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Skrupel 1.0: Kriminalroman
Skrupel 1.0: Kriminalroman
Skrupel 1.0: Kriminalroman
Ebook294 pages3 hours

Skrupel 1.0: Kriminalroman

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About this ebook

Marius Vermeer erhält einen Mordauftrag. Er lehnt ab. Doch kriminelle Geschäfte und finanzielle Krisen zwingen ihn, den Auftrag anzunehmen.
Womit er allerdings nicht rechnet: Die Frau, die er ermorden soll, ist ein Opfer auf Augenhöhe. Sein Auftrag misslingt und zu allem Überfluss wachsen seine Skrupel. Hat er sich etwa in die intelligente Intrigantin verliebt?
Diese Frau jedenfalls ist durch nichts zu erschüttern - schon gar nicht durch einen Mann!
Der Killer hat keine Wahl, das Opfer nutzt jede Gelegenheit für finstere Machenschaften. Er verfolgt sie, sie stellt sich ihm in den Weg. Es geht um Geld, Kunst, Liebe, Macht und vor allem um Leben und Tod. Der Killer ist menschlich, denn er hat Skrupel. Sie kennt nicht einmal das.
LanguageDeutsch
Publisherepubli
Release dateNov 12, 2019
ISBN9783750251977
Skrupel 1.0: Kriminalroman
Author

Christine Sylvester

Christine Sylvester, geboren 1969 in Bielefeld, ist Diplom-Journalistin, Autorin, Lehrerin für Deutsch, Ethik, Sozialkunde/Geschichte, Dozentin für Medien & Kommunikation. Sie hat zwei Kinder und lebt seit 1999 in Dresden.

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    Book preview

    Skrupel 1.0 - Christine Sylvester

    Kapitel 1

    Marius Vermeer warf einen kritischen Blick auf die fünf Skulpturen, die gestern aus Lateinamerika angekommen waren. Ob der Kunde Wort hielt und sie heute noch per Kurier abholen ließ? Marius war froh, die teure Fracht bald los zu werden. Sein Kennerblick stufte diese Skulpturen als mäßig wertvoll ein. Vielleicht fünftausend Euro pro Stück; gut, im Ensemble mochten sie etwas wertvoller sein. Dennoch hegte er den Verdacht, dass sie noch andere Werte beinhalteten und war erleichtert, dass es beim Zoll keine Probleme gegeben hatte.

    Er griff zum Staubtuch und wedelte über die fünf Heiligen. Fünfzigtausend Euro waren auf jeden Fall viel zu viel für diese volkstümlichen Kunstwerke. Wie gut, dass er heute selbst in seinem Antiquitätenhaus an der Spiegelgracht war. Solch heikle Geschäfte überließ er ungern seinen Mitarbeitern.

    Marius schlenderte zum Holztresen mit der alten Registrierkasse aus den 1920er Jahren, warf einen Blick in den noch gut erhaltenen Louis-Quinze-Spiegel, den er niemals verkaufen würde und fuhr sich durch die Haare. Er wurde langsam grau. Wenn er sich die Haare jetzt tönen ließe, würde das noch niemandem auffallen. Ach was! Marius bleckte die Jacketkronen. Er sah für Mitte 40 gut aus. Und mit seinen 1,95, der sportlichen Figur und seiner maßgeschneiderten Garderobe war er ein attraktiver Typ. Es hatte ihm noch nie an weiblicher Resonanz gemangelt. Schließlich hatte er Geld, Manieren und Bildung. Leider fehlte Letzteres den meisten Frauen, die er kannte. Oder den gebildeten Damen seines Alters fehlte der Sexappeal.

    In diesem Moment riss ihn das Glockenspiel der Eingangstür aus seiner Selbstbetrachtung. Na endlich, der Kurier für die dubiose Lieferung.

    „Hallo, bin ich recht hier um zu sprechen eine gewisse Marius Vermeer?" Ein untersetzter Typ in Motorradkluft stand vor ihm.

    Wollte der die fünf Heiligen auf dem Sozius transportieren? Marius blieb auf Distanz. „Guten Tag, mein Herr. Was möchten Sie denn von Herrn Vermeer?"

    „Eine Auftrag. Der Typ sah sich im Laden um. „Ich bin geschickt für Übermittlung von eine Auftrag an die Herr Vermeer ganz persönlich.

