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Simple Money: Ein Michael Fischer Thriller
Simple Money: Ein Michael Fischer Thriller
Simple Money: Ein Michael Fischer Thriller
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Simple Money: Ein Michael Fischer Thriller

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About this ebook

Die Schweizer Großbank UCS verdient glänzend am Geschäft mit ausländischen Steuersündern – bis ein Geldbote der Bank überfallen und getötet wird, während er gerade bei deutschen Anlegern Schwarzgeld abholt.
Die Täter sind Amateure, britische Fußball-Hooligans, die im Bangkoker Rotlichtmilieu ihre Beute verprassen. Michael Fischer hingegen, der von der Bank mit der Aufklärung des Überfalls beauftragte Privatdetektiv, ist ein Profi. Doch Fischer hat kein leichtes Spiel gegen diese britische Kneipenmannschaft. Ein Killerkommando des gefürchteten israelischen Geheimdienstes Mossad interessiert sich nämlich ebenfalls ganz ungemein für seine Zielpersonen – vor allem aber für ihn selbst …
Seien Sie gewarnt! "Simple Money" ist ein harter, actionreicher Agententhriller mit einer (stellenweise) hooliganesken Erzählsprache.
LanguageDeutsch
Publisherepubli
Release dateJun 14, 2011
ISBN9783844204827
Simple Money: Ein Michael Fischer Thriller

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    Book preview

    Simple Money - Peter Backé

    Impressum

    Simple Money

    Copyright © 2011 Dr. Peter Nikolaus Backé

    Published by epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

    Cover design: Gabriele Aretz, Aachen, www.stockcreator.com

    ISBN 978-3-8442-0482-7

    Lizenzerklärung

    Dieses eBook ist für Ihre persönliche Nutzung lizenziert. Das eBook darf nicht an Dritte weitergegeben oder weiterverkauft werden. Wenn Sie das Buch an eine andere Person weitergeben wollen, kaufen Sie bitte eine zusätzliche Lizenz für jeden weiteren Rezipienten. Wenn Sie dieses Buch lesen, es aber nicht gekauft haben oder es nicht für Ihre persönliche Nutzung gekauft wurde, gehen Sie bitte auf www.epubli.de und kaufen Ihre eigene Kopie. Vielen Dank, daß Sie die harte Arbeit des Autors respektieren und würdigen!

    Teil I

    „Die Liebe ist ein Wunder, das immer wieder möglich, das Böse eine Tatsache, die immer vorhanden ist."

    Dürrenmatt, Friedrich. Grieche sucht Griechin.

    1

    Bangkok, am Samstag, den 1. November 2008

    Endlich wieder Zahltag! Noi konnte es kaum abwarten. Dennoch zwang sie sich, langsam und vorsichtig vom Soziussitz des knatternden Motosai zu klettern, das sie von ihrem schäbigen Model-Apartment im Westen Sukhumvits zu ihrem Ziel gebracht hatte, dem Internet-Café Dave’s Den am südlichen Ende der Soi Nana Tai. Ihre himbeerfarbenen Plateau-Pumps mit Pfennigabsätzen waren derart hoch und ihr Jeans-Minirock derart kurz, daß jede falsche Bewegung zu einer peinlichen Szene geführt hätte. Sie schüttelte ihre wallende Mähne wieder in Form, tätschelte dann spielerisch die Schulter des sonnengegerbten Fahrers, schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und ein großzügiges Trinkgeld. Warum auch nicht? Schließlich war der Fahrtwind auf dem Moped so herrlich erfrischend bei dieser abendlichen Schwüle. Außerdem gab es heute endlich wieder Geld. Urs zahlte immer pünktlich, immer zum Monatsersten.

    Als sie fünf Jahre zuvor, mit achtzehn Jahren, nach Bangkok gekommen war, hatte sie sich noch vor den fremden Männern, den Farang, gefürchtet. Aber die erfahrenen Mädchen, die sie alsbald unter ihre Fittiche nahmen, hatten recht gehabt: Mochten Farang auch so groß und stark sein wie der Wasserbüffel auf der Farm ihrer Eltern daheim in Chiangrai, waren sie jedoch ebenso dumm und fügsam. Man mußte nur mit ihnen umzugehen wissen.

    Urs war ein typischer Wasserbüffel: schon einundvierzig Jahre alt, trotzdem immer noch ledig, warum auch immer; ehemaliger Soldat, demnach eigentlich eine Respektsperson, und körperlich noch recht gut beieinander, aber schwach im Geiste. Er war wahrhaftig naiv genug zu glauben, eine lebhafte junge Schönheit wie Noi könne einen drögen alten Fremdling mit Geheimratsecken und Bauchansatz wie ihn körperlich begehren. Ferner war er offenbar zu dumm, um die wirtschaftlichen Realitäten der Situation zu verstehen.

    Die wirtschaftlichen Realitäten sahen, kurz gesagt, so aus: Mit ihren dreiundzwanzig Jahren hatte Noi noch maximal siebzehn weitere Arbeitsjahre vor sich, davon vielleicht noch sechs, sieben weitere Jahre als Go-go-Girl, in denen sie, Sponsorengelder nicht mit eingerechnet, auf circa vierzigtausend Baht im Monat kommen würde. Danach weitere zehn Jahre als Bar Girl, in denen sie höchstens noch auf monatlich dreißigtausend Baht hoffen könnte, Tendenz fallend. Letzteres entsprach zwar immer noch dem Gehalt eines Lehrers, aber anders als ein Lehrer mußte Noi mit diesem Einkommen ihre gesamte Sippschaft durchfüttern, ihre beiden nichtsnutzigen Brüder, die Eltern und die Großmutter daheim in Chiangrai. Nebenbei mußte sie genug auf die hohe Kante legen, um nach dem Ende ihrer Karriere bis an ihr Lebensende davon zehren zu können.

