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Der Detektiv: Aufstieg und Niedergang – ein literarischer Streifzug
Der Detektiv: Aufstieg und Niedergang – ein literarischer Streifzug
Der Detektiv: Aufstieg und Niedergang – ein literarischer Streifzug
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Der Detektiv: Aufstieg und Niedergang – ein literarischer Streifzug

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Weshalb war in der ersten richtigen Detektivgeschichte ein Affe der Mörder? Konnte es einen chinesischen Detektivroman geben? Lebte Maigret wirklich? Warum war Marlowe Frauen gegenüber so enthaltsam? – solche Fragen werden in diesem Buch gestellt. Dabei entfaltet sich die Geschichte des literarischen Detektivs u. a. durch fiktive Monologe bekannter Ermittler. Im Vordergrund steht nicht die klassische Form des Detektivromans, sondern der Sonderweg, auf dem sich der Siegeszug des Detektivs zu einem Fiasko – wie bei Borges oder Dürrenmatt – verwandelte.
Am Anfang dieser Entwicklung standen Jules Maigret und Phil Marlowe. Ihre Persönlichkeiten werden rekonstruiert, um der Frage nachzugehen, wie sie sich in der Welt – auf unterschiedliche Weise – zurechtgefunden haben.
Dem Detektiv erging es auf diesem Weg schließlich so, wie dem Polarforscher in "Stadt aus Glas" von Paul Auster: Er zieht sich vor dem nicht enden wollenden Schneesturm in eine selbstgebaute Eishütte zurück. Sein Atem gefriert sogleich an der Wand der Schneehöhle. Die Wand wird damit immer dicker und der Raum immer enger. Er kann nur leben, wenn er atmet, wenn er aber atmet, lebt er sicherlich nicht mehr lange.
LanguageDeutsch
Publisherepubli
Release dateJan 23, 2013
ISBN9783844246094
Der Detektiv: Aufstieg und Niedergang – ein literarischer Streifzug

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    Der Detektiv - Attila Sausic

    Attila Sausic

    DER

    DETEKTIV

    Aufstieg und Niedergang

    – ein literarischer Streifzug –

    Das Original erschien in Fortsetzungen in der ungarischen Zeitschrift Holmi, Jg. 19/6, 20/4, 20/9, 21/4. Für die vorliegende Veröffentlichung wurde der Text vom Autor überarbeitet und ins Deutsche übersetzt.

    Lektorat: Éva Zádor

    Umschlag: Zsolt Nyíri (Bild),

    Gábor Szilágyi (Typografie)

    Der Detektiv

    Attila Sausic

    Copyright: © 2013 Attila Sausic

    published by: epubli GmbH, Berlin

    www.epubli.de

    ISBN 978-3-8442-4609-4

    Vorwort

    Dieses Buch empfehle ich besonders denen, die sich für eine Skizze über die Entstehung der literarischen Detektive im 19. und ihren Sonderweg im 20. Jahrhundert interessieren sowie eine gewisse Sympathie für Jules Maigret und Philip Marlowe hegen.

    Neben dem Inhaltlichen beschäftigte mich auch die Frage, in welcher Form ich über Detektivromane schreiben könnte, ohne dass die Leser, die genauso wenig Literaturwissenschaftler sind wie ich, auf der Stelle eine unwiderstehliche Müdigkeit ergreift.

    Daher versuchte ich, Schriftsteller und Detektive auf eine literarische Bühne zu stellen und zum Reden zu bringen. Durch erfundene Monologe und – kursiv markierte – wirkliche Zitate berühmter Detektive und ihrer Chronisten wie Sherlock Holmes, Edgar Allan Poe und andere wird im ersten und vierten Kapitel die Geschichte des Detektivromans dargestellt. Im zweiten und dritten Kapitel gehe ich mit der detaillierten Rekonstruktion der Charaktere von Maigret und Marlowe der Frage nach, ob diese fahrenden Ritter der Großstadt (Chesterton) uns auch heute noch etwas zu sagen haben. Ich denke schon.

