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Der Gesang der Lerche bleibt: Ein Bericht über die Kriegsjahre 1943 - 1945
Der Gesang der Lerche bleibt: Ein Bericht über die Kriegsjahre 1943 - 1945
Der Gesang der Lerche bleibt: Ein Bericht über die Kriegsjahre 1943 - 1945
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Der Gesang der Lerche bleibt: Ein Bericht über die Kriegsjahre 1943 - 1945

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About this ebook

Mit gerade sechzehn bin ich als Luftwaffenhelfer in den 2. Weltkrieg gezogen. Mit siebzehndreiviertel kam ich Anfang August 1945 aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause zurück.

In der Kriegsgefangenschaft, im Kriegsgefangenenlager Wickrathberg am Niederrhein, habe ich mir hinter dem Stacheldraht das Versprechen abgenommen, eines Tages, sollte ich jemals nach Hause kommen, meine Erlebnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Dieser Bericht bietet einen chronologisch gestalteten Blick auf meine Kriegszeit. Ich habe darin vor allem Vorgänge beschrieben, die zu meinen Schlüsselerlebnissen gehören.
LanguageDeutsch
Publisherepubli
Release dateNov 27, 2014
ISBN9783737519755
Der Gesang der Lerche bleibt: Ein Bericht über die Kriegsjahre 1943 - 1945

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    Book preview

    Der Gesang der Lerche bleibt - Klaus Weniger

    0      Vorgeschichte - Der Weg in die Vernichtung

    Bis zum 19. April 1945 war die militärische Ordnung innerhalb unserer Einheit als normal anzusehen. Im Raum von Senftenberg sollte die Neuaufstellung unserer Division erfolgen. Am Nachmittag des

    19. April 1945 vernichteten sowjetische T 34/76 oder T 34/85 Panzer bei Boblitz, südlich von Lübbenau in der Niederlausitz, unseren Truppentransportzug.

    Nach der Zerstörung haben sich die marschfähigen Soldaten in Richtung Westen und der größere Teil in Richtung Norden vom Ort des Geschehens abgesetzt.

    Zurück gelassen haben wir die gefallenen und verwundeten Kameraden. Sie waren in den Resten des zerstörten Zuges und auf dem Acker geblieben. Die Zerschlagung unseres Bataillons war eine der letzten Kriegshandlungen.

    Von diesem Zeitpunkt an, noch weit vor Mitternacht, befand sich meine Gruppe auf dem Wege in Richtung Luckau, in Richtung Westen. Unsere Gruppe bestand aus einem Feldwebel, einem Obergefreiten und zwei Panzergrenadieren. Gemeinsam saßen wir im Transportzug. Nach dessen Zerstörung haben wir uns rein zufällig gefunden. Unser Marschbefehl lautete, ohne Verzug auf dem schnellsten Wege nach Parchim in Mecklenburg zu marschieren.

    Am 1. Mai 1945 erreichten wir Havelberg, wo wir in einer Kampfgruppe landeten. Am Nachmittag des 2. Mai 1945 erreichte ich westlich von Havelberg, in einer gewaltigen Ansammlung von den gestrandeten Soldaten, den breiten Elbstrom. In der letzten Nacht war ich durch die reine, militärische Willkür von meinen drei Kameraden getrennt worden.

    Nur nicht jetzt noch in die sowjetische Kriegsgefangenschaft kommen. Dieses war das unausgesprochene Verlangen aller hier gestrandeten Soldaten.

    Denn sich irgendwo in Sibirien wiederfinden, wenn man hier, an dieser Stelle, noch den sowjetischen Truppen ausgeliefert würde. Jeder uniformierte Soldat befand sich doch hier im Zustand einer psychischen Lähmung.

    Den Amerikanern, die uns wohl heute, am 2. Mai 1945 gefangen nehmen werden, ist nicht zu trauen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte von den Männern an dieser Stelle auf der Ostseite der Elbe noch keiner Kontakt mit einem Amerikaner gehabt. Da war zwar auf dem Wege von Havelberg zur Elbe hin ein Amerikaner, an den erinnere ich mich, der Waffen entgegennahm und diese stapelte.

    Nach den physischen und psychischen Anstrengungen der letzten Wochen standen wir als eine riesige, graue Menschenmasse an einer Stelle am Elbstrom, die über unser Schicksal entscheiden musste. Den Gedanken an einen Marsch in die sowjetische Kriegsgefangenschaft noch vor Augen und dann das Wissen um die Rote Armee bereits spürbar im Nacken. Uns hat nur die Elbe auf- und festgehalten. Am Rande des Wassers zur Handlung angetrieben, wollte sich jeder der Männer nur noch retten. Retten ja. Aber wie?

    Viele der fremden Kameraden versuchten, ohne Rücksicht auf das eigene Leben, daran haben sie vor Anspannung nicht denken können, schwimmend durch und über die Elbe in Sicherheit zu kommen. Leere Blechkanister, Schläuche aus LKW-Reifen, Hölzer und vieles mehr an unbrauchbaren Dingen sind für die Flucht eingesetzt worden. Von den Anstrengungen und der Angst verbraucht, verloren viele Männer in der Elbe ihr Leben.

    Noch heute habe ich, wenn ich an die damaligen Stunden an der Elbe zurückdenke, immer wieder eine gewaltige, für mich gesichtslose, graue Masse Soldaten vor Augen. Ich habe damals wirklich kein einziges Gesicht gesehen. Alles um mich herum war nur grau. Gesteuert vom Bewusstseinsverlust und Taumel, vom Unterbewusstsein manipuliert, bezwang ich mich und den Elbstrom.

    Körperlich nahezu am Ende erreichte ich auf dem linken Elbufer eine in den Strom reichende Buhne. Von dem, was gerade mit mir geschehen war, habe ich einfach nichts begriffen. Mit einem Schlag war ich in der amerikanischen Kriegsgefangenschaft angekommen. Frühere Gedanken, wie ich einmal den Eintritt in die Kriegsgefangenschaft erleben werde, waren auf einmal vergessen.

    In Kolonnen marschierten wir, nun nicht mehr im Gleichschritt, auf den Straßen am Westufer der Elbe in Richtung Süden. Meine mitgefangenen Kameraden in unmittelbarer Umgebung von mir waren, soweit ich mich erinnere, in trockenen Uniformen unterwegs. In meiner nassen Kleidung laufe ich zwischen ihnen in die erste Nacht.