    Als Go-go-Tänzerin bei Pussy Galore, einer der bekanntesten Go-go-Bars im Nana Entertainment Plaza Rotlichtviertel, verdiente Noi derzeit ein monatliches Fixgehalt von zehntausend Baht. Zudem bekam sie dreißig Baht für jeden Lady Drink, also ein Getränk, das ihr von einem Gast spendiert wurde, wenn sie sich zwischen ihren Tanzdarbietungen unter die Zuschauer mischte.

    Kern des Go-go-Geschäfts jedoch war die Prostitution: Ein Gast, der Noi die Nacht über mit in sein Hotel nehmen wollte, mußte Pussy Galore pro versäumter Schicht eine Bar Fine genannte Gebühr von zwölfhundert Baht zahlen. Noi selbst verlangte rund zweitausendfünfhundert Baht für ein solches long-time Schäferstündchen, mal mehr, mal weniger, je nach Laune und Uhrzeit. Short-time Gäste, die mit ihr lediglich einen kurzen Abstecher zwecks Triebabfuhr ins erstbeste Stundenhotel unternehmen wollten, akzeptierte sie grundsätzlich nicht. Short-time war nur etwas für abgehalfterte Bar Girls und billige Straßenhuren. Dafür war Noi zu schön, zu stolz. Das hatte sie nicht nötig – noch nicht. Der Haken an ihren persönlichen Prinzipien in dieser Frage war freilich, daß ihr Arbeitsvertrag mit Pussy Galore mindestens sechs Bar Fines pro Monat vorsah, ansonsten würde sogar ihr Grundgehalt drastisch gekürzt.

    Das Geschäftsmodell der Go-go-Bar hatte sie Urs noch annähernd vermitteln können, während seines ersten und bislang letzten Thailand-Urlaubs rund drei Monate zuvor.

    Gleich an seinem ersten Abend in Bangkok war Urs – aus reiner Neugierde, wie er sich versicherte, und nur auf ein, zwei Bierchen – zu Pussy Galore gegangen. Noi, die ein scharfes Auge für Novizen der Pay for Play-Szene besaß, hatte sich prompt neben ihn gesetzt und ihr milchkaffeebraunes Händchen auf sein Knie gelegt.

    Keine Dreiviertelstunde später hatte Urs geglaubt, die Liebe seines Lebens gefunden zu haben, und bereitwillig Nois Bar Fine für eine ganze Woche gezahlt, die Dauer seines Urlaubs. Wiederum anderthalb Stunden später, als Urs in postkoitaler Entspannung auf seinem Hotelbett ausgestreckt lag und Noi fasziniert dabei zusah, wie sie nach dem Duschen splitterfasernackt vor dem Spiegel stand und hingebungsvoll ihre langen Haare bürstete, eine kleine Konzentrationsfalte über ihrer Nasenwurzel, hatte er gewußt, daß er die Liebe seines Lebens gefunden hatte, daß Noi und er füreinander bestimmt waren.

    Als reifer, pflichtbewußter Mann hatte er zugleich begriffen, daß ihm mit dieser schicksalhaften Begegnung, diesem wunderbaren Geschenk eines gütigen Gottes, eine große Verantwortung auferlegt worden war: Er mußte Noi sofort da rausholen, aus dem Milieu. Fernziel mußte selbstverständlich sein, Noi zu heiraten und sie zu sich in die Schweiz zu holen, aber Urs war zu sehr Schweizer, um eine solche Entscheidung übers Knie zu brechen. Vorerst war vielmehr eine pragmatische, finanziell tragbare Interimslösung gefragt. Am Ende ihrer gemeinsam verbrachten Woche, vor dem tränenreichen, herzzerreißenden Abschied am Flughafen, hatte er Noi darum nach reiflicher Überlegung angeboten, ihr künftig eine monatliche Zuwendung von zwanzigtausend Baht zu überweisen, sofern sie auf Bar Fines verzichten und sich aufs bloße Tanzen beschränken würde – solange, bis er zurückkäme, natürlich so bald wie möglich, und dann, nun ja, dann werde man weitersehen …

    Noi war mit diesem Ergebnis sehr zufrieden. Sie hatte Urs von vornherein als potentiellen Sponsoren kultiviert und deshalb darauf verzichtet, am Morgen nach jeder gemeinsamen Nacht zu kassieren, hatte ihn überhaupt nie um Geld gebeten. Ihr Kalkül war aufgegangen: Allein Urs’ Abschiedsgeschenk, eine kleine Schweizer Damenuhr der Marke Ebel, hatte beim Umtausch mehr erlöst, als Noi sonst in einem ganzen Monat verdiente. Außerdem war Urs körperlich gepflegt und sexuell ebenso anspruchslos wie dankbar. Insgesamt war die Zeit mit ihm also leicht verdientes Geld gewesen, und durch das Sponsoring würde eine wirklich lohnende Sache daraus werden.

