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Der Mensch: Licht und Schatten
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Der Mensch: Licht und Schatten
Ebook86 pages1 hour

Der Mensch: Licht und Schatten

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Die junge Frau hatte sich das Kleid über die leere Schulter gezogen. Es drängte sie, den Gipsraum zu verlassen, und hielt die Türklinke mit der linken Hand gefasst. Dr. Ferdinand hatte seine Eintragung in den Gesundheitspass gemacht, ihr den Monat der nächsten Nachuntersuchung gesagt und in den Pass geschrieben. Sie nahm den Pass, öffnete die Tür und ging, weil sie sich von diesem Arzt, der ihr das Leben abgeschnitten hatte, nicht länger aufhalten lassen wollte. Dr. Ferdinand ließ sie gehen, unterließ jedes weitere Wort, das ihr Gehör nicht mehr gefunden hätte, setzte sich erschöpft für einige Augenblicke auf die Liege im Gipsraum, war zutiefst erschüttert und rang nach einer Erleuchtung. Die Erleuchtung blieb aus, und er ging geschlagen zum Untersuchungsraum zurück.
Ein kleines Bastkörbchen, aus Palmenblättern geflochten, stand auf dem Tisch, und eine alte Frau saß auf dem Schemel, als Dr. Ferdinand niedergeschlagen und gedankenverloren seinen Platz einnahm. Er schob den Haufen mit den Röntgentüten auf dem Tisch zurück und das Körbchen zur Seite, als die Schwester sagte, dass das Körbchen ein Geschenk der Patientin sei, die sich bei ihm für die gute Behandlung bedanken wolle. Er sah die alte Frau auf dem Schemel an, die ihm die rechte Hand mit der verheilten Speichenfraktur entgegenstreckte.
Bei ihm im Kopf war noch die junge Frau mit dem abgeschnittenen Arm, wie sie den Gipsraum verließ und kein Wort sagte. Er zuckte mit den Lippen beim stummen Aufsagen ihrer Worte: "Damals war der Tumor bösartig, jetzt ist es das Leben.", als er auf die vorgestreckte Hand der alten Frau mit der leichten Bajonettstellung des Handgelenkes sah, sie die Hand und Finger bewegen und den Faustschluss machen ließ und die Röntgenkontrolle betrachtete. Die Fraktur war abgeheilt, und die alte Frau war zufrieden, dass sie ihre Hand wieder zur Hausarbeit gebrauchen konnte. Dafür wollte sie sich bei dem Arzt bedanken, der an ihr die gute Arbeit gemacht hatte. Als Zeichen der Anerkennung hatte sie ihm das kleine Bastkörbchen gebracht.
Es war spät geworden, als er das Hospital verließ. Der blutrote Sonnenball war zur Hälfte hinter dem Horizont versunken und zog die obere Hälfte in wenigen Minuten nach. Am Himmel lag die Abendglut, die mit dem Versinken des Feuerballs verlöschte. Es war ein arbeitsreicher Tag, an dem operiert und viele Patienten gesichtet und behandelt wurden. Was hatte es denn mit dem Guten und dem Schlechten auf sich? Es hämmerte in seinem Kopf, weil er das Gute vom Schlechten zwar unterscheiden konnte, wie das Gute vom Bösen, weil er aber beim Schlechten steckenblieb, das Schlechte zum Bösen und das Böse zum Schlechten steckte.
Er überquerte den versandeten Vorplatz vor dem Neubau der städtischen Verwaltung, sah an den noch verbliebenen Bäumen auf, in denen die Vögel ihre Gesänge zum Abend sangen und polyphon dazwischenzwitscherten, als ihm der Unterschied klar wurde, dass im Bösen der Denkansatz schon böse ist, das Böse zu tun, während beim Schlechten das Resultat der Tat schlecht ist, wogegen der Denkansatz zur Tat mit dem schlechten Resultat durchaus gut und edel gewesen sein konnte. Die Suche nach der Unterscheidung war es, die in seinem Kopf unentwegt hämmerte.
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateJul 7, 2019
ISBN9783748599371
Der Mensch: Licht und Schatten

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    Book preview

    Der Mensch - Helmut Lauschke

    Geburt

    Licht und Schatten

    Meinen Söhnen Christian und Tristan zur Weitung des Blickfeldes und zur Vertiefung des Denkens

    Die Frage kommt, wo ist der Mensch mit den Gedanken, denn der Umbruch steht bevor. Das wird begreiflich vor dem Tor, wenn es anfängt mit dem Schwanken.

    Es bringt die ganze Unschuld unbekümmert mit ins Leben, will sie heil und ganz der Zukunft weitergeben, auch wenn es mit den Himmelsaugen blickt, es bringt das Gute den Menschen, zunächst den Eltern, zum Heben im Mute. Aus dem Kleinen kommt das Sprossen hin zum Großen, vom Großen soll es gerade weitergehen hin zum Größten, was die Wahrheit ist in der Tugend schlichter Menschlichkeit, der schönsten Blüte, die es hier zu blühen gibt.

    Fürwahr, die Geburt des Kindes läuft nicht ohne Schmerzen, das nehmen gebärende Mütter sich zu Herzen, die sich mutig den Presswehen ergeben, um den Spross fürs Leben in die Welt freizugeben. Der Geburtsschmerz wird sogleich vergessen, wenn der Sprössling durch sein Dasein beginnt zu scherzen, dass der Mutter die Freudentränen rollen, die sich des höchsten Glückes nicht erwehren kann.