    Lebte Maigret wirklich? Gibt es den chinesischen Detektivroman? Warum war Marlowe Frauen gegenüber so enthaltsam? War etwa Gott der erste Detektiv? Wieso suchte Wallas den besten Radiergummi und nicht den Mörder? Weshalb war in der ersten richtigen Detektivgeschichte ein Affe der Mörder? – nebenbei werden auch solche Fragen gestellt, doch nicht immer beantwortet.

    Es könnte leicht der Eindruck entstehen, als ob in diesem Buch die Goldene Zeit, die klassische Form dieser Gattung, die von Autoren wie Agatha Christie geprägt wurde, vernachlässigt würde. Das ist tatsächlich der Fall. Nach der berühmten Definition Raymond Chandlers ist ein Kriminalroman dann wirklich gut, wenn man ihn auch dann zu Ende läse, wenn man wüsste, dass jemand das letzte Kapitel herausgerissen hat. (KUNST DES MORDES 159) Und die Detektivgeschichte wurde erst da mehr als nur ein Rätselraten und erreichte einen literarischen Wert, als sie sich von ihrer eigentlich vollkommenen Form entfernte.

    Der Weg, den ich hier aufzeigen möchte, ist der, den die Abweichler gingen – es ist nicht die breite und beleuchtete Hauptstraße, sondern der Umweg durch dunkle und verwinkelte Gassen, der sich schließlich als Labyrinth enthüllt.

    1. DAS ERWACHEN

    Am frühen Morgen der Detektivliteratur rennt ein Affe durch eine ausgestorbene Pariser Straße. Am Maul trocknet Seifenschaum, in der Pfote hält er eine dünne, scharfe Klinge. Wollte er sich gerade rasieren, als er plötzlich gestört wurde?

    *

    In einem Haus, das in einem abgeschiedenen und öden Teil des Faubourg St-Germain seinem Verfall entgegenschwankte, gibt sich ein verarmter junger Mann, Sprössling einer berühmten Familie, seiner Leidenschaft hin – dem Zauber der Nacht. Mit seinem Freund, dem Mieter dieser altmodischen Villa, ziehen sie nach dem ersten Anzeichen des Tageslichtes die Fensterläden zu. Sie tauchen ein in den schweren Duft der Wachskerzen und warten, lesend, schreibend, sich unterhaltend, auf das Eintreffen der Dunkelheit. Und dann, wie man aus der Beschreibung des Freundes erfährt, begaben wir uns auf die Straßen, Arm in Arm, fuhren fort, die Gegenstände des Tags zu besprechen, oder streiften weit und breit bis zu später Stunde umher und suchten, inmitten der wilden Lichter und Schatten der bevölkerten Stadt, jene Unendlichkeit geistiger Erregung, die von gelassener Beobachtung gewährt werden kann. (MORGUE 83, 84)

    *

    Der Orang-Utan aus Borneo, vier oder fünf Jahre alt, sieht durchs Fenster im vierten Stock eines Hauses ein Licht schimmern. Meint er die Wohnung wiederzuerkennen, aus der er soeben geflüchtet ist? Er klettert jedenfalls den Blitzableiter hoch, ergreift den Fensterladen und springt durch das offene Schiebefenster ins Zimmer.

    *

    Der junge Amerikaner, Mitte Zwanzig, der gerade eine Ausgabe der Shrewsbury Chronicle aus dem Jahre 1834 zu Hause in Baltimore studiert, ist mit dem soeben vorgestellten Franzosen etwa gleichaltrig, ja er ähnelt ihm sogar: hohe Stirn, große schwarze Augen, gewölbte Augenbrauen, sich kräuselnde Lippen, lange Nase, blasses Gesicht, alles in allem aristokratische Züge. Die abgetragene schwarze Kleidung der dünnen Gestalt lässt eine ehemals anspruchsvolle Eleganz vermuten, die ungewöhnlich gebundene Krawatte und ein offener Knopf in der Mitte der Weste betonen seinen Boheme-Charakter.

