F l i e h e n d e F a u n e: miniaturen in e-Moll
Von Jürgen Steinbach
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Über dieses E-Book
Steinbach zeigt in seinen miniaturen, wie man auf kleinem Raum und fast bescheiden eine große Welt beschreiben kann, teilweise brutal, teilweise zärtlich – aber stets einfühlsam und niemals ganz ohne diesen besonderen Ton, der immer etwas schräg klingt und unter die Haut geht. Zum Hiersein ver-dammt – aber Bleiben geht nicht einfach. Gedanken, manchmal nur Splitter davon, schaffen es, dem Leser eindrucksvoll klar zu machen, dass es etwas gibt, was man sich kaum vorstellen kann: Fliehende Faune. Gefangen in einem Netz aus Skepsis und Melancholie, suchen die Protagonisten nach einem Ausweg im Woanders und verfallen einer Romantik, die es so scheinbar nicht mehr gibt.
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Buchvorschau
F l i e h e n d e F a u n e - Jürgen Steinbach
Ouverture
Sie gehen.
Über die Grenze und sehen sich um. Wälder, Felder, altes Mauerwerk, Geranke, ein paar Zwischenräume, die etwas verheißen. Von Zweifeln eine traume Spur. Aber sie nehmen sich Alles vor, was ihnen Möglichkeiten lässt. Ein wenig derb, ungehobelt vielleicht, wetterwendisch in jedem Falle. Die Luft riecht nach Schweiß. Der Wind, der um Nasen weht und um Phrasen, verspricht zugig Heilung: Von Versprechen – von Verklärungen sowieso.
Und gehen weiter.
Eine Stadt. Dort scheint es fremder, neuer. Doch auch da Schluchten und Verstecke. Der Wind vielleicht rauer. Genug, sich in Ecken verziehen zu wollen und hin zu netteren Flecken. Sie merken sich die Wege gut. Vielleicht, um sie nie mehr gehen zu wollen. Und können doch nicht anders oft.
Und gehen weiter.
Lernen erneut das Beziehen. Auf sich und auf andere. No way! wie es scheint. Hier wie dort. Von Lösungen weit entfernt – aber da ist ein Grundsätzliches. Das zu hegen und zu pflegen sollte ein Leichtes sein. Weil es einfach ist und da. Denken sie. Oder besser: das muss nicht einmal gedacht werden. Man muss nur tun. So greifen sie also ins Volle. Saugen sich fest. Verspritzen ihr Sein. Beschwören das Nichts – denn dort fängt man von vorne an, ohne sich entschuldigen zu müssen. Scheren sich einen Teufel um Gebote.
Und gehen weiter.
Gefilde werden nicht verschont, auch dieses nicht: die Poesie. Mit einem Satz hinein, und sie drehen ihn und winden, dehnen ihn ins Unendliche oder machen eine Silbe draus. Wie verfänglich. Denn wie leicht ist man mit sich allein ganz plötzlich. Und es bleibt nur eine Idee. Vom Leben. Vom Tod sowieso.
Und gehen weiter.
Suchen – und scheinbar finden sich. In einer Mitte. Und ihrer so nah? Ein schönes Feld. Aus großen, bunten, symmetrischen Flächen. Bebaut und kultiviert. Die Luft lau, der Wind kaum spürbar. Endlich. Und unser täglich Brot gib uns heute. Nicht zu viel und nicht zu wenig. Und ein Glas Wein am Abend als Belohnung. Vielleicht eine Hand, die dich berührt dann und wann. Ein bisschen zärtlich sicher und ein Kuss kann nicht schaden. Jeder Tag weiß voneinander und das ist gut so. Und sie nehmen ihn wie er ist. Betrachten ihn manchmal, nicht von allen Seiten, das wäre ungehörig. Aber hat man seinen Nutzen aus ihm gezogen, sieht er sich schön an. Denken sie. Und alles Unnütze wird in die Ecke gestellt, nein, keine Muße mehr und wehret den Anfängen. Laster den Anderen. Die sie mal waren. Vielleicht.
