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Römer und der schöne Herr: Ein Kroatien-Krimi
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Römer und der schöne Herr: Ein Kroatien-Krimi
Ebook246 pages3 hours

Römer und der schöne Herr: Ein Kroatien-Krimi

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About this ebook

Es sieht nach einem angenehmen Auftrag aus: Markus "Tullius" Römer soll an der kroatischen Adria die Suche nach einem verschwundenen deutschen Geschäftsmann unterstützen. Gemeinsam mit seiner Kollegin Tanja Bilić reist Römer Festland und Inseln ab, manchmal behindert und manchmal unterstützt von den Behörden. Die Sache wird schwieriger als erwartet: Immer tiefer verfangen sich Römer und Bilić in einem gefährlichen Gestrüpp aus Geschäftsinteressen, Verbrechen und Politik. Schaffen sie es, sich daraus zu befreien?
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateJun 1, 2019
ISBN9783748595809
Römer und der schöne Herr: Ein Kroatien-Krimi

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    Römer und der schöne Herr - Geert Karsien

    Natürlich... ein Roman

    Handlung und Figuren dieses Buches sind frei erfunden.

    Jegliche Ähnlichkeit mit tatsächlichen Geschehnissen, beziehungsweise mit wirklichen Personen oder Unternehmen wäre reiner Zufall.

    Hauptpersonen

    Markus Römer ist irgendwie beim Auslandsstudium hängengeblieben. Den Spitznamen „Tullius" hat er seit seiner Schulzeit.

    Botschaftsrat Martin Abraham zieht im Hintergrund Strippen.

    Christian Schönherr, Reiseunternehmer organisiert die „Adriatic Adventure", Bootsrundfahrten für junge, wohlhabende Leute.

    Evalotta Holmen, seine attraktive, mäßig treue Partnerin.

    Željko Purini, deutscher Honorarkonsul in Split. Im Hauptberuf ist er ein erfolgreicher Geschäftsmann.

    Tanja Bilić, seine Mitarbeiterin, tritt auf als die personifizierte Büronüchternheit und braucht keinen Mann, um glücklich zu sein.

    Saša Martinić, junge und ehrgeizige Kriminalkommissarin.

    Branko Pramac, Bürgermeister mit politischen Ambitionen.

    Gojko Pilica, Polizeichef.

    Marjan Ribar, Lokaljournalist.

    Frau Meyer-Riedler, Mitarbeiterin eines Bundestagsabgeordneten.

    Timo Stadlmaier, der Wassermann.

    Zur Aussprache kroatischer Namen und Worte:

    Die Aussprache des Kroatischen entspricht weitgehend der des Deutschen. Zu den wichtigsten Unterschieden zählt, dass das „c wie „tz (wie in „Plätzchen) gesprochen wird, das „s stets scharf (wie in „Kuss) und das „z immer weich (wie in „super) Ein „š bedeutet „sch („schön). Das „ć wird „tsch gesprochen, wie in „plantschen. Ein „ž klingt sehr weich, etwa wie das zweite g in „Garage".

    Saša Martinić spricht man also „Sascha Martinitsch, und Tanja Bilić „Tanja Bilitsch. Tatsächlich finden sich derartige Schreibweisen regelmäßig in deutschsprachigen Dokumenten aus der Zeit, als große Teile des Balkans zum Habsburgerreich gehörten.

    Prolog

    Prolog

    Theresa, diese dumme Pute! Ein paar Tage vor dem lang geplanten Urlaub alles abzusagen und ihn alleine zu lassen. Timo war sauer.

    Insgeheim musste er allerdings zugeben, dass sie Anlass zur Verärgerung hatte: Theresa hatte ihn in inniger Umarmung mit Arijana gefunden, die im „Gasthof zur Post die Tische bediente und außerdem öfters am Wochenende in der „Tenne hinter der Bar stand. War aber auch fesch, diese Arijana, und hatte überhaupt nichts gegen seine Annäherungsversuche. Gerade, als es zur Sache gehen sollte, war Theresa aufgetaucht, hatte einen Mordszirkus veranstaltet und Timo angebrüllt, wenn er seine Zunge nicht aus dem Mund und seine Hände aus der Bluse von anderen Frauen lassen könne, dann solle er in Zukunft ohne sie auskommen. Hatte sich umgedreht, war fortgegangen und nicht zurückgekommen. Ein paar Tage vor den Urlaub!

    Kurz hatte er daran gedacht, Arijana anstelle Theresas mitzunehmen zum Segeln – aber wie hätte das ausgesehen? Timo, der Sohn vom Stadlmaier Josef, dem Mann mit dem größten Autohaus weit und breit, fährt mit einer bosnischen Kellnerin in den Urlaub? Wo er doch eigentlich mit Theresa, der Tochter vom Ortsvorsteher, so gut wie verlobt war? Das ging überhaupt nicht.

