, solche Menschen zu kennen. Umso mehr möchte ich mit diesem Buch einen Weg aufzeigen, eine Richtung vorgeben, eine Idee weitergeben und eine – noch nicht abgeschlossene – Geschichte erzählen, wie es aussehen könnte:

    Wie ein Leben aufrechterhalten werden kann. Wie man in den ganz kleinen Dingen Mut finden kann, wie schön es sein kann Dankbarkeit zu empfinden. Genauso findet ihr hier auch die größten Abgründe, die Todesgedanken, das Aufgeben. Ich möchte Euch bitten, mit dabei zu sein, wenn es in diesem Buch um mein Leben geht. Vielleicht könnt ihr euer Leben dadurch um dieses oder jenes bereichern.

    Mein unendlicher Dank gilt hierbei Giorgio, meinem damaligen Schutzengel, meinem Bewahrer (oft vor mir selbst), meinem Behüter, meinem ehrlichen (immer wieder von mir ungehörten, oft unbequemen) Ratgeber. Ich wünsche einem jeden von euch diesen Schutz, diese Obhut.

    Desgleichen gilt mein Dank meinem Sohn und meinem Lebensgefährten. Für die endlose Geduld, die sie mit mir hatten und haben, und für ihre mich stabilisierende Bodenständigkeit. Ihr beide seid mein Leben, seid meine Prellböcke für die ewigen Borderliner-typischen Stimmungsschwankungen. Sollte ich einen von Euch mal verletzt haben, bitte ich um Vergebung. Ich liebe Euch!

    Hier muss ich nun noch einige Menschen erwähnen, die mir in den bisher schwierigsten Phasen meines Lebens zur Seite standen und zum Teil noch stehen:

    Dr. Christiane K. (Psychotherapeutin):

    Sie sind die wunderbarste Frau, der ich je begegnet bin. Ich bin froh und unendlich stolz, Sie kennengelernt haben zu dürfen. Und ich gebe die Hoffnung nicht auf, Sie einmal in einer vielleicht anderen Lebenssituation zu treffen. Sie haben meinen Respekt und auch meine Liebe, solang man diese nach einer solch kurzen Zeit in einem Patient-Therapeuten-Verhältnis so bezeichnen kann. Sie sind ganz besonders! Sie sind erstaunlich!

    Dr. Boris K.(Oberarzt Psychotherapie):

    Der ewige Junge, der emotional so agile und intensive Therapeut. Die Sitzungen bei Ihnen habe ich, trotz Angst, immer sehr genossen.

    Sie konnten mich verstehen, haben mich wirklich ernst genommen und alles in Ihrer Macht stehende getan. Ich danke Ihnen, auch für die unterhaltsamen Momente. Und bitte, verzeihen Sie mir den 11. Januar 2011. Bitte. Ich musste Ihnen doch beweisen, was man aus Liebe tun kann... tun muss... manchmal...es tut mir leid...

    Dr. Martin H.(Assistenzarzt):

    Sie sind ein sehr intensiver Mensch. Sie waren noch voller Optimismus, voller Freude für den Dienst am kranken Menschen. Sie waren so motiviert; Sie hatten Ihre eigene Welt, in der Sie Menschen wie uns helfen würden. Ich habe von Anfang an geglaubt, dass Sie das können. Ich bin überzeugt davon, dass Sie an das Gute im Menschen glauben. Ich danke Ihnen, dass Sie mein Herz und meine Seele berührt haben. Ich danke für Ihr Vertrauen und wünsche mir von ganzem Herzen, Sie noch einmal wiedersehen zu dürfen!

    Dr. Michael S. (Dipl.-Psych., Arzt für psychologische Psychotherapie):

    Ich weiß, dass Sie mich verstehen und es gab mir ein gutes Gefühl zu wissen, dass Sie mich zu 100% ernst nehmen. Wichtig war mir Ihr Handschlag. Er tat mir gut und war eine Art Verbindung zur äußeren Welt für mich. Was soll´s, Sie sind ein hervorragender Psychotherapeut. Jedoch bekam ich nicht mehr die Chance, weiterhin mit Ihnen zu arbeiten. Also bin ich wieder auf der Suche...

    Barbara B. (Suchttherapeutin):

    Sie tauchten auf zu einer Zeit, in der ich haltlos und müde war. Bis dato sprechen Sie mit mir, geben mir Gelegenheit, mich auszusprechen, während ich auf die Langzeittherapie warte.