Und –
Oblomow oder Das Ja zum Nein
Ein Semester wie viele. Manche Gesichter, die man kannte aus anderen Semestern. Das Seminar im Ganzen gut besucht. Der Enge des Raumes bewusst, ergibt man sich der Not des Beengtseins in der Hoffnung auf eine kompensatorische Weitläufigkeit der Gedanken. Ich war jung, verschwommen energetisch, unbekannt. Nichts Besonderes also für einen Menschen, der das Leben noch vor sich hat. Professor K. erschien leger und überlegen, wie man ihn kannte. Darum wissend, wie es schien, und um die, allen gewesenen, gegenwärtigen, kommenden Ideologien zum Trotz nur scheinbar verwerfliche Bewunderung für Autorität, umriss er das Thema, wie er es meinte und verteilte Referate an die, die sie wollten. Mein Wollen bekannte sich wie ehedem zu spät, als dass es zum Tragen gekommen wäre. Ein Wille wird schnell obsolet, vermöge einer ihm inhärenten Schwäche des Überzeugtseins.
Eine Andrea entschied sich für »Oblomow oder Der politische und soziale Wandel im Russland des ausgehenden 19. Jahrhunderts«. Sie machte den Eindruck, sehr vertraut zu sein, mit den russischen Verhältnissen jener Zeit, und verhaltener Stolz lag in ihrer Stimme als sie ihren Namen nannte. Sie saß schräg vor mir und war zeit- und seinsgemäß gekleidet (hautenge Jeans und weites T-Shirt). Die Beine übereinandergeschlagen, ruhte ihr linker Unterarm auf ihrem linken Oberschenkel. Der V-Ausschnitt des T-Shirts und ihre vorgebeugte Haltung erlaubten mir den Einblick in sehr weibliche Formen. »Oblomow ist das Produkt einer sich im Niedergang befindlichen Feudalgesellschaft. Sicher ganz interessant.« Sie sagte das zu ihrem Nachbarn. Offenbar kannten sie sich. Armer Ilja Iljitsch, du wirst nichts zu lachen haben in diesem Seminar.
Professor K. erfragte erste Leseeindrücke. Nervöses Ziehen zwischen Blase und Prostata. Dann das Lächeln eines medizinischen Laien. Anatomie der Gefühle vielleicht und mein Lächeln wurde leiser und damit weniger berechtigt. Das Aufbauende an der Hermeneutik ist das Ambivalente, das ihr innewohnt. Dass der Held gleichzeitig Antiheld sein kann, macht das Leben erträglicher.
Ich sagte nichts.
Ein Typ mit sehr angestrengten Gesichtszügen hatte sich zu Wort gemeldet. Er sprach von Positivismuskritik − ohne jedoch den Hauptprotagonisten des Romans in Schutz nehmen zu wollen, schließlich sei es kein Verdienst der Nichtstuer, dass Fortschrittsgläubigkeit in Verruf geraten sei. Ein Anderer, dem seine Sympathie für Nichtstuer anzumerken war, kam, desungeachtet, nicht umhin, Oblomows Privilegien zu verurteilen.
Professor K. schmunzelte.
Andrea machte einen genervten Eindruck und sah auf die Uhr. Sie schien noch etwas vorzuhaben.
Oblomow hatte einen Traum. Den Traum von einem liebenswert-schrulligen Schlaraffenland, einer ländlichen Idylle, in die übertriebene Passionen keinen Einlass finden, wo alle mögliche Sorge und alles unvermeidliche Leid immer ein wenig milder ausfallen, beschaulich überschattet sozusagen von einfältiger Güte und schicksalsfrommer Dankbarkeit.
Warum nur sagte ich nichts. Hatte ich ihn doch sofort gemocht. In seinem viel zu großen und abgetragenen Chalat. Wie er sich von denen, die aus einer vagen Kälte kommen abwendet und sich noch tiefer in die Gewölbe seines Diwans zurückzieht. Und sich, von Zweifeln geplagt, immer wieder neu und immer wieder vergeblich mit der Notwendigkeit eines zu entwickelnden Planes auseinandersetzt − und in selbstquälerischer Manier statisch bleiben muss. Sofort hatte ich ihn gemocht.
Andrea hatte zwischenzeitlich nochmal auf die Uhr gesehen und bewegte sich nun durch die Stuhlreihen dem Ausgang zu. Schade.