    Und so saß Timo bei der Fahrt zum Flughafen Wien-Schwechat alleine auf den Ledersitzen des 650i Cabrio in Saphirschwarz-metallic – nicht sein eigenes Auto, sondern ein Vorführwagen aus dem Autohaus des Vaters, aber das wusste ja niemand. Timo fand, der Wagen stehe ihm gut. Er hatte sich das so romantisch vorgestellt: Theresa und er zusammen, die warme Sonne des Spätsommers auf den Landstraßen, das Verdeck hinuntergeklappt, ihr Haar, das im Fahrtwind leicht wehte, später der Flug ans Meer, der Urlaub mit anderen jungen Leuten auf einer weißen Segelyacht... Theresa wäre gar nicht mehr rausgekommen aus dem verliebten Gurren! Stattdessen war er allein, es gab Stau auf der Stadtautobahn, das Verdeck war geschlossen, und es regnete.

    Am Flughafen stellte Timo den Wagen ins Parkhaus und ging zur Abflughalle. Unterwegs spähte er links und rechts, ob Theresa vielleicht in letzter Minute doch noch auftauchte – vergeblich. Das Check-in war dann peinlich: „Ich habe hier eine Doppelbuchung für Sie… – „Ja, aber ich reise alleine. Keine weiteren Fragen. Zu allem Überdruss war der Airbus nach Split überbucht, so dass der eigentlich für Theresa vorgesehene Platz neben ihm vergeben wurde an eine etwa fünfzigjährige, dicke Frau mit Schweißflecken unter den Achseln, die Leberwurstbrote auspackte, kaum, dass sie sich hingesetzt hatte. Dafür war sie ausgesprochen freundlich, was Timo in seiner schlechten Laune aber noch mehr vergrätzte.

    Nach der Landung ging es weiter mit den Peinlichkeiten: Transfer gebucht für zwei Personen, Kabine auf der Yacht für zwei Personen, und Timo immer alleine – man hätte ihm auch ein Schild umhängen können: „Bin gerade von meiner Freundin verlassen worden, suche Ersatz."

    Reiseleiter waren ein gutaussehender Deutscher, Mitte Dreißig, mit jenem etwas zu langen, feinen, hellen Haar, das man im Rheinland häufiger fand, und eine etwas jüngere Schwedin in sehr knappen Shorts. Die würde er gerne mal etwas näher kennenlernen, auch horizontal! Beide waren freundlich und effizient. „Schade – Du hättest uns sagen sollen, dass Deine Begleitung ihre Pläne geändert hat. Wir hätten den Platz in Deiner Kabine vielleicht noch anderweitig vermitteln können. Das hätte Dir eine Menge Geld gespart!"

    „Geld spielt keine Rolle", erwiderte Timo großspurig.

    Die Yacht war ein Traum. Schneeweiß, mit einem Mast, der in den Himmel zu ragen schien und einem blauen Sonnensegel über dem hinteren Teil. „Plicht", nannte man das wohl. Geräumige Teakholzbänke mit blauen Kissen darauf luden zum Hinsetzen und Ausruhen ein. Als er aber die Kabine unter Deck sah, war Timo ganz froh, sie für sich alleine zu haben: Zwei enge Stockbetten übereinander, daneben kaum Platz zum Stehen. Weil ein Bett unbesetzt blieb, konnte er wenigstens seine Reisetasche darauf abstellen. Direkt nebenan war das Klo, das, wie er schnell feststellte, bei jeder Benutzung knackte und seufzte. Durch die engen Sperrholzwände war das nur allzu gut zu hören – wie auch alles andere, was sich an Bord der Yacht abspielte. Zehn Personen waren sie alle zusammen: vier Paare oder Pärchen, Timo alleine und ein unverschämt braungebrannter, drahtiger und ellenlanger kroatischer Skipper. Die Pärchen hatten jeweils eine Kabine mit Doppelbett im Bug oder im Heck. Der Kroate schlief auf dem Sofa im Salon.

    Neben ihnen lagen im Hafen etwa dreißig weitere Yachten, die alle zusammen die nächsten Tage durch die kroatische Inselwelt streifen würden. „Adriatic Adventure – das ultimative Segelabenteuer" hatte der Reiseveranstalter versprochen; eine Mischung aus Seemannsromantik, Luxusurlaub und Partys an coolen Locations.

