Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Eine mörderisch gute Schule: Nur wer Talent hat, überlebt
Eine mörderisch gute Schule: Nur wer Talent hat, überlebt
Eine mörderisch gute Schule: Nur wer Talent hat, überlebt
Ebook280 pages3 hours

Eine mörderisch gute Schule: Nur wer Talent hat, überlebt

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Der fiktionale Psycho-Thriller führt den Leser in eine zukünftige Welt, die er sich im Grunde nicht ausmalen mag, die aber doch schon zum Greifen nahe ist.

Die 16jährige Juli lebt nahe Hamburg und besucht ein spießiges Kleinstadt-Gym. Ihr Leben ist eher trist und wenig aufregend – alles ganz normal. Bis auf eines: Juli hat die Gabe der Synästhesie. Sie kann Farben sehen, wenn sie Töne, Worte oder Geräusche hört. Das ist wirklich etwas Besonderes.

Da erschüttert ein Amok-Lauf die Stadt. Und damit wird für Juli alles anders: Sie stürzt in eine tiefe Krise, zieht zu ihrem wohlhabendem Vater und beginnt ein neues Leben. Alles scheint perfekt, so perfekt, dass es schon wieder unheimlich ist.
Dass Juli mit diesem Gefühl gar nicht so Unrecht hat, erweist sich, als einer ihrer neuen Mitschüler auf mysteriöse Weise verschwindet.

Anhang: Der Anhang zum Psycho-Thriller bietet dem interessierten Leser einen Synästhesie-Test zum Selbst-Testen.

Glossar: Im Glossar finden sich Hintergrundinformationen über besondere Begabungen und Krankheitsbilder.

Hamburg-Links: 60px.de ; hamburger-kleinod.de
LanguageDeutsch
Publisherepubli
Release dateNov 24, 2012
ISBN9783844234527
Eine mörderisch gute Schule: Nur wer Talent hat, überlebt

Related to Eine mörderisch gute Schule

Related ebooks

Thrillers For You

View More

Related articles

Related categories

Reviews for Eine mörderisch gute Schule

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Eine mörderisch gute Schule - Birgit Rüsch-Neuhaus

    Impressum

    Titel: Eine mörderisch gute Schule - Nur wer Talent hat, überlebt

    Autorin: Birgit Rüsch-Neuhaus

    published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

    Copyright: © 2012 Birgit Rüsch-Neuhaus

    ISBN 978-3-8442-3452-7

    Birgit Rüsch-Neuhaus

    Eine mörderisch gute Schule

    Nur wer Talent hat, überlebt

    Psycho-Thriller

    Für A.

    Ich traf ihn nur ein einziges Mal; sein Schicksal hat mich tief bewegt.

    Für meine Tochter, mit der ich so bereichernde Gespräche über Synästhesie führen durfte.

    Vorwort

    Es ist laut, es ist heiß und es wird immer enger hier am Ende des Catwalks.

    Alles drängt sich um uns, um ihm einmal im Leben nahe sein zu können. Wir sind eingekesselt, können kaum atmen. Tausend Leute um uns herum haben die Arme hochgerissen, sie schwenken gleißend weiße Lichter und summen die Melodie seines Welthits mit: Ein Raunen hat die ganze „Hamburg-Arena" erfüllt; alle sind bei ihm, dem Mann, der sie alle verzaubert hat heute Abend - wie überall auf der Welt und jedes Mal, wenn er eine Bühne betritt, wenn er seiner Stimme und dem Spiel seiner Hände freien Lauf lässt.

    Jetzt! Er setzt den Fuß auf den Catwalk, der ihn von der Unnahbarkeit der Bühne tief hinein zu uns in die Menge seiner Bewunderer führt. Ich weiß, ich habe den richtigen Platz ausgewählt: Hier werden wir ihn abfangen!

