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Alles Fake oder was?: Das Spiel von Sinn und Unsinn - eine fiktionale Biografie
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Ebook250 pages2 hours

Alles Fake oder was?: Das Spiel von Sinn und Unsinn - eine fiktionale Biografie

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Dichtung und Wahrheit. Aber was ist Wahrheit, sprach Pilatus. Und wer hat recht? Goethe oder Pilatus? Oder ist das Leben ohnehin nur "ein Traum", wie es der spanische Dichter Calderón de la Barca einst ausdrückte, aber nicht wörtlich meinte? Und was ist Weisheit? Fragen über Fragen- und ein paar Wegmarken in 'Alles Fake oder was?'.
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateMay 7, 2019
ISBN9783748592808
Alles Fake oder was?: Das Spiel von Sinn und Unsinn - eine fiktionale Biografie

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    Alles Fake oder was? - Klaus Robra

    Einleitung

    Alles Fake oder was?

    Das Spiel von Sinn und Unsinn -

    eine fiktionale Biografie

    Klaus Robra

    Eigentlich wollte ich diese Niederschrift anders beginnen. Doch daraus wurde nichts, es wurde vereitelt, ich weiß nicht wie. Jedenfalls fehlte nach einem zweiwöchigen, vorzeitig beendeten, weil völlig verkorksten Ferienaufenthalt auf einer Kanaren-Insel, ja, was fehlte? Die erste Seite meines bis dato ca. 20 Seiten starken Manuskriptes! Wie und warum diese Seite verschwunden ist, bleibt mir bis heute ein Rätsel. Hatte ich selbst die Seite verlegt, wusste nicht mehr, wo ich sie abgelegt hatte? Oder hatte jemand anders sie entfernt? War vielleicht jemand in unsere Wohnung eingedrungen, um mir just diese Seite zu entwenden? Kaum vorstellbar. Wie dem auch sei, mir blieb nichts anderes übrig, als die Seite neu zu schreiben, was nunmehr geschieht.

    Abschied für immer?

    Wie lautete doch seinerzeit mein erster Satz? Aha: „Ihm, dem Schreinermeister, standen Tränen in den Augen und die Haare zu Bergen. Was aber kein guter Beginn ist, wie mir inzwischen klar wurde. Vielmehr hätte ich nur schreiben sollen: Dem Schreinermeister standen Tränen in den Augen. Und warum? Weil Franz, sein jüngster Sohn, „zum Bund musste und sein Vater ahnte, dass Franz sich damit wohl für immer von seinem Elternhaus verabschieden würde. Das war nicht leicht zu verkraften, auch nicht für einen gestandenen Schreiner-meister. Doch nun kam es so, obwohl Franz – ohne Wissen des Vaters – mit etwas Geschick diese Wehrdienst-Verpflichtung hätte vermeiden können. Er hatte auch mit dem Gedanken gespielt, hielt es dann aber für vorteilhafter, nun gleich nach dem Abitur erst einmal von zu Hause wegkommen zu können, zumal er befürchtete, dass sein Vater sich weigern könnte, ihm ein Studium zu finanzieren. Er war jetzt fast 20 Jahre alt, damals, in den 1960er Jahren, noch nicht voll-jährig. Das würde sich ändern, sobald er den 18monatigen Wehrdienst hinter sich gebracht hätte. Dann würde er volljährig sein und selbst über sich bestimmen können. Dachte er jedenfalls und wählte also den Barras statt der vermeintlichen (?) Ungewissheit.

    Verabschiedete sich nun also auf dem Bahnsteig von seinem Papa und bestieg den Zug, der ihn nach Süddeutschland, genauer: nach Schlettingen im Breisgau, zur „Grundausbildung" bringen sollte. Er, der Rheinländer, kannte Süddeutschland kaum. Ein einziges Mal war er mit seiner früh verstorbenen Mutter im Schwarzwald gewesen, nahe Freudenstadt, der Stadt mit den wunderschön restaurierten Arkaden, fast wie Bologna. Die Fahrt zog sich schier endlos hin, zunächst immer am Rhein entlang, dann, nach vielen langweiligen Stunden im Bahnabteil, ging’s allmählich seitwärts und aufwärts, nicht in die Büsche, nein, in das dunkle Gebirge, auch Schwarzwald genannt. Was aber tut man auf langen, langweiligen Bahnreisen? Man liest, redet vielleicht mit Mitreisenden, kuckt sich die vorbeisausende Gegend an, läuft im Zug herum, mal zum Klo und zurück, setzt sich wieder, döst, träumt vor sich hin und erinnert sich plötzlich an die

    Kindheit und Jugend in der Schreiner-Familie.