    Timo fragte sich, ob es außer ihm noch weitere Singles gab. Wenn ja, würde man hier bestimmt ganz gut zum Schuss kommen. Beim Begrüßungscocktail auf der Mole schaute er sich schon einmal um. Da waren Leute aus aller Welt: Deutsche, Skandinavier, Amerikaner, Briten; er hörte Französisch und Spanisch und ärgerte sich, dass er in der Schule bei den Fremdsprachen eher schwach abgeschnitten hatte. Die meisten schienen zwischen zwanzig und vierzig zu sein. Viele Paare waren unterwegs, aber eine ganze Menge war offensichtlich ohne Anhang. Nicht übel, dachte Timo, während er den dritten Gin-Tonic in sich hinein kippte und sich auf die Suche nach dem vierten machte.

    „Willst Du wirklich noch einen?" fragte der Junge an der Bar.

    „Na klar. Ich habe Durst!"

    „Nimm besser nur ein Tonic Water, ohne Gin. Heute Abend ist ja noch die große Auftaktparty. Dafür musst Du fit sein!"

    „Erzähl mir nicht, was ich trinken soll! knurrte Timo. Der Barkeeper mixte ihm den vierten Gin Tonic dennoch deutlich dünner als die Vorgänger. „Die Drinks lassen nach – findest Du nicht auch? fragte Timo die schwarzhaarige Frau, die zufällig neben ihm stand. „Sorry, I don’t speak German", antwortete die und wandte sich ab. Timo fühlte sein Gesicht puterrot werden – ob vor Hitze, aus Peinlichkeit oder wegen des Alkohols, wollte er nicht wissen.

    Zur Auftaktparty wurden sie mit Schlauchbooten abgeholt, die in irrer Geschwindigkeit aus dem Hafen hinausschossen und ein Stück die Küste entlang fuhren, bevor sie dann vor einem alten Kastell anlegten. Dort hatte jemand eine richtige Disco eingerichtet, mit hypermoderner Soundanlage, Light- und Lasershow und allem, was dazu gehörte. Zeitweise spielte eine Band, die gar nicht einmal so schlecht war. Essen gab es umsonst, genauso wie Getränke. Timo sprach reichlich zu und merkte, wie seine Arme und Beine schwerer wurden. Er überlegte, zu tanzen, aber alleine hatte er dazu keine Lust. Ein paar Mal versuchte er, Frauen anzubaggern, aber die gaben ihm alle einen Korb. Zu Hause war ihm das kaum jemals passiert. Nicht dem Stadlmaier Timo! Der ist eine gute Partie, wusste dort jeder, der Vater hat Geld wie Heu. Heute Abend aber stand er alleine am Rande der Tanzfläche, schaute in die Menge und fühlte sich verloren.

    „Müde?" hörte Timo eine Stimme neben sich. Sie gehörte dem Reiseleiter, dem effizienten Rheinländer mit den feinen, hellen Haaren.

    „Ja, ein bisschen", erwiderte Timo. Die Wahrheit wollte er nicht sagen: Dass er sich nicht wohl fühlte in seiner Haut, und dass er Heimweh hatte.

    „Hier, nimm das. Das bring Dich wieder auf die Beine!" Der Rheinländer hielt ihm eine kleine Pille hin.

    „Was ist das für ein Zeug?"

    „Nichts Schlimmes. Nur etwas, das Dir ein bisschen Energie gibt. Wie heißt es bei Euch in Österreich so schön? ‚Verleiht Flüüüügel‘!"

    Timo nickte und nahm die Pille. Es war nicht das erste Mal, dass er sich beim Feiern etwas nachhalf. „Bekomme ich von Dir bei Bedarf Nachschub?"

    Der Rheinländer nickte. „So viel Du brauchst."