    Er kommt direkt auf uns zu. Auf der runden Plattform bleibt er stehen, geht in die Hocke und reicht den ersten, denen, die am nächsten dran sind und mutig, die Hand: Er lächelt, er lacht. Kein Wunder, die Menschen lieben ihn!

    Ein Mädchen mit rotem Haar ist die Erste, ein Junge im Elvis-Outfit der Zweite. Sie stehen genau vor uns.

    „Du bist dran!, schreie ich Cassie ins Ohr und drücke ihr das Foto in die Hand. „Zeig’s ihm - jetzt!

    Binnen Sekunden läuft vor meinem inneren Auge ein Film ab: Was ist bloß alles geschehen in den vergangenen Monaten, wie hat sich das Leben für uns alle verändert, wie hat sich das Wort „Leben" in seiner Bedeutung für uns alle gewandelt!

    Kapitel I

    So weiß wie Schnee

    Es war einer dieser wenigen verwunschenen Wintertage im Jahr 2020 gewesen. Damals, zwei Wochen vor Weihnachten, hatte es wohl keinem, wirklich keinem Jugendlichen Leid getan, dass er nicht unter der ewig strahlenden Sonne Kaliforniens lebte, sondern genau hier: in einem verschlafenen Kaff in Südholstein, mitten im Speckgürtel Hamburgs, da wo die Zeit seit dem Millennium beinahe stehen geblieben war!

    Es hatte nämlich über Nacht geschneit, ganz leise und fein und weiß und sauber wie der Puderzucker, den eine liebe Omi am Sonntag für ihre Enkel über einen frischgebackenen, duftenden Puffer siebt!

    (Meine Omi hat das übrigens früher auch getan - jeden Sonntag, vor ein paar Jahren, als sie noch so richtig fit war, als sie noch jede Woche genau wusste, wann Sonntag war...)

    Genau damals hatte alles begonnen.

    So rot wie Blut

    Ich merkte es gleich beim Aufwachen: Die Luft schmeckte anders als gestern - kühl und klar und supersauber. Und die Geräusche, die von der Straße herauf in mein Zimmer drangen, klangen viel gedämpfter als sonst. Mein Fenster stand auf Kipp. Die Zeitschaltuhr hatte wie immer in den letzten drei Tagen dafür gesorgt, dass sich Punkt sechs mein Fenster, wie von Geisterhand bewegt, lautlos einen Spalt breit öffnete. Und auch dafür, dass das runde „Morgensonnelicht" wie gewünscht warm und unaufdringlich über meiner Zimmertür glomm. (Ich sage dir: Auf unseren neuen Computer für House Keeping, Mums neueste Errungenschaft und vorgezogenes Weihnachtsgeschenk für uns beide, war echt Verlass!)

    Aber heute brauchte ich die Augen gar nicht aufzumachen, um meine künstliche Morgensonne zu sehen: Eben erklang nämlich aus den Boxen zu beiden Seiten der Tür leise mein Lieblingssong: „Paradise von „Lord Future! Gleich die ersten Akkorde ließen vor meinem inneren Auge ein warmes, weiches Bananengelb herbeifließen. Herrlich! Ich kuschelte mich tiefer in meine Decke und lauschte auf die sanfte Flut aus gelben, grünen und himmelblauen Tönen... bis plötzlich ein grauvioletter Misston eine hässliche Schneise in meinen wundervollen Film schlug.

    Natürlich! Von draußen her bahnte sich das Zischen der modernen Vakuumpumpe unserer Müllabfuhr durch den Fensterspalt. Wie jeden Donnerstag um diese Zeit schnaufte sie sich schwer durch die kleine Siedlung der Schusterstadt nördlich der Bahnlinie. Allerdings - ich konzentrierte mich auf das hässliche Geräusch - klang sogar ihr schmutziger Atem heute irgendwie feiner und weicher als sonst! Ich schlug die Augen auf; mein sonniges Paradies verflüchtigte sich. Ich reckte den Hals, um auf die Straße zu spähen. Dann ein Lachen der Verwunderung: überall Schnee! Das reale Paradies war weiß. Mein Herz hüpfte: Heute war ein ganz besonderer Tag!