    Ich danke Ihnen so sehr für Ihr Engagement und Ihre Zugewandtheit!

    Ihr alle habt meinen Respekt und meinen endlosen, tief empfundenen Dank.

    Ohne Euch wäre dieses Buch nie geschrieben worden.

    - 01. Januar 2015 -

    Der Versuch einer Einführung

    Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen..."

    Antoine de Saint Exupéry

    Es ist ein grauer, verregneter Nachmittag. Kalt und ungemütlich.

    Luna startet ihren PC. Das dauert eine längere Zeit, während dieser sie sich einen dreifachen Cognac eingießt und in einem Zug herunter kippt. Mit den Fingern trommelt sie ungeduldig auf den Schreibtisch. Sie fühlt eine extreme Unruhe in sich, ein Unwohlsein, das sie so nicht kennt.

    Mit der Maus wandert sie die Favoriten-Leiste entlang, bis sie den Doppelklick auf das Angstforum macht. Sie loggt sich ein mit einem Nick, den sie für sich selbst sehr lieb gewonnen hat. Gestern hat sie sich noch ein zweites E-Mail-Account eingerichtet. Nur vorsichtshalber. Um chatten zu können. Sie hat Giorgio allerdings gesagt, dass sie nicht chattet, kein Verlangen danach hat. Sie findet es unnötig und unbefriedigend. Trotzdem, nur zur Sicherheit, hat sie dieses Konto aktiviert. Es ist unmöglich, dass auf diesem Account Mails für sie angekommen sind, denn keiner kennt diese Adresse bisher. Aber sie möchte es sich trotzdem ansehen. Ein wenig angstvoll erwartet sie die Frage nach dem von ihren gewählten Benutzernamen und gibt ihn dann schnell ein:

    Sorella di Luna. Schwester des Mondes.

    Dieser Name geht weit zurück, als Luna 13 Jahre alt war. Sie hat die Platten der Gruppe Supertramp rauf und runter gehört. Sie hat viele Lieblingslieder, eines davon ist „Sister Moonshine. Giorgio machte daraus „Sorella di Luna.

    Luna ist in Gedanken bei Giorgio, der das wohl mehr als eine weitere Möglichkeit der Kommunikation vorgeschlagen hatte, ohne Verpflichtung zur Benutzung, nur als Angebot. Und sie ahnt die Tragweite nicht, weiß noch lange nicht, was in ihr tief verschüttet ist, wohin sie dieser Name, den sie gewählt hat, führt: Sorella di Luna.

    Luna schreibt:

    Ich habe ihn verachtet. In den Tiefen meiner Seele. Er passte nicht im Entferntesten zu den ethischen Maximen meines Empfindens. Ich habe es genossen, missbraucht zu werden, habe das Dunkle, die Zweifel, das Schlechte genossen. Habe es genossen schlecht zu sein, wenn ich ihn im Schlechten unterstützt habe. Habe die Brutalität, das Falsche, die Gewalt genossen. Habe sie gebraucht. Er war Aidan, er kam aus Irland.

    Daraus habe ich Empfindungen gezogen, Inspiration, SEIN!

    Weißt Du jetzt, warum ich Schuldgefühle habe? Ich bin nicht besser als er. Habe alles missachtet, was ich mir selber aufgezwungen habe, was ich immer für richtig und wertvoll hielt. Ich habe MICH SELBER verraten.

    Weißt Du jetzt, warum ich schuldig bin? Weißt Du es JETZT?"

    Giorgio antwortet:

    Nein, ich weiß überhaupt nichts von Dir, ich habe überhaupt nichts von Dir erfahren! Was Du mir da sagst, ist doch gequirlte Scheiße! Entschuldige den harten Ausdruck, aber der ist hier wirklich angemessen...

    Du erzählst mir nur von der Oberfläche weg, von dem was Dir von Deinen Missbrauchern als Deine eigene Mitschuld suggeriert wurde, was Du Dir dann postwendend als Deine Bestrafung auferlegt hast!

    Rede bitte weiter, aber erzähle jetzt wirklich von Dir!"