    Einsamkeit und Heimweh hin, Verlorenheit her: Die nächsten Tage boten alles, was Timo für Theresa und sich selbst erträumt hatte: Urlaub auf eleganten Yachten, Faulenzen unter weißen Segeln, Baden im warmen Wasser, Abende mit rauschenden Partys. Nur, dass Theresa nicht mit von der Partie war. Und was Timo nicht gelang, war, richtig Anschluss zu finden. Natürlich war es Pech, dass die anderen Gäste ausgerechnet auf seinem Schiff Pärchen waren, aber auf anderen Booten der Flottille gab es jede Menge Einzelgäste. Dennoch fand er zu niemandem richtig Kontakt, zu den Männern nicht, und schon gar nicht zu den Frauen – was ihn Theresa umso schmerzhafter vermissen ließ. Immer mehr hatte Timo das Gefühl, nicht wirklich hierher zu gehören, in diese polyglotte Gruppe von Weltbürgern, denen Staatsangehörigkeit nichts zu bedeuten schien, die überwiegend Englisch sprachen, aber auch Spanisch oder Französisch parlierten, die beim Morgenkaffee (gegen Mittag) Investmenttipps austauschten und beim Sundowner Konzepte für ein Start-up entwickelten, und bei denen am Abend Yaron aus Tel Aviv eng umschlungen mit Samir aus Beirut tanzte. Gelegentlich kam er sich unzulänglich vor, sein Körper teigig, sein Auftreten ungelenk, sein Wissen unzureichend. Niemand schien Interesse an einem Austausch über die Modellpflege beim 5er zu haben oder über das Sakrileg, dass BMW zunehmend von Hinterrad- auf Vorderradantrieb umstieg. Auch konnte Timo niemanden beeindrucken mit dem 650i, dem Auto, das weit weg am Flughafen in der Garage stand. Die Rolex Daytona am Handgelenk wäre da schon eher nützlich gewesen, aber er musste feststellen, dass „man" gar keine Armbanduhr mehr trug, sondern die Uhrzeit vom Smartphone ablas – sofern man überhaupt den Bedarf verspürte, zu wissen, wie spät es war.

    Konnte Timo die Situation am Tag noch überspielen, so waren die Abende unangenehmer. Statt auf Partys mit Theresa die Nächte zum Tag zu machen, stand er am Rande und schaute zu, wie andere es sich gut gehen ließen. Seine Versuche, mitzutanzen, Frauen kennen zu lernen, liefen ins Leere. Einmal drohte ihm ein anderer Gast mit Prügel, wenn er nicht aufhöre, seine Freundin anzubaggern, und der Rheinländer musste eingreifen, um die Gemüter zu beruhigen.

    Der effiziente Rheinländer. Gemeinsam mit der Schwedin schien er allgegenwärtig, organisierte die Segeltouren bei Tag, die Badeaufenthalte, er reservierte Buchten und ließ der Partys steigen. Und er hatte Pillen für Timo, mit denen der seinen Kater bekämpfen, die Müdigkeit vertreiben und die Stimmung aufhellen konnte. Nicht nur Pillen: Als Timo nach Koks fragte, war auch das verfügbar – in prima Qualität.

    „Ich bin schon wieder müde, dachte Timo. „Zuviel Sonne heute. Zu wenig Schlaf letzte Nacht. Irgendwo in seinem Hinterkopf sagte eine Stimme: „Zu viele Drinks. Und viel zu viel Stoff", aber er hörte nicht zu. Stattdessen warf er einen erfreuten Blick auf den Chemiecocktail, den der Rheinländer ihm verkauft hatte. Wie schon in den letzten Tagen stand Timo ein wenig abseits vom Gedränge einer Abendparty. Die Musik hämmerte in seinem Hirn, und Blitze zuckten vor seinen Augen. Oder vielleicht waren es auch die Auswirkungen von Alkohol, ungesundem Essen und Schlafmangel, die diesen Effekt bei ihm hervorriefen. Die Medizin würde jedenfalls helfen – da war er sicher. Der Rheinländer hatte es versprochen, und der Rheinländer hatte bisher alle seine Versprechen gehalten. Timo warf die erste Pille ein und nahm einen Schluck Gin-Tonic. Dann die zweite Pille und einen weiteren Schluck. Noch eine, und noch einen. Timo schaute sich um. Ein paar Meter weg stand die schwedische Partnerin des Rheinländers; sie schielte ihn über die Schulter gewandt an. Ihr Blick schien ein wenig zweifelnd. Timo bewunderte ihren Hintern, der in den knappen Shorts gut zur Geltung kam, und winkte ihr. Unterdessen nahm das Dröhnen in seinem Kopf zu, schwoll an zu einem gewaltigen Donnern, bevor es auf einmal völlig abflaute. Gleichzeitig lösten sich die Blitze vor seinen Augen auf in einen bunten Sternenwirbel, gefolgt von einer tiefen Schwärze. Kurz stieg Übelkeit in ihm hoch, und dann knickten Timo die Beine weg. Als er hinfiel, kam die Schwedin zu ihm gelaufen, beugte sich über ihn.

    „Wir haben ein Problem, sagte sie zu dem Rheinländer, der auch herbeigekommen war. „Ich glaube, er ist tot.

    Kapitel 1

    Markus Römer hatte schon bessere Morgen erlebt. Das Bett war zu breit für ihn alleine und obendrein auch noch leer. Sein Kopf tat weh – ein Glas Rotwein zu viel am Vorabend. Mindestens eins.