    Urs hatte Jai Dee, ein gutes Herz. Manchmal tat er ihr fast ein bißchen leid. Anders als die meisten anderen Farang, die dazu neigten, überlang von ihrer ach-so-großen Liebe zu faseln, dabei aber ihre Portemonnaies fest geschlossen hielten, hatte Urs begriffen, worum es bei der Liebe wirklich ging. Die Liebe war nichts, worüber es sich zu reden lohnte, sondern Liebe mußte man zeigen, indem man sich um die geliebte Person kümmerte, ihr Geld gab – so wie Noi es mit ihrer Familie tat und so wie es selbst jeder pickelige Thai-Teenager mit seiner allerersten Freundin hielt.

    Was Urs indessen nicht kapierte war, daß Noi diesen Job natürlich nur wegen ihrer Familie machte, und daß es natürlich besser war, mehr Geld heimzuschicken als weniger. Wenn sie sich nicht um ihre Familie kümmern müßte, hätte sie schließlich auch in einer Fabrik arbeiten gehen können.

    Ebenso wie ihre Kolleginnen, von denen viele ebenfalls Sponsoren im Ausland hatten, dachte sie darum nicht im entferntesten daran, nur wegen eines Sponsors mit dem Anschaffen aufzuhören, oder sich auf einen einzigen Sponsoren zu beschränken. Noi verstand nicht, wie jemand das nicht verstehen konnte. Wenn es die Pflicht einer guten Tochter war, für ihre Familie zu sorgen, was wohl niemand ernsthaft bestreiten würde, dann war mehr Fürsorge besser als weniger, das mußte doch selbst einem Wasserbüffel einleuchten.

    Dave Hasnip blickte von seinem Bildschirm auf, als er das Klacken von Nois Pfennigabsätzen auf dem Fliesenboden seines Internet-Cafés hörte. Er stand auf, breitete seine mächtigen Arme aus, beugte sich zu ihr hinunter, gönnte sich einen diskreten Blick auf das unentschiedene Zeppelinrennen in ihrem Dekolleté und begrüßte Noi mit seinem persönlichen Markenzeichen, Schnupperküßchen links, Schnupperküßchen rechts.

    Wie all seine Mandantinnen aus den Bars kicherte auch Noi selbst nach dem x-ten Mal noch über diese bizarre, kulturübergreifende Form der Begrüßung: Küssen in der Öffentlichkeit war völlig tabu in Thailand, aber den landestypischen Schnupperkuß beherrschte Dave wie ein Thai. Ja, Dave war schon ein lustiger Bursche, sehr sanuk, wie ein gutmütiger, verspielter Bär.

    Dave musterte Noi mit einem breiten Grinsen. Noi war wirklich ein Star, nur knapp über fünf Fuß groß, aber mit dem Gesicht einer Thai Barbie-Puppe, spektakulären, naturbelassenen Titten auf einem durchtrainierten Tänzerinnenkörper und einer Sinnlichkeit, die ihr nur so aus den Augen sprühte. Eine absolute Granate, definitiv nichts für einen Anfänger wie Wyss. Im Bett ging Noi bestimmt diabolisch ab. Auch hatte sie schon mehrmals angedeutet, daß sie durchaus geneigt sei, Dave für seine Dienste in Naturalien zu entlohnen – aber das ging nicht, leider.

    Dave hatte Nois Luxuskörper schon oft auf der Bühne des Pussy Galore bewundert, hätte ihr nur allzugern mal richtig Einen mit auf den Weg gegeben, aber das ging einfach nicht. Mai chai, keine Chance. Nana Entertainment Plaza, keine zweihundert Meter die Straße hoch von seinem Internet-Café, war eine kleine Welt mit strengen Regeln.

    Alle hier kannten Dave. Falls er mit einer seiner Mandantinnen Boom-boom machte, würde sich das wie ein Lauffeuer herumsprechen. Dave würde dadurch an Ansehen verlieren, keines der anderen Mädels von der Plaza würde danach noch gerne mit zu ihm nach Hause gehen.

    In Daves Augen war selbst Noi dieses Risiko nicht wert, denn schließlich machte Abwechslung das Leben süß. Daves Leben war sehr süß, seit er vor knapp drei Jahren nach Bangers gekommen war, in seine Vorstellung vom Paradies auf Erden, mit perfektem Wetter, phantastischem Essen und schönen Frauen bis zum Abwinken.

    Khun Dave, ist alles okay? Hat Urs gezahlt?", fragte Noi unruhig. Ihre Familie wäre sehr enttäuscht, falls Noi ihnen in diesem Monat weniger Geld zukommen ließe als in den Vormonaten.

    „Moment, Liebes. Ich schaue mal. Dauert noch nicht mal eine Minute, wie der Bischof zum Chorknaben sagte. Aber setz dich doch solange", antwortete Dave.

    Um seine eigene Nervosität zu überspielen, ging er zunächst zum Getränkekühlschrank des Internet-Cafés, nahm eine Dose Coke Zero für Noi und eine Dose normale Cola für sich selbst heraus und setzte sich erst dann wieder an seinen Schreibtisch.

    Während Noi beide Dosen öffnete und mit ihren langen, straßverzierten Fingernägeln routiniert die Papierhüllen von zwei Trinkhalmen entfernte, klickte Dave in seinem E-Mail-Programm auf das Yahoo-E-Mail-Nutzerkonto, das er für Noi angelegt hatte. Wie erwartet fand sich dort eine ungelesene E-Mail von Urs Wyss, dem Schweizer.