    Von der ersten Auffangstelle am Bahnhof in Arendsee, auf 2 ½ long ton Fahrzeugen stehend, transportierten uns die Amerikaner am sonnigen Vormittag des 3. Mai 1945 zur zweiten Sammelstelle nach Herford. Am Abend des 6. Mai irgendwo bei Herford in offene Güterwagen verladen, rollte der Transport über Nacht in Richtung Westen. Wir durchfuhren das zerstörte Ruhrgebiet und rollten über den Rhein bei Wesel.

    In Wickrath war am Nachmittag des 7. Mai 1945 unsere Reise zu Ende. Bei glühender Hitze, die Hände auf dem Kopf abgelegt, marschierten lange Kolonnen der Kriegsgefangenen zum Ziel. Auf dem langen Marsch brachen auf der Straße mehrere Kameraden von den Anstrengungen und der Hitze zusammen.

    Am Ortsrand von Wickrathberg breitete sich vor mir überraschend ein nicht überschaubares, großes Gelände aus. Da standen auf dem flachen Acker die ersten Baumstämme. An ihnen befand sich bereits teilweise der silbern blinkende, straff gespannte Stacheldraht. Im Hintergrund standen übermannshohe Stacheldrahtzäune. Einzelheiten des unter freiem Himmel errichteten Lagers blieben mir zunächst verborgen.

    Eingewiesene, deutsche Kriegsgefangene setzten jeden einzelnen von uns, bis auf die Haut, in gewaltige Staubwolken aus DDT-Pulver. Dieses geruch- und geschmacklose weiße Pulver fühlte sich nicht wie Mehl an. Ohne zu wissen hatte man das widerliche aber trockene Pulver im Mund. Man musste es einfach runterschlucken.

    Nach einem Zeitsprung standen wir, abgezählt in vier Tausendschaften, in einem der mit Stacheldraht eingefassten Camps. Die DDT-Pulverwolke hatte sich wie ein Schleier auf jeden von uns gelegt. Staubigen Mehlsäcken gleich atmeten wir das Pulver und das Gas, das sich aus dem Pulver entwickelte, ein. Das Gas, das sich über Nacht vom DDT-Pulver und der Feuchtigkeit des warmen Körpers entwickelte, tötete die Plagegeister. Bereits in der ersten Nacht sind nahezu alle Kleiderläuse aus meiner Militärkleidung verjagt worden.

    Im Kriegsgefangenenlager Wickrathberg waren die Männer dem Wetter vollkommen schutzlos ausgesetzt. Jeder für sich allein oder in Kameradschaften lagerten wir auf und in der Erde. Innerhalb weniger Tage verbanden sich die mitgebrachten Mäntel, Decken und Dreieck-Zeltplanen mit der Erde. Dabei veränderten sich die ehemaligen Farben der Uniformen und nahmen die Farbe der Erde an. Die allgegenwärtige Zwangslage warf jeden von uns, ohne Verzug, auf die kalte und nackte Erde.

    Uns PoW¹ waren nur der Himmel und der straff gezogene Stacheldraht geblieben.

    Der nächste Tag, der 8. Mai 1945, der Tag der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht, hatte für mich keinerlei Bedeutung. Zwischen all den fremden Soldaten, die ich vorher nie gesehen habe, war auch ich nun auf diesem Platz ab sofort auf mich allein gestellt.

    Die körperlichen Anstrengungen der letzten Tage machten sich jetzt auch bei mir bemerkbar. Ich hatte die Schnauze gestrichen voll. „Was habe ich nur verbrochen, dass es mir so gut geht?" Dieses war ein allgemeiner Ausspruch unter den Soldaten, wenn eine militärische Schikane zu überwinden war.

    All die Feldgrauen, die noch in den letzten Wochen von ihren Vorgesetzten – im Osten und im Westen – zwischen beiden Fronten unter Waffen stehend zum Sterben angetrieben worden waren, plagten jetzt Hunger und Durst. Nicht allein physisch, sondern auch psychisch war ich am Ende. Alles, aber auch wirklich alles war mir jetzt scheißegal geworden. Es war nur der spürbar bohrende Hunger geblieben.

    Nach kurzer Zeit, es waren sicher nur Stunden, verweigerte mir der Stacheldraht den normalen Blick. Ohne mein Dazutun hat er sich seit meiner Ankunft in meine Seele gefressen. Überall war für mich nur der Stacheldraht. Seine bei der Herstellung silberne Farbgebung hatte er bereits über Nacht in ein Eisengrau verwandelt. Mit dem Farbwechsel hat sich der Stacheldraht für das normale Auge getarnt.

    Im Lager Wickrathberg hat die grausame Fratze des brutalen Krieges endlich Zeit, sich tief und für alle Zeiten in die Seelen der Kriegsgefangenen einzubrennen. Diese Tatsache wird den meisten Kriegsgefangenen in den ersten Tagen, wo auch immer sie in Kriegsgefangenenlagern vegetierten, kaum bewusst geworden sein. Alle meine Wahrnehmungen, Empfindungen aus den unterschiedlichen Erlebnissen des Krieges, dazu gehört die folgende Feststellung:

    Die Staatsführung des Dritten Reiches hat die Jugend auf die schändlichste Art und Weise getäuscht und betrogen. Wir sind aus der erlebten Erziehung und der Achtung vor den Erwachsenen, einschließlich der eigenen Eltern bewusst und unbewusst in unser Verderben genötigt und letztlich gezwungen worden. Wir waren, wie auch die älteren Jahrgänge, für den Staat nur als Kanonenfutter von Interesse.

    Die Verursacher, die den Wahnsinn des Krieges angestiftet haben, machten sich am Ende, nach dem gemeinsamen Untergang, unbemerkt aus dem Staub. Oder sie haben sich teilweise selbst umgebracht oder haben sich in den Untergrund abgesetzt. Ihre bereits in der Anonymität lebenden ehemaligen Mitkämpfer waren ihre neuen Beschützer.

    Meine Erfahrungen während meiner Kriegsdienstzeit und der Kriegsgefangenschaft hinter dem Stacheldrahtzaun haben mir damals das Versprechen abgenommen: Sollte ich je wieder nach Hause kommen, dann wollte ich als Zeitzeuge über meine Kriegserlebnisse berichten. Später erweiterte und vervollständigte sich mein Gedanke: Meine Erlebnisse sollten nicht nur für mich, sondern stellvertretend auch für meine jungen Kameraden geschrieben werden, die nicht das Glück hatten, die Heimat wiederzusehen.

