Mücken bei 30 Grad minus: Geschichte(n) einer deutsch-schwedischen Auswanderung
By Stefan Berg
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About this ebook
Über sechs Jahre hat Stefan Berg in diesem für ihn anfangs so fremden Land verbracht, an dessen Sitten und Gebräuche er sich lange nicht gewöhnen konnte. Doch am Ende hat er die Wikinger liebgewonnen.
Mit seinen witzigen und teils grotesken Anekdoten aus seiner ganz persönlichen Auswanderergeschichte, schafft er es, vieles über Schweden, seine Bewohner und deren Leben zu vermitteln, und er schwört bei Odin, dass alle Geschichten genau so passiert sind, wie er sie in diesem Buch schildert.
Dabei macht er sich auch gehörig über sich selbst lustig. Die wahrscheinlich einzig satirische deutsch-schwedische Auswanderergeschichte. Am Ende fragt Berg: "Du denkst darüber nach, selbst nach Schweden auszuwandern?" und kommt zu dem Schluss: "Mach das! Es lohnt sich."
Ganz gleich, was Sie vorhaben, lachen werden Sie auf jeden Fall!
Stefan Berg
Stefan Berg, geb. 1978, Studium der Evangelischen Theologie in Marburg und Basel; Assistentur und Promotion in Zürich; wissenschaftlicher Oberassistent an der theologischen Fakultät in Zürich; Arbeit an einer systematisch-theologischen Habilitation.
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Book preview
Mücken bei 30 Grad minus - Stefan Berg
Widmung
Dieses Buch ist allen Schweden gewidmet, die ungefragt deutsche Einwanderer ertragen müssen und all denjenigen Deutschen, die jemals gutgläubig und nichtsahnend eine Dose surströmming geöffnet haben, weil sie dachten, das gehöre zur kulturellen Integration einfach dazu.
Vorwort
Vielleicht lesen Sie ... Stopp! Ich duze Sie ab sofort, weil sich in Schweden auch jeder duzt. Also nochmal: Vielleicht liest Du dieses Buch, während Du gerade im Urlaub auf Deiner schwedischen Ferienhausveranda sitzt und Dir wieder einmal vorstellst, wie wunderbar es doch wäre, wenn man hier immer leben dürfte. So viel Ruhe und kein Stress, und dann diese Schweden, die so genügsam, so zufrieden und – ja, man traut es sich als Deutscher kaum zu sagen – glücklich wirken.
Wieso eigentlich? Wir in Deutschland haben doch eindeutig die besseren Straßen, mehr Anwälte und Ärzte, weniger Stromausfälle und müssen nur alle zwei Jahre mit unseren Autos zum TÜV und nicht jährlich zum bilprovning?
Dein Nachbar scheint sich derlei Gedanken gar nicht erst zu machen, ein Schwede eben; er grüßt Dich freundlich und nicht ohne Stolz von seinem nagelneuen Aufsitzmäher herab, die Ohrenschützer mit integriertem Radio auf seinem Kopf, eine Dose Bier in der dafür bereits werksseitig vorgesehenen Halterung, während er seinen Vorgartenrasen auf Mückenhöhe trimmt.
Im Wald hallen die Schüsse der Elchjagd nach, und Dein Kind kommt in diesem Moment schreiend vom Badesee mit einem Blutegel am Bein zurück, einer Spezies, die es aus Deutschland nicht mehr kennt.
Für den Bruchteil eines Augenblicks hältst Du inne und denkst darüber nach, ob Du Dein Herings-Brot ausspucken sollst, weil Du bereits nach dem ersten Bissen erkannt hast, dass das mit dem süßen, wabbeligen Kardamom-Teig des Schwedenbrotes zusammen doch nicht so lecker ist wie mit knusprig-frischem Schwarzbrot. „Nein!, beschließt Du, „Ich kaue weiter, so ist das hier eben.
Und tatsächlich, irgendwie passt es plötzlich und schmeckt auf einmal gar nicht mehr so übel, im Gegenteil ...
Välkommen i Sverige! – Willkommen in Schweden!
Fluchtgedanken
Warum wir ausgewandert sind, wie ein debiler Clown im Handschuhfach endet, wie man mit persönlichen Erinnerungen einen Kamin anfeuert und warum deutsche Makler in Schweden nicht zwingend die erste Wahl sein müssen, bloß weil sie Deutsch sprechen.
1
Als wir – meine damalige Freundin Dorit, ihre Tochter Lisa und ich – schließlich beschlossen hatten, den großen Schritt einer Auswanderung tatsächlich zu wagen, wussten wir nicht wirklich, was auf uns zukommen würde. Insbesondere deshalb, weil wir Schweden eigentlich gar nicht kannten. Dennoch waren wir der festen Meinung, dass unser gewähltes Ziel in jedem Fall lohnender sei, als in Deutschland auf die eventuelle Besserung einer, aus unserer damaligen Sicht, nicht aufregenden und wirtschaftlich trüben Zukunft zu warten.
Ursprünglich hatten Dorit und ich vor, ins Tourismusgeschäft einzusteigen. Wir wollten einige Häuser oder Hütten besitzen oder zuerst bauen und diese an Touristen wochenweise vermieten. Drum herum wollten wir noch Unterhaltung und Events anbieten. Kein spektakulär neuer Gedanke, zugegeben, aber immerhin ein Plan. Wir brauchten dazu also eine geeignete Immobilie mit ordentlich Grund und Boden für den Bau von Hütten oder am besten schon etwas, wo bereits ein oder zwei Häuschen vorhanden waren.