    Dave kannte diese E-Mail praktisch auswendig, hatte sie schon unmittelbar nach ihrem Eintreffen am Nachmittag intensiv studiert und sie dann, Perfektionist der er war, wieder als „ungelesen" markiert – als ob Noi den Unterschied bemerken würde!

    Nun öffnete er die E-Mail abermals, tat so, als lese er diese zum erstenmal, faßte sie derweil betont schnoddrig zusammen: „Er schreibt, daß er Montag wieder nach Deutschland muß und bis einschließlich Donnerstag in Notfällen über seine deutsche Handynummer erreichbar ist. Wieder ein Geldtransport, diesmal angeblich fast drei Millionen Euro. Außerdem fragt er, wie es dir geht, und schreibt, daß er dich ganz doll lieb hat. Und daß er gezahlt hat."

    Noi, die gerade mit geschürzten Lippen von ihrer kalorienfreien Tänzerinnen-Cola nuckelte, nickte nur erleichtert.

    Dave wechselte zu einem anderen Bildschirmfenster, seinem gewerblichen PayPal-Account. Tatsächlich, Wyss hatte bereits gezahlt, siebenhundert Schweizer Franken, also sogar etwas mehr als zwanzigtausend Baht.

    „Stimmt, er hat gezahlt. Der Mann ist super." Dave nahm ein von einem silbernen Prada-Geldscheinclip zusammengehaltenes dickes Bündel Banknoten aus der Vordertasche seiner Ralph-Lauren-Chinos und blätterte Noi sechzehntausend Baht hin, Wyss’ zwanzigtausend Baht minus zwanzig Prozent Verwaltungsgebühr.

    Noi bedankte sich mit einem tiefen, respektvollen Wai, verstaute die Scheine sorgsam in einem Geheimfach ihrer Handtasche und antwortete: „Schreib ihm, ich liebe ihn, liebe ihn zu sehr und kann es kaum abwarten, bis er wieder nach Bangkok kommt. Und er soll bei seiner Reise gut auf sich aufpassen."

    Noi hatte keine Ahnung, wieviel drei Millionen Euro in Baht waren, aber es klang nach einem Haufen Geld. Fast alle Farang, denen sie jemals begegnet war, hatten damit geprotzt, wie viel Geld sie verdienten oder angespart hatten. Urs hingegen gab immer nur damit an, wie viel Geld er für seine Bank herumfahren durfte. Noi begriff nicht, warum Urs darauf so stolz war, aber das war ja auch einerlei, solange er nur weiterhin fleißig zahlte.

    Sie kicherte und ergänzte: „Khun Dave, frag ihn auch, warum er das viele Geld nicht einfach stiehlt, damit nach Thailand kommt und mich heiratet."

    Unwillkürlich mußte Dave mit ihr kichern: Das Mädchen hatte den richtigen Instinkt, war hinter Moneten her wie ein kleines weibliches Pac-Man-Figürchen mit Riesenmöpsen hinter Keksen, aber dieses Geld würde nicht in Nois Handtasche verschwinden, oh nein. Dieses Geld, das große Geld, war für Dave bestimmt.

    Nachdem Noi gegangen war, verfaßte Dave rasch eine zärtliche, dankbare Antwort-E-Mail aus vorgefertigten Textbausteinen, Pidgin-Englisch gewürzt mit ein paar Brocken Thai. Danach vermerkte er die pünktliche Zahlung und deren Höhe in seiner Customer Relationship Management Software, einem Expertensystem, das er mit Hunderten von Sponsoren-Fallgeschichten gefüttert hatte. In der Plaza gab es wahrlich keinen Mangel an solchen Fallgeschichten. Nach Ansicht der CRM-Software verdiente der zuverlässige Wyss mindestens drei weitere Monate Ruhe, bevor ihn Dave erstmals um eine Sonderzahlung angehen durfte: „Vaters Krankheit ist wieder schlimmer geworden. Er muß dringend ins Krankenhaus, aber …", und so weiter. Anders als die zögerlichen und unregelmäßigen Zahler unter den Sponsoren seiner Kundschaft, impulsive Männer, die am besten auf vermeintliche unvorhergesehene Notlagen ansprachen, mußte man gewissenhafte Zahler langsam melken. Gewissenhafte Zahler liebten Planungssicherheit und Berechenbarkeit. Mit Aufforderungen zu Sonderzahlungen verschreckte man solche treuen Seelchen nur.

    Den Beruf des Briefeschreibers gab es schon seit dem Mittelalter, in gering alphabetisierten Gesellschaften wie der Plaza florierte er noch immer. Ebenso wie die meisten ihrer Kolleginnen hatte Noi ihr bißchen Englisch on the job gelernt, von ihren Freiern. Dieser Unterricht hatte sich in jeder Hinsicht auf orale Lektionen beschränkt. Aber fürs Schreiben hatten sie ja Dave, der die Sponsoren von mehreren Dutzend Mandantinnen betreute.

