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Des Richters Recht - Ein Fall für Harald Steiner
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eBook477 Seiten6 Stunden

Des Richters Recht - Ein Fall für Harald Steiner

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Über dieses E-Book

Richter Mühsam spricht einen Angeklagten wegen Mangel an Beweisen des Doppelmordes frei. Einige Stunden später sind der Richter und seine Frau tot.
KHK Harald Steiner, der auch schon den ersten Doppelmord bearbeitete, stößt auf eine Vielzahl an Motiven für diesen zweiten Doppelmord.
Als Richter wurde Mühsam immer wieder seiner Urteile wegen angefeindet. Auch der Umstand, dass die Mühsams jüdischer Abstammung sind, kann eine Rolle spielen.
Zudem sind sie sehr begütert. Und nicht zuletzt betrieb der Richter als Gerechtigkeitsfanatiker ein seltsames Hobby: Er nötigte politisch unkorrekte Personen Geld zu zahlen, welches von ihnen geschädigten Menschen zugute kommen sollte.
Parallelen zwischen den beiden Zweifachmorden treiben die Verwirrung auf die Spitze. Und es bleibt nicht bei den vier Mordopfern ...
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum18. Juli 2014
ISBN9783737500616
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    Buchvorschau

    Des Richters Recht - Ein Fall für Harald Steiner - Ansgar Morwood

    2. Mühsams Geheimnisse

    Erster Freitag nach der Ermordung des Richters

    Die Ermordung eines Richters sorgt in den Reihen der Justiz und der Polizei automatisch immer für Aufruhr, Nervosität, Panik und blinden Aktionismus. Als Harald Steiner mit seiner gesamten Mannschaft an diesem Morgen in Patricia Unkels Büro vorstellig wurde, konnte man der Kriminalrätin vom Gesicht ablesen, dass man ihr bereits von höherer Stelle ziemlich zugesetzt haben musste.

    Als alle um ihren großen Konferenztisch Platz genommen hatten, fragte sie einsilbig: „Mord, ist es wirklich Mord? Nicht vielleicht doch ein Ehestreit?"

    Nüchtern erwiderte Harald: „Wäre ja denkbar, dass Mühsam seine Frau erschlagen und sich dann selber eins auf die Rübe gegeben hat, aber dagegen spricht einiges. Die Tatwaffe ist verschwunden, und zum von Lambrecht angegebenen Todeszeitpunkt der Frau hatte sich Ibrahim Mühsam noch im Gerichtsgebäude aufgehalten."

    Sie sah ihn säuerlich an. „Also ist es Mord."

    „Ja."

    „Bevor wir diesen Fall erörtern, meine Dame und meine Herren, möchte ich Ihnen folgendes mitteilen. Gestern Abend rief mich Theodor Fiebig vom Landesjustizministerium in Düsseldorf an. Er wollte den Fall dem LKA übergeben. Ich erklärte ihm, die ersten Ermittlungen seien vom K zwo eingeleitet worden und es gebe da vielleicht einen Zusammenhang mit einer Verhandlung in einem zweifachen Mordfall, dessen Vorsitz Herr Mühsam gestern geleitet hatte, und dass die Ermittlungen zu diesem Mordfall ebenfalls schon vom K2 durchgeführt worden waren. Herr Fiebig wollte daraufhin wissen, wer das K2 leite. Als ich sagte, Sie, Herr Steiner, seien der Kommissariatsleiter, wurde es seltsam still in der Leitung. Dann meinte Fiebig, das K zwo solle auch den Fall Mühsam weiter bearbeiten, aber ich solle ihn ständig auf dem Laufenden halten."

    „Was gefällt Ihnen daran nicht?", fragte Steiner. Zwischen Steiner und der Unkel war der Wechsel zwischen Duzen und Siezen normal und ohne Bedeutung. Heute siezten sie sich.

    „Was genau, weiß ich nicht. Aber wenn da einer vom Ministerium so schnell der Auffassung ist, es gehe auch ohne LKA…Die brüten doch garantiert etwas aus."

    Harald schnaufte herablassend. „Wann tun die denn schon mal etwas Logisches? Können wir nun mit unserer Arbeitssitzung beginnen?"