    Luna sagt:

    Die Erniedrigungen waren für mich eine Entschuldigung mir selbst gegenüber. Dafür, dass ich machtlos war, hilflos, ohnmächtig. Sie waren ein Grund, bei mir selber damit hausieren zu gehen, mir selber Mitleid zu schenken, wenn es sonst niemand tat, da ja auch niemand davon wusste. Es war die Angst, nicht mehr geliebt zu werden, wenn ich nicht mehr erniedrigt würde. So wie es heute die Angst vor einem gesunden Leben ist, die mich denken lässt, ich würde dann nicht mehr geliebt, nicht mehr akzeptiert. Ich kann nicht beschreiben, was das Gefühl, erniedrigt zu werden, mit einem macht, und es dann trotzdem anzunehmen, weil man glaubt, es muss so sein. Weil man glaubt, es ist gerecht und richtig so. Und weil man glaubt, es geht eben nicht anders..."

    Giorgio antwortet:

    Kann man nicht einfach sagen, Du warst einsam, alleine und mit dem Rücken zur Wand? Du wolltest geliebt werden, um jeden Preis und sei er noch so hoch..."

    Luna sagt:

    Ich habe oben gesagt, ich hätte diese Erniedrigungen genossen, hätte es so gewollt. Ich war immer in einer Art banger Hoffnung, Aidan würde mir die Entscheidung über Leben und Tod abnehmen. Weil ich selbst eigentlich immer zu feige war. Bis auf den einen Suizidversuch ist es immer nur beim Reden geblieben. Ein Sterbensangebot hätte ich gerne entgegen genommen. Ich habe es bei Aidan oft provoziert und auch die Gefahr, so wie auch oft in der Altstadt, wenn ich dort unterwegs war. Immer hoffend, man nähme mir die Entscheidung ab."

    Giorgio antwortet:

    Du hast damals wieder einmal Dein Leben jemand anderem in die Hände gegeben, obwohl Du eigentlich viel besser, als alle andere damals, für Dich hättest sorgen können. Aber Du hattest einfach nicht mehr alleine die Kraft dazu und die Sicherheit Deines Elternhauses, die Dir so viel bedeutet hat, war Dir schon mit dem ersten Missbrauch verloren gegangen.

    Du hast versucht mit Deiner Liebe zu Aidan einen Ersatz zu schaffen und er hat dann Deine Liebe erbarmungslos missbraucht.

    Hast Du damals gedacht, er würde Dich wenigstens in dem kurzen Moment lieben, wenn er Sex mit Dir gemacht hat, konntest Du Positives daraus gewinnen?"

    Luna antwortet:

    Sex war für mich von Anfang an auch mit Aidan einfach nur widerwärtig. Aber anfangs habe ich mich nicht so sehr gewehrt, weil ich dachte, es müsse eben so sein, ich war ja völlig unerfahren darin. Später war ich einfach immer nur wieder „die Leiche, so wie damals, zehn Jahre früher. Habe es mit mir machen lassen, habe mich nicht bewegt. Und habe dabei gehofft, es geht vorbei. Gehofft, es geht schnell vorbei... Ja, eine Strafe war es von Anfang an. Jedes Mal, wenn ein Penis in mich eindringt kommt es mir vor, als würde ich mit einem Messer aufgeschlitzt und in der Körpermitte gespalten. Wenn jemand meine Brüste berührt muss ich denjenigen von mir wegdrücken, weg stoßen, manchmal ist mir sogar schon dabei die Hand ausgerutscht...

    Giorgio antwortet:

    Das unklare Erleben des Unangemessenen lässt in Dir Scham und Ekel aufkommen, das ist durch Deine Vorgeschichte bedingt. Aber nicht Du musst Dich schämen, sondern zwei andere...

    Hast Du damals nicht daran gedacht, Dich Deinen Eltern anzuvertrauen?"

    Luna antwortet:

    Nein, nach Hause gehen konnte ich nicht. Es wäre gegen meinen Trotz gewesen. Den Triumph hätte ich meinen Eltern niemals gegönnt. Ich hätte und habe es bis zum bitteren Ende durchgezogen. Und wenn er mich zehnmal am Tag vergewaltigt hätte !!!"

    Giorgio insistiert:

    Noch einmal: Kann man nicht einfach sagen, Du warst einsam, alleine und mit dem Rücken zur Wand? Hat Aidan Dir nicht auch noch dauernd Deine Schuld eingeredet, um Dich zu drücken?"