Ein sehr dicker Mensch mit Bart und wallendem Haupthaar sagte: »Ein Leben ohne Leidenschaft ist wie eine Liebe ohne Lust.« Ich staunte nicht wenig. Nicht zuletzt der Alliterationen wegen. Der Satz schwebte eine kleine Weile über allen Köpfen, drehte eine Pirouette, um kurz darauf, langsam und leicht, zwischen den Stühlen abzutauchen, wie ein Blatt, das windbewegt-tänzelnd sich eines kurzen Fluges nur erfreuen darf, und dann aus dem Blickfeld gerät.
Meine Stimme zitterte. »O, ihr Zeigefinger, wie mir ekelt vor euch, vernunftbegabt und Energie geladen, ihr großen Veränderer, ihr Eiferer, die ihr an eurem Ich klebt, wie die Fliege am Haufen, wie ihr Größe mimt in eurer Kleinheit, ihr ach so Tätigen … wie mir ekelt vor euch.«
Und schon bereute ich, dass ich etwas gesagt hatte.
Professor K. schmunzelte.
Bach
Sie klatschten und die Schule stand Kopf. Ich saß im Auto, ein Osterbrot auf dem Beifahrersitz und ein Kasten Starkbier im Kofferraum. Das Radio lief, weil es da war. Gestern wurden Hütten abgefackelt und heute: fünfundvierzig sächsische Klassiker im Township vor fünfhundert klatschenden Negerkindern. Das Kleine wolle er spielen lernen, sagte einer von ihnen und deutet auf eine Geige, sagte das Radio. Die Musik sei ihm ins Herz gegangen, sagte es. Deeply. Die Gewalt sei nicht in den Griff zu bekommen, sagten Verantwortliche. Das Osterbrot war noch warm, und der Duft stieg mir in die Nase. Ich hatte vier Tage frei und mir vorgenommen, endlich mal wieder mit meiner Frau zu schlafen. (An eine Auferstehung dachte ich dabei nicht, das wäre gelogen gewesen.) Sie sollten wiederkommen, habe der kleine Junge gesagt, sagte das Radio. Auf der Höhe der Metzgerei Kerber staute sich der Verkehr und ich wechselte den Sender. Josef Ackermann bittet die Regierung um Unterstützung. Bach, dachte ich, und dann weinte ich ein bisschen. Zum Glück bekam ich einen Parkplatz direkt vorm Haus.
Der Einfühlsame
Als ich zum ersten Mal hätte bemerken können, was ich bin, fehlte mir noch der Grund. Natürlich war ich verliebt – aber eben natürlich. So wie ein siebenjähriger Junge eben verliebt sein kann. Die kleine Gabi mit Pferdeschwanz und Holzpantinen. Klapp, klapp! Schon von weitem war sie zu hören. Jeden Tag um die gleiche Zeit. Gabi, das Sommermädchen. Ich weiß nicht, was wir im Winter machten. Ich glaube, damals gab es keine Winter. Klapp, klapp! das war Gabi. Ein Geräusch, dass ich irgendwann vermissen lernen sollte.
Gabi lebte bei der Oma, ihre Mutter war woanders. Der Vater sowieso. Aber davon wusste ich nichts. Wir spielten Papa, Mama, Kind. Gabis Puppe wurde sehr verwöhnt, und ich war ein liebevoller Vater. Die Nachbarjungs spöttelten, aber ich blieb meiner Familie treu. Warum ich Gabi eines Tages, es war unter einem heiteren Himmel, die Treppe hinunter schubste, konnte ich nicht erklären. Auch Gabi nicht. Sie blutete an der Lippe. Aber sie war mir nicht böse. Als ich sie dann bei der Hand nahm, hätte ich, wenn ich es gewusst hätte, sagen können, dass ich sie liebte. Ein Versprechen, das jedoch nie ausgesprochen wurde, als ahnte ich bereits weshalb.
Die Sache mit der Sprache kam zu einer Zeit, als es anders geworden war. Eine lange Zeit später, und seit ein paar Jahren hatte man sich entschieden. Katharina für mich und ich mich für Katharina. Gabi spielte keine Rolle mehr. Was ich gewusst haben könnte, musste nichts mehr bedeuten. Katharina hatte ein eigenes Leben. Dass ich sie liebte, sagte ich auch ihr lange Zeit nicht; denn