    Dave hatte für unzählige Bar- und Go-go-Girls der Plaza E-Mail-Nutzerkonten angelegt, ihnen kleine Zettelchen mit ihren E-Mail-Adressen zum Verteilen mitgegeben und ihnen ferner eingeschärft, jeden, wirklich jeden Gast nach seiner E-Mail-Adresse zu fragen, egal ob sie mit ihm fünf Minuten Small talk gemacht oder fünf heiße Nächte verbracht hatten. Dave sammelte diese E-Mail-Adressen regelmäßig ein und mailte alle neuen Kontakte an, mit teils frappierendem Erfolg. Seit sich herumgesprochen hatte, daß manche Bar Girls dank Dave sogar von Farang gesponsert wurden, an die sie sich beim besten Willen nicht mehr erinnern konnten, Männern, die ihnen höchstens mal einen Drink spendiert und hastig ihren Namen und E-Mail-Adresse auf eine Serviette gekritzelt hatten, blühte das Geschäft.

    Er war stolz darauf, dieses historische Berufsbild professionalisiert und systematisiert zu haben. Mittels seiner CRM-Software und viel psychologischem Geschick maximierte er die Gesamteinnahmen über den Sponsoren-Lebenszyklus, denn länger als vier, fünf Jahre hielt selbst der naivste und vernarrteste Sponsor nicht durch.

    Auch der Online-Zahlungsservice PayPal war eine geniale Innovation, ein absoluter Segen für dieses Geschäft. Anders als bei den früher üblichen Banküberweisungen oder Bartransfers über Western Union blieb dem Sponsor mit PayPal keine Zeit zum „Abkühlen" vor der Zahlung. Nach dem Lesen einer von Daves Bettel-E-Mails bedurfte es nur ein paar Mausklicks und, Simsalabim, schon war das Geld bei der fernen Geliebten – beziehungsweise auf Daves PayPal-Konto, doch davon ahnten die Sponsoren ja nichts.

    Gewissensbisse hatte Dave bei seiner Arbeit noch nie empfunden: Genausowenig wie die Sponsoren etwas dazukonnten, als Mäuseriche geboren worden zu sein, konnte er etwas dazu, als Kater geboren worden zu sein. Kater fraßen nun einmal Mäuse, das war ihre Bestimmung. Nur ein kranker, schwuler, degenerierter, französischer Kater würde jemals mit den Mäusen dieser Welt friedlich koexistieren können, aber all dies war Dave nicht.

    Aufgrund Daves bemerkenswerter Fähigkeiten lief sein kleines Internet-Café sehr viel besser, als es der äußere Anschein vermuten lassen würde, aber das Bessere war bekanntlich der Feind des Guten. Vor rund zwei Monaten hatte Dave deshalb begonnen, eine ganz neue Geschäftsidee zu verfolgen. Er ermunterte seine Mandantinnen ohnehin, ihm regelmäßig aktuelle Photos von ihnen zu geben, denn nichts förderte die Spendenbereitschaft eines Sponsors so sehr wie ein steter Strom frischen Bildmaterials.

    Seit ein paar Wochen manipulierte Dave systematisch diese Bilddateien, indem er sie mit einem „Trojaner" versah: Sobald der Sponsor die Bilddatei öffnete, installierte er automatisch ein ausgefeiltes Schadprogramm auf seinem PC, welches Dave die völlige Kontrolle über seinen PC gab, das überdies selbst mit aktueller Antiviren-Software weder zu entdecken noch zu beseitigen war.

    Dave hatte zuvor in einem russischen Carding-Forum mehr als fünfzehnhundert Dollar in dieses professionelle Botnet-Toolkit investiert, achthundert Dollar Grundpreis plus verschiedene Zusatzoptionen. Richtig angewendet, könnte man damit völlig risikolos die Bankkonten und/oder PayPal-Konten der Sponsoren ausräumen.

    Nach der Uni hatte Dave fast zehn beschissene, trostlose Jahre lang als Programmierer bei einer Londoner Versicherung gearbeitet und wußte darum genau, wie er seine Spuren verwischen mußte. Noch aber hatte Dave kein einziges Konto ausgeräumt, er beabsichtigte dies fürs erste auch nicht.

    Dave knackte die Rechner der Sponsoren nur zur Übung, zum Testen der Funktionen des Botnet-Toolkits. Die meisten Sponsoren gehörten ohnehin der unteren Mittelschicht an, waren Postboten aus Leeds oder Maschinisten aus Detroit, hatten nichts außer Schulden und einem teuren Hobby in Bangkok. Nur bei den Rentnern unter ihnen wäre tatsächlich etwas zu holen gewesen, doch gegen das, was Dave plante, waren auch deren Ersparnisse nur Kleingeld. Und dieses Kleingeld könnte er sich schließlich später immer noch abholen.

    In Wahrheit hatte Dave das Botnet-Toolkit nur aus einem einzigen Grund gekauft: um sich unentdeckt auf dem PC von Urs Wyss umsehen zu können.

    Als Urs zum erstenmal etwas von seinen Reisen als Bargeldkurier geschrieben hatte, war Dave wie elektrisiert gewesen: Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Wie verrückt war das denn? Der Mann bettelte ja regelrecht darum, abgezogen zu werden!

    Als Noi schreibend, hatte er Urs daraufhin wochenlang gründlich ausgefragt:

    „Ist das nicht gefährlich, mein Liebster? Sicherlich hast Du Wachmänner dabei, die Dich und das Geld beschützen?"

    „Nein, mein Schatz. Ich reise immer allein. Das ist so Vorschrift."

