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FLORIAN GROBIAN: Eine Sommergeschichte
FLORIAN GROBIAN: Eine Sommergeschichte
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Ebook144 pages1 hour

FLORIAN GROBIAN: Eine Sommergeschichte

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About this ebook

Der aus bitterarmen Verhältnissen stammende Florian lernt in den Sommerferien seinen steinreichen Cousin Berthold kennen. Berthold besitzt einen eigenen Swimmingpool; er bewohnt in der Villa seiner Eltern zwei luxuriöse Zimmer mit teuren Spielzeugen; ihm gehören ein eigener Fernseher, ein Computer, eine elektrische Gitarre und tausend andere schöne Dinge. Florian hat kein eigenes Zimmer, keinen Swimmingpool und keinen eigenen Computer, denn seine alleinerziehende Mutter verdient nicht genug Geld. Verständlicherweise begegnet Florian seinem Cousin mit einer gewissen Reserviertheit. Obwohl Bernward sich oft hochnäsig und herablassend verhält, bemüht Florian sich, ein gutes Verhältnis zu Berthold zu bekommen. Ob ihm dies gelingen wird? Eine Antwort auf diese Frage gibt der unterhaltsame Familien-Roman "Florian Grobian", der als Sozialstudie mit satirischen Untertönen angelegt wurde.
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateNov 8, 2012
ISBN9783847622642
FLORIAN GROBIAN: Eine Sommergeschichte

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    Book preview

    FLORIAN GROBIAN - Erhard Schümmelfeder

    Vorwort des Autors

    Eine Erinnerung aus der Schulzeit

    Als ich neunzehn Jahre alt war, führte ich ein Gespräch mit Wieland, einem Deutschlehrer. Er fragte mich nach dem Unterricht, als wir allein in der Klasse waren: »Sie schreiben?«

    »Ich versuche es«, antwortete ich.

    Er fuhr fort: »Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, was das Wichtigste für einen Schriftsteller ist?«

    »Nein«, gab ich zu.

    Er redete viel von der Magie der Sprache, von der Gefahr der Missdeutungen und vielem mehr. Der Satz aber, den ich nie vergessen werde, lautete: »Das Wichtigste für einen Schriftsteller ist - « Er unterbrach sich, dachte einen Moment nach und begann den angefangenen Satz von neuem: »Das Wichtigste für einen Schriftsteller ist, dass er Armut kennt.«

    Aus: Denkzettel eines Zweiflers

    FLORIAN GROBIAN

    Das erste Telegramm meines Lebens erhielt ich mit dreizehn Jahren an einem Mittwoch im Sommer 1996 von meinem Cousin Berthold. Sooft ich an diesen sonnig-hei­ßen Tag denke, höre ich immer zuerst das helle Klim­pern der Münzen, die ich lose in meiner rechten Ho­sentasche bei mir trug: Es waren drei Fünfmarkstücke, selbst verdient an den Nachmittagen der ersten Ferienwo­che in der Wohnung von Herrn Lindner durch das Vorlesen der Ta­geszeitung. Fünf Mark zahlte Herr Lindner, bei dem Mama einmal in der Wo­che den Hausputz erledigte, für meine täglichen Dien­ste.

    Obwohl ich eigentlich ein wenig unglücklich darüber war, in diesem Jahr nicht in die Ferien fahren zu dürfen, gaben die lustig kichernden Münzen mir ein zuversichtliches und tröstliches Gefühl, als ich in den Dunklen Weg einbog und auf das Miets­haus mit der Nummer 38 zusteuerte. Hinter der verglasten Holztür des Hauses nahm ich den sich verflüchtigenden Bratkartoffelduft wahr, der sich mischte mit den Gerüchen von Bohnerwachs, Kaf­fee und Zigarettenqualm. Ich ging durch den geflie­sten Flur, in dem meine Schritte leise nachhallten, zu unserer Wohnungs­tür. Die gedämpften Geräu­sche im Haus erinner­ten mich an zurückliegende Sonntage, die be­gleitet waren von einer feierlich anmutenden Stille. Ganz plötzlich verflog dieser Eindruck, als ich eine Wasser­spülung aus dem Ober­geschoss rauschen hörte. Ir­gendwo in einer der drei Mietwohnungen wurde die Musik aus einem Radio lauter gestellt. Eine Waschmaschine summte. Im Haus räumte jemand Ge­schirr klappernd in einen Schrank. Ich nahm meinen Schlüssel, öffnete unsere Korridortür und ging über den Flur in die Küche.