    Das war nicht immer eitel Freude und Zufriedenheit gewesen, nicht immer ein Zuckerschlecken. Oh nein! Schon früh hatte es mächtig gekracht: Bombenhagel auf die rheinische Kleinstadt, in der Franz aufgewachsen war, dreimal flog dem Elternhaus förmlich das Dach

    um die Ohren, flog einfach davon, krachte minutenlang auf der nahe gelegenen Überlandstraße nieder. Die „verdammten Tommies mit ihren Luftminen, Terror gegen die Zivilbevölkerung, Kriegsverbre-chen? Oder einfach nur Rache für deutsche Terror-Angriffe auf Städte wie Coventry, das Hitler, des Wahnsinns fette Beute, bekanntlich „ausradieren wollte? Blühende Groß- und Kleinstädte fielen damals in Schutt und Asche, einfach so, weil Hitler und seine Bande, Mussolini und sein Verbrecher-Club, Faschisten wie Franco und andere glaubten, man könne die Politik übers Knie brechen und an die Stelle des Kopfes den Arsch setzen. Mit unsäglichen Folgen. Mehr als 54 Millionen mussten dran glauben, wurden im Namen der national-faschistischen „Vernunft" ins Jenseits befördert.

    Wie Franz vom Hörensagen erfuhr, waren seine ersten Worte: „Kutti, Auto, Bombe gewesen, wobei er mit Kutti den Vornamen seines um 10 Jahre älteren Bruders Kurt, mit Auto den Lieferwagen der Schreinerei und mit Bombe die gefürchteten alliierten Luftminen meinte. – Im Keller des großzügig angelegten Vaterhauses hatte man einen eigenen Luftschutzraum eingerichtet, in dem sich zuweilen die gesamte Nachbarschaft dicht gedrängt zusammenfand. Bis auf einen Nachbarn, der es besonders „gut mit seiner leider reichlich korpu-lenten Ehefrau meinte, die er bei Luftalarm stets bis zum Luftschutz- Keller der Schreinersfamilie begleitete, um sodann zu einer ca. 3 km entfernt liegenden Höhle zu rennen, wo er sich sicher fühlte. Der Clou: Kam er nach der Entwarnung zurück, fragte er regelmäßig zunächst: „Lebt meine Frau noch?" Auch dies wusste Franz nur vom Hörensagen, während er selbst sich natürlich fast gar nicht mehr an die Kriegszeit erinnerte. Ausnahme: Es sah noch genau vor seinem geistigen Auge, wie sein Vater ihn eines Morgens mit strahlendem Gesicht aus dem Kinderbett hob. Später, so mit 4 bis 5 Jahren – und daran erinnerte Franz sich sehr genau – verabreichte ihm der ziemlich strenge Vater mehrmals eine Tracht Prügel auf das Hinterteil, und zwar mit seinem breiten Ledergürtel, den der Vater zuvor von seiner Arbeitshose gelöst hatte.

    Oft streng war er, der Vater, doch nur wenig Zeit erübrigte er für die Erziehung seiner Kinder, was er später mehrfach ausdrücklich bedauerte. Als Franz ca. 12 Jahre alt war, empfahl ihm sein Vater, sich fortan selbst zu erziehen, verriet aber nicht, wie er sich dieses vorstellte. Im Übrigen hieß des Vaters Maxime: „Ich habe hier meine Pflicht zu tun." Was ihm allerdings während einiger Jahre, in denen er gelegentlich zu sehr dem Alkohol frönte, weniger gut gelang. Außerdem stand seine Pflicht-Maxime in merkwürdigem Gegensatz zu seiner durchgängig stark gefühlsbetonten Gemütsverfassung. Er war ein musischer Mensch, mittelgroß, von kräftiger Statur, bären-

    stark, dabei durchaus humorvoll, ein stimmgewaltiger Sänger vor dem Herrn, lange Zeit auch im Männergesangverein, den er den „Rhein-becker Blädderbund" nannte. (‚Bläddern‘ bedeutet im Ruhrpott-Deutsch so viel wie ‚heulen, weinen‘. Franz‘ Vater stammte aus dem Kohlenpott.). Eines seiner weiteren Hobbies war das Portrait-Zeichnen: Häupter aller Art, in emsiger Kleinarbeit auf irgendwelchen Zetteln zu Papier gebracht.