    „Aber bestimmt hast Du eine Pistole, mein Liebster, und wenn böse Männer Dich berauben wollen, schießt Du sie alle tot? So wie im Film?"

    „Nein, Schätzchen, das Gewehrli bleibt immer schön daheim im Schrank, wo es hingehört."

    „Mein Onkel Vikorn hat eine Pistole. Wenn ich in die Schweiz komme, bringe ich die mit. Urs, mein Liebster, ich werde Dich auf all deinen Reisen begleiten und dabei die Pistole mitnehmen. Irgendwer muß Dich doch beschützen, nicht wahr?"

    „Der beste Schutz ist die Geheimhaltung. Aber wir beiden haben ja keine Geheimnisse mehr voreinander, nicht wahr, mein Schatz? ;-)"

    „Aber was ist, wenn Dir jemand das Geld stiehlt? Bitte lache nicht über mich, Urs, mein Liebling, aber ich mache mir solche Sorgen. Du hättest mir das nie erzählen sollen. Ich kann kaum noch schlafen vor Sorge, und Du weißt doch, wie gerne ich schlafe …"

    „Tut mir leid, mein Herz, ich wollte Dich nicht beunruhigen. Also, falls der Koffer mit dem Geld irgendwie versehentlich abhanden kommen sollte, finden wir den wieder. Da ist nämlich ein GPS-Peilsender drin, mit dem meine Kollegen jederzeit sehen können, wo der Koffer gerade ist. Aber falls jemand tatsächlich das Geld stehlen sollte, wäre das einfach Pech. Außerdem könnte UCS den Verlust leicht verschmerzen."

    Wyss war wirklich das perfekte Opfer, ihn abzuziehen das perfekte Verbrechen. Sicherlich, auch irgendwelche Drogenkartelle hatten wahrscheinlich Kuriere, die mit großen Mengen Bargeld durch die Welt reisten. Aber wer wollte schon ein Drogenkartell an den Hacken haben?

    Wyss war eine ganz andere Geschichte, ein harmloser Schwachkopf, der für eine dubiose Schweizer Bank Bargeld durch Europa karrte, allein und unbewaffnet, der obendrein noch blöd genug war, damit gegenüber einem Bangkoker Go-go-Girl zu prahlen.

    Dave hatte sich in Wyss’ Abwesenheit wieder und wieder auf dessen Rechner umgeschaut, seine E-Mails und seinen Outlook-Terminkalender durchforstet: Die Geschichte stimmte, jedes Wort davon war wahr. Wyss war sogar unvorsichtig genug, jeden einzelnen Termin bei jedem einzelnen Auslandskunden der UCS in seinen Outlook-Terminkalender einzutragen, mit vollständiger Adresse und Uhrzeit des Treffens. Auch die Hotels, in denen er während seiner Touren nächtigte, hatte er dort eingetragen.

    Diesen Trottel abzuziehen war einfacher, als einem blinden Bettler Geld aus dem Hut zu stehlen. Noch besser: Es war ohne jedes Risiko. Wyss und seine Bank würden den Raub für sich behalten, den Verlust still und heimlich abschreiben müssen. Wohl um gegenüber Noi den braven Bürger mimen zu können, hatte Wyss das zwar nie ausdrücklich erwähnt, aber es lag auf der Hand, daß es sich bei dem ganzen Zaster nur um Schwarzgeld handeln konnte. Sauberes Geld wurde überwiesen, nicht von einem Boten wie Wyss im Koffer überbracht. Damit war klar, daß Wyss’ Bank auf keinen Fall die Polizei einschalten würde.

    Wie der Zufall so spielte, kannte Dave auch genau die richtigen Leute für diesen Job.

    Die Mädels von der Plaza mochten Dave. Sie mochten ihn allein schon, weil er Brite war. Briten galten als humorvoller als die fordernden, egozentrischen, weinerlichen Amerikaner und als warmherziger und großzügiger als die spröden Deutschen. Sie mochten ihn, weil sein Schädel kahlrasiert war. Sex mit einem Mann mit dem kahlrasierten Schädel eines Mönchs zu haben, war so ziemlich das einzige, was einem Mädel von der Plaza noch gelegentlich einen lustvollen Schauder der Perversion über den Rücken jagen konnte. Sie mochten ihn auch, weil er stets teure Markenklamotten trug. Die Logos auf den Kleidungsstücken ihrer westlichen Freier waren die einzigen Hinweise auf deren mutmaßlichen sozialen Status, mit denen die Mädels wirklich etwas anzufangen wußten. Vor allem aber mochten sie Dave, weil er immer noch extrem muskulös war, wie ein Bodybuilder.

    Ebenso wie seine ehemaligen Kollegen von der Versicherung ahnten sie jedoch nicht, warum Dave jahrelang Anabolika geschluckt hatte und fünfmal in der Woche ins Fitneßstudio und zum Kickboxen gegangen war.

    Um seine Gefangenschaft – als solche betrachtete er sie rückblickend – bei der Versicherung überhaupt aushalten zu können, war Dave nämlich acht Jahre lang mit den Casuals der Millwall Bushwhackers herumgezogen, war jedes Wochenende für den Millwall FC eingestanden, hatte meistens tüchtig ausgeteilt und es gelegentlich auch richtig übel auf die Fresse bekommen.

    No one likes us, no one likes us.

    No one likes us, we don’t care.

    We are Millwall, super Millwall.