    »Mama!«, rief ich. »Bist du zu Hause?«

    Ein kaum spürbarer Windzug strich durch die Wohnung. Als ich ins Wohnzimmer kam, sah ich die offene Balkontür. Mama trug draußen den Wäschekorb ans Ende der kleinen Gartenwiese, wo die Leinen zwischen den eisernen Pfählen gespannt wa­ren.

    »Suchst du mich?«, hörte ich sie rufen, als sie ge­rade eine rote Bluse meiner Schwester Barbara mit zwei Klammern aufhängte.

    »Fünfzehn Piepen habe ich jetzt beisammen«, sagte ich und kletterte über die Balkonbrüstung hinunter in den Garten.

    »Wie schön«, sagte Mama, zupfte einen dünnen Faden von dem Wäschehaufen und blies ihn fort in die Richtung des nahen Bahnhofs. »Aber sag nicht immer Piepen, hörst du? Es klingt so ordinär.«

    »Ja«, sagte ich gleichgültig.

    »Hast du Herrn Lindner von mir gegrüßt?«

    »Türlich«, sagte ich, obwohl ich es in Wahrheit vergessen hatte.

    »Gehts ihm wieder besser?«, wollte Mama wissen.

    »Etwas«, sagte ich. »Er hat noch immer Probleme mit den Augen und den Beinen.«

    »Schrecklich«, sagte Mama. »Der arme Mann.«

    »Wann fahren wir in Urlaub?«, fragte ich, als mich ein Gefühl von beginnender Langeweile be­schlich.

    Mama seufzte. Ohne mich anzublicken sagte sie monoton jene Worte, die schon oft über ihre Lip­pen gehuscht waren: »Wenn ich mit meiner Ausbil­dung fertig bin, wenn die Schulden bezahlt und wir aus dem Gröbsten heraus sind.«

    »Soll ich dir helfen?«, fragte ich.

    »Wie spät ist es denn jetzt?«

    »Halb vier oder so«, antwortete ich.

    »Dann muss ich gleich Moritz aus dem Kinder­garten holen.«

    Ich nahm die saharagelbe Decke aus dem Korb, warf sie über die straffe Leine und klammerte sie an ei­ner Seite fest.

    »Nicht so«, sagte Mama.

    »Wie denn?«

    »Das macht man anders«, erklärte sie. »Man fal­tet die Decke zu einem Dreieck und hängt sie mit der Spitze nach unten auf. Siehst du?«

    »Wozu soll das gut sein?«

    »Das Wasser sammelt sich in der Spitze und läuft rasch aus der Decke. Auf diese Weise trocknet sie schneller.«

    Ich ließ mich rückwärts ins Gras purzeln und beobachtete gespannt die Spitze der Decke. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sich der erste dicke Wassertrop­fen zeigte und herunterfiel. Ich legte meinen Kopf ins Gras. Eine Wä­scheklammer plumpste zu Boden und blieb bei­nahe aufrecht, gestützt von den grü­nen Halmen, im Gras stehen. Aus diesem Blickwin­kel mochte eine Heuschrecke die Welt betrachten.

    »Ich werde ein wenig zeichnen«, sagte ich. »Eine Wäscheklammer - so groß wie das Empire State Building oder so.«

    »Du hast übrigens Post bekommen«, sagte Ma­ma.

    »Heute Nachmittag?«

    »Ja. Eben kam ein Telegramm für dich.«

    »Ein Telegramm?« Augenblicklich stand ich wie­der auf den Beinen. »Wo ist es?«

    Mama lächelte. »In deinem Zimmer.«

    Ich lief über den Rasen, stolperte den kleinen Schräghang hinauf und überkletterte erneut die Balkonbrüstung. Ich hatte nie zuvor im Leben ein Tele­gramm bekommen, wusste nicht einmal, wie ein sol­ches aussah. Ich meinte, ein Telegramm müsse ein schmaler Papierstreifen sein, ähnlich wie die Kassenbons, die Mama jeden Tag an der Kasse höflich den Kunden des Supermarktes reichte.

    Auf der Fensterbank, die mir als Schreibtisch dien­te, fand ich zwischen unfertigen Zeichnungen einen blauen Briefumschlag, auf dem ich als erstes ein schwarzes Posthorn und den Aufdruck Tele­gramm erkannte.

    Herrn

    Florian Grob

    Am dunklen Wege 38

    stand in maschinengeschriebener Schrift rechts auf dem Papier.

