Zwischen Unabhängigkeit und Ordnungsfunktion: Spannungsfelder schulischer Beratung
By Jürgen Mietz
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Im zweiten Teil geht es um die Geschichte der Hamburger "Schülerkontrolle", Vorläuferin der Schülerhilfe und der ihr folgenden Beratungsorganisationen. Ursprünglich hatte ich nicht geplant, dazu einen eigenen Aufsatz zu schreiben. Das Material im Hamburger Staatsarchiv und in der Parlamentsdatenbank der hamburgischen Bürgerschaft ist jedoch so interessant, dass es mir angemessen erschien, es in einem eigenen Aufsatz zusammenzustellen.
Beide Teile stehen im Kontext der Zukunft schulbezogener Beratung. Professionelle Beratung kann ein anspruchsvolles Instrument für die Entwicklung von Persönlichkeit und Organisationen sein. Allerdings besteht die Gefahr, dass Beratung überwiegend einem Steuerungsinteresse folgt. Das wirft Fragen nach Würde und Wert des Subjekts auf, ebenso wie nach Demokratie und Teilhabe.
Jürgen Mietz
Der Autor arbeitete bis 2014 als Schulpsychologe und Supervisor. Fragen der Ethik, der Einfluss von Strukturen, auch solchen der Macht, haben ihn viele Jahr beschäftigt.
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Zwischen Unabhängigkeit und Ordnungsfunktion - Jürgen Mietz
1 Spannungsfelder der Beratung
Beratung in der Schule ist umstritten. Wer macht sie? Welchem Zweck dient sie? Wem nutzt sie? Wem gehört „die Beratung (die es in so eindeutiger Bestimmung nicht gibt)? Wer verfügt über sie? Hintergründe für Meinungsverschiedenheiten und Streit sind vielfältig. Beratung ist ein „weites Feld
. In Zeiten der Unübersichtlichkeit, der Probleme und Herausforderungen, lauert sie überall. Beratung ist eine Boombranche. Sie vermittelt uns den Eindruck, wir seien nicht allein mit unseren kleinen und großen Sorgen der Lebensbewältigung. Wir werden betreut. Und die Berater/innen tun per se Gutes, ist in der Regel ihre Überzeugung. In zahlreichen Berufen gehören basics der Beratung zur Grundqualifikation. Man könnte sagen: Beraten ist eine Allerweltstätigkeit und -fähigkeit. Was gibt es da zu diskutieren?
In Bezug auf Schule kann sie unterschiedliche Funktionen annehmen. Beratung kann heißen, Informationen weiterzugeben, die mehr oder weniger neutral sind und mir eine selbstständige Entscheidung erleichtern. „Beraten kann heißen, jemandem zu sagen, was er besser tun oder lassen sollte, wenn er oder sie „vernünftig
sein und die „wirklichen Verhältnisse berücksichtigen wolle. Man kann es von „gleich zu gleich
sagen, oder „von oben herab". Beratung soll mich frei(er) machen – aber wie kann sie das, wenn der Ratgeber eine Person ist oder eine Institution, der ich mehr oder weniger ausgeliefert bin, wenn ich keine praktische Alternative zu ihnen habe? Beratung umfasst also ein weites Spektrum und
die unterschiedlichsten Bedingungen, unter denen sie stattfindet. Bei all dem soll sie Vertrauenssache sein.
Welche Folgen hätte es, wenn ich meine geheimen Wünsche, Ängste etc. gegenüber einem Lehrer offenlege, oder wenn die Lehrerin in einer Beratungsstelle gegenüber einem pädagogischen, sozialpädagogischen oder psychologischen Berater ihre Sorgen mit Kollegen, oder Schülern offenlegt? Könnte sie sicher sein, dass ihre Worte geschützt sind? Müsste sie befürchten, dass der Berater in eine bestimmte Richtung berät, weil er in seiner Dienststelle nicht unabhängig ist, sondern er von der Behörde, der auch sie angehört, für Steuerungsaufgaben eingesetzt wird? Eine Fülle von Fragen und Zweifeln, die im Umfeld schulischer Beratung auftauchen. Und das sind noch nicht alle. So viel aber ist sicher: Beratung ist Vertrauenssache. Sobald es um mehr als informatorische Beratung und um Belehrung geht, wird sie zu einer persönlichen Angelegenheit. Will Beratung ihren Zweck erreichen, Einstellungen, Haltungen, Erkenntnis in den Blick zu nehmen, um Spielräume für Entwicklung zu gewinnen, braucht sie einen Rahmen, der Heikles, wie Unsicherheit, Scham, Schuldgefühl, zulässt.