    We are Millwall from The Den.

    Damals hatte Dave nur für die Wochenenden gelebt. Anders als die übrigen Attraktionen, die das Wochenende für einen jungen Südlondoner wie ihn bereithielt – verwässertes Lagerbier und bis zur Wirkungslosigkeit verschnittene Drogen, gefolgt von ranzigem Döner Kebab sowie, im Idealfall, einem One-Night-Stand mit einer neurotischen, übergewichtigen Schlampe – war der Kampf Mann gegen Mann unverfälscht und stets aufs neue mitreißend. Wutprobe, jedes Wochenende.

    Die meisten Hooligans seiner Generation der Bushwhackers waren zwischenzeitlich entweder völlig verspießert oder verbüßten immer noch langjährige Haftstrafen, aber es gab noch immer genügend Talente dort draußen, für die ein Opfer wie Urs Wyss ein gefundenes Fressen war. Vier solch handverlesene Talente – Big Tam, JoJo, Mick der Grieche und Fila-Frank – warteten derzeit in London auf seinen Anruf, Fahrkarten für den Eurostar in den Taschen.

    Dave dachte nach, blickte einen Moment lang gedankenverloren auf den allmählich dichter werdenden Verkehr vor seinem menschenleeren Internet-Café. Drei Millionen Euro. Drei Millionen Euro, davon ein Drittel für Dave als den Tipgeber, Planer und, hoffentlich, Geldwäscher des Teams.

    Eine Million Euro, wieviel genau war das in Baht? Wieviel auch immer, hier in Thailand bedeutete eine Million Euro: nie wieder arbeiten, trotzdem wie ein König leben. Eine fette Villa in Pattaya, eine Harley, vielleicht auch noch ein Boot. Selbst danach hätte er immer noch genug auf Sack für Tausende schöner Frauen, echte Klasseweiber wie Noi, die jemanden wie ihn daheim in England noch nicht mal mit dem Arsch angucken würden. Tausende und Abertausende von Frauen, jeden Abend eine andere, oder zwei, oder drei, über viele Jahre hinweg.

    Diese einmalige Chance war doch wohl das Risiko wert, von seinen ehemaligen Kumpeln gelinkt zu werden, denn ein anderes Risiko für ihn bestand bei diesem Coup ja nicht. Nur darum hatte er auch gleich vier Bushwhackers für diesen Job rekrutiert, obwohl zwei Mann eigentlich locker ausgereicht hätten. Zwei Mann hätten sich zweifellos abgesprochen und Dave gelinkt, auch drei vielleicht noch, aber vier? Nein.

    Dave riß sich aus seinen Tagträumen und blickte auf die Uhr seines PC. Es war kurz vor 18:30 Uhr Ortszeit, also 11:30 Uhr in London. Der nächste Eurostar nach Frankfurt ging um 12:57 Uhr, Dave kannte den Fahrplan auswendig. In Frankfurt warteten schon die Waffen und der Mietwagen der Gang, und in Bad Homburg nahe Frankfurt hatte Wyss am Montagmittag seinen ersten Termin. Wenn alles glatt liefe, wäre dies Wyss’ vorerst letzter Termin, zugleich jedoch der Beginn eines neuen Kapitels in Daves Leben.

    Dave atmete tief durch und nahm noch einen Schluck Cola, um diese verdammte Trockenheit in seinem Mund loszuwerden. Dann griff er zum Telefon.

    2

    Zürich, am Sonntag, den 2. November 2008

    Der Killer, den seine Kollegen nur als „Avi" kannten, schätzte es, Körper und Geist zugleich zu trainieren. Darum löste er auch an diesem Sonntagmorgen wieder Kreuzworträtsel im Kopf, während er gleichzeitig sein tägliches Pensum an Liegestützen absolvierte. Heute war er langsamer als sonst. Von seiner Stirn fiel bereits der Schweiß in dicken Tropfen auf das Rätselmagazin, derweil er sich immer noch vergebens das Hirn zermarterte über einen Meeresvampir mit acht Buchstaben, _ _ U _ _ U _ E, aber bevor das Rätsel nicht vollständig gelöst war, würde er nicht zur nächsten Übung übergehen.

    Sein Handy klingelte. Er nahm mit der Linken ab, meldete sich mit einem knappen „Ja?" und wechselte zu einarmigen Liegestützen über, das Handy am Ohr. Etwas über eine Minute später beendete er wortlos das Gespräch, wischte das verschwitzte Handy kurz an seinem T-Shirt ab, legte es wieder beiseite und stieß einen aus tiefstem Herzen kommenden Fluch aus: „Ben zonah!"

    Er rollte sich erschöpft auf den Rücken, machte halbherzig ein paar Sit-ups und preßte dabei mit hervorstehenden Nackenmuskeln und gebleckten Zähnen eine Haßtirade hervor. Einziger Gegenstand seines Monologs war die Zielperson seines Teams, Dr.-Ing. Christoph „Stöff" Kessler: der Beruf von Kesslers Mutter, das Erbgut von Kesslers wahrem Vater, die Umstände von Kesslers Zeugung und Kesslers eigene sexuelle Präferenzen. Danach blieb Avi regungslos liegen, starrte an die Decke und grübelte.