    Der Typ wirkte südländisch, sprach aber einen undefinierbaren Akzent und - Marius rümpfte die Nase - benutzte ein aufdringliches Aftershave. „Sie sollen etwas abholen, nehme ich an …"

    „Oh, nein, nein. Der Fremde schaute sich erneut um. „Ich bringe. Ich bringe eine Auftrag. Sie sind die Herr Vermeer?

    Hatte er ihn durchschaut, oder waren sie sich schon einmal begegnet? Marius hatte zwar ein gutes Gedächtnis für Gesichter, das erforderte sein Beruf. Aber an diesen Mann konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern. „Marius Vermeer, persönlich. Er reichte ihm die Hand. „Und mit wem habe ich das Vergnügen?

    Der andere ergriff die dargebotene Hand mit festem Händedruck. „Flavio Montano. Erfreue mich zu treffen Sie."

    „Herr Montano, was kann ich denn für Sie tun?" Der Typ war auf jeden Fall nicht der Kurier. Umso wichtiger war es, diesen Montano loszuwerden, bevor der Kurier für die Skulpturen kam.

    „Nun, man mir sagte … Er räusperte sich. „Sie nehme Aufträge, wie sagt man, pikante Art von wirklich große Tragweite.

    „Kommen Sie. Marius lotste ihn in die hinteren Räume und senkte die Stimme. „Pikante Aufträge, meinen Sie?

    „Ja, von Tragweite besondere Art. Flavio Montano wurde ebenfalls leise. „Von tödliche Tragweite.

    Marius Vermeer lächelte geschäftsmäßig. „Ich glaube, dass Sie da einem Missverständnis aufsitzen, mein lieber Herr …"

    „Montano, ergänzte der andere schnell. „Ich Sie soll aufsuchen für eine große Auftrag. Scusi. Ich bin nur die Übermittler.

    „Aha. Marius´ Tonfall wurde schärfer. „Wer schickt Sie?

    „Er nennte sich der Konsul, erklärte Montano. „Meine Familia ofte arbeite für der Konsul.

    Marius legte den Finger an die Schläfe. Der Konsul … Da kamen einige seiner Kunden und Bekannten in Frage. „Und welchen Auftrag sollen Sie übermitteln?" Er würde sich auf nichts einlassen, das stand fest. Dieser Flavio Montano war mehr als eigenartig.

    „Eine Frau. Montano verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Sie musse weg.

    „Eine Frau muss weg? Marius lachte auf. „Dann soll Ihr Auftraggeber sich doch scheiden lassen.

    „Sie nicht wollen verstehen, tadelte Montano. „Nicht seine Frau. Eine gefährliche Frau. Eine Deutsche.

    Marius lachte erneut. „Ja, natürlich, die deutschen Frauen sind besonders gefährlich. Doch Montano schien die Ironie nicht zu verstehen. „Hören Sie, mein Herr, wenn Ihr Herr Konsul wen auch immer verschwinden lassen will, warum beauftragt er dann nicht Sie?

    Montano schüttelte den Kopf. Er hatte Schweißperlen auf der Stirn. „Nein, nein."

    In diesem Moment hielt ein Lieferwagen vor dem Antiquitätenhaus. Marius beobachtete, wie zwei Männer ausstiegen und auf die Tür zukamen. Die Kuriere. Er musste diesen komischen Kauz so schnell wie möglich loswerden. „Hören Sie, Montano, ich glaube nicht, dass ich Interesse habe."

    „Oh, keine Rolle spielt die Geld!" Der Südländer klang flehend.

    Nun traten die Männer ein und das Glockenspiel erklang.

    „Moment, ich bin gleich bei Ihnen!, rief Marius. Dann zischte er Montano zu: „Eine Million. Euro, versteht sich.

    Der Südländer zuckte nicht einmal mit der Wimper. „Bekommen Sie 1,5 Millionen. Juro, ist klar."

    Marius seufzte. Mit seinem Preis konnte er ihn offenbar nicht abschrecken.

    „Hier habe Foto. Montano kramte einen Bildabzug hervor. „Die Dame Sie finden in Berlin. Er drehte das Bild herum und gab es Marius. „Hier ist Numero de Telefono. Sie mich geben Bescheid, Maestro Vermeer." Montano verneigte sich linkisch und ging ein Stück rückwärts. Dann senkte er den Blick und verließ eilig den Laden.

