Als die Kosaken kamen: Der Erste Weltkrieg in Ostpreußen und die Volksabstimmung
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Es ist fast völlig in Vergessenheit geraten, aber in Ostpreußen fand der Erste Weltkrieg auf deutschem Territorium statt, monatelang waren zwei Drittel der Provinz russisch besetzt.
Das Ebook berichtet über die Gründe des leichten Eindringens der russischen Truppen und die Rolle von Hindenburg und Ludendorff. Breiten Raum nehmen die Kriegsentwicklung und die Schlachten von Tannenberg und an den masurischen Seen 1914 sowie die Masurische Winterschlacht im Februar 1915 und die russische Besetzung ein.
Ferner werden die Folgen dargestellt, von den Kriegsschäden und dem Wiederaufbau über die Ereignisse der Novemberrevolution 1918 und den Versailler Vertrag bis hin zur darin begründeten Volksabstimmung von 1920 und deren Ausgang.
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Book preview
Als die Kosaken kamen - Brigitte Jäger-Dabek
Vorwort
Fragt man einmal herum, was heute den Deutschen zum Thema Erster Weltkrieg so einfällt, wird man wie aus der Pistole geschossen hören: Verdun. Danach aber folgt schon bald das große Schweigen. Natürlich, Verdun ist längst zum Synonym geworden für die Blutmühle des Stellungskriegs an der Westfront, in der auf beiden Seiten ganze Generationen dahingemetzelt wurden.
Darüber hinaus aber ist einmal abgesehen vom Auslöser des Krieges, dem Attentat von Sarajewo oder dem Gaskrieg bei Ypern, das Wissen über das übrige Geschehen verblasst und fast ausschließlich auf die Kenntnisse über die Westfront in Nordfrankreich und Belgien beschränkt, Schon die kaum weniger Opfer fordernden Fronten in den Dolomiten und am Isonzo sind aus dem Blickfeld gerückt.
Fast ganz aus der Erinnerung gerutscht ist die Ostfront, an der schon zu Kriegsbeginn 1914 die österreichisch-ungarischen Truppen an der Front in Galizien Verluste erlitten, von denen sie sich nie mehr erholten. Ostfront – das ist allenfalls noch durch den Frieden von Brest-Litowsk bekannt.
Dann ist da noch Tannenberg. „Ach ja, Tanneberg, das war doch der Sieg von Hindenburg, ja, doch .. hört man dann. Das steht im seltsamen Kontrast zu den Behauptungen, die man immer wieder hört: „Der Erste Weltkrieg fand ja nicht auf deutschem Boden statt.
Das aber ist schlicht falsch.
Es ist völlig in Vergessenheit geraten, dass die Generation meiner Großmütter bereits im Ersten Weltkrieg einmal geflüchtet ist, sofern sie denn in Ostpreußen lebte. Und der Erste Weltkrieg in Ostpreußen war nicht nur die eine Schlacht bei Tannenberg, sondern eine im August 1914 beginnende, Monate währende Besetzung des größten Teils der damals östlichsten Provinz Deutschlands. Erst im Frühjahr 1915 war Ostpreußen wieder ganz befreit. Mit der Schlacht bei Tannenberg war es nicht getan, zwei weitere große Schlachten, eine an den Masurischen Seen und die Masurische Winterschlacht waren dazu nötig. Dazwischen lagen Monate russischer Besetzung.
Die Gründe dafür, dass dieser Teil des Ersten Weltkriegs in Deutschland fast in Vergessenheit geriet, sind zum einen darin zu sehen, dass Ostpreußen nicht mehr zu Deutschland gehört, zum anderen, dass die seinerzeitige Lichtgestalt Hindenburg sowie sein Stabschef Ludendorff heute kritischer gesehen werden und auch die Mythenbildung um Tannenberg differenzierter beurteilt werden.
Wogen des Nationalismus und den Beginn der Unversöhnlichkeit brachte die Volksabstimmung nach Ostpreußen. War es bis zur Reichsgründung relativ egal, welcher Sprache sich ein Bürger Preußens im Alltag bediente, wurde die eigene Muttersprache vieler Ostpreußen, also das masurische oder ermländische Polnisch plötzlich zum Ausschluss- und Entscheidungsfaktor. Nur wer deutsch sprach und die Zugehörigkeit zur deutschen Kultur betonte, war ein guter Ostpreuße, alle anderen standen unter dem Generalverdacht, so etwas wie Vaterlandsverräter zu sein. Auch ohne diesen Druck und die Agitationswellen hätten sich die meisten Masuren und Ermländer vermutlich für einen Verbleib beim Ostpreußen entschieden, denn es wurde auf den Stimmzetteln nach Ostpreußen und nicht nach Deutschland gefragt. Auch auf polnischer Seite wurden alle Register des aufbrandenden Nationalismus gezogen, die zwangsgermanisierten masurischen und ermländischen Brüder sollten mit in einem freien Polen leben. Es bedurfte also nicht erst des Dritten Reichs und des Nazirassismus, um Schluss zu machen mit dem eigentlichen Reichtum der Provinz: der kulturellen Vielfalt eines der ersten Einwanderungsländern der Geschichte.
Vorgeschichte und Kriegsursachen
Sucht man nach den Ursachen für den Ersten Weltkrieg, muss man zunächst ein Stück zurückgehen. Die Gründe reichen bis fünfzig Jahre zurück, als die Gründung des Deutschen Reiches – noch dazu mit dem Schwert - das europäische Machtgefüge, die „balance of power" gründlich durcheinander brachte.