    Gleich darauf erfuhr meine Begeisterung einen Dämpfer: Bio-Test, erste Stunde!, schoss es mir durch den Kopf. Genetik. Hoffentlich fragte „der Findling nicht so penetrant genau! Ich griff nach meinem Handy: kurz das Network checken! „Ich brauch dich! Das war von Celine. Aber keine Nachricht von Lenny...

    Der zweite Dämpfer kam, als ich im Bad meine leere Zahnpasta-Tube in dem kleinen silbernen Mülleimer versenken wollte: ein Schwangerschaftstest! Wie hypnotisiert glotzte ich auf das Anzeigefenster - und atmete gleich darauf auf: Ergebnis negativ! Ich erwischte mich beim Kopfschütteln: Was um Himmels Willen fiel meiner Mum bloß ein?

    Der dritte Dämpfer kam, als ich eben mein Rad aus dem Carport holte. (Ja, Rad! Du hast richtig gehört: Ich fuhr immer noch ein stinknormales, uraltes Fahrrad. Und warum? Weil Mum mir noch immer kein E-Bike gekauft hatte. „Ist nicht drin, hatte sie immer wieder gesagt, „bei dem wenigen Geld von deinem knickrigen Vater! Und mein Wochenend-Job in Pepes Tapas-Bar brachte es auch nicht!)

    Jedenfalls rutschte mir da das antike Teil glatt auf dem Weg zur Straße unter dem Hintern weg: Holla! Fahrräder haben leider keine Spikes.

    „Juli! Vorsicht! Brich dir nicht die Knochen, Kind!"

    Das kam von der Haustür. Das konnte nur Mum sein!

    „Alles perfekt!, rief ich krächzend zurück, während ich mich aufrappelte. „Du weißt doch: Ich hab Knochen so hart wie Diamant!

    „Hast du auch dein Vollkornbrot?"

    Mum war noch in ihrem babyblauen Bademantel, hatte wohl wieder Nachtschicht am Schreibtisch gehabt. Seit drei Monaten machte sie nebenberuflich diesen teuren Fernlehrgang; Ernährungsberaterin wollte sie werden. Aber noch war sie nur Drogeriefachverkäuferin. Seit dem Millennium hatte sie sich jedes Jahr einen neuen Arbeitsplatz erkämpfen müssen; denn eine Dromarktkette nach der anderen machte Pleite. Jetzt gab es in unserer Gegend nur noch zwei. Seitdem Mum studierte, trieb ihr Gesundheitsfimmel immer schlimmere Blüten: Im Haus hatte sie alles auf „Öko" getrimmt; bei mir überwachte sie Zahnpflege und Ernährung, als ginge ich noch in den Kindergarten.

    Jetzt stellte sie ihre Tasse mit dampfendem Kräutertee ab, fuchtelte wild mit den Armen herum und rief mir noch was hinterher! (Sie konnte so peinlich sein!) Ich verstand nur „langer Tag und „Denk an Omi! Und dann tauchte auch noch Sascha in der Haustür auf! Sascha war Mums neueste Eroberung - zehn Jahre jünger als sie und total in sie verknallt - und das schon seit drei Monaten. Sascha!

    Sein Name hatte dasselbe Babyblau wie Mums Bademantel. Irgendwie schienen sie also zusammenzupassen. Sie hatte ihn im Fitness-Studio kennen gelernt. Er strotzte geradezu vor Testosteron und er schämte sich nicht, sie vor meinen Augen zu umarmen und abzuknutschen, wann immer es ihn gerade überfiel.