    Marius runzelte die Stirn und ließ das Foto schnell in seine Anzugtasche gleiten. „Meine Herren, Sie suchen Heilige?"

    Einer der Männer grinste. „Jawohl. Eilige Heilige aus dem Urwald."

    Marius atmete auf. „Kommen Sie! Die Skulpturen warten schon auf Sie."

    Kapitel 2

    Kaum hatte Charlotte Morgenrot das Loft betreten, meldete sich ihr Smartphone. Sie fischte es aus der Handtasche und nahm den Anruf entgegen. „Hallo Bettina!"

    „Charlotte, wie gut, dass ich dich erreiche. Bettina sprach leise. „Bist du noch in der Kanzlei?

    „Nein, gerade zuhause angekommen." Charlotte begutachtete die Fingernägel ihrer linken Hand. Sie musste dringend einen Termin zur Maniküre machen. Der lachsrote Lack wurde spröde, und sie war der Farbe inzwischen überdrüssig.

    „Ist Gerd noch … Ist er noch in der Kanzlei?", fragte Bettina.

    „Ja, dein Gatte hat noch ein Mandanten-Gespräch. Charlotte seufzte. „Und nein, es ist keine Frau. Er wollte mich allerdings nicht dabeihaben. Charlotte ließ sich aufs Ledersofa fallen. ‚Wenn du mich fragst, ist der Mandant wiedermal einer von der Russenmafia’, hätte sie am liebsten hinzugesetzt. Aber sie wollte ihre Freundin nicht unnötig beunruhigen. Sie würde sich selbst darum kümmern, dass ihr Chef Gerd Kogelmann nicht unter die Räder geriet.

    „Pfft!, machte Bettina. „Sei froh, dass du Feierabend hast.

    „Ja, bin ich." Charlotte dachte an den neuen Mandanten.

    „Hast du eine Ahnung, wie lange das heute Abend bei Gerd noch dauert?", fragte Bettina.

    „Nein, das kann ich wirklich nicht sagen", gab Charlotte zu.

    „Dann brauche ich deine Hilfe. Bettina lachte. „Genauer gesagt, dein Loft. Ich treffe Frederick.

    „Ah so. Charlotte schoss die Pumps von den Füßen. „Ist das der Barkeeper oder der Gärtner?

    „Das ist dieser schnuckelige Tänzer, du weißt schon", sagte Bettina gedehnt.

    „Ok. Charlotte legte die Beine hoch. „Na gut, in einer Stunde könnt ihr es euch hier gemütlich machen. Aber Bettina …

    „Du bist ein Schatz!", freute sich die Freundin.

    „Ihr vögelt nicht wieder in der Küche herum, verlangte Charlotte. „Das ist äußerst unappetitlich.

    „Versprochen. Bettina kicherte albern. „Frederick hat einfach so viel Temperament.

    Charlotte stand auf. „Und um Mitternacht seid ihr verschwunden." Sie ging hinüber zur Küche und öffnete den Kühlschrank.

    „Natürlich, wie immer, sagte Bettina. „Und Charlotte?

    „Ja?" Charlotte nahm eine angebrochene Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank.

    „Du hast was gut bei mir!"

    „Ich weiß. Charlotte grinste. „Dann viel Spaß mit deinem Tanzknaben. Sie drückte Bettinas Nummer weg und schenkte sich Wein ein.

    Dass Bettina immer diese Vorliebe für irgendwelche Barkeeper, Kellner, Gärtner und Tänzer hatte. Charlotte trank kopfschüttelnd. Bettina vögelte dermaßen unter Niveau, dass kaum etwas dabei herauszuholen war.

    Das Weinglas in der Hand, stieg Charlotte auf den Stuhl und überprüfte den Sitz der Kamera. Perfekt. Sie war auf Küchentresen und Arbeitsfläche gerichtet.

    Dann prostete sie der Kamera zu, stieg vom Stuhl und kontrollierte die Kameras rund um das Bett. Auch hier war alles in Ordnung. Charlotte nahm einen weiteren Schluck. Bettina hatte vor lauter Eifer bisher noch nie eine der Kameras bemerkt. Sie waren allerdings durch Bilder, Lampen und Pflanzen alle gut getarnt.