    Irgendwie beruhigte Haralds Gleichgültigkeit die Kriminalrätin. Sie konnte ja nicht wissen, dass ihr Hauptkommissar schon mit Theodor Fiebig gesprochen hatte, bevor der sie angerufen hatte. In weiser Voraussicht hatte Steiner seine Kontakte spielen lassen, um genau das zu verhindern, was in diesem Fall automatisch geschehen wäre: die Einmischung des LKA.

    „Ja, ich bitte sogar darum", sagte die Unkel.

    Steiner stand auf, ging zur Schreibwand, griff sich einen der Filzstifte und schrieb die Worte ‚Strafverfahren Hummel‘ auf die Tafel.

    „Der letzte Prozess, dem Ibrahim Mühsam vorsaß, war dieses Verfahren. Der Urteilsspruch erfolgte etwa um 14.40 Uhr, dann zog sich der Richter zurück. Laut seiner Sekretärin muss er das Gerichtsgebäude um 15.30 Uhr bereits verlassen haben. Wann er genau bei sich zuhause eintraf, ist nicht bekannt. In der Straße leben nur biedere Leute. Die Meisten waren auf der Arbeit, und die wenigen, die das nicht waren, haben nichts gesehen oder gehört. Nach dem ersten Befund Lambrechts könnte Mühsams Tod zwischen 15.30 und 16 Uhr eingetreten sein, also eher um 16 Uhr und mit Sicherheit nur wenige Minuten, nachdem er sein Haus betreten hatte. So, wie wir ihn vorgefunden haben, deutet nichts darauf hin, dass er die Anwesenheit oder das Kommen seines Mörders bemerkt haben könnte. Seine Frau, das andere Mordopfer, wurde um etwa 14 Uhr erschlagen. Marianne Mühsams Leichnam lag im Obergeschoss auf dem Ehebett. Sie war von vorne, er von hinten erschlagen worden. Frau Mühsam war häuslich bekleidet. Es hat also nicht den Anschein, dass sie das Haus noch hatte verlassen wollen."

    Die Unkel hatte eine Zwischenfrage. „Wieso ist es von Bedeutung, ob sie wohl oder nicht das Haus noch zu verlassen gedacht hatte?"

    „Darauf komme ich noch zu sprechen, hielt Harald die erwünschte Information zurück. „Jedenfalls ist der Täter nicht gewaltsam in das Haus eingebrochen. Entweder war ihm Einlass gewährt worden, oder er hatte irgendwie die Gelegenheit, ungehindert reinzuspazieren. Was das Mordopfer Marianne Mühsam angeht, deutet nichts darauf hin, dass sie ihren Mörder freiwillig ins Schlafzimmer gebeten hat. Eher sieht es so aus, als sei sie gerade beim Bettenaufmachen oder dergleichen gewesen, als der plötzlich vor ihr stand. Lambrecht glaubt, sie sei mit demselben oder einem ähnlichen Tatwerkzeug niedergestreckt worden wie später ihr Mann. Jonas Mühsam teilte uns nach einer Begehung der Räumlichkeiten mit, es fehle anscheinend nichts. Genau wusste er es nicht, denn fast alle verfügbaren Ablagen sind mit Kerzenständern belegt. Wenn da einer fehlte…na ja. Lambrecht hielt es daraufhin bei Betrachtung noch vorhandener Exemplare für möglich, dass es sich bei einem ähnlichen Exemplar wie einige dieser Kerzenständer um die Tatwaffe handeln könnte.

    „Wer ist denn eigentlich dieser Jonas Mühsam?", wollte Patricia wissen.

    Harald erklärte ihr, wer Jonas war, was er dort zu suchen hatte und wieso er über einen Schlüssel zum Haus verfügte.

    „Und sein Alibi?", kam es spontan von ihr.

    „Er hat eines angegeben. Das wird überprüft werden, zeigte sich Harald verärgert, als hätte sie seine Kompetenz in Zweifel gezogen. „Das weitaus Seltsamere an der Geschichte ist, dass Frau Mühsams Auto nicht da war. Nach allem, was uns die wenigen Zeugen aus der Nachbarschaft berichteten, hatte der Twingo um 13.30 Uhr noch vor der Garage gestanden und um 15.00 nicht mehr. Hatte sie das Gefährt vielleicht in eine Werkstatt gefahren oder von einer Werkstatt abholen lassen? Nein, jedenfalls steht der Renault nicht in der Werkstatt, wo Frau Mühsam ihn normalerweise warten ließ.

