Boabdil
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About this ebook
welche alle Grenzen des Vorstellbaren sprengt, einer Reise, die im
Aussen stattfindet und im innersten Kern der Wahrheit endet.
Sie handelt von Verantwortung, Vertrauen und Respekt in reinster
Form und von einer Verbindung zwischen Mensch, Tier und Natur,
wie sie grossartiger nicht sein könnte.
In einer dreitägigen, abenteuerlichen Reise durch die spanische
Sierra Nevada, offenbaren sich dem Autor unvorhergesehen
seine eigene Kraft, spirituelle Führung und magische Momente.
Unter dem zeitlosen Sternenhimmel erlebt er, wie die Dimensionen
zusammenrücken und erfährt die tiefe Verbundenheit allen Lebens.
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Book preview
Boabdil - Andrej Melehin
„Kannst du den Menschen berichten, wovon du hier gehört hast?, fragte mich einer der drei vor mir sitzenden Ältesten des Pferdevolkes. Sie hatten mir gerade eben von der Geschichte der Freundschaft zwischen unseren Völkern erzählt. „Um eure Worte weiterzugeben, muss ich erst erklären, dass ich in eurer Welt sein, dies hier alles wahrnehmen kann
, warf ich skeptisch ein. „Erzähle ihnen deine Geschichte der Kraft, sprach der mittlere Älteste, der bis zu diesem Punkt sehr wortkarg gewesen war, „dann können deine Mitmenschen selbst entscheiden, ob sie dir Glauben schenken wollen oder nicht.
Aus unserem Gespräch im Sommer 2015
In tiefem Respekt für das Pferdevolk
Es war 2001...
Der zweite Tag
Nacht
Die Sterne standen faustgroß über meinem Kopf. Das Leuchten der Milchstraße schien mir wie ein silberner Fluss, in der Unendlichkeit schwebend. Es war still. So still, dass ich jede Bewegung der Luft spüren konnte. Plötzlich wurde es heller. Ich sah, wie ein riesiger Komet auf die Berge zuraste, in deren Schutz Boabdil und ich unser Lager aufgeschlagen hatten. Angst fuhr mir in die Glieder. „Rette dich!", schrie mein Körper. Doch mir wurde schlagartig bewusst, dass man seinem Schicksal nicht entfliehen kann. Ich sah zu Boabdil hin. Er blieb gelassen, suchte meine Nähe. Ein Hengst, dessen große Augen Vertrauen und Zuversicht ausstrahlten. Meine Angst wich und ich begann, das einmalige Schauspiel zu genießen.
Es wurde heller als am hellsten Tag. Jeder Millimeter der Landschaft war mit grellstem Licht erfüllt, verdrängte die Dunkelheit für einen Moment vollständig und absolut. Was ich sah, übertraf alle meine Vorstellungen. Die Berge wurden von einem Licht beleuchtet, das weder von der Sonne noch vom Mond herrührte. Die Gebirgskette strahlte in einem Blau wie ein gewaltiger Diamant, der die Welten trennte: dort das Fremde, schwarz und grenzenlos, und hier die blaue Erde, auf der wir lebten. Es gab in diesem Moment nur zwei Farben. Ich wartete auf einen gewaltigen Knall. Stattdessen wurde es wieder so still und dunkel wie zuvor. Nur die Milchstraße mit allen Sternen schimmerte hell und klar, als wäre nichts geschehen – wie die Ewigkeit selbst. „Wie groß das alles ist, sagte ich zu mir. „Wie gewaltig groß.
Da wusste ich noch nicht, dass ich am kommenden Tag mit gebrochenen Knochen in den Bergen liegen, mein Geist auf eine harte Probe gestellt werden und ich Freundschaft und Treue in anderen Dimensionen erleben würde. Nichts davon konnte ich erahnen. Die faustgroßen Sterne waren das Letzte, was ich vor dem Einschlafen sah. „Wie groß, dachte ich, „wie gewaltig groß.