    Charlotte ging ins Bad, stellte das Glas neben dem Waschbecken ab und schlüpfte aus ihrem Business-Kostüm. Dann schielte sie hinauf zur Kamera, die im Lüftungsschacht angebracht war. Mit der Aufzeichnung im Bad musste sie sich noch etwas einfallen lassen. Die Kamera lieferte schlechte Bilder, weil bei Betrieb von Dusche oder Whirlpool die Linse beschlug. Nun ja, mit den Bildern von solch unbedeutenden Liebhabern war ohnehin nicht viel anzufangen. Sie musste Bettina unbedingt mal mit diesem neuen Staatsanwalt bekannt machen. Das wäre eine lohnenswerte Affäre …

    Charlotte überprüfte ihr Makeup, leerte das Glas und angelte sich einen Hosenanzug aus dem begehbaren Schrank nebenan. Binnen weniger Minuten war sie ausgehfertig, räumte Schuhe, Glas und Flasche auf und aktivierte über den Laptop auf dem Schreibtisch die Kameras. Sie schnappte sich ihre Tasche, ließ den Blick noch einmal prüfend durch das Loft wandern, zog die Tür hinter sich zu und rief den Lift.

    Charlotte verspürte Lust auf indisches Essen, danach vielleicht ein Kinobesuch oder ein Abstecher in eine Bar. Nein, sie würde Kogelmanns neuen Mandanten vor der Kanzlei abfangen und diesem Burschen mal auf den Zahn fühlen.

    Als Charlotte ihr Tandoori-Hähnchen bezahlte, fügte sie der Rechnung gleich noch ein paar deftige Snacks hinzu, mit der Bitte, sie in etwa einer Stunde in ihr Loft zu liefern. Dann schickte sie Bettina eine SMS, sie möge nicht erschrecken, wenn es an der Tür klingele, sondern die Bestellung genießen. Charlotte lächelte. Sie war eben eine wirklich gute Freundin.

    Sie verließ das Restaurant und winkte ein Taxi heran. Der Fahrer grummelte zunächst, als er hörte, dass das Fahrziel nur wenige Straßenecken entfernt lag, ließ sich jedoch schnell überzeugen, als Charlotte ihm erklärte, dass sie dort mit laufendem Taxameter auf die Weiterfahrt warten würden.

    Der Wagen hielt vor der angegebenen Adresse, und Charlotte gewahrte, dass die Bürofenster ihres Chefs noch erleuchtet waren. Er hatte also noch immer Mandantenbesuch.

    „Wir warten", ordnete sie an und hoffte, dass es nicht allzu lange dauern würde, bis sich etwas tat.

    „Stört es Sie, wenn ich das Radio anmache?" Der Taxifahrer wandte sich zu ihr um.

    „Kein Problem, erwiderte Charlotte, „solange Sie nicht Blasmusik hören.

    Der Fahrer stellte einen Regionalsender ein, auf dem ein Bericht über einen Immobilienskandal gesendet wurde. Charlotte hörte nur mit halbem Ohr zu und behielt den Eingang zur Kanzlei im Auge.

    „Das ist doch mal wieder eine Sauerei, echauffierte sich der Chauffeur. „Typisch für deutsche Gerichte. So ein Gangster kommt mit einer Geldstrafe davon, und die armen Leute, denen er all ihr Geld abgenommen hat?

    Charlotte sah auf. „Wie? Was?"

    „Dieser Immobilienhai, der diese Eigenheime verkauft hat, mit diesem Bauträger, der längst auf und davon ist, schimpfte der Taxifahrer. „Und jetzt kam während des Prozesses auch noch heraus, dass es gar keine Baugenehmigung gab. Wie schafft es so ein Typ, den Kopf einfach aus der Schlinge zu ziehen?

    Charlotte erinnerte sich. Man hatte die Grundstücke für viel Geld verkauft. Wenige Wochen nach Baubeginn hatte sich der Bauträger ins Ausland abgesetzt. Und nun mussten aufgrund der nachweislich gefälschten Baugenehmigungen die Ruinen wieder abgerissen werden, und das auf Kosten der Grundstückseigentümer.

    „Das ist doch unglaublich! Der Fahrer drehte das Radio ab. „Ich will das gar nicht so genau wissen. Ich rege mich nur auf!