    Ich stöhnte genervt; dabei gönne ich Mum durchaus das Umsorgtwerden. Dad hatte sich schließlich seit drei Jahren nicht mehr bei uns blicken lassen. Seitdem er damals Knall auf Fall ausgezogen war (ich höre ihn immer noch die Tür zuschlagen!), kamen nur noch seine monatlichen Schecks aus Heimberg: einer für Mum und mich und neuerdings einer für Omis sauteures Altenheim in Hamburg; zu meinem Geburtstag schickte er jedes Jahr pünktlich eine Mail.

    Also riss ich mich zusammen. Ich holte tief Luft und rief angestrengt fröhlich zurück: „Alles klar, hab alles! Und Omi vergess‘ ich nicht!"

    (Mein Pausenbrot hatte ich natürlich zu Hause gelassen, aber das musste Mum ja nicht wissen. Und an Omi würde ich erst am späten Nachmittag wieder denken, wenn ich in der Bahn saß und mich auf meinen Auftritt im Altenheim vorbereitete.)

    Damit war ich endlich weg!

    Der weiße Puderzucker ließ die Reifen meines Rades leise knirschen, aber rundherum hatte er alles sonst so hässlich Laute wie in weiche Watte gepackt. Ich genoss die frische, kühle Luft dieser weißen Winterwelt und atmete sie tief bis in meinen Mittelpunkt ein.

    Als der kleine Supermarkt an der Ecke zur Schulstraße in mein Blickfeld rückte, war Schluss mit Idylle: Wie jeden Morgen hing eine dunkle, rumorende Traube von Schülern vor dem Eingangsbereich - wie ein Bienenschwarm vor dem Stock. Schon von Weitem erkannte ich Celine: Ihre Igelfrisur in Pink, perfekt gegelt wie immer, stach grell aus dem Schwarz der Schülerklamotten hervor. Gleich darauf wusste ich, dass es Celine nicht gut ging: Ihre Augen waren rot und verquollen. Das konnten auch die Gläser ihrer teuren Designer-Brille nicht verschleiern. „Wegen Bjarne?"

    Celine nickte und schluchzte. „Der hat ’was mit dieser Neuen aus der b, dieser dürren Giraffe."

    „Oh", antwortete ich möglichst mitfühlend und rollte vielsagend mit den Augen. Vertiefen wollte ich das Problem so kurz vor Unterrichtsbeginn lieber nicht: keine Chance auf Lösung so schnell! Erst am Wochenende hatte Celines Bjarne bei Pepe Tapas gegessen - in Begleitung einer Anderen: langhaarig und mit Gazellen-Beinen.

    „Franzbrötchen!", schlug ich vor. Die süßen Dinger helfen nämlich todsicher gegen Liebeskummer. Ich schob Celine in Richtung Eingang und spähte in den Laden: Das halbe Gym war schon drin, raffte hektisch den Proviant für einen langen, öden Schultag zusammen.

    In der Luftschleuse mussten wir an ein paar Mädchen aus unserer Klasse vorbei. Die standen da wie aufgebrezelte Krähen in ihren neuesten Designer-Klamotten, bibbernd vor Kälte; denn schön geht nun mal vor praktisch. Jede war scheinbar in ihr Smartphone vertieft. Aber natürlich beobachteten sie uns; wahrscheinlich hatte ihr Chat gerade eben uns beide zum Thema. In ihren silbernen Astro-High-Heels, gestuften Miniröcken aus schwarzer Spitze, voluminösen Fallschirmspringerjacken aus hauchdünnem Silberlamee nahmen sie den neuesten Trend der NY Fashion Week vorweg und zeigten uns beiden, dass wir bestimmt nicht dazugehörten.

    Margaux, die Hyäne, gab sich alle Mühe, dass Celine sehr wohl mitkriegte, dass man mal wieder über sie herzog: Ganz deutlich war ein höhnisches „Porky" zu verstehen.