    Nach meiner Heimkehr aus dem Krieg habe ich bereits nach den ersten Monaten damit begonnen, meine Erlebnisse handschriftlich festzuhalten, um diese später, vielleicht auch erst nach meiner Lebensarbeitszeit, zu verarbeiten. Die damaligen Kriegseinsatzorte konnte ich 1990 und 1995 besuchen. Gespräche mit den Menschen an den Plätzen, einmal in Günterberg im Land Brandenburg, Biesenbrow im Land Brandenburg, waren nicht sehr ergiebig. Während der Besuche kamen mir, wie auch in Bischdorf, Niederlausitz viele Bilder aus dem Erlebten schlagartig ins Bewusstsein zurück. Die in den besuchten Orten lebenden Männer waren in der Zeit 1944 und 1945 selbst irgendwo im Kriegseinsatz oder in der Kriegsgefangenschaft.

    1      Der „Große Krieg und der „Zweite Weltkrieg

    Das Gleichgewicht der europäischen Mächte war nach den deutschen Siegen über Österreich 1866 und über Frankreich 1870/1871 mit der deutschen Reichsgründung stark belastet. Deutschlands Annexion Elsass-Lothringens zerstörte die Verständigung mit Frankreich. Bedingt durch die in Deutschland verstärkt betriebene Industrialisierung und die Vereinigung Deutschlands mit Österreich-Ungarn 1879 als Zweierbund kam es mit der Erweiterung, dem Beitritt Italiens zum Dreierbund zu innereuropäischen Machtrivalitäten. Diese Verbindung provozierte den Zweierverband Frankreich und Russland, der durch Absprachen mit Großbritannien 1904 zur „Tripel Entente" erweitert wurde.

    Die Monarchen der Königshäuser Europas, die Windsors, die Romanows und die Hohenzollern, waren miteinander verwandt. Die zwei Monarchen der Windsors und der Romanows beäugten den Monarchen der Hohenzollern argwöhnisch. Jeder von ihnen war bestrebt, die eigene Machtposition in Europa zu verstärken und zu vergrößern. Der Bau einer starken deutschen Schlachtflotte signalisierte den Windsors, dass Deutschland einen Anspruch auf eine Weltpolitik wollte.

    Deutschland war bereits die stärkste militärische und größte Industriemacht in Europa. Diese Tatsache brachte die Wendung im Verhältnis Großbritanniens zu Deutschland. Eine deutsche Herausforderung an Großbritannien als Seemacht hätte bei einem positiven Ausgang, Deutschland den Weg zur Überlegenheit nicht nur in Europa geebnet. Die Romanows verfügten ihrerseits über eine große Landstreitmacht. Russland hatte sich nach der Niederlage im russisch-japanischen Krieg 1904/1905² und nach der ersten russischen Revolution 1905-1907 als militärische Großmacht präsentiert. Deutschland kam in Zugzwang und manövrierte sich in die Situation, die Einkreisung durch einen Präventivkrieg gegen den Russland zu sprengen. Zwischen den Großmächten: Großbritannien, Frankreich und Russland einerseits und den Mächten der Entente, Deutschland, Österreich-Ungarn und der Türkei, kam es zum Ersten Weltkrieg. Der Mord an dem österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo am 28. Juni 1914 bot den willkommenen Anlass. Die deutsche Kriegserklärung gegen Russland erfolgte am 1. August 1914, gegen Frankreich am 3. August 1914. Nach Eingang der Kriegserklärung Großbritanniens an Deutschland am 4. August 1914 kam am gleichen Tag der Befehl zum Kriegsbeginn.

    Vom Balkon des Schlosses in Berlin verkündete am gleichen Tage Kaiser Wilhelm II (1881-1918):

    „Es muss denn das Schwert nun entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf zu den Waffen. Jedes Wanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterlande".

    Der Kaiser schloss die Ansprache an sein Volk mit den Worten:

    „Wir werden uns wehren bis zum letzten Haupt von Mann und Ross. Und wir werden diesen Kampf bestehen. Auch gegen eine Welt von Feinden.

    Vorwärts mit Gott, der mit uns sein muss, wie er mit den Vätern war!" ³

    Das deutsche Volk, das sich vor dem Schloss eingefunden hatte, bejubelte die anfeuernden Worte des Kaisers. Das Kommando zum Angriff gegen die Romanows und die Windsors mit ihren jeweiligen Verbündeten war damit gegeben. Dieser Termin kam zu dem Zeitpunkt, an dem die Felder abgeerntet waren.

    Mit Beginn des 20. Jahrhunderts begann man die Vorbereitungen auf einen Krieg. „Mann gegen Mann". Der Krieg galt damals als Vater aller Dinge. Der Krieg war nicht geächtet. In Deutschland fühlte man sich stark, weil man 1870/1871 die Franzosen besiegt hatte.

    Von diesem Stichtag, dem 4. August 1914 an, rasselten die drei Monarchen nicht mehr mit ihren Säbeln. Die Waffen für den Land- und Seekrieg waren auf den letzten Stand der Technik gebracht. Ihre Soldaten waren zum Kampf Mann gegen Mann gedrillt und ausgerüstet.

    Jetzt konnten sich die Monarchen nach einer jahrelangen Aufrüstung von den bisher erbrachten Leistungen erholen. Sie wollten von nun an Zuschauer sein. Sie wollten erleben und bestätigt bekommen, wie sich ihre jungen Männer auf den Schlachtfeldern für die Monarchen die Köpfe einschlagen. Die monarchischen Verwandten hatten sich nach Übergabe der militärischen Macht an die hohen Offiziere zum Tee zurückgezogen. Die Soldaten wurden beim Tagesappell noch einmal zur Treue auf den Kaiser vergattert und mit einem extra dicken Verpflegungspaket ausgestattet in den „Großen Krieg" entlassen. Alle zum Kampf angetretenen Soldaten der Nationen, die in den Krieg zogen, haben ihren Herrschern den Treueid geleistet. Daran waren sie bis zum Tode jedes einzelnen Mannes gebunden.

    Am 4. August 1914 waren die Truppen zur Verladung auf die Eisenbahn in Marsch gesetzt worden. Freiwillig, begleitet von ihren Angehörigen, sangen sie mit strahlenden Augen ihre fröhlichen Soldatenlieder. Auf der Fahrt an die Fronten schrieben die Soldaten Siegesparolen an die Eisenbahn- und Güterwagen.

    Kaiser Wilhelm II hatte seinen Soldaten bereits nach Kriegsbeginn 1914 versprochen: „Weihnachten werdet ihr wieder zu Hause sein!" Die Soldaten freuten sich über das Versprechen und daran glaubten sie. Voller Freude und Begeisterung zogen sie auf die Schlachtfelder in die erste Schlacht.

    Welche Weihnacht meinte der Kaiser?

