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Locker bleiben: Die besten Jahre
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eBook198 Seiten2 Stunden

Locker bleiben: Die besten Jahre

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Über dieses E-Book

"Immer locker bleiben" ist die Devise einer Generation, die sich weder von religiösen oder moralischen Vorstellungen einengen noch von ihren Gefühlen überwältigen lassen will. Danach leben auch die vier Hauptpersonen in diesem Roman: die Ärztin Charly, die Krankenschwester Anne, der Produktmanager Krischa, der Lehrer Thomas. Man kann sie als Freunde bezeichnen. Sie sehen es jedenfalls so. Sie sind keine Helden, aber auch keine gescheiterten Existenzen. Sie pendeln irgendwo dazwischen. Sie sind beruflich etabliert, mehr oder weniger erfolgreich, auch altersmäßig befinden sie sich in der Mitte: Am Anfang des Romans sind sie um die dreißig, am Ende um die vierzig. Sie suchen ihre Rolle im Leben und wissen, dass sie nicht mehr die freie Wahl haben, weil ihre Alternativen von Jahr zu Jahr weniger werden. Das gilt auch für ihre Partnerschaften, die zwar offener sind für Veränderungen als die beruflichen Möglichkeiten, aber auch auf Endgültigkeit abzielen. Sie haben ihre Leidenschaften, aber auch Verantwortungsgefühl. Trotzdem kann man sich nicht ganz und gar auf sie verlassen, weil sie ein wenig orientierungslos sind. Wenn sie auch nicht unbedingt erklärte Atheisten sind, spielt Religion in ihrem Leben doch keine Rolle. So etwas wie ein säkularisiertes Christentum ist ihre Richtlinie, nach der Devise: Tue keinem etwas Böses, wenn es sich vermeiden lässt.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum21. Sept. 2014
ISBN9783847612612
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    Buchvorschau

    Locker bleiben - Edmund Linden

    1 Zwei Männer, zwei Frauen

    Die Vier saßen beim Griechen in der von Krischa bevorzugten Anordnung: Er am Kopf des Tisches mit Blick auf das ganze Lokal, rechts von ihm seine Freundin Charlotte, genannt Charly, links von ihm Charlys Freundin Anne und ihm gegenüber Thomas, sein Freund seit der Schulzeit:

    Krischa, 33, sportlich, blond, sonnenstudiogebräunt, Produktmanager in einer Firma für Elektrohaushaltsgeräte und schon nach wenigen Jahren zum Abteilungsleiter befördert; Charly, 27, blonder Strubbelkopf, klein, quirlig, mit flottem Mundwerk, Ärztin am örtlichen Krankenhaus; Anne, 25, lange, braune Haare, ruhig, etwas rundlicher als ihre Freundin, Krankenschwester; Thomas, 32, dunkelhaarig, Lehrer für Deutsch und Geschichte am Gymnasium.

    Krischa hatte gern alles unter Kontrolle, und so, wie er saß, konnte er jederzeit die notwendigen Maßnahmen ergreifen, auch wenn es nur darum ging, die Kellnerin herbeizuwinken. Ihm war zuwider, wenn die entscheidenden Dinge hinter seinem Rücken geschahen. Die drei anderen hatten sich daran gewöhnt, ungefragt Krischas Wunsch entgegenzukommen. Ihnen war egal, wo und wie sie saßen. Sie ließen Krischa machen.

    Für einen außen stehenden Betrachter der Gruppe war klar, wer zu wem gehörte: Die beiden Blonden, die munter plauderten und so oft von ihren Tellern aufsahen, dass sie kaum mit dem Essen weiterkamen, waren das eine Pärchen, die beiden stillen Dunkelhaarigen, deren Blicke meist nach unten gingen, das andere. In Wirklichkeit war es eher so, dass Krischa Zugriff auf beide Frauen hatte, die ihn einrahmten, während Thomas sich diese Machtdemonstration ebenso wie die beiden Frauen rechts und links nur ansehen durfte, wenn er denn mal seinen Kopf vom Teller hob.

    Krischa führte wieder das Wort: „Salt Lake City, einfach unglaublich!"