    Avi haßte Mißerfolge, aber Kessler würde es vermasseln, arabische Arbeit abliefern. Die Sache würde schon wieder schiefgehen. Alles, was Kessler zu tun hatte, war doch nur, die Daten durch Doktor Mohsen Derakshan vom Forschungszentrum Jülich statistisch auf ihre Plausibilität prüfen zu lassen, danach die Festplatte zur iranischen Botschaft in Bern zu schaffen, dort seine dreißig Silberlinge zu kassieren und nach getaner Arbeit wieder zurück unter seinen Stein zu kriechen. Kessler hatte die Festplatte gekauft, genauer: hatte sie vom Mossad gekauft, freilich ohne dies zu ahnen; nun sollte er sie einfach wieder verkaufen, an Israels Erzfeinde, die Iraner. War das denn wirklich zuviel verlangt? Um seinen Tod, der für die Iraner ein schlagender Beweis für die Authentizität der auf der Festplatte gespeicherten Daten wäre, würde sich Avi danach schon kümmern.

    Die Bombe, die Kessler töten sollte, lag schon bereit: eine exakte Replik der Kopfstütze des Fahrersitzes seines Porsche Cayenne Turbo S, darin ein Stück C4 Plastiksprengstoff von der Größe eines Kaugummipäckchens sowie eine dicke konkave Stahlplatte, zum Fokussieren der Druckwelle, die Kesslers Kopf von seinen Schultern holen würde. Ferner ein Empfänger für den Funk-Autoschlüssel des Porsche, zum Scharfmachen der Bombe sobald Kessler die Zentralverriegelung des Wagens öffnete, und ein hochempfindlicher Druckzünder, derzeit noch durch einen Streifen roter Plastikfolie gesichert, der wie eine obszöne Zunge aus einem kleinen Schlitz an der Seite der Kopfstütze hervorragte.

    Eigentlich mochte Avi keine Bomben – zu unpräzise, zu hohes Risiko von Kollateralschäden –, doch der Bombenbauer hatte Avi versichert, daß selbst ein etwaiger Passagier im Beifahrersitz von Kesslers Porsche nicht mehr zu befürchten hätte als geborstene Trommelfelle und eine gesalzene Rechnung von einer chemischen Reinigung. Außerdem war es taktisch zwingend notwendig, Kessler mit einem Signatur-Anschlag zu beseitigen, das heißt, ihn auf eine Weise zu töten, die es einerseits israelischen Diplomaten ermöglichen würde, achselzuckend und unter Berufung auf eine „Politik der gezielten Nichteindeutigkeit" jede Beteiligung Israels an dem Attentat zu leugnen, die aber andererseits bei den Iranern keinerlei Zweifel zuließe, daß hier der Mossad zugeschlagen hatte.

    Avis Kollegin Sylvia, eine zierliche junge Frau von Mitte Zwanzig mit langen braunroten Korkenzieherlocken und einem sonnigen Gemüt, streckte feixend den Kopf aus der Küche des möblierten Apartments, das sie für diese Operation angemietet hatte. Wie es ihre Gewohnheit war, hänselte sie ihren fast zehn Jahre älteren Kollegen mit seinem Alter: „Was, du machst schon schlapp, Avi? Was ist los? Soll ich dir beim Aufstehen helfen und dir deinen Rollator holen?"

    „Haim hat eben angerufen. Dieser Hurensohn Kessler will sich jetzt doch nicht selber mit Derakshan treffen. Stattdessen schickt er ihm die Festplatte per Kurier."

    „Wie, per Kurier? Mit einem Paketservice, oder was?"

    „Nein, nein, er schickt einen speziellen Wertkurier, ein Ein-Mann-Unternehmen. Der Typ heißt Wyss, Urs Wyss. Kesslers Kundenberater bei der UCS-Bank hat ihm den als extrem diskret und vertrauenswürdig empfohlen. Haim sagt, der Typ ist ein bißchen zu diskret für seinen Geschmack. Er hat zwar tatsächlich ein Gewerbe als Wertkurier angemeldet, steht aber in keinem Branchenbuch."

    „Merkwürdig. Und was machen wir jetzt?"

    „Jetzt sagen wir den anderen Bescheid und packen unsere Koffer. Wir müssen das Team aufteilen: Haim als Qoph muß sowieso bei Kessler bleiben und die Abhörtechnik betreuen, die Ayin tanzen jetzt schon auf zwei Hochzeiten, mit Kessler in Zürich und den verdammten Iranern in Bern; bleiben also nur Aleph, Bet und Het. Ich schlage vor, wir lassen Bet in Zürich, gewissermaßen als strategische Eingreiftruppe für Notfälle. Unterdessen hängen Yossy und ich uns an den Kurier dran, gemeinsam mit Dina und dir, jeweils als Pärchen unterwegs. Einverstanden?"

    „Einverstanden!", erwiderte Sylvia lächelnd. Als einer der beiden Killer des Aleph-Elements, der todbringenden Spitze ihres „Bajonett" oder Kidon genannten Teams, hatte Avi bei derartigen operativen Fragen ohnehin Entscheidungsvollmacht, desto netter war es von ihm, sie um ihr Einverständnis zu bitten.

    Überdies arbeitete sie einfach gerne mit Avi zusammen. An seiner Seite fühlte sie sich sicher. Nicht etwa sicher vor Gewalt; wie alle Mitglieder der Kidon-Einheit hatte sie exakt das gleiche Training wie Avi durchlaufen und wußte darum genau, daß es kaum eine physische Bedrohung

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