    Während der Kriegs- und Nachkriegsjahre litt die Familie, im Unterschied zu vielen anderen, nicht unter Ernährungsmangel. Vielmehr sorgten gut gefüllte eigene Schweine- und Hühnerställe dafür, dass alle stets satt wurden. Unvergesslich blieb Franz das laut-starke Grunzen und Röcheln der Schweine, als sie die Kellertreppe hinauf ins Freie stürmten, um sich auf der großen Hühnerwiese auszutoben. Unvergessen auch der Anblick, der sich ihm eines Tages in der Waschküche bot, als ein Metzgermeister ein Schwein per Bolzenschuss erledigte...

    Auch Hunde und Katzen waren ständige Begleiter der Familie. Makaber allerdings: Übergroßen Katzen-Nachwuchs beseitigte Franz‘ Vater, indem er die Winzlinge eigenhändig gegen die Hauswand klatschte oder in einem hochgefüllten Wassereimer ertränkte. Makaber auch der manchmal total vollgekotete Hundezwinger, den Franz dann mit einem Gartenschlauch zu säubern hatte. Was den braven Schäferhund nicht daran hinderte, sich nachts aus seinem Zwinger herauszuzwängen, um sich in der nahe gelegenen Wald- und Wiesengegend zu verlustieren, was merkwürdigerweise nie dazu führte, dass das – weibliche – Hundetier mit dem schönen Namen Berta trächtig wurde.

    In der Schreinerei musste Franz schon früh, d.h. schon im Kinder-garten-Alter, mithelfen. In den Kindergarten kam er erst mit 5 Jahren, fuhr immer ganz selbstständig mit dem Bus zu dem ca. 5 km entfernt liegenden Hort, nachdem ihn seine um 13 Jahre ältere Schwester Trine nur ganz am Anfang ein einziges Mal begleitet hatte. – In der Schreinerei oblag es ihm an freien Nachmittagen, größere Holzleisten und kleine Fensterrahmen fein säuberlich in Versand- und Liefer-kartons zu stapeln; später durfte er auch diverse Hobel- und Schleifmaschinen säubern und beim Parkett-Verlegen helfen, was er mit mehr oder weniger großer Begeisterung tat. Es störte ihn jedenfalls nicht; dies im Unterschied zu gewissen Hänseleien, die ihm einige Spiel- und Klassenkameraden zuteil werden ließen, z.B. mit Äußerungen wie: „Na, bist du Jesus? Der war doch auch Zimmer-mannssohn! Oder: „Wo gehobelt wird, da fallen Späne, nä? Und wie viele davon durftest du heute zählen? Und: „Bedenke gut: Die Axt im Haus erspart den Zimmermann!" Sprüche dieser Art waren noch

    halbwegs erträglich, nicht jedoch wenn er, z.B. in der Fußball-mannschaft, der er schon mit sechs Jahren angehörte, Parolen vernehmen musste wie: „Na, Spanferkel, heute schon gehobelt? Oder: „Nimm endlich mal das Brett vom Kopf! Hier wird gebolzt, nicht geholzt! Das ging entschieden zu weit, da konnte Franz fuchsteufelswild und gelegentlich sogar handgreiflich und faustschnell werden. Bis ihn eines Tages ein Lehrer dieserhalb dringend ermahnte, mit solchen Tätlichkeiten aufzuhören, nachdem er einem Klassen-kameraden, wenn auch in Gegenwehr, ein Auge blau geschlagen hatte.