    Der Artikel, dem er seine Aufmerksamkeit widmet, berichtet über einen Fall, der damals großes Aufsehen erregte. Gaukler hatten die Stadt Shrewsbury besucht und einen Orang-Utan mitgebracht, den sie, wie der Bericht behauptet, dazu abrichteten, nachts durch Fenster zu klettern, um Einbrüche zu verüben. Eine Einwohnerin der Stadt, eine vornehme Lady, erschreckte der Affe, der bei Nacht in ihr Schlafzimmer eingeschlichen war, fast zu Tode.

    *

    Einen Zeitungsartikel liest auch der junge Mann in Paris, C. Auguste Dupin, in der Abendausgabe der Gazette des Tribunaux: … die Bewohner des Quartier St-Roche wurden von einer Folge schrecklicher Schreie aus dem Schlaf gerissen … ein Barbiermesser, mit Blut beschmiert … dicke Büschel grauen Menschenhaars, insgleichen blutbenetzt … anscheinend mit den Wurzeln ausgerissen … auf der Kehle dunkle Quetschungen und tiefe Eindrücke von Fingernägeln … (MORGUE 90-93)

    *

    Der Orang-Utan ist völlig durcheinander. Seinen Zorn hat er ausgelassen, nun gerät er in Panik. In seinem Gehirn vermischen sich die ereignisreichen Bilder der vergangenen Minuten. Das entstellte Gesicht dieses älteren Weibchens, mit dem er zunächst nur spielen wollte, bis ihn das Gekreische und die heftige Gegenwehr wütend machten; das Haarbüschel, das samt Kopfhaut in seiner Hand geblieben war; das Blut, das in seine Augen spritzte, als er mit der Rasierklinge ihren Hals fast völlig durchschnitt; der Körper des erwürgten jüngeren Weibchens, den er in den Rauchfang stopfte, und der des älteren, den er aus dem Fenster warf und schließlich das entsetzte Gesicht seines Besitzers, das im Fensterrahmen auftauchte.

    *

    Wie kam der wirkliche Affe der Gaukler dazu, als literarischer Orang-Utan einen blutigen und grausamen zweifachen Mord zu begehen? Vom Artikel in der Shrewsbury Chronicle bis zur Publikation von DIE MORDE IN DER RUE MORGUE, 1841, vergehen ein paar Jahre. Die Methode Edgar Allan Poes ist jedoch die gleiche, die er damals bereits in seinen Erzählungen anwendet.

    Ein schönes Beispiel dafür ist BERENICE, eine im März 1835 publizierte Erzählung, dem Anschein nach nur eine der damals überaus populären Schauergeschichten. Die Hauptfigur Egaeus hat die merkwürdige Eigenschaft, von ganz unerheblichen Details der Wirklichkeit wie einer nebensächlichen Bemerkung in irgendeinem Buch, einem an der Wand entlangwandernden Schatten an einem Sommertag, dem Lichtspiel des glühenden Feuers oder aber einem beliebigen Wort, das durch die ständige Wiederholung seinen Sinn verliert, in einen unendlichen Zustand der Überwältigung zu geraten. Die ursprünglich harmlose Leidenschaft wird jedoch zur Gefahr, als seine Gefühle, Gedanken und Phantasien durch die beim Lächeln hervorblinkenden weißen Zähnen seiner Nichte Berenice beherrscht werden. Plötzlich ergreift ihn das Gefühl, die Seelenruhe und den klaren Verstand nur durch den Besitz dieser Zähne zurückerlangen zu können.

    Entsprechend der Regeln der Gattung leidet die angebetete Frau an einer geheimnisvollen und unheilbaren Krankheit. Egaeus dringt in Trance, dafür aber mit zahnärztlichen Werkzeugen vorsorglich ausgerüstet, in die Gruft ein, in der seine Geliebte aufgebahrt wurde. Er zieht Berenice, die dort als Scheintote verweilt, zu ihrem Unglück alle zweiunddreißig Zähne. Die kleinen, weißen, wie Elfenbein schimmernden Gegenstände (BERENICE 294) sieht er erst dann wieder, als er erneut zu sich kommt und die Zähne aus einer fallengelassenen Schachtel, in die er sie unbewusst versteckt hatte, auf dem Boden herausrollen.