    Sie konnten es endlich dem Feind zeigen, wozu sie nach der Ausbildung fähig waren. Ihrem Herrscher hatten sie doch versprochen, den verdammten Feind zu vernichten. Doch unmittelbar nach der Ankunft auf dem Schlachtfeld wurden ihre frohgemuten Herzen vom Hieb ihrer Gegner hart getroffen. Der ihnen versprochene schnelle Sieg blieb plötzlich und unerwartet auf dem Felde stecken.

    Zum Kampf getrieben, abgestumpft an Körper und Seele, ständig dem Tod ausgeliefert, standen und lagen sie im Blut der Kameraden und im Schlamm der Schützengräben und Granattrichter. Die Männer, die sich freiwillig vom Feind haben töten lassen, bekamen ihr Holzkreuz. Denn sie waren Christen. Jeder einzelne von den Gefallenen hatte sein Leben überstanden. Die verwundeten Männer waren der Hilfe der Kameraden, der Sanitäter und der Ärzte auf den Verbandsplätzen und in den Feldlazaretten ausgeliefert. Die hohen Auszeichnungen für die Kämpfe ihrer Soldaten bekamen in der Regel die Vorgesetzten.

    Am 6. April 1917 erfolgte der Kriegseintritt der USA. Von diesem Zeitpunkt an zeigte sich die Lage der Mittelmächte hoffnungslos. Die Völker der Entente, Deutschland, Österreich-Ungarn und die Türkei, waren von Anfang an den Gesetzen des Krieges hilflos ausgesetzt, dieses galt ebenso für ihre Kriegsgegner. Sie konnten nur noch ums Überleben kämpfen.

    Die Russen scheiterten nach der letzten Kraftanstrengung in der 2. Brussilow⁴-Offensive. Zar Nicolaus II musste nach dem Waffenstillstand am 15.Dezember 1917 abdanken. Zusammen mit seiner Familie wurde der Zar im Juli 1918 ermordet.

    Kaiser Wilhelm II hatte die junge Monarchie von 1871 und die Existenz des Reiches aufs Spiel gesetzt. Mit seiner ihm angeborenen, erbeigenen Überheblichkeit hatte Kaiser Wilhelm II alles verloren. Der „Große Krieg", der von 1914 bis November 1918 dauerte, war verloren. Der Deutsche Kaiser Wilhelm II musste abdanken. Er flüchtete ins Exil nach Holland. Zurückgelassen hatte er sein Volk, die an Leib und Seele zerstörten Menschen, die Toten der Schlachtfelder, die sichtbaren und unsichtbaren Trümmer. Unabhängig von einander riefen im November 1918 am gleichen Tage Scheidemann und Liebknecht ohne Wissen und Zustimmung des Reichskanzlers Ebert die Republik aus.

    Das Empire Großbritanniens stand vor großen wirtschaftlichen Veränderungen und Belastungen. Doch seine Monarchie überlebte die Monarchien der Verwandten.

    Die geplanten Siegesparaden mussten ausfallen. Alle am Krieg teilnehmenden Völker standen vor dem Nichts. Sie waren nach dem „Großen Krieg in der Weltwirtschaftskrise, in der Inflation und in der Arbeitslosigkeit gestrandet. Der französische Marschall Foch, Vertreter der Siegermächte, zu denen auch die USA gehörten, überreichte im November 1918 dem Staatssekretär Erzberger die Waffenstillstandsbedingungen in Compiègne. Der „Versailler Vertrag, am

    28. Juni 1919 im Versailler Schloss unterzeichnet, trat am 10. Januar 1920 in Kraft.

    Der Staat, nach dem verlorenen Krieg aus der Monarchie entlassen, war noch nicht für eine Demokratie vorbereitet.

    Die Weimarer Republik überwand nach den vielen Revolutionen auf der Straße nur vorübergehend die herrschende Unsicherheit. Die Weimarer Verfassung, am 11. August 1919 vom Sozialdemokraten und Reichspräsidenten Ebert unterschrieben, sagt aus, dass die parlamentarische Demokratie die herrschende konstitutionelle Monarchie abgelöst hat. Noch weiter mit sich und den internen Querelen beschäftigt nahmen die Parteien aus Selbstüberschätzung nicht einmal die Ideen und Gedanken anderer politischer Kräfte zur Kenntnis.

    Das allgemein herrschende Chaos des Krieges konnte von den politischen Parteien nicht zügig gelöst werden. Die Menschen forderten lautstark nach Arbeit und Brot. Mit einem Generalstreik setzten die Menschen daraufhin die sich neu etablierenden Parteien unter Druck. Eine politische Unfähigkeit der Parteien war schnell erkannt. Das Kriegschaos konnte nicht zügig gelöst werden. Die Parteien standen sich gegenseitig im Wege, weil sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren. Eine politische Einigung zwischen den Parteien, die zur Einrichtung der Demokratie in Deutschland nun dringend erforderlich war, erreichten sie nur bedingt. Die allgemeine Notlage der Bevölkerung konnte der Demokratie in Deutschland, der „Weimarer Republik", kaum eine reelle Chance geben.

    Für mich ist es noch heute bedauerlich, dass ich während meiner langen Lebenszeit keinerlei Einsichten und Aussagen über die Entwicklungen meiner Großväter und meines Vaters habe. Ich weiß einfach nichts von ihnen. In jungen Jahren war ich sicher nicht so daran interessiert, die Grundzüge ihrer Lebensphilosophie zu kennen. Wie war es mit ihrer politischen Einstellung? Waren sie Anhänger der Monarchie? Waren sie selbst deutsch-national erzogen worden? Wie sind sie von ihren Vätern erzogen worden? Waren sie nur der Zeit angepasste Jasager? Welche Vorbilder hatten sie? Welche Bedürfnisse haben sie gehabt und welche Freiheiten konnten sie leben? Was haben ihnen ihre Vorfahren für das Leben vermittelt?

    Aus meiner Erinnerung halte ich fest: Alle Themen, die persönliche Fragen zum Inhalt hatten, sind damals innerhalb der Familien tabuisiert worden. Dieses trifft auch für meine Familie zu. Über Persönliches wie die eigene Jugendzeit oder von Freundschaften mit Gleichgesinnten habe ich nichts gehört. Ich bin mir sicher, dass nicht nur mir der Zugang zu dem Leben der Vorfahren, die im 19. und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gelebt haben, für immer verschlossen war. Um gerade heraus zu sein: Gehorsam sein, keine dummen Fragen stellen, nur den Forderungen der anderen, der Erwachsenen folgen. Ja, damals gab es noch dumme Fragen!