    Thomas, der solche dramatisierenden Redeeinleitungen von Krischa kannte, tat ihm nicht den Gefallen nachzufragen. Den tat ihm Charly:

    „Was ist denn da so unglaublich?"

    Krischa war erleichtert. Er legte Wert auf Resonanz.

    „Ich habe noch nie eine Großstadt gesehen, die sauberer ist als Salt Lake City. Da kommen noch nicht einmal Zürich und Singapur mit."

    Alle schwiegen. Krischa musste noch etwas draufsetzen:

    „Und das trotz der Möwen!"

    „Möwen? Thomas schaute von seinem Teller auf. „Wieso sind da Möwen? Salt Lake City liegt doch mitten in den Bergen.

    Das war doch mal eine richtige Reaktion, stellte Krischa befriedigt fest.

    „Ich hasse Möwen, mischte sich Anne ein, „dieses laute Geschrei, und dann fliegen sie einem um den Kopf herum, dass man immer an Hitchcock denken muss.

    „Ich finde sie gut, widersprach Charly. „Die sind mutig, die picken einem nicht nur das Essen vom Teller, die versuchen sogar einem das Brot zu entreißen, das man in der Hand hält.

    Krischa schmunzelte zufrieden.

    „Die Möwen sind sogar so etwas wie die heiligen Tiere der Mormonen. Mitten in der Stadt haben sie ein Riesendenkmal zu Ehren der Möwen gebaut."

    „Für diese gefräßigen Biester?", fragte Anne angewidert.

    „Genau deshalb, weil sie so gefräßig sind, trumpfte Krischa auf. „Als die Mormonen sich nämlich dort in dem Tal, wo jetzt Salt Lake City liegt, niedergelassen hatten, gab es eine Heuschreckenplage, die die ganze Ernte bedroht hat. Und dann kamen die gefräßigen Möwen und fraßen das Viehzeug.

    „Was ich schon immer mal wissen wollte: Warum heißen die eigentlich Mormonen?", fragte Charly.

    „Weil sie an das Buch Mormon glauben."

    „Und was steht da drin?"

    „Da steht drin, wie Juden nach Amerika gekommen sind und das Land kultiviert haben."

    „Wann?", mischte sich Thomas ein.

    „Vor Christi Geburt."

    „He?, entfuhr es Thomas. „Vor der Entdeckung Amerikas? Und die Indianer?

    „Das sind die vom Glauben abgefallenen Juden. Deshalb sind sie mit dunkler Haut gestraft worden."

    „Und daran glauben die Mormonen?, wollte Charly nun ernsthaft wissen. „Sind die bescheuert?

    Thomas räusperte sich: „Über Glaubensfragen sollte man nicht so rational urteilen; sonst kommt man in Teufels Küche."

    Er wurde ein bisschen verlegen, weil er sich schon, während er den Satz sprach, bewusst wurde, dass der Satz lehrerhaft klang.

    „Wie meinst du das denn?", empörte sich Charly.

    Krischa schaltete sich ein: „Fang nicht an, mit Thomas über Religion zu diskutieren. Das nimmt kein gutes Ende."

    „Nein, ich will das jetzt wissen, beharrte Charly. „Also, wie hast du das gemeint?

    Thomas zögerte ein wenig, dann reizte es ihn doch allzu sehr, Charly ins Gesicht zu schauen und sie zu fragen: „Wie findest du denn beispielsweise die Lehre, dass Christus von einer Jungfrau geboren wurde?"

    Charly schaute verblüfft: „Ja, du hast Recht; darüber habe ich noch nie nachgedacht."

    „Entschuldige!", sagte Thomas.

    „Ich hab´s ja gesagt, schaltete sich Krischa wieder ein: „Fang nicht damit an!

    „Ich finde es aber gut, wenn jemand über solche Dinge nachdenkt und sich eine Meinung bildet", widersprach Charly.

    „Der raubt dir deinen Kinderglauben", warnte Krischa.

    Anne wollte die Situation retten: „Und wie ist das mit der Vielweiberei bei den Mormonen?"

    „Die ist abgeschafft", antwortete Krischa erleichtert darüber, dass das Thema Religion vom Tisch war.