    Dann kassierten wir einen Pfeilhagel giftiger Blicke. Celine zog den Kopf ein und hielt sich in meinem Windschatten. Ich aber segelte hocherhobenen Hauptes direkt an Margaux vorbei. Ich grinste schadenfroh; denn schließlich hatte ich gestern Mittag dafür gesorgt, dass sie zur Abwechslung mal hatte leiden müssen. (Ich hatte ihre Spaghetti Bolognese in der Mensa kurzerhand im Vorbeigehen mit einer gehörigen Portion Tabasco aufgepeppt. Puterrot war sie angelaufen, geheult hatte sie - und gejapst wie ein Fisch auf dem Trocknen!) Leider legt so eine Aktion eine Giftspritze wie Margaux höchstens für ein paar Stunden lahm! So eine erholt sich schnell! Margaux war bekannt dafür, dass sie keine Gelegenheit ausließ, Leute fertig zu machen: Mich nannte sie die „Möchtegern-Milano - wegen meiner Vorliebe für italienische Schuhe und Lenny mit der Stupsnase, dessen Vater mit Öko-Häusern für das Ferienzentrum in Olpenitz einen Flop gelandet hatte, nur verächtlich „den Greench - und das sogar, wenn Rektor Wiegand direkt daneben stand.

    Während Celine im Back-Shop einkaufte, blieb ich in der Luftschleuse stehen. In der Kassenschlange entdeckte ich zwei Jungs aus unserer Klasse.

    (Der Laden ist altmodisch, musst du wissen. Er hat keine Terminals zum Selber-Einscannen der Ware, sondern noch Omis an allen Verkaufstresen und an der einzigen Kasse: alle in gebügelten schweinchenrosa Kitteln mit Rüschen! Und die haben einfach alles! Und wenn ich mir vorstelle, dass meine Omi hier morgens an der Kasse säße - bei dem Gedanken muss ich jedes Mal schlucken.) Aidan aus unserer Klasse - unübersehbar mit seinem Kreuz wie ein Wrestler - wahrscheinlich hatte er wieder die halbe Nacht im Fitness-Club gepumpt, kam eben dran: Da rülpste er ungeniert und unüberhörbar, danach rollte er drei Dosen mit Power-Drink in Richtung Kassiererin. Die Omi zuckte so entsetzt zusammen, dass ihre rosa Rüschen zitterten. Hinter Aidan drängelte sich Marvin in die Schlange. Er wedelte auffällig und breit grinsend mit einer Flasche Ketchup: „...für die Pausen-Pommes...!"

    Die Omi merkte nicht, dass Marvin gleichzeitig mit routiniertem Griff einen Flachmann in seiner Jackentasche verschwinden ließ.

    Plötzlich rasten zwei E-Bikes von draußen an mir vorbei, schlitterten über die von Schneematsch nassen Fliesen. Kinder schrien, Bremsen quietschten. Ein Rad knallte scheppernd auf die Fliesen. Schriller Schmerz fuhr durch meine Zähne.

    Ein strampelndes Etwas mit knallrotem Helm landete zu Celines Füßen, umklammerte ihre Beine. Der zweite Junge fuhr die beiden fast über den Haufen. Er stieg nicht vom Rad. Er nahm den Helm nicht ab.

    „Kevin, du Opfer!", zischte er bloß. Dann war er schon fast wieder raus aus dem Laden.

    Ich packte ihn an der Jacke, versuchte ihn zu halten - vergeblich! Er riss sich los, jagte über meine sauteuren italienischen Stiefel und entschwand in der unschuldig weißen Winterwelt. Der zweite kalte Schauer dieses Morgens durchfuhr mich wie ein kalt glänzender, violetter Pfeil.

    Celine und ihren kleinen Bruder im Schlepptau, schob ich mein Rad die letzten Meter zur Schule. Celine heulte, diesmal nicht wegen Bjarne, sondern wegen der Brille: Die war schrottreif. Kevin, das Gesicht puterrot vor Wut und Scham, brütete dumpf vor sich hin. Dann stellten wir die Räder ab und teilten unsere Franzbrötchen auf - warm und weich und mit Schokofüllung!