    Charlotte verzog das Gesicht. Den Immobilienmann hatten Kogelmann, Breuer & Kollegen vor dem Knast bewahrt, indem sie sich darauf berufen hatten, man könne dem Mann keine konkrete Verbindung mit dem verschwundenen Bauträger und den gefälschten Genehmigungen nachweisen.

    Das stimmte natürlich nicht. Es war ein komplett durchkalkuliertes Unterfangen, das hatte Charlotte längst herausgefunden. Der Immobilienhai würde dem Bauträger in wenigen Wochen in die Karibik folgen, um von dort aus vermutlich Inseln zu verkaufen, die ihnen nicht gehörten. Dass Kogelmann ihn vor Gericht rausgehauen hatte, war typisch. Schließlich war er Jurist. Aber die Tour in der Karibik würde Charlotte diesen Idioten gehörig vermasseln.

    Oh, da tat sich etwas! Charlotte ließ sich tiefer in den Sitz sinken und beobachtete, wie Kogelmann mit einem großen kräftigen Kerl im schwarzen Anzug aus dem Gebäude kam. Die beiden Herren wirkten vertraut und schienen bester Laune zu sein.

    Mit der für Kogelmann typischen Geste verabschiedete er seinen neuen Mandanten: Er legte seine Linke auf die im Schütteln begriffenen Hände. Charlotte verabscheute diese vereinnahmende und überhebliche Art des Händeschüttelns. Kogelmann wandte sich zum Gehen, denn der Fremde stieg in einen schwarzen Geländewagen.

    „Folgen Sie dem Fahrzeug", verlangte Charlotte.

    „Wie cool. Das ist einer von den Sätzen, auf die ich schon lange warte." Der Taxifahrer lachte und fuhr los.

    Sie verfolgten den Geländewagen bis zu einem großen Hotel in der Nähe des Kurfürstendamms. Dort verschwand der große schwarze Wagen in einer Tiefgarage.

    „Soll ich hinterherfahren?" Der Taxifahrer schien zu zögern.

    „Nein, nein. Charlotte zückte das Fahrgeld und legte ein üppiges Trinkgeld obendrauf. „Schönen Abend noch. Dann stieg sie aus, lief langsam auf den Eingang zu und betrat die Hotelhalle. Der Blick auf die Uhr sagte ihr, dass Bettina und ihr Tanzknabe gerade die indischen Snacks geliefert bekamen.

    Charlotte betrat die Hotelbar, in der nur wenige Gäste saßen. Aus den Augenwinkeln erkannte sie, dass sie den richtigen Instinkt gehabt hatte. Der Fremde im dunklen Anzug hatte ebenfalls die Bar aufgesucht und nahm gerade an der Theke Platz. Sie straffte den Rücken. Nun, der Mann suchte sicherlich ein wenig Gesellschaft.

    Kapitel 3

    Marius Vermeer stieg aus seinen Schuhen und warf sein Sakko über den Ledersessel. Das Sakko rutschte von der glatten Rücklehne zu Boden, und als er es aufhob, glitt etwas aus der Jackentasche. Er bückte sich. Es war das Foto einer Frau. Erst als er die Telefonnummer auf der Rückseite sah, fiel ihm der seltsame Südländer mit dem Auftrag wieder ein.

    Marius betrachtete das Bild. Diese Frau hatte ein interessantes Gesicht. Sie war nicht schön, aber ihre Züge machten neugierig. Das Gesicht hatte etwas Geheimnisvolles, versprach etwas, ohne zu verraten, was.

    Er legte das Bild auf den Tisch, ging ins Schlafzimmer und schlüpfte in seine Trainingskleidung. Doch kaum hatte er seine Schnürsenkel gebunden, stand er erneut am Tisch und betrachtete das Foto. Marius tänzelte. Der Blick dieser Frau machte ihn nervös.

    Er nahm das Bild mit in den Fitnessraum im Keller, schwang sich auf seinen Heimtrainer und radelte sich warm. Dann schaute er erneut auf das Bild. Dieser Blick war unheimlich.

    Das Foto in der Hand trat er auf das Laufband und lief los. Schneller. Er stellte das Laufband auf höhere Geschwindigkeit und lief schneller. Immer wieder schielte er auf das Bild, rannte, schnaufte, schwitzte, schielte und rannte weiter, als ob er so dem unheimlichen Blick entkommen konnte.