    Das Schicksal der Zähne von Berenice bot den Psychoanalytikern später, ausgehend vom zentralen Symbol der Kastrationsangst, den in der Vagina verborgenen Zähnen, vortreffliche und – angesichts der scheinbar jeglicher Erotik entbehrenden, doch ungewöhnlich heftigen Zuneigung von Egaeus seiner Nichte gegenüber – nicht ganz unbegründete Möglichkeiten zur Interpretation. Gleichzeitig wirkt die Geschichte derart morbid, dass sie nicht nur tiefenpsychologisch, sondern auch als Parodie zu lesen ist. Dem entspricht, wie Poe in einem Brief, einen Monat nach der Publikation der Erzählung, die angewendete Methode charakterisiert: Es ist das Spaßige, das zum Grotesken erhöht, das Furchterregende, das ins Grauenhafte gesteigert wird: das Witzige, übertrieben ins Burleske, und das Außergewöhnliche, kunstfertig ins Seltsame und Mystische transzendiert. (ZUMBACH 291)

    *

    »Erinnerst du dich noch an den seltsamen Fall in Shrewsbury?« wandte sich Poe an Maria, während sie Arm in Arm in dem kleinen Garten vor ihrem Haus gemütlich auf und ab spazierten. »Sogleich spürte ich darin die einzigartige Möglichkeit, manche Gedanken, die in mir bereits ausgereift waren, zum Ausdruck zu bringen. Indes, was meinst du, in welcher Weise würden andere Autoren, die sich über das Wesentliche in einem Kunstwerk keine Gedanken machen, vorgehen? Freilich so, dass sie die ursprüngliche Geschichte ausmalen und ausschmücken, mit Drehungen und Wendungen bereichern sowie in eine sprachlich erhabene Form kleiden. Dies an sich reicht allerdings offenbar nicht aus. Daraus kann etwas Interessantes, keinesfalls jedoch Wichtiges und Künstlerisches entstehen.

    Ich bin der Meinung, Gewinnsucht oder Eifersucht als Mordmotiv sind zu trivial und uninteressant, und vor allem verdecken sie das Wesentliche der bösen Tat … nämlich, dass über die Motive hinaus, die festgestellt werden können, etwas Unerklärbares und gleichzeitig Selbstverständliches bleibt: Der Mensch sehnt sich auch grundlos danach zu morden, während wir nicht wissen, wann und wie manche jene Grenze, vor der die überwiegende Mehrheit zurückschreckt, ja, sie sogar nicht einmal erblickt, zu übertreten fähig sind. Diese unfassbare und eigentlich unbeschreibliche Sehnsucht versuchte ich, in DAS VERRÄTERISCHE HERZ zu veranschaulichen: ›Ich liebte den alten Mann. Er hatte mir nie etwas zuleide getan. Er hatte mich nie gekränkt. Sein Gold begehrte ich nicht. Ich vermute, dass es sein Auge war. Ja, gewiss war es das! Eins seiner Augen glich einem Geierauge. Es war blassblau mit einer krankhaften Trübung. Jedes Mal, wenn sein Blick auf mich fiel, gefror mir das Blut. Und so entschloss ich mich ganz, ganz allmählich, dem alten Mann das Leben zu nehmen und mich so für immer von diesem Auge zu befreien.‹ (281)

    Der ideale Mörder ist letzten Endes der Amokläufer. Und wie lässt sich der unbändige Trieb des Menschen in einer reineren Form darstellen als durch ein Tier? Dieser Affe kommt also wie gerufen. Ich kann ihn vom Furchterregenden, dort, im Schlafzimmer in Shrewsbury, ins Grauenhafte steigern, wobei ich die ursprünglich auch spaßige Szene durch

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