    Ich habe, wenn ich auf meine eigene Erziehung zurückblicke und diese mit der heutigen Zeit vergleiche, festgestellt, dass in den von mir angesprochenen Generationssprüngen gewaltige gesellschaftliche Veränderungen (Revolutionen) stattgefunden haben. Und diese Veränderungen werden auch künftig weiter in den Generationen stattfinden.

    Die Ereignisse, ob politisch, wirtschaftlich oder gesellschaftlich, wiederholen sich ständig in Zyklen. Die etablierten Parteien in Deutschland wollten nach dem verlorenen Weltkrieg möglichst schnell wieder an die Macht. Sie drängten geradezu mit ihren überzogenen Ansprüchen und der ihnen eigenen Art von Autorität darauf, möglichst allein das Volk für die eigenen Ideen zu gewinnen. Sollte keine der Parteien allein regieren können, müssten sie Koalitionen eingehen. Damit beginnen Kämpfe um Spitzenposten. Dem deutschen Volk können die Parteien nicht helfen, obwohl sie es immer wieder versprochen haben. Versprechungen gab es nicht nur nach dem Weltkrieg.

    Durch die Inflation fühlten sich die Menschen schon seit Anfang der zwanziger Jahre von den Trägern nationalsozialistischer Ideen angesprochen. Steigende Arbeitslosenzahlen veranlassten viele Arbeitslose und Teile der bürgerlichen Fraktion, die neuen Ideen nicht nur anzuhören. Vom Diktat des Elends und wegen der versprochenen, gut bezahlten Posten haben sich viele Menschen früh der kommenden Macht anschließen wollen. Am Ende erlagen sie den Agitationen der Nationalsozialisten unter der Führung Adolf Hitlers.

    Auch diese Partei, die NSDAP, hatte den Arbeitslosen Arbeit versprochen. „Wählt uns!, haben sie lautstark gerufen. „Wir werden euch Arbeit geben. Sie wiederholten diese Aussagen, dabei immer lauter werdend. Wer wollte da noch zurückstehen? Schon vor dem 30. Januar 1933 erlagen die Menschen dieser geschliffenen Propaganda und der politischen Indoktrinierung.

    Vor Augen der künftigen Macht berief der Feldmarschall von Hindenburg, der amtierende Reichspräsident, am 30.Januar 1933 Adolf Hitler zum „Führer und Reichskanzler des Deutschen Reiches".

    Und dieser NS-Staat machte Schulden. Erstens um die Arbeitslosigkeit zu senken und zweitens um Geld für die militärische Aufrüstung zu bekommen. Mit der Tilgung der Verbindlichkeiten konnten sich die Nazis Zeit lassen. Im Hinterkopf hatten sie ja vorgemerkt, dass die eines Tages von ihnen im kommenden Krieg besiegten Völker diese Schulden mit Zins und Zinseszins bezahlen würden. Die neue Zeit, so prophezeite der neue Herrscher, sollte allen deutschen Menschen ein Leben in Frieden bringen.

    Neun Jahre nach Übergabe der Waffenstillstandsbedingungen in Compiègne im November 1918 bin ich Anfang November 1927 in die „neue Zeit" hineingeboren worden. Neben meiner Erziehung innerhalb der Familie kam ich zwangsläufig mit dem nationalsozialistischen System in Kontakt. Meine eigene Entwicklung ist somit auch vom Nationalsozialismus geprägt worden.

    Wir Kinder haben von Anfang an die seelische Gemütslage der Mutter und des Vaters in Bezug auf das sich im Aufbau befindliche System des Dritten Reiches mitbekommen, deren Tragweite wir als Kinder jedoch noch nicht erkennen konnten. Wie gesagt: Wir hatten als Kinder ausschließlich den Eltern und den erziehungsberechtigten Erwachsenen zu gehorchen. Am 30. Januar 1933 offenbarte sich die Gewaltherrschaft der Nazis.

    Dass die Staatsführung von dem Tage an auch unser junges Leben autoritär bestimmen würde, konnten wir nicht erkennen. Dieses galt für alle Jungen und Mädchen dieser Jahre. Zu den Auflagen der Staatsmacht gehörte die absolute Unterwerfung der deutschen Menschen unter die Anordnungen der Partei. Die politische Einflussnahme auf die Menschen war mit der einhergehenden Rohheit, Verfolgung und Bespitzelung außerordentlich belastend.

    Als „deutsches Volk haben wir, ohne Wenn und Aber, nur noch den Befehlen unseres allgewaltigen Führers zu folgen. Fragen? Was für Fragen? Wen sollte wer etwas fragen? Der Begriff „Frage zu politischen Angelegenheiten war zur Bedeutungslosigkeit verkommen. Der vom Staat geforderte „Gehorsam ließ keinerlei Fragen zu! Die „Volksgenossen hatten nur auf Fragen der mächtigen politischen Partei zu antworten.

    Nach der Machtübernahme im Jahr 1933 standen wir am 1. September 1939, zwanzig Jahre nach dem „Großen Krieg, im 2. Weltkrieg. Nach und nach sollte noch größeres Leid als im „Großen Krieg über die gesamte Menschheit kommen. Die ständige Angst um die Menschen an den Fronten war die gleiche wie um die Menschen in der Heimat. Die Fronten im 2. Weltkrieg waren für uns, das „deutsche Volk", überall. Die Furcht, die Angst, die Verzweiflung und die Trauer beherrschten lückenlos das Leben.

    In den Kriegsjahren 1939-1945 vermehrten sich ständig die Zerstörungen an Zivilisation, an Kultur, an Lebensart, an Sitte, an Anstand, um nur einige Punkte zu nennen. Die allgemein bestehende, hohe Hemmschwelle zum Töten war im „Großen Krieg" aus Mangel an den weiterhin in der Entwicklung befindlichen Massenvernichtungswaffen noch erkennbar. Diese Hemmschwelle ging mit Beginn des 2. Weltkrieges ab dem 1. September 1939 mit dem Einsatz schnellerer, verbesserter und stärkerer Waffen bis zum Ende im Mai 1945 nahezu vollends verloren.

    Das Militär hat bei der Aufrüstung zum 2. Weltkrieg immer bessere und leistungsstärkere Waffensysteme verlangt und diese auch bekommen. Die Flugzeuge aus dem „Großen Krieg", waren für die modernen Ziele nicht mehr einsetzbar. Sie landeten im Museum, wenn sie Glück hatten. So zeigte sich bei den Luftstreitkräften die gleiche Entwicklung. Mit den ständigen Verbesserungen der Kriegsflugzeuge und ihrer Waffen konnte man die Feinde effektiver vernichten. Im 2. Weltkrieg besaßen alle kriegführenden Mächte zusätzlich zu ihren Land- und Seestreitkräften die Luftstreitkräfte.

