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Tenderbilt
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Tenderbilt

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About this ebook

Die Chronik einer Chronik… gewissermaßen. So eine Art Familienchronik. Über die bekannte Familie Tenderbilt. Sie erinnern sich? Nun, bis vor kurzem war die Familie noch sehr bekannt und in aller Munde. Dabei kam natürlich heraus, dass sie alle unter erblichem Schwachsinn leiden. Jedenfalls nimmt man das an. Aber… soll das heißen, Sie haben den ganzen Tenderbilt-Boom nicht mitbekommen? Ist er wirklich an Ihnen vorbeigegangen? Nun, für alle, die ihn verpasst haben oder ihn noch einmal erleben möchten, gibt es nun dieses Buch. Es erzählt die Geschichte der Familie, der Chronik, der Familienchronik. Diverse Generationen Tenderbilts werden darin vorgestellt, von damals bis heute… oder gestern. Es erklärt, wie es seinerzeit zu dem Boom kam, der die Familie auf einmal so bekannt machte und ins Licht der Öffentlichkeit rückte – und natürlich dürfen ein paar Werke des Familienautors auch nicht fehlen. Das bislang umfassendste Werk zu den "Tenderbilts", ein Muss für jede Sammlung!
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateJun 1, 2019
ISBN9783748595755
Tenderbilt
Author

Martin Cordemann

Tillmann Courth stand jahrelang als Conférencier auf der Bühne des Ersten Kölner Wohnzimmertheaters. Er schrieb und bestritt fünf Kabarett-Soloprogramme und geht heute einigen Kolleg?innen u.a. als Regisseur zur Hand, ist Comicexperte und betreibt die Webseite FIFTIES HORROR. Martin Cordemann ist Autor der Comics „Die DomSpitzen“ und „Bruder Thadeus: Das Münchner Kindl“ (Zeichner: Ralf Paul) sowie des Buches „Dada op Kölsch“. Als E-Book gibt es von ihm jede Menge Krimis und Science Fiction.

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    Book preview

    Tenderbilt - Martin Cordemann

    Kapitel 1

    Knisternd sackte das Holz im Kamin in sich zusammen. In seinem Schaukelstuhl saß der alte Graf Benedict, eine Pfeife im Mundwinkel und leise vor sich hinrauchend. Er schüttelte den Kopf und musste lächeln. Die Geschichte, die ihm sein Enkel gerade erzählt hatte, übertraf wirklich bei weitem die Erzählungen, die er in den letzten Jahren zu hören bekommen hatte. Nicht, dass die Geschichte unglaubwürdig klang, sie war vielmehr zu verrückt, um widerspruchslos akzeptiert zu werden. Selbst in seiner Jugend hatte er nichts Derartiges ausgefressen, aber wahrscheinlich lag es daran, dass sich die Zeiten tatsächlich änderten. Jedenfalls gab es keinen Zweifel, dass der junge Teddy zu seinen Nachkommen zählte, wenn er auch gewisse Apathien gegen den Namen hegte. Teddy war in seinen Augen ein Stofftier, kein halbwegs erwachsener Jugendlicher. Aber wie gesagt, die Zeiten änderten sich.

    Wie bist du denn auf die Idee gekommen? hakte Benedict noch einmal nach.

    Pffff, Teddy machte eine unbestimmte Handbewegung und grinste.

    Es war an einem Samstag, die Läden schlossen gerade und Teddy befand sich auf dem Weg nach Hause. Er wohnte schon lange nicht mehr im Hause seiner Ahnen; schon sein Vater hatte das ländliche Anwesen verlassen und war in die Stadt gezogen, um seinen Kindern, Teddys Bruder Rodney war im Alter von zehn Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, eine ausreichende Ausbildung zukommen lassen zu können. Eine unbestimmte Melodie vor sich hin pfeifend schlenderte er durch die Straßen und dachte an nichts Bestimmtes. Auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums fiel ihm ein verlassener Polizeiwagen auf, die beiden Polizisten betraten gerade das Einkaufszentrum. Als er fast an dem Wagen vorbei war, kam ihm plötzlich eine, wie sein Großvater später sagen sollte, immens dumme Idee. Ein Grinsen stahl sich auf seine Lippen, er sah sich um, bückte sich und schraubte das vordere Nummernschild des Polizeiwagens ab, dann das hintere. Schnell lief er vier Wagen weiter, entfernte die Nummernschilder, lief zurück, brachte sie am Polizeiwagen an und umgekehrt. Dann, um dem Spiel die Krone aufzusetzen, knackte er den Privatwagen mit den fremden Nummernschildern und parkte ihn, weitgehend unbeschädigt, drei Querstraßen entfernt. Grinsend setzte er seinen Weg fort.