    „Aus Einsicht?", frotzelte Thomas.

    „Nein, das war die Voraussetzung für die Aufnahme von Utah in die Vereinigten Staaten."

    „Dann hättest du ja gar nicht hinfahren müssen", stichelte Charly, die sich immer noch mit der Frage beschäftigte, wie eine Jungfrau zu einem Kind kam.

    „Du genügst mir vollkommen", sagte Krischa charmant und küsste Charly die Hand.

    Das ging nun Thomas doch zu glatt. Er hatte Lust, seinen Freund ein wenig zu provozieren:

    „Und was hat man in Salt Lake City beschlossen?, fragte er. „Wird das Werk hier dichtgemacht?

    Die Frage kam Krischa recht. Wenn es um Wirtschaftspolitik ging, fühlte er sich Thomas überlegen.

    „Wir verlagern die Kühlschrankproduktion nach Rumänien, formulierte er ganz bewusst, indem er die Entscheidung seiner Firma zu seiner eigenen machte. „Wir sind ein Global Player.

    „Und hier gibt es dann Local Losers", entgegnete Thomas.

    „Mein Onkel Willi sagt, dass er wahrscheinlich seinen Arbeitsplatz verlieren wird, wenn ihr die Produktion verlagert", gab Anne zu bedenken.

    Besser konnte die Diskussion nicht laufen, fand Krischa. Hier konnte er sich profilieren:

    „Es geht ja zunächst nur um die Kühlschrankproduktion, sagte er beruhigend. „Die E-Herd-Produktion bleibt weiterhin hier, und dann auch die Entwicklungsabteilung, die Reparaturabteilung und der Vertrieb.

    „Bis die E-Herd-Produktion nach Polen oder in die Slowakei verlagert wird", ergänzte Thomas.

    Krischa ging gleich zum Gegenangriff über:

    „Wenn du die Wahl hast zwischen einem Kühlschrank für 400 Euro und einem gleich guten für 200 Euro, welchen würdest du kaufen?"

    Thomas flüchtete in Sarkasmus: „Ich kaufe immer den, der mit Hungerlöhnen gebaut wurde und Arbeitsplätze vernichtet."

    „Also erstens, dozierte nun Krischa, „wir zahlen keine Hungerlöhne, sondern recht hohe Löhne für rumänische Verhältnisse. Zweitens vernichten wir nicht einfach Arbeitsplätze, sondern schaffen welche in Rumänien, und dort ist die Arbeitslosigkeit höher als hier. Und drittens leben wir wirtschaftlich gesehen nicht mehr in Deutschland, sondern in der EU, und da werden Arbeitsplätze da geschaffen, wo es sich lohnt. Oder glaubst du, wir könnten Kühlschränke im Osten verkaufen, die hier hergestellt werden?

    Thomas hätte viel auf diese neoliberale Argumentation erwidern können; aber er wollte sich und den anderen den Abend nicht mit einer langen Diskussion verderben. Außerdem war er sich nicht ganz sicher, ob er mit seinen Bedenken überhaupt Recht hatte. Andererseits war er zu eitel, um eine Niederlage einzugestehen.

    „Und viertens", ergänzte er deshalb Krischas Argumente, „geht mich das gar nichts an, weil ich Beamter bin und mein Gehalt so sicher kommt wie das Amen in der Kirche.

    „Du sagst es, triumphierte Krischa, „du linke Socke.

    „Immer locker bleiben!", bat Charly.

    Thomas hatte mit Krischa dieselbe Klasse besucht und mit ihm zusammen Abitur gemacht. Danach hatten sich ihre Wege vorübergehend getrennt: Krischa hatte in München BWL studiert, Thomas in Tübingen seine beiden Unterrichtsfächer. Die Studienplatzwahl war typisch für beide: Krischa wollte in die fesche Metropole, Thomas bevorzugte die kleine Stadt, die für Geisteswissenschaften stand.