    Er warf das Foto zur Seite und erhöhte das Tempo des Laufbandes um eine weitere Stufe. Seine Beine flogen über das Band, er hatte das Gefühl, kaum die Füße aufzusetzen.

    Nach wenigen Minuten regulierte er die Geschwindigkeit wieder nach unten und lief sich locker aus. Er sprang er vom Band und stoppte das Gerät.

    Marius setzte sich an den Armmuskeltrainer und stemmte die Bügel immer schneller vor der Brust zusammen. Er sollte die Gewichte verstärken. Nein, er wollte nicht aufhören. Immer wieder führte er die Arme nach vorn, schwitzte, keuchte und ließ irgendwann die Bügel zurückschnappen. Dann stand er auf.

    Es hatte keinen Sinn. Er war zu verkrampft, um seinen Körper zu trainieren. Was er hier aufwendete, war nicht Kraft, sondern Unruhe.

    Marius hob das Foto der Fremden vom Boden auf, ging nach oben und legte es wieder auf den Tisch. Dann verschwand er im Bad und duschte abwechselnd heiß und kalt.

    Im Bademantel, ein Handtuch um die Schultern, fand er sich kurz darauf, erneut auf das Frauengesicht starrend, vor dem Tisch wieder. Wollte jemand diese Frau verschwinden lassen, weil ihr realer Blick noch unheimlicher war? Einskommafünf Millionen …

    Marius schenkte sich ein Glas Wodka ein und trank. Er griff zur Fernbedienung und schaltete die Anlage ein. Langsam brandeten die Klänge von Pink Floyds „Atom Heart Mother" auf.

    Er nahm noch einen Schluck Wodka. Sein Puls schien sich zu beruhigen. Bis sein Blick wieder auf das Foto fiel.

    Wem war der Tod dieser Frau so viel Geld wert? Und, was ihn viel mehr interessierte: Warum?

    Als er zur Flasche griff, um das Glas noch einmal zu füllen, klingelte es an der Haustür. Marius hielt in der Bewegung inne. Sein Puls wurde noch schneller. Seine Nackenhaare signalisierten ihm, dass etwas nicht stimmte. Hier lauerte Gefahr, das konnte er körperlich spüren.

    Er ging zu seinem alten Sekretär, dem einzigen antiken Stück in seinem Haus. Er war beruflich zu viel mit Kunst und Antiquitäten beschäftigt, um sich sein privates Reich damit vollzustopfen. Auch seine Geschäftspartner empfing er niemals zuhause, deshalb kannte auch niemand seine Privatadresse. Niemand außer Roxana, seiner Reinigungskraft, die das Haus einmal am Tag betrat, um für Ordnung zu sorgen. Kein schwerer Job, denn es war modern und karg möbliert und Marius selbst war ausgesprochen ordentlich.

    Er zog eine der verspielt wirkenden kleinen Schubladen heraus, ein Samttuch zur Seite und …

    Es klingelte erneut. Marius spürte eine Gänsehaut und griff schnell nach seiner Walther P99. Dann löschte er das Licht, stellte die Musik ab und schlich barfuß über den Steinboden zur Haustür. Der Eingang war von außen erleuchtet. Das Außenlicht brannte immer, ob er zuhause war oder nicht. Zeitschaltuhr und Alarmsystem sorgten dafür, dass das Haus jederzeit bewohnt wirkte, auch, wenn Marius tagelang auf Reisen war.

    Ob Roxana vielleicht etwas vergessen hatte, deshalb noch einmal vorbeischaute und nicht wagte, den Schlüssel zu benutzen? Nicht auszudenken, wenn er die gute Seele mit vorgehaltener Waffe empfing. Er steckte die P99 in die Tasche seines Bademantels und öffnete vorsichtig die Tür. Durch den Lichtkegel der Außenbeleuchtung konnte er gerade noch zwischen den Kugelbüschen hindurch eine dunkle Gestalt in Richtung Straße verschwinden sehen. Der Duft von aufdringlichem Aftershave kitzelte seine Nase.

    Dann bemerkte Marius, dass ein Stück Papier aus dem Briefkasten hervorlugte. Er wollte schon zugreifen, als er sich eines Besseren besann, zunächst einen Zipfel seines Handtuchs um die Finger legte und so spurenarm nach dem

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