    Ich fürchte, an sowas musst du dich gewöhnen, meinte Graf Benedict zu seinem Sohn, als er wegen der Geschichte mit den Nummernschildern in das ländliche Anwesen kam, um mit seinem Vater die Angelegenheit zu besprechen.

    Es ist doch nicht normal. Benedicts Sohn, Teddys Vater und Veronikas Mann, Frederico, lief nervös auf und ab, wobei er hin und wieder einen Blick durch eines der Fenster hinab in den Garten warf. Rot leuchteten ihm die Rosen entgegen, Benedict liebte diese Farbe. Sie erinnerte ihn an seine Jugend. Früher hatte er oft im Garten gespielt, oder er hatte Rosen für seine Freundinnen gepflückt. Einmal hatte er sich auch hinter das Rosenbeet flüchten müssen, um nicht erschossen zu werden. Der Anblick des Gartens barg viele Erinnerungen für ihn, gute wie schlechte. Für Frederico, der hin und wieder nervös hinuntersah, bedeuteten die Rosen nichts. Er nahm sie kaum wahr, lediglich der helle rote Schein war ihm bewusst. Wie kann ein Junge auf so eine Idee kommen?

    Benedict hob die Schultern. Es war auch ihm ein Rätsel. Er hatte so etwas nie gemacht. Allerdings gab es zu seiner Zeit weder Polizeiwagen noch Nummernschilder. Aber im Prinzip fand er die Idee auch nicht besonders gut, vielleicht ganz reizvoll, aber nicht gut. Das Schlimme ist, es gibt nur einen, der für so einen Unsinn in Frage kommt, die Stadt ist eben auch nur ein Dorf.

    Ja, mein Junge, du musstest ja unbedingt wegziehen von Haus Senkmoor.

    Fang nicht wieder mit dieser alten Geschichte an. Frederico starrte auf das Rosenbeet, so dass sich Benedict zu fragen begann, ob er dort vielleicht etwas Entscheidendes übersehen hatte, als er das letzte Mal einen Blick darauf geworfen hatte. Vielleicht verbuddelte gerade ein Hund einen Knochen, oder, was noch schlimmer wäre, Barrings, der Gärtner, eine Leiche. Es wäre schade, er wollte Barrings nicht verlieren, er war ein guter Gärtner. Was nicht hieß, dass so etwas nicht schon einmal vorgekommen wäre. Im Gegenteil.

    Siehst du dort im Garten eine schöne Nixe, die, nackt wie sie ist, sich in der Sonne badet?

    Was?

    Schade, na, vielleicht ist sie im Gästehaus?!

    Unsicher blickte Frederico zwischen seinem Vater und den Rosen hin und her, dann verstand er, nickte und setzte seinen kurz unterbrochenen Weg fort. Vor Benedict verharrte er und fragte ihn: Was ist es nur? Was liegt uns im Blut, dass wir immer solches dummes Zeug machen müssen?

    Hmm, das hat noch niemand herausgefunden. Aber dieser Hang zur Destruktivität existiert in unserer Familie schon lange, schon sehr lange. Allerdings ist diese freundliche Beschreibung neu.

    Aus der Familienchronik, die unter Zuhilfenahme alter Stadtbücher der umliegenden Kleinstädte von einem nahen Verwandten, Stefano di Calbrizzi, vervollständigt wurde, ließ sich folgendes entnehmen:

    Schon der Begründer des Hauses Senkmoor und sein Erbauer, der Edelmann Eduardo Tenderbilt, war gefürchtet für seinen derben Humor. Oft besuchte er Schenken um zu zechen und sich mit dem Weibe herumzutreiben. Als er dann heiratete, legte sich letzterliches. Auch sein ungeschriebener Hang zu groben Späßen ließ nach, ward er doch für die Irreführung eines königlichen Soldaten verantwortlich, welcher da nach dem Weg nach Edinburgh fragte und welchen der Edelmann irrtümlicherweise nach Dublin schickte. Hier sei angemerkt, dass besagter Soldat sich im britannischen Raume erbärmlich schlecht ausgekannt habe, dessen Nachricht, welche der Maria Stewart den Kopf gerettet hätte, allerdings nie ihr Ziel erreichte, jedenfalls nicht rechtzeitig. Als seine Nachkommen, Malcolm und Angelica Tenderbilt, in das Vorerwachsenenalter kamen, wurden die Stadtväter sich der Tatsache bewusst, dass es sich bei dem Edelmann nicht um einfachen derben Humor gehandelt haben musste, sondern um erblichen Schwachsinn.

    In ihrer Hochzeitsnacht hatte Frederico seiner Frau Veronika gestanden, dass man in seiner Familie erblichen Schwachsinn vermutete. Erschreckt blickte sie ihn an, sank dann in ihr Kissen zurück und starrte die Wand an. Zärtlich streichelte Frederico ihre Schulter. Sie wehrte sich nicht dagegen, starrte nur die Wand an. Nach einiger Zeit fragte sie: Man merkt es dir gar nicht an, dass...