    Ich nahm einen angespitzten Bleistift aus der Blechdose und schlitzte das Kuvert an der Ober­kante auf. Dann zog ich ein weißes Blatt hervor und las in einem umrandeten Feld die Worte:

    Danke für die Einladung. Ich freue mich,

    dich morgen kennenzulernen.

    Dein Cousin Berthold.

    Ich hörte, wie Mama den Plastikwäschekorb im Bad an die Wand hängte.

    »Mama«, sagte ich aufgeregt, »mein Cousin will mich besu­chen. Was soll ich denn jetzt machen?«

    »Dich über den Besuch freuen«, sagte sie, ohne einen Blick auf das Telegramm zu werfen. »Florian, ich hole schnell deinen Bruder aus dem Kindergar­ten. Du könntest inzwischen für mich eine schöne Tasse Kaffee kochen, ja?«

    »Hast du Berthold eingeladen?«, fragte ich.

    »Ich war so frei«, sagte Mama, als sie ihre Schuhe aus dem Schrank hervorholte.

    Ich fand, sie hätte mich vorher fragen müssen. »Kommt er allein?«

    »Mit seiner Mutter, Tante Martina, die du ja schon kennengelernt hast.«

    »Wie - wie alt ist er denn?«, fragte ich.

    »Ungefähr so alt wie du«, sagte Mama und öffne­te die Korridortür. Für einen Moment erschien das Gesicht von Frau Krawinkel in der Türöffnung. Grußlos, mit verkniffenem Mund, stieg sie die Flurtreppe hinauf in die obere Etage.

    »Mama, was - wie ...«

    »Bis gleich! Denk an den Kaffee. Zwei gehäufte Löffel kommen in die Kanne.«

    »Was ist er denn für einer?«, fragte ich hastig.

    »Das musst du schon selber herausfinden«, sagte Mama davoneilend, während sich die grauweiße Tür lang­sam zwischen uns schloss.

    Die Tatsache, einen Cousin zu haben, war mir vertraut. Obwohl Bertholds Eltern seit einigen Monaten in ihrer Villa am Stadtrand wohnten, war ich meinem Cousin bislang nie begegnet. Er besuch­te ein Internat im Norden Deutschlands und kam nur einmal im Monat zu seinen Eltern nach Hause.

    Ich ging in die Küche, ließ Wasser in den Kessel laufen, nahm zwei gehäufte Löffel Kaffee aus dem Glas und gab das Pulver in die Warmhaltekanne. Es interessierte mich, ob Berthold meiner Schwester Barbara auch ein Telegramm geschickt hatte. Die Tür zu Barbaras Zimmer war offen. Ich war ein Unbefugter in diesem Raum. Barbara, die schon fast fünfzehn war, besaß ein Zimmer für sich al­lein, während ich mit Moritz den winzigkleinen Raum neben dem Wohn­zimmer teilen musste. Barbaras Zimmer hatte schöne Möbel aus hel­lem Kiefernholz - ein Geschenk von Tante Judith, ihrer Patentante -, einen flauschigen Teppich und einen richtigen Schreibtisch mit ver­schließbaren Fä­chern. Barbaras Zimmer war nicht aufgeräumt. Ein Schlüpfer und verknäulte Strümpfe lagen vorm Bett. Schulbü­cher, Hefte, grellbunte Zeitschriften und silbri­ges Kaugummipapier häuften sich auf ihrem Schreib­tisch. Ein Telegramm konnte ich nirgends entdecken.

    In der Küche pfiff der Wasserkessel auf dem Herd. Ich schaltete den Regler auf O und goss das dampfende heiße Wasser in die Kanne, die ich mit einem Deckel verschloss. Dann ging ich in mein Zimmer und setzte mich ans Fenster. Herr Lindner, der früher Kunstlehrer ge­wesen war, hatte mir vor einiger Zeit einen farbigen Bildband geschenkt: es waren hundert Gemälde be­rühmter Meister darin abgedruckt. Ich zog den Band aus dem Regal und blätterte darin. Bald fand ich, wo­nach ich suchte. Das Bild hieß Der blaue Knabe. In ei­ner bewegten herbstlichen Landschaft stand ein schö­ner Jüng­ling mit einem blauen, seidig schimmern­den Anzug. Der schlanke Knabe mochte vielleicht dreizehn oder vierzehn Jahre alt sein. Er hatte mittellange braungelockte Haare. Ein letzter kindlicher Ausdruck war in dem schmalen Gesicht über dem weißen Spitzenkragen erkennbar. Die dunklen Augen hatten einen bescheidwissenden Blick. Der ge­schlos­sene Mund schien ein geheimgehaltenes Wissen zu verbergen. Der Junge wirkte

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