Das Deutsche Reich, als letzter europäischer Nationalstaat aus der Taufe gehoben, war eine unvollständige Gründung. Einerseits in nationaler Hinsicht, denn es war eine kleindeutsche Lösung, andererseits war es auch als Verfassungsstaat unvollendet, von einer konstitutionellen Monarchie konnte man nicht reden, der Kaiser hatte die entscheidende Machtbefugnis, er war de facto ein absolut regierender Monarch.
Das Reich war eine zutiefst preußische Gründung, eine Art Groß-Preußen. Der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck hatte die Kriege von 1864 und 1866 gewollt und auch gemacht, um Österreichs Dominanz im Deutschen Bund zu brechen, und er hatte auch den Deutsch – Französischen Krieg von 1870/71 letztlich gemacht.
Entstanden durch militärische Gewalt, war das Wesen des Bismarckschen Reiches Macht, überlegene Macht, repräsentiert durch eine starke Armee. Diese säbelrasselnde Art der Reichsgründung, das Bild der Proklamation im Spiegelsaal von Versailles prägte das Bild des jungen Reiches bei seinen Nachbarn nachhaltig.
Die „verspätete Nation mit all ihren Komplexen des zu kurz gekommenen, ewig Benachteiligten entwickelte sich schnell zum größten Industriestaat Europas. Man suchte den Vorsprung der anderen Europäer wettzumachen und reklamierte für sich auch einen „Platz an der Sonne
, sprich Kolonien in Übersee.
Weltmacht wollte das Deutsche Reich sein- fordernd und immer ein wenig zu säbelrasselnd. Wilhelm II., seit 1888 Deutscher Kaiser, war die Personifizierung des Zeitgeistes seiner Epoche, zugleich Repräsentant und Spiegel einer militärisch geprägten Bürgergesellschaft. Getrieben vom Komplex des Hinterherhechelns des Spätgeborenen war er immer etwas zu laut, zu poltrig, zu nassforsch in seinem Vorgehen.
Dieses kriegerisch anmaßende Auftreten Wilhelms wurde zunehmend als Provokation verstanden und verprellte die Nachbarn. Die Folgen waren fatal: 1894 schlossen Frankreich und Russland ein Defensivbündnis gegen Deutschland. Diese Entwicklung war im Reich für völlig unmöglich gehalten worden, rechnete man doch Russland dem eigenen Einflussbereich zu und schloss eine Annäherung des republikanischen Frankreich an das dem Despotentum noch nahe Russland auch politisch aus.
Das Deutsche Reich steckte in der Zange, ein Zustand, den Bismarck um fast jeden Preis zu verhindern trachtete. Ihm war die ungünstige Mittellage Deutschlands bewusst und seine Doktrin lautete „Freundschaft mit Russland".
Er war in der Lage gewesen, die fünf Bälle der europäischen Mächte gleichzeitig jonglierend in der Luft zu halten, wenn auch zunehmend mit Problemen. Auch er konnte schon Frankreichs Isolierung nicht mehr vollkommen aufrecht erhalten, dass die Revanchegelüste dort wachsen mussten, war ohnehin klar.
Ein gleichzeitiges Bündnis mit Österreich – Ungarn und Russland zu erhalten wurde selbst für den Diplomaten Bismarck fast zur Quadratur des Kreises ob derer Interessengegensätze auf dem Balkan.
Seine Nachfolger waren nicht in der Lage, diese fragile Balance zu erhalten, wollten es auch nicht einmal. Schon Leo von Caprivi sah einen zukünftigen Zweifrontenkrieg als unausweichlich an, und Wilhelm II. ließ den Rückversicherungsvertrag mit Russland auslaufen.
In die zunehmende Isolation hinein folgte das nächste unbedachte Vorpreschen. Zum angestrebten Weltmachtstatus gehörte eine Flotte. Bismarcks Mahnung, sich mit dem Status einer Landmacht zu bescheiden, wurde in den Wind geschlagen. Man betrachtete sich auch keinesfalls mehr als saturiert und zerschlug mit verbalen Kraftakten viel Porzellan.
Wilhelm II. legte ein ehrgeiziges Flottenbauprogramm auf, mit dem er seine Hassliebe England herausfordern musste. Ein gigantisches Wettrüsten setzte ein, noch schlimmer war für Deutschland aber, dass England direkt in die Arme Frankreichs gedrängt wurde.
England das bisher keine eigenen kontinentalen Interessen gehabt hatte, trat 1904 in die Entente Cordiale mit Frankreich ein, das wiederum auf einen englisch – russischen Ausgleich drängte. 1907 steckten England und Russland dann ihre Interessen im Nahen Osten ab und kamen zu einer vertraglichen Bindung. Auch dies hatten deutsche Diplomaten für ausgeschlossen gehalten, die Gegensätze seien unüberbrückbar, hatte es geheißen.
Nun war es also passiert, Deutschland war isoliert, eingekreist – keineswegs ohne eigenes Verschulden. Ein neuer Komplex wuchs heran im Unterbewusstsein der jungen Nation: der Einkreisungskomplex. Die nun bestehenden Bündnisse erwiesen sich als haltbar, so haltbar, dass sie förmlich erstarrten und der Diplomatie keinen Spielraum mehr ließen. Von nun an wurde alles politische Handeln in Europa den