    Wir jungen Menschen haben uns von Kindesbeinen an ausschließlich den Forderungen der Nationalsozialistischen Partei angepasst. Zur Verdeutlichung dieser Aussage heißt dieses: Unsere physische und psychische Entfaltung wurde nur von den Befehlen der Nationalsozialistischen Partei geprägt. Es gab keinerlei Möglichkeit, sich an einer anderen Partei zu orientieren. Und die Männer und Frauen dieser Partei haben uns bis zum bitteren Kriegsende nur für ihre Zwecke gebraucht und missbraucht. Am Ende des wahnsinnigen Krieges wollte kaum einer von uns noch nicht Volljährigen noch irgendetwas mit der ehemaligen Herrschaft der Nazis zu tun haben.

    Wir haben schnell lernen müssen, was es heißt, frei zu ein. Diese „neue Freiheit hat man uns einfach übergestülpt. Mit ihr sollte für uns eine neue Zeit anbrechen. Wir empfanden den Begriff: „Freiheit für uns nicht verständlich, hatten wir doch im Kampf für die Freiheit unserer Nation den Krieg verloren. Nun waren Aufräumen und Aufbauen Pflicht geworden.

    Den Krieg noch in den Köpfen schlossen sich über die Jahrzehnte die Wunden zu Narben. Nur die Überlebenden des 2. Weltkrieges wissen, dass sie von und mit den Kriegserlebnissen körperlich und seelisch außerordentlich belastet sind. Und der eingebrannte Stempel der Vernichtung und des Terrors wird sich nie mehr von den Seelen lösen.

    Die Menschen, die nach der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 geboren worden sind, wurden in den Kriegstrümmern geboren und haben wohl den Hunger erleben müssen. Erspart geblieben sind ihnen jedoch die unmittelbare Brutalität des Krieges und die Angst vor der physischen Vernichtung. Im Alltagsleben hatten sich die Heimgekehrten überwiegend zum Schweigen entschlossen. In ihren Köpfen blieben die bitteren Erfahrungen des mörderischen Krieges zusammen mit der Angst um das eigene Leben. Selbst die Kriegspropaganda der Nazis klammerte sich noch eine lange Zeit an den Hirnen fest. War es den Heimgekehrten überhaupt möglich, über die eigenen Kriegserlebnisse mit dem Familiennachwuchs zu sprechen?

    Die ganze bittere Wahrheit des Krieges erzählten die Heimgekehrten ohnehin nicht ihren Kindern. Die erlebte Wahrheit mussten sie ja erst selbst erkennen, um sie verarbeiten zu können. „Hast du geschossen? Warum hast du geschossen?" Die Väter taten sich schwer damit, es auszusprechen, den Feind getötet zu haben. Sie waren auch nicht erzogen worden, Schwächen zu zeigen. Diese spezielle Frage, die sie tief traf, musste unbeantwortet bleiben.

    Das Handwerk „Töten" hatten sie bereits während der Grundausbildung vermittelt bekommen. Man räumte auch ein, dass man als Soldat im Kampf verwundet werden kann. Dass man im Krieg auch getötet werden kann, das hat man bei der Ausbildung generell und bewusst ausgeklammert.

    Davon haben selbst die Soldaten in der Ausbildung nichts gehört. Über dieses heikle Thema sprachen die Soldaten niemals offen. Hatten sie wegen des geleisteten Eides auch gleich die Möglichkeit der eigenen Vernichtung verdrängt? Beim ersten Kriegseinsatz mussten sie dann die Wirklichkeit des Krieges erkennen. Der Verlust des Kameraden, der getötet zu Boden stürzte, schockte den Lebenden. Man gewöhnte sich nicht an diese Tatsache. Nur das seelische Abstumpfen nach Verlusten von Kameraden machte es möglich, mit der ständig latent anwesenden, eigenen Angst zu leben.

    Von den Kriegserlebnissen des heimgekehrten Vaters wollten die Kinder hören. Doch der Vater sprach, wenn überhaupt, nur in knapper militärischer Form. Diese Sprache hatte er bei der Truppe gelernt. Sie ist gegen ihn und von ihm eingesetzt worden. Die Antworten eines Soldaten waren knapp und klar. Er, der Vater, war heimgekehrt und brauchte Zeit und Energie, um sich an das neue zivile Leben zu gewöhnen. Er war auf der Suche nach einem Arbeitsplatz. Die durch den Krieg entstandene Entfremdung von der Frau und Mutter seiner Kinder musste ebenfalls überwunden werden. Da war auf beiden Seiten sehr viel Anstrengung und Kraft erforderlich, um ein halbwegs vernünftiges Leben führen zu können.

    Er wollte vor allen Dingen daheim seine Ruhe haben. Von nun an stand weder hinter noch vor ihm ein militärischer Vorgesetzter. Der Heimkehrer wurde von den Fragen der heranwachsenden eigenen Kinder überrascht. Bisher hatten nur die militärischen Vorgesetzten Fragen gestellt und der Vater hatte diese zu beantworten.

    Und nun kommen die Kinder und stellen Fragen. Aus der Sicht des Vaters waren die Kinder gar nicht berechtigt, Fragen an ihn zu richten. Die waren doch plötzlich nur kleine Soldaten. Der Vater hatte noch keine Erfahrung, wie man mit Kindern umgeht.

    Er hatte nach all den Kriegserlebnissen noch keine Ruhe gefunden. Die häufig gestellten stereotypen Fragen waren sicher: „Hast du auf den Feind gezielt geschossen? Hättest du nicht daneben zielen können? Warum hast du überhaupt geschossen? Hier kam mehrfach die Erwiderung des einen oder anderen Erwachsenen oder Vaters: „Geh du erst einmal dahin, wo ich hingeschissen habe. Damit hatte der Befragte zunächst seine Ruhe wieder. Nach dieser Antwort konnte keine Frage mehr gestellt werden. Selbst die Frauen und Mütter schwiegen lieber, denn sie wollten den Frieden für die Familie. Die heimgekehrten Männer brachten nur den harten militärischen Befehlston oder zum eigenen Schutz versteinerte Herzen mit nach Hause. Den militärischen Befehlston setzten sie überaus wirkungsvoll bei ihrem Nachwuchs ein. Die Kinder kuschten.

    Natürlich gab es bei den Heimkehrern auch „Helden. Die berichteten lauthals von ihren sogenannten Heldentaten, die sie während des Krieges „geleistet haben. Von ihren Erlebnissen kann man noch heute lesen.