    Er lag eine Weile halbwach im Bett, bevor ihn der Druck auf der Blase schließlich in die Senkrechte trieb. Mit dröhnendem Kopf schlurfte er ins Bad, griff auf dem Weg drei Ibuprofen und spülte sie mit Leitungswasser runter.

    Es war heiß, selbst jetzt am Morgen. Die Spätsommernacht hatte kaum Abkühlung gebracht. Vor dem weit offenen Fenster stampfte laut dröhnend eine Diesellok entlang, zog gemächlich eine lange Schlange Güterwaggons hinter sich her. Viel befahren war die Eisenbahnstrecke hinter dem Haus nicht, dafür aber machte jeder Zug, der vorbeifuhr, einen Heidenradau. Das drückte die Miete, was Römer ausgesprochen entgegen kam.

    Zähneputzen, Rasieren, Duschen. Anschließend, vor dem beschlagenen Spiegel, fühlte er sich besser, musterte sein Bild halb kritisch, halb selbstzufrieden im Dampf: Markus Römer, den alle Welt nur „Tullius oder „Tull nannte, seit ihm in der siebten Klasse sein Geschichtslehrer diesen Spitznamen als Witz angehängt hatte: „Markus Tullius Römer, wie Markus Tullius Cicero, der Römer. Immerhin weniger langweilig, als „Markus gerufen zu werden. Ein Meter achtzig, schlank, breitschultrig, aber mit leider immer weniger definierten Bauchmuskeln. Tull atmete tief aus. Besser. Er sollte mehr Sport treiben und weniger trinken.

    Markus „Tullius" Römer. Geboren und aufgewachsen in Brandenburg an der Havel als Sohn eines Arztes und einer Erzieherin. Rumtreiber, Weltenbummler nach der Schule, einer, der von Job zu Job wechselte, häufig am Rande der Legalität, aber nie ganz und gar auf der falschen Seite des Gesetzes. Dann irgendwann Studium, erst erfolglos ein paar Semester Jura, weil er dachte, das sei einfach, Umstieg auf Geschichte und Slawistik, weil er in der Schule ein bisschen Russisch gelernt hatte. Während eines Gastsemesters in der kroatischen Hauptstadt Zagreb hatte er eine Kommilitonin kennengelernt, die ihm zunächst beim Studium der Landessprache half, bald auch beim Studium der Landessitten. Und die konnten ziemlich locker sein, wie sie ihm beibrachte. So war er nach seinem Gastsemester nicht nach Hause zurückgefahren, sondern in Zagreb geblieben. Hatte mit Mühe und Not irgendeinen Studienabschluss gebastelt und hielt sich seither mit Gelegenheitsaufträgen über Wasser: Deutschunterricht – häufig und schlecht bezahlt; Übersetzungsarbeiten – weniger häufig und mäßig bezahlt; Dolmetsch-Aufträge – gut bezahlt, aber selten. Seit Jahren wohnte er jetzt schon in der kroatischen Hauptstadt Zagreb, wollte nicht weg und war sich doch nicht sicher, ob er dort auch zu Hause war, lebte weiter wie ein alt gewordener Student. Die Sprachlehrerin war irgendwann gegangen, arbeitete mittlerweile für die kroatische Niederlassung einer deutschen Firma; die Kenntnisse, die sie ihm vermittelt hatte, waren geblieben.

    Kaffee. Er brauchte Kaffee! Tull kleidete sich an – eine leichte Hose und ein verwaschenes T-Shirt reichten aus in der Hitze – und schlug die Wohnungstür hinter sich zu. Unten im Haus – einem Altbau aus der Jahrhundertwende – befand sich ein Café. Er setzte sich an einen freien Tisch, der Kellner brachte ungefragt einen Cappuccino und ein frisches Hörnchen. Man kannte sich. Eine Straßenbahn ratterte vorbei, hinterließ einen Schwall öliger und leicht faulig riechender Luft. Um die Tische des Cafés herum suchten Tauben nach Krümeln.

    Tull griff sich eine bereits zerlesene Ausgabe der Tageszeitung „Jutarnji List" und studierte die jüngsten Nachrichten: Der Ministerpräsident hatte etwas Unmögliches gesagt, der Bürgermeister hatte hochfliegende Pläne geäußert, irgendein Minister war angeblich mit einem knackigen Schlagersternchen am Strand eines Badeorts gesehen worden, während seine matronenhafte Gattin ihn bei einer Sitzung in Brüssel wähnte. Das Übliche.

    Das Telefon klingelte. Nanu, dachte Tullius, wer war das denn? Vielleicht jemand, der dringend etwas übersetzt haben wollte? Ein Urlauber, der sich in eine Ferienwohnung

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