    Luna antwortet:

    Ja, das stimmt, er war gut im Schuld einreden. Er hat immer etwas gefunden, um mich zu überreden, mich von meiner Schuld zu überzeugen.

    Und er hat es immer wieder geschafft. Ich kam aus einer guten Familie, habe eine gute Erziehung genossen, wusste, was richtig und was falsch war. Und trotzdem war das alles möglich?

    Ich habe die Drogenszene kennen gelernt, habe gesoffen, mich geschlagen, war kurz davor, nicht mehr leben zu wollen. Welcher Schutzengel hat mich davor bewahrt? Und warum? Warum???

    Ich habe viele Menschen kennen gelernt, zwei davon sind an Drogen gestorben. Ich war da!!! Habe es gesehen, mit ihnen gelitten und konnte keinem von Beiden helfen.

    Und einer der Bösen, Aidan, lebt und hat sogar auch noch Kinder. Ich wünschte mir, er wäre tot, anstatt dieser zwei lieben Menschen..."

    Giorgio antwortet:

    Du warst da, aber Du warst leider nicht Du! Aidan hat das in keiner Form mehr zugelassen und Du warst nicht in der Lage Dich davon zu befreien!

    Es geht doch heute im Kern nur darum, Dich wieder zu DIR zurückzuführen, Dir das Gefühl für Dich selbst wieder zurück zu geben!

    Jeder von uns hat seinen Schutzengel, es liegt an uns ihn zu spüren, ihn gewähren zu lassen!

    Aidan hat eine große Schuld auf sich geladen, nehme jetzt nicht einfach seine Schuld auf Deine Schultern, sondern lasse ihn seine Schuld alleine tragen, lasse es seine gerechte Strafe bleiben!"

    Lunas Drang, zu helfen und zu lieben war immer stark, oft mächtiger, als sie selbst. Er war früher über lange Jahre übermenschlich groß. Ein tiefer, oft peinigender innerer Druck, der immer wieder erfüllt, befriedigt werden musste, sonst hätte Luna ihm irgendwann nicht mehr standhalten können. Ihre Kindheit bestand aus der Adaption von Heldentum, Unverletzlichkeit, Unerreichbarkeit. Nur so konnte sie alles, aber auch alles für andere geben und sich selbst dabei vergessen. Es ist eine naive Ansicht der Dinge, die, das weiß sie, auch heute noch in ihr steckt, allerdings dort völlig abgeschottet ist. Sie weiß nicht, ob sie es jemals wiederfinden kann, jemals wiederfinden WILL! Und Lunas Gedanken wandern weiter zurück, zurück zu der Zeit, als ihr die Sicherheit ihres Elternhauses, die Geborgenheit, die sie daraus schöpfte, für immer genommen wurde, genommen durch ihren eigenen Bruder, er hat sie seiner Schwester genommen, der gewählte Name Sorella (Schwester) kommt jetzt wieder bitter in Lunas Bewusstsein.

    Luna war damals erst neun Jahre alt und sexuell noch völlig naiv und unaufgeklärt. Es war an einem späten Nachmittag im Herbst, kurz nachdem die Eltern weggegangen waren. Wohin, weiß Luna heute nicht mehr. Damals war es, dass ihr Bruder auf die Idee kam, den Krimi nach zuspielen, den sie neulich abends, zusammen mit den Eltern, angeschaut hatten. Den, in dem Luna jetzt eine nackte Leiche spielen muss. Eine Matratze vom Bett wurde auf den Boden gelegt. Deren Kühle und das Kratzen des Reißverschlusses hat Luna auch später immer wieder an sich spüren müssen. Sie weiß noch, dass sie versucht hat, sich nicht zu bewegen. Zum einen, weil sie eine Leiche war, zum anderen, weil all das etwas mit ihr machte, was sie in keiner Form einordnen konnte. Die unterdrückten Stöhngeräusche sind auch heute noch für Luna eine einzige akustische Qual.

    Auch erinnert sie sich noch an eine Fahrt in den Urlaub mit den Eltern. Sie hat während dieser Fahrten schon immer auf der Rückbank liegend geschlafen, den Kopf im Schoß ihres Bruders. Nur in diesem Jahr wurde es anders. Jetzt griff er unter ihr T-Shirt, fasste sie dort an und drückt ihr seinen Daumen in den Mund. Damals fühlte Luna, dass auch ihre Eltern sie nicht davor schützen könnten, dass sie schutzlos ist, auf sich alleine gestellt.