    „Und was schließt du daraus, Harald?", bat die Kriminalrätin um Auskunft.

    Harald antwortete nicht sofort, sondern schrieb eine Reihe von Stichworten auf die Tafel. „vor 15.30 Gericht verlassen, „zwischen 15.30 und 16.00 Uhr ermordet und mehr solcher Sachen. Dann noch „Twingo zuletzt um 13.30 vor Garage gesehen." Es kam übrigens selten vor, dass Steiner sich eines Stichwörterschemas bediente.

    Endlich ging er auf Patricias Frage ein. „Wir haben es mit einem Mörder zu tun, der um etwa 14 Uhr unbemerkt in das Haus der Mühsams eingestiegen ist. Er traf Frau Mühsam in ihrem Schlafzimmer an und erschlug sie vermutlich mit einem Kerzenständer, den er sich irgendwo im Haus geschnappt hatte. Dann wartete er etwa zwei Stunden, bis Herr Mühsam nachhause kam, und erschlug ihn mit demselben Apparillo. Nichts weist auf einen Diebstahl hin, bis auf eben der verschwundene Twingo. Wäre es um den gegangen, hätte der Täter wohl kaum noch die Rückkehr Ibrahim Mühsams abgewartet. Es sieht doch wohl eher so aus, als hätte der Täter erst die Frau ermordet und dann den Wagen weggefahren, damit ihr Mann nicht auf den Gedanken kommen sollte, sie sei vielleicht im Hause. Warum sollte er oben im Schlafzimmer nachsehen gehen, wo sie war, wenn ihr Auto nicht da war? Er legte eine CD ein, setzte sich gemütlich zum Entspannen mit einem Erdbeermilchshake aufs Sofa, und der Täter konnte ihn ohne Gegenwehr von hinten erschlagen."

    „Ja, aber warum?", insistierte die Kriminalrätin.

    „Jedenfalls nicht, um ihn um seiner Wertsachen zu erleichtern, sagte Steiner. „Warum bringt man einen Richter um?

    „Ja, ja, Harald, das Motiv kann sich wohl jeder denken. Hast du etwas Konkreteres?"

    „Vielleicht, erwiderte Harald. „Ralf, du hast doch die Kontoauszüge der Mühsams gesehen.

    Kommissar Ralf Frisch berichtete: „Ich habe mich nie damit befasst, was ein Richter so verdient, aber Ibrahim Mühsam verfügt so an eine Million Euro an Guthaben, und seine Frau hat nicht weniger als 400.000 Euro auf ihren Konten."

    „Also doch Jonas Mühsam?", fragte Patricia.

    „Es gibt noch eine Tochter, sagte Steiner „Sie heißt Rahel. Auch sie käme in Frage.

    „Moment einmal, intervenierte die Unkel erneut. „Rahel, Ibrahim, Jonas, Mühsam…Sind diese Leute etwa Juden?

    „Wie kommen Sie denn auf die Idee?, spottete Steiner. „Haben Sie womöglich eine xenophobische Neigung?

    Die Kriminalrätin wusste sofort, auf was der Hauptkommissar anspielte. Es galt als Tabu, festzustellen, jemand könne wegen seiner nichtdeutschen Abstammung Täter oder Opfer sein. Das entsprach nicht dem Weltbild der Unkel, die eine verbissene Rotgrüne war und einem idealistischen Weltbild nachhing, alle Menschen seien gleich, und festzustellen, dass sie nicht alle gleich sind, sei eine ethische Sünde.

    „Lass den Quatsch!", tadelte sie ihn.

    „Ich habe Jonas gefragt. Ja, die Mühsams sind Juden. Die Eltern und Großeltern des Richters müssen vor Hitlers Machtergreifung ziemlich was besessen haben. Und die Marianne Mühsam hieß mit Mädchennamen Schmitz, und diese Schmitzen waren Halbjuden und auch nicht gerade arm. Da ist anscheinend doch noch etwas kleben geblieben."

    Patricias Stirn runzelte sich „Mord wegen des Erbes?"