    In der Fußballmannschaft und erst recht bei den Schneidergesellen, mit denen Franz sich stets solidarisch fühlte, kam er leider schon früh mit allerlei derben Witzen, Zoten und Anzüglichkeiten in Kontakt. Von der eher harmlosen Sorte waren dabei Sprüche wie: „Die Vögelein, die Vögelein vom Titicaca-See, die heben, wenn sie lustig sind, die Schwänzchen in die Höh‘. Ach, Mädelein, wenn ich dich so vor meinen Augen seh‘, dann geht’s mir wie den Vögelein vom Titicaca-See! Oder auch: „Banane, Zitrone, an der Ecke steht ein Mann. Banane, Zitrone, er lockt die Weiber an. Banane, Zitrone ... Erst sehr viel später, während seines Hochschulstudiums, wurde Franz klar, dass solche Sprüche sogar einen tieferen Sinn haben können. Der Renaissance-Dichter Pietro Aretino verfasste ‚Sonetti lussuriosi‘, aus-schweifende Sonette, in denen in fast jeder Zeile das F-Wort auftaucht, z.B. „fottiamci subito (‚lasst uns sofort ficken‘). Tieferer Sinn? Das Irrationale, Unwägbar-Bedrohliche am Sex durch Verbali-sierung bewältigen, besser damit fertig werden. Wobei man natürlich bezweifeln kann, dass dies immer und überall möglich ist. Jedenfalls ein hübsches Beispiel dafür, dass Fiktionales auch dem Ficktionalen dienen kann ... Andererseits erfuhr Franz recht bald auch, dass man solchen Neigungen zum Obszönen nicht einfach nachgeben darf, dass es eine Sprach-Ethik gibt, verbale Anzüglichkeit nur selten gesell-schaftsfähig ist. Was ja zu einem Dilemma führt: Kann Dichtung zur Bewältigung des Irrationalen beitragen, ohne in den Niederungen der „schmutzigen Phantasie zu versinken? Darüber nachzudenken, dürfte wohl der Mühe wert sein.

    Die Grundschule hieß damals noch ‚Volksschule‘. In dieser Schule, überdies einer ‚evangelischen‘, machte Franz schnell gute Fortschritte. In einem seiner ersten Zeugnisse hieß es: „Franzens Leistungen liegen weit über dem Durchschnitt!" Mit vorbereitet hatte diesen Schulerfolg seine große Schwester Trine, selbst Gymnasiastin, die sich stets rührend um ihn gekümmert und ihm sprachlich viel Sicherheit und Ausdrucksvermögen vermittelt hatte.– Es wäre eine rundum glück-liche Kindheit gewesen, wenn nicht das Unglück zugeschlagen hätte, als nämlich seine innig geliebte Mama früh, allzu früh an Krebs

    erkrankte und verstarb, als sie kaum 50 und Franz noch keine 12 Jahre alt war. Das erschütterte den Kleinen zutiefst, und auch die Stief-mutter, die er wenige Jahre später bekam, vermochte nicht, ihm darüber hinwegzuhelfen. Im Gegenteil, zwischen ihr und Franz entwickelte sich keine harmonische Beziehung, und als er 16 Jahre alt war, nannte er sie nicht mehr ‚Mutter‘, sondern nur noch ‚Selma‘ oder ‚Tante Selma‘.

    Franzens schulische Leistungen, auch auf dem Gymnasium, der „Penne", wie man sie seinerzeit noch nannte, ließen erstaunlicher-weise kaum zu wünschen übrig. Das Gymnasium schloss er erfolg-reich und mit guten Abitur-Noten ab. Von seinem Elternhaus aber hatte er sich entfremdet – mit einigen schwerwiegenden Konsequen-zen. Mit 17 Jahren hatte er unter seinen Schulkameraden eine neue Freundes-Clique gefunden, mit ihnen eine Old-time-Jazzband gegrün-det und rauschende Wochenend-Parties (‚Feten‘) gefeiert – und dann auch seine große Jugendliebe Melanie kennengelernt. Ein lustiges, sehr gesprächiges dunkelhaariges Mädchen, immer adrett, immer gut gelaunt. Eine Beziehung, die sich schon zu Beginn sehr intensiv entwickelte, mit langen, ergiebigen Gesprächen, einmal von fast 8stündiger Dauer, und schließlich, d.h. nach ca. einem Jahr, mit allem, was zu einer echten Liebesbeziehung dazugehört, wenn auch oft unter widrigen Umständen, sie waren ja nicht verheiratet, hatten keine eigene Wohnung, so dass sie ihre Liebe zueinander zuweilen mit der Liebe zur freien Natur verbanden, wohl oder übel verbinden mussten.