    Also bleibt die Schuld. Ihrem Bruder gegenüber, ihren Eltern gegenüber. Und vor allem: sich selbst gegenüber. Denn sie hat all das mit sich machen lassen. Hat ihn gewähren lassen, vier Jahre lang. Sie war mit dabei, hat mitgespielt, hat sich hingegeben für ihn. Um ihre Liebe zu ihm zu erhalten. Ihre bedingungslose Liebe. Ihre Zuwendung, ihren Glauben.

    So viele Geschichten, so viele Episoden, so viele unerkannte Gefühle, die Luna heimsuchen. Hoffentlich werden einige sie verstehen, um zu erkennen, worum es wirklich geht, was im Leben wichtig ist, was richtig ist und was falsch ist.

    „Lieber Gott, mein Babaji, hilf mir dabei!" sagt Luna vor sich hin. Und sie betet, was sie sehr selten tut…

    Giorgio bittet den Leser:

    … achte nicht auf die erklärenden Ausführungen des Autors, lausche vielmehr dem leisen, sehnsüchtigen Rufen der Protagonisten, die durch das dunkle Dickicht ihres Geschickes irren."

    D.H. Lawrence

    Prolog

    Der Kampf zwischen Herz und Verstand hält ewig an, doch beide wollen nur schützen was man liebt. Das Herz tut das unmittelbar, ohne zu fragen, es braucht keine Argumente. Der Verstand hingegen, sucht den vermeintlich besten Weg."

    Dennis Bardutzky

    Tagebuch von Luna: Mittwoch, 16. Januar 2008

    Da fällt mir noch ein...Giorgio hat sich wohl gefragt, warum ich so offen ihm gegenüber bin? Das ist eine Frage, die kann ich auch nicht so einfach beant-worten. Ich denke es ist so, wenn ich für jemanden ein Gefühl entwickle, wenn Worte mich berühren, da, wo sie es sollen, wenn mir mein Instinkt, mein Bauchgefühl sagt: schreib einfach, du kannst nichts falsch machen. Wenn ich bei allem, was ich in diese Person hinein empathiere ein gutes und behütetes Gefühl habe, dann hoffe ich, dass ich richtig handle..."

    Herbst 1979

    „Mein lieber Bruder, ich habe eine Frage an Dich:

    Weißt Du, was Du mir angetan hast? Weißt Du, dass meine Augen seitdem nervös zucken, dass ich dauernd Magenschmerzen habe?

    Weißt Du warum ich mir meine schönen langen Haare abschneiden ließ?

    Nein, Du weißt es nicht!

    Denn ich kann es in Deinen Augen nicht sehen. Kann es nicht fühlen in Dir. Ich habe Dir völlig vertraut, habe Dich geschützt, habe immer wieder Dinge für Dich hingenommen. Ich habe Dich behütet, nicht Du mich, wie es sich für einen älteren Bruder gehört. Was machst Du mit mir? Ich kenne das nicht, es verunsichert mich, aber ich lasse es zu, weil ich Dir doch vertraue! Du wirst mir niemals etwas Böses antun wollen, das ist mein fester Glaube. Du bist mir so nah, doch jetzt gerade viel zu nah. Ich schließe am besten meine Augen, damit ich Dir nicht ins Gesicht sehen muss. Es wird alles so richtig sein, denn ich vertraue Dir!

    Ich bin jetzt zwar schon in der dritten Klasse, aber ich kenne das nicht, was Du mit mir machst. Auch Du bist doch für mich auch noch wie ein Kind, obwohl Du schon in der siebten Klasse bist! Und ich glaube, ich soll, nein, ich darf es niemandem erzählen, denn es fühlt sich falsch an. Du bist doch mein Bruder! Du wohnst doch unter einem Dach mit uns allen!

    Ich kann Dir doch vertrauen? Ja, ich kann Dir vertrauen. Trotzdem wäre ich viel lieber ein Junge... Warum sind Mama und Papa nie da, nie in der Nähe, wenn es geschieht? Niemand ist in der Nähe, der mir helfen könnte. Aber ich lasse es zu, denn ich vertraue Dir so sehr...über vier lange Jahre..."

    Acht Jahre später schreibt Luna in ihr Tagebuch:

    Aidan, ich wollte nicht, dass

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