    Dass die beiden trotz ihrer gegensätzlichen Charaktere Freunde geblieben waren, lag daran, dass jeder den anderen zur Kompensation der eigenen Defizite brauchte. Obwohl Krischa in jeder Hinsicht erfolgreich war, fühlte er sich Thomas gegenüber minderbemittelt. Er war im Gegensatz zu Thomas ein mittelmäßiger Schüler gewesen und ein mittelmäßiger Student. Er hatte immer das Gefühl gehabt, dass Thomas Dinge durch den Kopf gingen, von denen er nichts verstand. Was es war, konnte er sich nicht vorstellen, um so fester war aber seine Überzeugung, dass ihm Wesentliches entging. Für ihn war Thomas ein Genie, und er sagte es ihm immer wieder, einerseits weil er davon überzeugt war, andererseits weil er ihn provozieren wollte. Er hoffte, auf diese Art vielleicht doch eines Tages eine Ahnung von dem zu bekommen, was ein Genie dachte, vielleicht wollte er aber auch nur sein Existenzrecht gegenüber einem Genie behaupten.

    Thomas dagegen wäre nie in den Sinn gekommen, dass er über geheimes Wissen verfügte. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass andere Menschen die Dinge, die ihm durch den Kopf gingen, nicht auch in Betracht zogen. Wenn Thomas in der Schule Gedichte interpretierte, entdeckte er in ihnen Geheimnisse, an die sonst keiner dachte, auch die Lehrer nicht, die ihm dann vorsichtshalber eine Eins gaben, damit er gnädig mit ihnen verfuhr und sie nicht auf ihre Unzulänglichkeiten hinwies. Nach Krischas Ansicht konnte kein Mensch, der geradeaus dachte, auf solche Ideen kommen wie Thomas.

    Thomas selbst bezeichnete sich als eine mehr oder weniger gescheiterte Existenz, weil er in den Staatsdienst geflüchtet sei, um dort ahnungslosen Kindern ein paar Banalitäten beizubringen. Auch an diesem Tag hatte er, bevor er sich mit seinen Freunden zum Essen im Dionysos traf, beim Korrigieren von Oberstufenaufsätzen einigen Frust erlebt. Nicht nur, dass viele seiner Schüler die Ironie im vorgelegten Text nicht erkannt hatten, sie beherrschten kurz vor dem Abitur noch nicht einmal die Zeichensetzung und trennten eine adverbiale Bestimmung, wenn sie mal aus mehr als zwei Wörtern bestand, durch Komma vom Satz ab und vergaßen es dafür am Ende des Nebensatzes. Mit solchen Lappalien müsse er sich also herumschlagen, sagte er gerne, während das Leben an ihm vorbeilaufe. In Wirklichkeit waren solche Aussagen wie überhaupt seine ganze Selbstdarstellung Fassade. In Wirklichkeit nämlich hatte er den Beruf des Lehrers ganz bewusst gewählt, weil er Kinder und Jugendliche liebte, ihren Optimismus, ihre Lebensfreude, ihre Unbekümmertheit, und es war ihm eine Freude, ihre Neugierde zu wecken, damit ihnen noch lange diese Lebendigkeit erhalten blieb, die er bei sich vermisste.