    Vor dem Haupteingang war Stau: Mindestens fünfhundert Schüler wollten ’rein ins Gym, aber keiner durfte. Irgendwas war in der Pausenhalle los! Graues Gemurmel, immer lauter! Kleine Jungs schubsten und pöbelten. Die älteren hielten lässig ihre Fotohandys hoch: unverhoffte Schnäppchen für „TouTube"!

    Ein beißender Geruch drang aus dem grauen Klotz in die kühle, klare Winterluft. Ich stieg auf meinen Rucksack und reckte den Hals.

    „Der Baum brennt!", rief jemand.

    Drinnen war unser Hausmeister voll im Einsatz, ein Bär von einem Mann. Ein anderer hätte es in unserem Chaotenladen auch nicht ausgehalten! In voller Brandschutzmontur schwenkte er jetzt einen roten Schaumlöscher und brüllte zwischendurch neugierige Schüler zurück.

    Schulfrei?!, schoss es mir durch den Kopf. Verschiebung des Testes?

    Fehlanzeige! Als es gleich darauf zur ersten Stunde klingelte, dirigierte der Hausmeister ganz cool die gesamte Schülerschaft durch die Halle.

    Vorbei an einem verkohlten Wrack von Nordmanntanne, die irgendjemand bestimmt absichtlich in Brand gesetzt hatte, schlichen wir alle irgendwie beklommen zu den Unterrichtsräumen. Celine presste sich ein Papiertaschentuch auf Nase und Mund. Ich hielt auf dem unteren Flur des Altbaus einfach die Luft an. Oben war es leider nicht besser: Der beißende Gestank nach verkokeltem Tannengrün und zusammengeschmolzenem Plastik-Baumschmuck war schneller als der Schülerstrom bis in den letzten Winkel des alten Gemäuers gezogen.

    Wenigstens wurde oben im ersten Stock gleich die Tür zum Bio-Raum geöffnet. Als sie aufschwang, sprang mir dennoch für einen Moment das Graffito ins Auge: grottenschlecht, aus giftgrüner und roter Lackfarbe, boshaftes Abschiedsgeschenk des Schülers, der vor einer Woche geflogen war! Das Wort über seinem blutroten Tag sagte alles: „Grrr!"

    „He, Julia! Fabian stupste mir ein wenig zu übermütig in die Seite. „Du kannst bestimmt alles, du wiederholst ja.

    „Was du so denkst!, antwortete ich genervt. „Du weißt doch, dass ich zweimal gefehlt hab’. Frag Steffi, die war immer da.

    Wie kam er bloß darauf, dass ich den Stoff beherrschte, nur weil ich ihn zum zweiten Male durchnahm! Für mich war’s jetzt eigentlich auch das erste Mal. Als ich letztes Jahr in der zehnten war, hatte ich so gut wie gar nichts mitgekriegt. Damals war das nämlich mit Omi so richtig schlimm geworden: Da hatte sie selbst vom Brötchen holen nicht mehr zurück nach Hause gefunden und brauchte rund um die Uhr einen Aufpasser - mich!

    „Ach, Steffi..., murmelte Fabian, „die klebt immer mit ihrer Nase auf dem Papier.

    Natürlich, dachte ich. Steffi war schließlich jedes Mal hochkonzentriert bei der Arbeit, wenn ein Test anstand. Mit affenartiger Geschwindigkeit schrieb sie ihre perfekten Antworten runter, als würden sie ihr per MP3-Player direkt in Ohr und Hirn strömen. Die hatte ja auch eine todsichere Strategie gefunden, um bestmöglich durchzukommen, und die zog sie eiskalt durch! Ihr Vater verlangte Einser von ihr; da muss

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1