    Einmal hatte Franz sich allerdings dumm verschätzt, als er mit Melanie irgendwo in der Eifel fernab des Wanderwegs ein geeignetes Lagerplätzchen suchte. Ringsum gab es nur Gestrüpp und steinharten Boden, dazu trübes Wetter in der Dämmerung. „Was suchst du hier eigentlich?, fragte Melanie, darauf Franz: „Gute Frage, weiß ich auch nicht, anscheinend haben wir hier gar nichts zu suchen. Machten kehrt und gingen durch das unwirtliche Gestrüpp zurück zum Weg.

    Unbestrittenes Idol und geistige Leitfigur des Freundeskreises war Ruven, der Schöngeist, dem es ziemlich rasch gelang, eine muntere Schar weiblicher und männlicher Bewunderer um sich zu versam-meln, eine Clique mit betont nonkonformistischem, anti-bürgerlichem Anspruch. Das Wort „Bürger" galt als Schimpfwort. – Von der äußeren Gestalt her wirkte Ruven eher unscheinbar, war von mittlerer Statur, schlank und rank, aber wenig sportlich. Auffällig sein langes dunkles Haar, das mit dem Aufkommen der Beatles-Mode noch länger wurde, dazu dunkle Augen, ein feines längliches Gesicht mit hellem Teint und leicht hebräischem Einschlag, auf den Ruven immer besonders stolz war. Sein Prestige beruhte nicht nur auf seinem

    gewandten Auftreten und seiner Eloquenz, sondern vor allem auf der Tatsache, dass er sich schon im zarten Alter von 15 Jahren mit anspruchsvollen philosophischen und musiktheoretischen Texten beschäftigt hatte, darunter von Adorno, Horkheimer und Herbert Marcuse, so dass er imstande war, sowohl dem gesellschafts-kritischen Anspruch als auch der libidinösen Freizügigkeit der Clique die hochwillkommene theoretische Fundierung zu vermitteln. Kein Wunder, dass sich in der Clique schon bald eine echte Streitkultur entwickelte, die nicht selten auch auf den Feten zum Tragen kam. Die Diskussionen entzündeten sich an Themen wie repressiv-bürgerliche Moral, Klerikalismus, Gesellschafts- und Verhaltenstheorien usw. Eine der Diskussionen zwischen Ruven und seinen Freunden Franz, Armin, Dirk und Helge verlief folgendermaßen:

    Armin: Hei, Jönkes, was haltet ihr davon ..., eh, was haltet ihr davon, wenn wir uns mal darüber unterhalten, in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben?

    Ruven: Eigentlich? Was heißt denn hier ‚eigentlich‘?

    Armin: Nur so, nur so ‘ne Redensart, sagt man doch so, oder nit?

    Ruven: Sagt man so, sagt man so, ja, aber trotzdem bitte Vorsicht mit der sogenannten Eigentlichkeit! Daran hat sich schon mancher den Mund verbrannt. Namen nenne ich nicht.

    Franz: Bringt ja auch nichts. Armins Frage war aber gar nicht schlecht. Mein Vorschlag: Wir könnten uns auch fragen, in welcher Gesellschaft wir überhaupt leben wollen!

    Helge: Oder auch: in welcher wir überhaupt leben können!

    Ruven: Schön und gut. Aber wovon reden wir denn? Was ist das denn: die Gesellschaft? Gibt es das überhaupt?

    Dirk: Und ob es das gibt! Der Mensch ist doch ein geselliges Wesen, wie man schon lange weiß. Gleich und gleich gesellt sich gern – und zack! Schon haben wir die Gesellschaft!

    (Lautstarkes Gelächter der anderen, dann:)

    Ruven: Ja, kolossaler Witz: „gleich und gleich"! Sind denn alle Menschen gleich? Doch bestimmt nicht! Und trotzdem redet man von der Gesellschaft. Woraus besteht sie denn, die Gesellschaft? Doch zweifellos aus einzelnen Individuen. Was aber ist das Individuum? Bei Marx das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse. Wenn man also die Gesellschaft verstehen will, muss man erst mal die Verhältnisse beleuchten, die in ihr herrschen.

    Helge: Beleuchten ist gut, bei so viel Armleuchtern!

    Ruven: Ja o.k., aber so kommen wir doch nicht weiter. Witze machen, Possen reißen, das kann jeder. Aber nicht jeder hat den Durchblick, den z.B. Marx hatte oder heute Adorno und

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