Wir suchten auf einschlägigen Immobilienseiten in Deutschland und Schweden, aber auch in eBay. Eines Abends kam Dorit dann unvermittelt aufgeregt ins Zimmer gelaufen. Sie hätte das Objekt schlechthin gefunden. Wir sahen es uns in eBay an. Und tatsächlich, das war amtlich: sage und schreibe sieben Häuser an einem selbstgebaggerten See gelegen. Kurzerhand nahmen wir Kontakt zur Anbieterin, Anja – einer ausgewanderten Deutschen – auf, und die sagte uns, dass sie den Verkauf im Auftrag eines Schweden namens Åke (sprich ungefähr: „Oke") betreibe. (Wie Du im Laufe der Lektüre dieses Buches merken wirst, spielen Nachnamen in Schweden eine untergeordnete Rolle, dies nur am Rande.)
Åke, so Anja weiter, sei ein guter Bekannter von ihr und absolut vertrauenswürdig. Wir glaubten ihr und flogen mit Lisa nach Kopenhagen, nahmen uns am Flughafen ein Mietauto und fuhren nach Schweden.
Das erste Mal in unserem Leben.
Nach stundenlanger Reise durch die schwedischen Wälder kamen wir an und stiegen aus. Anja war da und auch Åke, der Schwede, dem das alles gehörte. Er hatte sämtliche Häuser selbst gebaut und war ein echter Waldschrat. Åke war riesengroß, hatte einen Rübezahlbart und strahlte uns aus seinen blauen Augen an. Er dürfte damals bereits so um die sechzig gewesen sein. Anja erzählte uns, dass er schon alles in seinem Leben gemacht hatte. Bienenzucht, Pferdezucht, Häuserbau und vieles mehr. Außerdem jage er gern und verbringe ab und an eine ganze Woche allein im Wald. Das habe ich ihr sofort geglaubt.
Sie ließen uns allein, und wir bezogen in einem der zum Verkauf stehenden Häuser Quartier, das uns Åke freundlicherweise für diese Zeit kostenfrei zur Verfügung gestellt hatte. Das Geschäftliche wollten wir am nächsten Tag nach einer ausgiebigen Besichtigung bereden. Zu vorgerückter Stunde klopfte es noch einmal. Ich öffnete. Åke füllte den Türrahmen völlig aus. Er hielt mir eine mit Zeitungen gefüllte Plastiktüte vor die Nase und erklärte mir etwas auf Schwedisch, das ich nicht verstand.
Ich nickte freundlich und machte ungehemmt von meinen erworbenen Schwedischkenntnissen Gebrauch, die damals aus exakt vier Wörtern bestanden. „Tack så mycket! sagte ich, „Vielen Dank!
, und nahm die Tüte entgegen ohne auch nur eine Ahnung von deren Inhalt zu haben. Das vierte Wort meines beschränkten Sprachschatzes wäre übrigens „Hej gewesen, was eine Mischung aus „Hallo
und „Guten Tag" bedeutet, das habe ich aber weggelassen, weil es in diesem Kontext nicht gepasst hätte. Doch dazu später mehr. Zurück zum Inhalt der Tüte. Eine Sichtprüfung ergab, dass es sich dabei um Zeitungsreste handelte.
So ein netter Mann, dachte ich bei mir, er bringt uns extra Papier zum Kamin anfeuern. Es war nämlich kalt.
Zuhause hatten wir keinen Holzkamin, und so entfachte ich ihn mit der Begeisterung eines Schuljungen. Ich brauchte ziemlich viel Papier, da ich damals im Holzofenanfeuern noch nicht so geübt war. Woher auch? Nach und nach zog ich immer wieder einen Fetzen Zeitung aus Åkes Tüte und nährte damit die kleinen Flammen, die nicht so recht wachsen wollten, aber gierig nach dem spröden Papier leckten. Da kam Dorit. Sie sah die Tüte, schaute prüfend hinein und wurde aschfahl.
„Was machst du denn da?", rief sie vorwurfsvoll.
Dumme Frage. „Na, ich mache einen Kamin an, oder wie sieht das denn sonst aus?", entgegnete ich gereizt.
„Ja aber doch nicht mit Åkes Erinnerungen, du Trottel!"
Hoppla!
Ich griff nach der Tüte und begutachtete die Zeitungsausschnitte, die ich zum Anfeuern des Kamins verwendet hatte, nun eingehender. Und tatsächlich: Es waren alles Artikel über Åke. Anja schien also keineswegs übertrieben zu haben. Åke musste wirklich in seinem Leben schon viel gemacht haben, denn es waren Zeitungen der letzten zwanzig Jahre, und manchmal war er sogar auf dem Titelblatt zu sehen. Ich hatte also Teile von Åkes Erinnerungen verbrannt. Das war mir ziemlich peinlich, auch wenn das meiste unbeschadet von Dorit gerettet werden konnte. Zu meiner Entschuldigung muss ich sagen, dass ich das nicht absichtlich gemacht habe. Tierisch peinlich war es mir trotzdem.
Der Kamin brannte jedenfalls.
Letztlich haben wir dieses Objekt, auch wenn es wirklich für unsere Pläne optimal gewesen war, nicht kaufen können. Es war uns am Ende trotz