    Wie sollte der Nachwuchs nach dem 2. Weltkrieg überhaupt in der Lage sein, die ihn interessierenden Fragen zu formulieren? Dieses hätte auch ich, nach Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft mit knapp achtzehn Jahren, nicht können. Selbst ich hätte auf vergleichbare Fragen nicht klar und eindeutig antworten können. So haben die Nachgeborenen vom Vater oder Großvater kaum etwas erfahren. Und warum sollten sich die Väter überhaupt die Mühe machen, auf einmal die jungen Menschen zu verstehen? Sie und nicht die Jüngsten hatten doch den Krieg an der Front erlebt. Ihnen war jetzt Arbeit wichtiger als eine Auseinandersetzung mit der Geschichte. Man hat die Heimgekehrten vor und während des Krieges ja auch nicht gefragt.

    An diesem Zeitpunkt war die einmalige Chance, eine Verständigung zwischen den Generationen herzustellen, für immer vergeudet worden. Wir, die alten und jungen Kriegsteilnehmer, scheiterten bereits von Anfang an, dem Nachwuchs und den Jugendlichen Informationen über den Krieg zu geben.

    Im Unterbewusstsein kommt ein flüchtiger Gedanke in mir auf: Nur nicht der Jugend die ganze Wahrheit nach einem Krieg erzählen. Es könnte besser sein, die alten Kämpfer davon abzuhalten. Denn zu einem späteren Zeitpunkt benötigen die Herrschenden wieder Freiwillige. Ich bin mir fast sicher, nach dem 1. Weltkrieg war es genauso.

    Vergessen wir deshalb auch nicht, dass unsere Zeitgeschichte sich auf keinen Fall ungestraft verdrängen lässt. Sie wird uns im Unterbewusstsein weiter begleiten. Und wir werden, wie unsere Vorgänger, eines Tages wieder im Strudel ungebetener Mächte landen, genau wie unsere Vorfahren. Auch wir haben unsere unerledigten Aufgaben auf den Müll der Geschichte geworfen. Die Jugend hat unsere Unfähigkeit zu Sprechen erfahren. Wir haben ihnen nicht die Wahrheit gesagt. Unsere Schwäche und unser Schweigen hat die Jugend hingenommen. Ihrerseits hatte sie nun kein großes Interesse mehr an der Geschichte ihres Vaterlandes. Was früher einmal war, damit wollen sie nichts zu tun haben. Sie sind aufgebrochen, um ihren Lebensweg zu gehen. Und wer wollte ihnen das Recht streitig machen, ihren eigenen, für sie neuen Weg zu gehen? Ich fürchte nur, dass sie die gleichen Fehler machen werden, wie es die Väter machten. Sie werden genau wie ihre Väter in den Trümmern einer kriegerischen Auseinandersetzung enden.

    Rückblickend auf den 1. und 2. Weltkrieg waren die Verluste an den Ressourcen im 2. Weltkrieg um ein mehrfaches größer als im

    1. Weltkrieg. Ob die uns folgenden Generationen unbewusst oder bewusst auf einer vergleichbaren Schiene der Menschengeschichte, die auch wir von unseren Vorfahren übernommen und benutzt haben, einmal in ihren Abgrund rollen, wäre dann unsere Schuld. Sie müssen wie ihre Väter für die Verdrängung aller nicht verarbeiteten Tatsachen bezahlen. Und der nächste Kreislauf beginnt.

    Mein Interesse an der Geschichte meines Umfeldes, meiner Heimat und Europas kam auf, als der wahnsinnige 2. Weltkrieg endlich sein Ende gefunden hatte. Zu der Verarbeitung meiner Erlebnisse, damals im Frieden als Kind und als Jugendlicher im Krieg, gehört die Begegnung mit den Fragen über die gelebte Zeit. Hierzu gehören ebenfalls Wahrnehmungen und Empfindungen aus meiner Lebenszeit.

    Ich benötige auch heute noch Zeit für diese Arbeit. Der 2. Weltkrieg, seine Brutalität, seine Verbrechen kann ich nicht aus meiner Seele löschen, der 2. Weltkrieg ist in meiner Seele fest verankert. Bis zu meinem Lebensende wird er mich begleiten.

    Der Bevölkerung kam es nach dem 2. Weltkrieg darauf an, welche Partei in der Lage sein wird, den Menschen Arbeit und somit Nahrung zu geben. Wir haben damals in den drei Westzonen nur deshalb so gut leben können, weil auf dem Gebiet der Sowjetzone die Sowjetmacht stand. Äußerungen im Westen waren zu hören: „Wer uns das dickste Butterbrot geben wird, zu dem werden viele Menschen freiwillig – sogar in den Machtbereich der Sowjets – umziehen." Politische und wirtschaftliche Weiterentwicklungen im Bereich der späteren DDR ließen die Menschen sehr schnell umdenken.

    Ich beginne mit meinem Bericht.

    IM GEDENKEN      

    AN MEINE GLEICHALTRIGEN UND      

    JÜNGEREN KAMERADEN,      

    DIE NOCH IN DEN LETZTEN      

    LANGEN MONATEN      

    DES ZWEITEN WELTKRIEGES      

    ALS KANONENFUTTER      

    VERHEIZT WORDEN SIND,      

    UND AN DIE KAMERADEN,      

    DIE AUS ANDEREN GRÜNDEN      

    DEN ZWEITEN WELTKRIEG NICHT      

    ÜBERLEBT HABEN,      

    DIE NICHT DAS GLÜCK HATTEN,      

    IHRE ANGEHÖRIGEN      

    UND IHRE HEIMAT WIEDERZUSEHEN.

    2      Rückblick auf 1943 - Schulzeit und Jugendjahre

    Während meiner Schulzeit im Jahre 1934, ich bin gerade siebeneinhalb Jahre alt, kommen erwachsene Männer zum Besuch der Schulkinder in meine Grundschule, die Luther-Schule meiner Heimatstadt. Sie erzählen uns Geschichten von unseren tapferen Soldaten. Und von unseren Soldaten, die im Kriege 1914-1918 in Feindesland gefallen sind. Sie erklären uns, dass es gut und nützlich sei, in Zukunft für gute Beziehungen zwischen den Völkern zu sorgen. Wir haben doch unser Leben noch vor uns und deshalb sollen wir Geld für die Pflege der Kriegsgräber unserer gefallenen Soldaten spenden. Die Kriegsgräber befinden sich, wie sie uns erzählen, weit weg von der Heimat. An Orten oder auf den Schlachtfeldern des „Großen Krieges" 1914 bis 1918. Mit fröhlichen Herzen geben wir von unserem Gesparten.