Der dritte Tag
Morgen
Das Licht im Tunnel breitete sich aus und mein Gefühl für den Körper kam langsam zurück, begleitet von einem Schmerz, der mich zu einem Schrei zwang und dann in lautes Heulen überging. Ich schrie nach meiner Mutter, betete, dass sie käme. Nichts außer einem Echo antwortete mir. Weder meine Mutter, die mehr als fünftausend Kilometer entfernt lebte, noch sonst jemand würde mich hier hören. Berge sind Orte der Einsamkeit und Stille. Hier kann man sich nur auf sich selbst verlassen und hält – auch um seine Kräfte zu sparen – lieber den Mund. Ich untersuchte meine rechte Körperseite mit keinem guten Ergebnis. Ich konnte weder meine Hand noch das Bein bewegen. Jeder Versuch endete mit kalten Schweißperlen auf meiner Stirn. „Verdammt, dachte ich, „Verdammt.
Die Situation war ernst. Mein Pferd, ein Hengst, den ich gerade erst erworben hatte, war mitsamt allen Vorräten verschwunden. Ich lag mit gebrochenen Knochen irgendwo in den Dreitausendern. Aufgewacht war ich in einer Spalte zwischen großen Gesteinsplatten, wo mein Fuß noch immer eingeklemmt war. Stück für Stück wurde mir das Geschehen wieder bewusst: Der Steinschlag auf einem der vielen Felsen, der meinen Boabdil erschreckt hatte. Der Seilknoten, der eigentlich nichts auf meinem kleinen Finger zu suchen hatte. Es geschah alles ganz schnell. Ich verfing mich mit der Leine an einem Pferd, das in vollem Galopp durch die zerklüftete und wilde Landschaft zu flüchten versuchte. Zuerst blieb ich mit meinem rechten Handgelenk irgendwo hängen, danach mit meinem Fuß. Zweimal hörte ich es deutlich knacken. Als Letztes sah ich noch, wie der Knoten sich löste. Dann wurde es dunkel.
„Zum Glück ist der Finger nicht abgerissen", dachte ich. Allerdings konnte ich bis auf den Knochen sehen, dort, wo Haut und Fleisch durchgescheuert waren. Heftiger Schmerz erfüllte mich. Mein Körper bestand nur noch aus abertausend brennenden, gespannten Fäden. Die kleinste Bewegung wurde unerträglich. Mühsam zog ich meine Glieder aus der Spalte und legte mich zwischen die Steine. Sie hatten scharfe Kanten und unterschiedene Muster, die ich auf diese Entfernung gut erkennen konnte. Und ich hatte Zeit, unendlich viel Zeit, dazuliegen und nachzudenken. Ich schloss meine Augen und ließ mich fallen. Jetzt hatte ich keine Eile mehr, irgendwo hinzugelangen. Dieser Seilknoten, der nur für einen Augenblick auf meiner Hand ruhte, während ich den Proviant am Sattel befestigte, hatte mich aus meinen Plänen gerissen. Vielleicht sogar aus meinem ganzen Leben. In den unwegsamen Weiten eines Hochgebirges braucht es nicht viel, um zu sterben. Schon eine kleine Unachtsamkeit kann den sicheren Tod bedeuten.
Und so lag ich da und sah vor mir das Gesicht eines Freundes, mit dem zusammen ich auf einem Trakehner-Gestüt unweit von Eckern-förde in Schleswig-Holstein gearbeitet hatte. „Lass nie einen Knoten oder eine Schlinge auf deinen Händen. Nie!, hatte er damals zu mir gesagt. Jahrelang hatte ich seinen Rat getreu befolgt. Aber dieses eine Mal machte ich eine unerklärliche und folgenschwere Ausnahme. „Das ist nur für einen Moment
, dachte ich, als ich den Knoten um meinen Finger sah. Genau da polterten die Steine herunter und mein Pferd ging durch. Zu spät. Die unwiderrufliche Erkenntnis saß so tief, dass meine Seele und die Schmerzen auf seltsame Weise zur Ruhe kamen.
Ich lag still und schaute auf die Welt der Ameisen unter mir. Auf diese kurze Entfernung wirkten sie größer als sonst. In Erinnerung an