Schulbezogene Beratung wird häufig von Schulpsychologe/Inn/en betrieben, und überwiegend in schulpsychologischen Diensten oder schulpsychologischen Beratungsstellen. Wir haben aber auch den Fall, dass in Beratungsstellen Menschen unterschiedlicher beruflicher Herkunft arbeiten, zum Beispiel Lehrerinnen, Sozialpädagoginnen, Psychologinnen. Hat jede Berufsgruppe ähnliche Vorstellungen von Beratung, von ihren Inhalten, von dem, was zu einem Beratungsprozess gehört? Zweifel sind angebracht, denn es ist möglich, dass über das, was in einer Beratung und in einer Institution geschieht, unterschiedliche Auffassungen bestehen – und sie miteinander konkurrieren. Für die einen ergeben sich Ziel, Zweck und Inhalt der Beratung aus dem Grundberuf Lehramt heraus. Für die anderen ist das problematisch; sie sehen Beratung als voraussetzungsreichen Prozess, der sich nicht unreflektiert aus einem (administrativ verstrickten) Beruf ergeben sollte. Beratung halten sie für ein eigenes Fachgebiet, genannt professionelle Beratung, erworben in speziellen Weiterbildungen.
Für Verwaltungen und Politik ist es leider gelegentlich „nützlich, wenn sie weder einen Unterschied zwischen den Berufsgruppen noch zwischen den Spezifika der Beratung machen müssen. So ist es ihnen möglich, Stellen zu besetzen, ohne Differenzierungen berücksichtigen zu müssen. Die Rationalität der Verwaltungsvereinfachung und Kostenminderung kann also die Rationalität der ansonsten gern in Anspruch genommenen Multiprofessionalität schlagen. Das Lob der Multiprofessionalität kann schnell in eine Forderung zu ihrer Auflösung umschlagen. In Bremen und Hamburg konnte es geschehen, dass alle Beschäftigten ihre Grundberufe „vergessen
und sich nur als „Berater/innen" verstehen und vorstellen sollten. Das scheiterte allerdings.
Es zeigt sich in solchem Geschehen eine Tendenz zur Deprofessionalisierung, die von vielen, auch Beschäftigten, mitgetragen wird. Grundprinzipien der Beratung[Fußnote 1] machen Menschen das Leben schwer, die eine im administrativen Sinne funktionale Behörde und Organisation wünschen. Leitungskräfte, auch solche einer Beratungsorganisation, können sich von einer „Diktatur der Beratungsfachlichkeit, die als „Pingeligkeit
der Berater empfunden wird, eingeschränkt fühlen. Sie sehen sich in der Regel der funktionalen Steuerung verpflichtet, wie sie ihnen von ihren Leitungen abverlangt werden und wie sie sie am eigenen Leib erleben.
Die Funktion von Beratung
Welchen Sinn und welche Funktion kann und soll Beratung haben? Sie kann der Selbstbestimmung, der Klärung des eigenen Weges dienen und damit befreiende Wirkung haben. Tests, biografische Analyse u.a.m. können für die Abklärung und Meinungsbildung genutzt werden.
Beratung kann mit diesem Instrumentenkoffer aber auch als Mittel der Steuerung eingesetzt werden. Die Ziele, Werte, Methoden Aufgabenzuweisungen der „Besteller und Finanzierer gelten darin als im Kern vernünftig und unhintergehbar. Es geht darum, „Abweichler
, Gehandicapte, Gescheiterte oder vom Scheitern bedrohte Menschen mit Feingefühl in vorgegebene Muster (Fördermodule) „hineinzuprozessieren (siehe weiter unten), damit sie geordnet ihren Bildungsweg zu gehen vermögen. Pädagogische oder psychologische Tests können dabei die Rolle der Lenkung und Legitimation von Entscheidungen übernehmen. Ebenso kann es der Analyse von Biografien, Lern- und Entwicklungsverläufen ergehen, die der subjektiven Bedeutungsklärung dienen und den Einzelnen in seinem „intimen Innenraum
ansprechen. Was für ein (Selbst-) Verstehen der Person und zur Stärkung ihrer Selbstbestimmung geöffnet wird, kann ihr zum Zwecke der optimierten Steuerung enteignet werden.
Die subjektorientierte Beratung fragt, was die aktuellen Schwierigkeiten mit den Lebenserfahrungen und den daraus gebildeten Bedeutungszuschreibungen des Subjekts zu tun haben. Welche Erfahrungen, Nöte, Verluste, Brüche und Notwendigkeiten stehen hinter einer „Lernstörung oder einer Unfähigkeit, „Konsequenz
zu praktizieren oder Nähe und Abstand zu regulieren?
Solche