    Auf der Körpertrasse des elterlichen Blutes sprosst das Leben, wer wollte dem großen Ereignis nicht die volle Ergebenheit zollen, während der Mutter die Tränen des Glücks über die Wangen rollen, die nicht zum Stehen kommen trotz des ständigen Wischens. Geburt ist das Geborenwerden der neuen Hoffnung, die die alte und verbrauchte Hoffnung ablöst, weil neues Leben Neues schafft und keimen lässt, denn die Schöpfung ruht nicht und setzt neue Kräfte frei.

    Die Geburt gibt den Blick der Bestimmtheit nach vorn, denn zurück für eine Weile grimmt der Schmerz, der umso flüchtiger wird fürs Mutterherz, je inniger sie die Blicke dem Sprössling schenkt. Geburt, die Zukunft wird geboren auf den Tag und auf die Stunde, welch eine Größe richtet sich auf über dem Entbindungsbett, während die Mutter den Jüngsten in den Armen hält und küsst. Das Format des Tages muss neu begriffen und verstanden werden.

    Die Geburt ist das Zündungselement des Perpetuum mobile im großen Lebenskreis vom Kommen und Gehen mit dem nicht endenden ‘Da capo con repetitione’. Es ist der letzte Schöpfungsschritt in der molekularen Struktur der zellulären Ausformung des Menschen, wie er zuvorderst der grundlegenden genealogischen Schöpfungsidee entspricht. Die menschgewordene Sichtbarkeit mit den Händen und Füßen und dem Kopf gilt dem Träger der Morphe von Antwort und Verantwortung.

    Die Geburt ist die Da capo Antwort der jüngsten Zündung ins Leben, das die Menschheit in der Ganzheit weiterträgt aus dem Vergangenen in die Erwartungen der noch nicht gelebten Zukunft, aus der Zeitlosigkeit in die vergängliche Zeit mit den klopfenden Schlägen der Stunden des neuen Erwachens in den Tagen und Nächten im Aufbau von Atmung und Rhythmus auf dem Felde der Arbeit und der Ruhe. Die Augen werden sich öffnen zum staunenden Sehen im Licht, was aus dem Planeten in seinen Weiten, Höhen und Tiefen geworden ist.

    Es ist das Leben, das nicht sterben will, aber der Vergänglichkeit unterliegt in der Einmaligkeit des Einzelnen, des Individuums der Persönlichkeit mit seinen Wegen über Höhen und durch Täler und den vielen Steinen, die mit rissigen Sohlen und den Wunden zwischen den Zehen zu gehen sind. Die Geburt ist der Anfang der vielen Fragen und der wenigen Antworten, als wäre das Ungeordnete soweit in Ordnung und das seit Generationen, dass Augen noch erstaunter blicken, wenn die Frage gleich die Antwort findet, was für den Gang der Dinge von alters her ganz ungewöhnlich ist.

    Gedanken über Art und Herkunft fassen Fuß, wenn sie paarig passen und das im Stehen wie im Gehen oder Laufen über weite Strecken und dabei alte und anderswie hundertjährige Erinnerungen wecken und das besonders dann, wenn und solange Füße die Lebensträger sind. So ist die Geburt das Neue mit den Augen, dann den Händen und den Füßen, ob die Fingrigkeit das Gesetz der Fünfheit eingehalten oder überschritten hat. Die Norm ist die Pentadaktylie, die der gesunden Anatomie des Menschen angehört, das Mehr oder Weniger an Fingern zwängt die Ästhetik ein und stört.

    Doch wie sich über Zeitenlängen der Jahrtausende die Menschenformen ändern, dass Augenlider sich breiter und Nasen schmäler rändern, so kommt mit Blick in die Tiefen und Höhen der Schöpfung der Gedanke auf, dass im Kern des noch unsichtbaren Seins die Regeln der Wandlung unterliegen. Die Geburt gründet somit auf dem Wunder der letztendlichen Unberechenbarkeit, wenn das Gesicht dem elterlichen des Vaters oder der Mutter gleicht und das mehr oder weniger, je genauer geschaut und dazu gemessen wird, denn die Verwandtschaft trägt und erträgt das Blut für die Jahre der Atmung.

    Der Geburt gebührt der Dank der genetischen Verlängerung hin zum Fortbestand in den Welten der gestiegenen Forderungen und Hindernisse, aber auch der Hoffnung, dass sich die Umstände dem Leben enger angleichen unter Einbeziehung der Achtung vor der Würde des Menschen und dem verlängerten Schöpfungspotential in ihm. Augen und Ohren, die Nase, der Mund, die Stirn mit den Schläfen des Verborgenen, die Lippen des Verwegenen, neue Dinge kommen ans Licht, die verführerisch sind. Die Haut ist noch vom Fruchtwasser überzogen, so frisch stellt sich neues Leben dar, das sich dem Mutterleib eben entzogen hat und auf die ersten Daseinsstufen getragen wird.

    Der Mund eröffnet die Stimme zum ersten Mal, die der neuen Umgebung entgegenschreit und es lauter tut, nachdem das Fruchtwasser aus Mund und Nase abgesaugt ist. Dem ersten Aufschrei kann unschwer entnommen werden, dass die Heimat des Seins in der Mutter wärmer, geschützter und damit sehr viel behaglicher war. Was die Welt draußen zu bieten hat, kommt an die schützende Mutter nicht heran, denn nun wird der neue Mensch dem Abbruch der Kontinuität des Wärmemantels ausgesetzt. Geburt ist also Schock für den Frischgeborenen, dem die atmosphärische Bezugslosigkeit und Entfremdung von der Mutter bitterlich schmerzt und nach Kräften aufschreien lässt.

    Die ersten Minuten werden

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