    „Nicht auszuschließen. Vielleicht war ihm aber auch einer der bösen Jungs, die er hinter Gittern gebracht hat, ein Dorn im Auge, oder ein Opfer oder Hinterbliebener eines Opfers, der meint, er habe jemanden zu sehr geschont, sagte Steiner. „Mühsam war nun einmal schnell und unkonventionell, wenn es um Strafprozesse ging. Der machte kein Trara. Er hörte sich alles an und richtete. Da wird er vielleicht dem einen oder anderen auf die Füße getreten sein. Aber das tun seine Kollegen, die mit Pomp und Kaugummiverhandlungen zu Gericht sitzen, ja auch laufend. Letztendlich ist nicht einmal auszuschließen, dass sein letztes Urteil Ursache für den Mord war.

    „Das ist aber ein breites Feld, das du da ins Visier nehmen willst, glaubte die Unkel. „Wo willst du denn dabei ansetzen?

    „Bei den Alibis der Mühsambrut. Aber da gibt es noch etwas. Heinz, berichte du, was Jonas Mühsam dir erzählt hat."

    Heinz Schmidt war richtig stolz, in dieser Runde auch mal das Wort führen zu dürfen. „Jonas glaubt, sein Vater habe Leute erpresst. Er meint, es sei dabei um Altnazis gegangen, die irgendwas in Auschwitz oder so ausgeheckt haben. Was da genau gelaufen sein soll, weiß er nicht, nur dass er öfter gesehen hat, wie sein Vater sich über Akten gebeugt hatte, auf denen der berühmte Stempel mit dem Hakenkreuz unter den Krallen des breitflügligen Adlers abgebildet gewesen sein soll."

    „Und wie kommt der Bursche auf Erpressung?", interessierte es die Unkel.

    „Das hat er mir nicht zu sagen vermocht."

    „Etwas dünn, Herr Kommissar Schmidt, finden Sie nicht auch?", äußerte sich die Unkel.

    Nun schritt Harald wieder ein. „Alles, was wir haben, ist momentan noch dünn. Ich würde lieber wieder an die Arbeit gehen. Um zehn Uhr habe ich einen Termin mit Rahel Mühsam in Braunsfeld. Vielleicht weiß die ja mehr."

    Als sich Hauptkommissar Steiner gegen 10 Uhr im Haus der Mühsams einfand, war die Spurensicherung schon wieder voll aktiv. Steiner setzte sich an Ibrahim Mühsams Schreibtisch in dessen Büro. Er ließ seinen Blick über die Bücher schweifen, die in den Regalen links und rechts aufgestellt waren. Irgendwie bestätigten die Titel der Bände, was Jonas am Vortag gesagt hatte. Der alte Mühsam musste sich wahrhaftig sehr stark mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt haben.

    Harald öffnete eine Schublade des Schreibtischs nach der anderen. Darin befand sich nichts, was darauf hinwies, Mühsam könnte Altnazis gejagt haben. Er fragte eine Kollegin von der Spurensicherung, ob es zufällig einen Safe im Hause gebe, den man noch nicht geöffnet hatte, und erfuhr, dass es einen solchen wohl nicht gebe, allerdings habe man in Marianne Mühsams Kommode eine Art Geheimfach oder doppelten Boden ausgemacht, hinter dem sich eine ganze Serie von Mäppchen mit Bankauszügen befunden hatte.

    Harald ließ sich diese zeigen. Wenn man über Menschen hörte, die ein fettes Konto in der Schweiz haben, dachte man automatisch an große Bosse, die Steuern hinterzogen hatten, aber kaum an die Ehefrau eines Richters. Und was da alles auf Frau Mühsams Namen stand, war nicht nur in der Schweiz deponiert worden. Belgien, Luxemburg, Finnland, Großbritannien und Spanien waren ebenfalls vertreten. Harald addierte und kam auf ein seltsam hohes Resultat von über zwei Millionen Euro. Das Merkwürdigste an allen Einzahlungen auf diesen Konten war die immer wiederkehrenden Worte „Reparation und „Wiedergutmachung.

    Aber sich darüber Gedanken zu machen, konnte Steiner nicht, denn plötzlich stand eine junge, hübsche Frau im Zimmer.

    „Sind Sie Hauptkommissar Steiner?"

    Mein Gott, dachte Harald, hat Anne Frank doch überlebt? Tatsächlich ähnelte das Mädchen der jungen Märtyrerin, wenn man auch sagen muss, dass sie körperlich eine Portion weniger mädchenhaft und umso reifer aussah.