    An Krischa bewunderte Thomas die Leichtigkeit, mit der dieser die entscheidenden Anforderungen des Lebens souverän meisterte. Dass Krischa das Dreifache verdiente, störte ihn dabei kaum. Geld interessierte Thomas nicht, solange es ausreichte. Eher schon beneidete er Krischa um seinen Schlag bei Frauen. Schon in der Schule war Krischa ein Mädchenschwarm gewesen, mit Recht, wie Thomas fand. Denn diesen Status verdankte Krischa weniger seinem Aussehen und dem Sportwagen, den ihm sein Vater, ein Zahnarzt, geschenkt hatte, obwohl diese Accessoires sicher auch eine Rolle spielten. Er verdankte ihn vor allem seinem Charme, seiner Unternehmungslust und seiner permanent guten Laune. Dabei hatte Krischa diese Situation keineswegs schamlos ausgenutzt. Er war relativ treu, wenn man seine Möglichkeiten in Betracht zog. Meist hatte er eine feste Freundin über längere Zeit; aber er brachte es nach Thomas´ Ansicht dabei fertig, die Liebe so leicht zu nehmen und seiner jeweiligen Freundin diese Leichtigkeit auch zu vermitteln, dass er sich ohne Dramatik auch wieder von ihr trennen konnte. In Wirklichkeit waren die Trennungen aber keineswegs immer so undramatisch verlaufen, wie Thomas dachte; aber nie erreichten sie die Dramatik, die bei Thomas regelmäßig das Ende kennzeichnete. Dessen Liebesbeziehungen hatten immer etwas Schweres an sich. Es ging immer um die große Liebe, und wenn er sich trennte oder die Frau mit ihm Schluss machte, gab es immer Tränen und Verbitterung. So war es auch mit seiner letzten Freundin gewesen: Zwei Jahre hatte er mit Iris zusammengelebt. Dann fühlte er sich von ihr in die Verantwortung genommen. Sie wollte ein Kind von ihm haben und ihn am liebsten auch gleich heiraten. Dabei war er sich doch gar nicht sicher, ob er mit ihr sein Leben verbringen wollte. Iris hatte eine Neigung, ihn zu erziehen. Sie machte ihm Vorschriften, wie er sich zu kleiden und wie er aufzutreten habe. Wenn es ihm schon zuwider war, seinen Schülern zu sagen, wie sie sich zu verhalten hatten, war es ihm geradezu unerträglich, selbst Opfer von Erziehung zu sein. Auch hatte ihm der Anblick ihrer Eltern zu bedenken gegeben. Ihre Mutter, eine dominante Matrone mit einem kastenförmigen Körper, an den noch ein paar schlaffe Brüste angeklebt waren, ließ ihn befürchten, auch Iris könne eines Tages so aussehen, obwohl sie gegenwärtig mit siebenundzwanzig noch eine sehr gute Figur hatte. Und als sie ihn dann austrickste und die Pille ohne sein Wissen absetzte, kam es zur Trennung mit heftigen Vorwürfen und Gewissensbissen. So sehr es ihm sonst an Entschlusskraft mangelte, war er nun entschieden, Iris nicht zu heiraten und notfalls die nächsten zwanzig Jahre Unterhalt zu zahlen für ein Kind, das er nicht gewollt hatte. Zu seiner heimlichen Freude hatte Iris aber eine Fehlgeburt,und er machte sich nicht die Mühe, Mitgefühl oder Trauer vorzutäuschen.

    Wäre es nach Thomas gegangen, wären er und Krischa niemals Freunde geworden. Schon in der Schulzeit hätten sie nebeneinander im Unterricht gesessen, ohne den Wunsch sich kennenzulernen, und spätestens während des Studiums hätten sie sich endgültig aus den Augen verloren. Aber Krischa stellte den Kontakt immer wieder her und lud Thomas ein. Die Freundschaft mit Thomas ließ sich Krischa auch nicht von seiner Mutter ausreden, die es ungern sah, dass ihr Sohn so unzertrennlich an diesem „Bauerntrampel hing. Schon in der Schulzeit spielten Krischa und Thomas regelmäßig Tennis miteinander. Meist gewann Thomas. Dabei war zwischen beiden unbestritten, dass Krischa der bessere Tennisspieler war; aber irgendwie hatte Thomas doch meist am Ende das Spiel gemacht. „Das ist doch kein Tennis, beschwerte sich dann Krischa, wenn er mit geraden und harten Schlägen Thomas in die Ecken gehetzt hatte und dann von einem krummen Passierball überrascht wurde. Offen und ehrlich, wie er war, versagte er seinem Freund aber dann doch nicht die Anerkennung: „Das unterscheidet eben ein Genie von einem normalen Menschen, der geradeaus denkt und geradeaus spielt."

    Seine Kollegen und Freunde hätten Krischa ohne Bedenken als selbstbewusst bezeichnet. So sicher, souverän und freundlich trat er auf, dass niemand auf den Gedanken gekommen wäre, er zweifle an sich selbst. Und doch saß der Stachel seit seiner Schulzeit, seit er Thomas kannte, in ihm. Verglich er sich mit Thomas, kam ihm alles, was er tat und dachte, banal vor. Deshalb brauchte er Thomas, der ihm immer wieder bestätigten sollte, dass

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