    In unregelmäßigen Zeitabständen finden diese Sammelaktionen wieder statt. Mit den Sammlungen werden wir Kinder bereits in der ersten Schulklasse an die „Volksgemeinschaft herangeführt. Mit allgemeinen Erklärungen wie „Gemeinsinn geht vor Eigensinn und „Es wird nie wieder einen Krieg geben" verstärkte sich unsere Spendenfreude.

    Unsere Staatsmacht, für uns Kinder noch völlig unbekannt, fordert von den heranwachsenden Kindern sehr früh, sich den politischen Ansprüchen fröhlich und freiwillig anzuschließen. Von den politischen Dingen unbeeindruckt machen wir weiter unsere Streiche. Bis zu dem Zeitpunkt, wo uns das Fell nicht mehr juckt. Altersbedingt sind wir Jungen störrisch, folgen gleichwohl brav den Wünschen der Eltern. Die Erwachsenen, die Eltern, die Amtspersonen und die Lehrer verlangten von uns Kindern Respekt und unsere Ehrfurcht.

    Ab 1936 wird jeder deutsche Junge im Alter von zehn Jahren von der Nationalsozialistischen Partei aufgefordert, Pimpf zu werden. Es ist die unterste Stufe in der Hierarchie der Machthaber des Dritten Reiches. Im Jahr 1937 werde ich dann endlich Pimpf beim „Jungvolk". Die Rangfolge im Aufstieg der deutschen Jugend liegt fest. Nach der Zeit beim Jungvolk kommt ab dem vierzehnten Lebensjahr die zweite Stufe bei der HJ, der Hitler-Jugend.

    Ab dem achtzehnten Lebensjahr, nach Abschluss der Ausbildung, kommt der Übergang zum Reichsarbeitsdienst. Hier sollen die jungen Menschen in die Nationalsozialistische Partei eintreten. Nach der Zeit beim Reichsarbeitsdienst sollen die Männer ihren Wehrdienst beim Militär ableisten. Politisch gestärkt und zum Kampf für unseren „Führer fähig stehen die Soldaten den weiteren Befehlen zur Verfügung. Die aufgezeichnete Ordnung ist für die Staatsmacht unter dem Führer Adolf Hitler aufgestellt. Bis zum Ende unserer Tage werden wir aus dem „Nationalsozialistischen System nicht mehr freikommen. Die Mädchen haben eine vergleichbare politische Ausrichtung und Ausbildung.

    Mit meiner Anmeldung bei dem Jungvolk 1937 erhalte ich von meinen Eltern meine komplette Uniform. Dazu Lederknoten, das braune Hemd, das schwarze Halstuch und den Koppel. Die meisten Jungen meiner Umgebung sind wie ich in dieser Gemeinschaft. Auf keinen Fall will jemand von uns abseits stehen. Mein Wunsch, mit gleichaltrigen Jugendlichen zusammen zu sein, erfüllt sich. Mit den Jungen gemeinsam marschieren und singen ist gerade mir als Einzelkind sehr wichtig. Mit meiner Aufnahme beim Jungvolk bin ich, zusammen mit meinen Gleichgesinnten, bereits vom System eingefangen, ohne es zu erkennen. Stets geschmeidig und formbar bleiben, das ist ganz nach dem Willen der Obrigkeit! Unseren „Treueeid" auf den Führer leisten wir Pimpfe im Alter von zehn Jahren.

    Die Jugendführung betäubte mich nicht nur allein mit den zackigen Liedern. „Unsere Fahne flattert uns voran, „Ein junges Volk steht auf zum Sturm bereit, „Vorwärts, vorwärts, schmettern die hellen Fanfaren. Nicht vergessen: „Es zittern die morschen Knochen! Das sind unsere Lieder. Dass es Kampflieder der HJ-Führung für uns Pimpfe sind, ist mir nie bewusst geworden. Gemeinsam singen und schmettern wir diese Lieder aus vollen Kehlen. Die Texte lernen wir sofort auswendig, ihren Inhalt verstehen wir Pimpfe nicht. Für uns ist es nur wichtig, dass die Menschen, die unsere Lieder auf den Straßen hören, diese zur Kenntnis nehmen. Hören die Menschen die Texte überhaupt? „Die Fahne ist mehr als der Tod?"

    Nach der endgültigen Vereinnahmung der Jugend durch die Parteiführung wird diese zu den Zukunftsträgern der deutschen Nation ausgezeichnet. Wir jungen Menschen steigen so zur Herrenrasse auf. Diese Aussage unseres Führers Adolf Hitler vernehme auch ich mit Stolz, fühle mich persönlich angesprochen, nur kann ich die wohlgeformten Worte nicht verstehen. Wir sollen, das sind die Worte Adolf Hitlers, künftig von den Alten – dazu gehören selbstverständlich die eigenen Eltern und Großeltern – keine große Notiz mehr nehmen. Ihre erbrachten Leistungen sind heute nicht mehr gefragt. Ich gebe zu, das verstehe ich nun gar nicht. In Zukunft sollen wir nur noch dem Führer gehorchen. Diese Forderung, an uns Heranwachsende gerichtet, verstehe ich. Das kann ich nachvollziehen. Mit dem von uns Jungen erwarteten Gehorsam und unserer Bereitschaft werde auch ich alle Befehle des Führers befolgen. Mein Gehorsam gilt einfach als Zeichen meiner Dankbarkeit.

    Weitere Befehle folgen: Wir Jungen sollen flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl sein. Das „flink wie Windhunde, zäh wie Leder" spricht mich an. Mit dem harten Kruppstahl habe ich meine Schwierigkeiten.

    Die Forderungen der Staatsmacht einerseits und ihre Versprechungen andererseits, sie wirken wie Zuckerbrot und Peitsche, sie betäubten bis auf eine bedeutungslose Anzahl von Jungen und Mädchen die gesamte deutsche Jugend. Geradezu großspurig und überheblich lässt uns die Partei an der kurz gehaltenen Propagandaleine marschieren und singen. Und ich finde es gut, wie es ist. Meine gleichaltrigen Jungen machen keine Aussagen, ob sie es gut finden. Sie gehorchen ohne Widerworte, genauso wie ich.

    Die Partei zeigt uns Pimpfen die Wege für unsere körperliche Entwicklung: Erstens, jeden Mittwoch und Sonnabend jeweils um 15:00 Uhr antreten. Marschieren und Lieder singen. Unsere kleinen Führer füttern uns mit dem nationalsozialistischen Gedankengut als geistige Nahrung. Geländespiele dienen unserer Körperertüchtigung.

    Ich gehe auf das Gymnasium, heute Oberschule für Jungen, in meiner

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