    „Ja. Ja, mein Name ist Steiner, Kripo Köln. Und Sie sind…"

    „Rahel Mühsam", sagte sie mit einem breiten Lächeln auf den Lippen.

    Er erhob sich aus dem Drehsessel. „Herzliches Beileid."

    „Bitte, Herr Hauptkommissar, das mit den Beileids- und Mitleidsbekundungen dürfen Sie sich sparen."

    „Trauern Sie etwa nicht um Ihre Eltern?"

    „Sicher, aber das würde ich gerne im Innern mit mir selber ausmachen. Wenn andere einem das aufdrängen, schmerzt es viel mehr."

    Er musterte sie. Ihr farbenfrohes Kleid passte zu ihren Worten, weniger zum kalten Wetter draußen. „Na gut. Wenn Sie mögen, setzen Sie sich bitte."

    Das tat Rahel, und zwar in einem der Sessel, die vor dem Schreibtisch standen, und auch Steiner setzte sich wieder.

    „Sie bevorzugen es also, dass ich den Stier bei den Hörnern packe."

    „Aber ja doch, Herr Steiner."

    „Unser größtes Problem ist die Frage, wieso man Ihre Eltern umbrachte. Haben Sie da eine Ahnung?"

    „Da habe ich viele Ahnungen. Mein Vater hat viele Leute hinter Gittern gebracht. Er war Jude, meine Mutter war Halbjüdin. Mein Vater hatte es sich zum Hobby gemacht, Nazischergen zu jagen. Meine Eltern waren nicht gerade unbetucht. Reicht das?"

    „Pauschal waren wir auch schon so weit. Ich hätte jetzt lieber etwas Genaueres gehört."

    „Fangen wir doch bei meinem Bruder an. Wir hatten eine Tante, die nie geheiratet und nie Kinder gehabt hatte. Als sie vor sechs Jahren starb, war Jonas ihr einziger Erbe. Tante Isolde hatte immer schon einen Narren an ihm gefressen. Was machte Jonas, der damals erst 20 war? Er schmiss sein Jurastudium hin, zog nach Berlin-Kreuzberg, - ausgerechnet als Jude zog er nach ‚Kleinistanbul‘ -, kaufte sich einen schicken Flitzer und fuhr Tag ein Tag aus den Kudamm rauf und runter. Vor gut einem Jahr war das Geld alle, und es hatte sich ein Berg Schulden angehäuft. Da kam er bei seinen Eltern angekrochen. Papa und Mama gaben ihm aber kein Geld. Stattdessen besorgte unser Vater ihm eine Stelle als Bleistiftspitzer bei einer Anwaltskanzlei, und seither muss Jonas seine Schulden peu à peu von seinem kümmerlichen Gehalt abbezahlen. Für ihn sind mit dem Tod unserer Eltern alle Probleme vom Tisch, und er könnte erneut sein Lotterleben wieder aufnehmen."

    „Sie scheinen Ihren Bruder nicht echt zu mögen."

    „Das haben Sie dann aber falsch verstanden, stellte Rahel klar. „Ich kann ihn gut ausstehen, aber ich halte nicht viel von seiner Art der Lebensplanung.

    „Ist Ihre Lebensplanung solider?", erkundigte sich Harald.

    „Solider? Sie dachte sichtlich nach. „Sie ist vielleicht nicht solider, aber geradliniger.

    „Und womit bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt? Oder studieren Sie noch?"

    „Ich wollte ziemlich schnell auf eigenen Füßen stehen. Da habe ich eine Lehre als Kranken- und Altenpflegerin gemacht. Ich habe heutzutage ein geregeltes Einkommen als Pflegerin in einem Seniorenheim. Mir wurde aber auf Dauer bewusst, dass ich besser ein Studium der Sozialwissenschaften oder so belegt hätte. Dann würde ich jetzt mit meinen 24 Jahren viel mehr verdienen. Aber Papa sagte mir, ich brauche von ihm keine finanzielle Unterstützung zu erwarten. Er verharrte auf dem Standpunkt, dass Eltern dazu verpflichtet sind, ihren Kindern nur eine Ausbildung zu finanzieren. Danach müssen die Kinder selber zusehen, wie sie fertig

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