    Dass ich spinne? Er lächelte bei der Bezeichnung. Es heißt ja nicht, dass ich mich für Napoleon oder eine andere historische Persönlichkeit halte. Sie atmete auf. Ich glaube zum Beispiel, Marie Bellingel zu sein, und bei der kann man ja wohl kaum von einer historischen Persönlichkeit sprechen.

    Du Untier. Sie fiel ihm lachend in die Arme.

    Vielleicht haben sich die Geschichtsschreiber ja auch geirrt, mutmaßte Frederico. Hatten sie nicht, versicherte Stefano di Calbrizzi, der eigentlich nah genug verwandt war, um auch betroffen zu sein. Er wusste jedoch zu beweisen, dass es in seinem Zweig der Familie keinen erblichen Schwachsinn gebe. Stört es dich denn, mit einem Irren zusammenzuleben?

    Solange ich diesen Irren liebe, nicht. Aber eines hättest du doch tun können.

    "Neugierig sah Frederico sie an.

    Du hättest mir das mit der Krankheit sagen sollen, bevor wir uns geliebt haben!

    Niemand hätte je bestritten, dass die Tenderbilts adelig waren. Zwar gab es außer ihrem erblichen Schwachsinn kein auffallendes Familienmerkmal, wie zum Beispiel fehlende Ohrläppchen, besonders geformte Nasen oder auf der Schulter sitzende Falken, die auf jedem Portrait der betreffenden Person zu sehen waren. Nicht einmal mit einem chronischen Zucken unter dem rechten Auge konnten die Tenderbilts aufwarten, seltsamerweise stellte man es aber bei Stefano di Calbrizzi fest, jedoch ohne ihm weitere Bedeutsamkeit beizumessen.

    Seit Eduardo Tenderbilt sich niedergelassen und Haus Senkmoor gebaut hatte, ließ sich die Geschichte der Tenderbilts (und ihrer Erbkrankheit) verfolgen. Neben den Informationen aus der hiesigen Chronik kursierten lange Jahre Gerüchte, dass er auf dem Festland (Europa!) gewütet und unzählige Französinnen, Holländerinnen und Deutsche geschwängert haben soll, dann habe ihn ein schrecklicher Heuschnupfen zum Umkehren gezwungen und er konnte nicht vorstoßen bis nach Griechenland, was er eigentlich vorgehabt habe.

    Fairerweise muss man bemerken, dass eher bei den Leuten, die derlei Gerüchte verbreiten, nach vererbtem Schwachsinn gefahndet werden sollte. Tatsächlich ist über die Herkunft des Geschlechtes der Tenderbilts bis zu ihrer Niederlassung nichts Genaues bekannt. Ob sich also die Folgen bis aufs Festland verfolgen ließen, bleibt ein Geheimnis der Geschichte.

    Jedenfalls, so geht aus der Chronik hervor, hielt man Eduardo, dessen Name schon verdächtig klang, nicht für einen reinen Engländer, da er einen ausgeprägten Akzent gehabt haben soll. Er sei, so hieß es, nicht schottischer Herkunft, wahrscheinlich zumindest, möglicherweise doch. Demnach besteht die Möglichkeit, dass die Tenderbilts ihren Weg aus den schottischen Highlands hinunter ins tiefe britische England fanden, wo sie bis heute noch anzutreffen sind.

    Einen möglichen Hinweis über den Stamm der Familie konnte man vor wenigen Jahrzehnten in einem leider verbrannten Dokument in London finden. Offenbart hatte dort ein Ehepaar ein kleines Haus gemietet. Das an sich ist noch kein strafbares Vergehen, jedoch schrieb man über den Mann, er habe die Besucher eines bekannten Londoner Theaters nach den Aufführungen gefragt, ob ihnen die Stücke denn gefallen hätten – und wenn ja, ob sie sie denn auch verstanden hätten. Oft zog dies die Androhung eines Duells nach sich, in sieben Fällen wurde der Mann herausgefordert. Da sich alle sieben Herausforderungen an nur einem Abend ergaben, so hieß es in dem Dokument, hielt er es für klüger, sich aus der Stadt zurückzuziehen, was er auch tat und die Miete schuldig blieb. Dieses auffällige Verhalten deutet, so die Experten, eindeutig auf einen Tenderbilt hin. Der gleiche Mann soll vor den erwähnten Theatern behauptet haben, seine Stücke seien viel besser als die, die man hier spiele. Wahrscheinlich kam aus diesem Grund das Gerücht auf, einer der Duellanten sei der hiesige Schriftsteller gewesen. Kaum jemand nahm jedoch das sich daraus ergebende Gerücht, ein nicht unbekannter Autor namens William Shakespeare sei in Wirklichkeit erwähnter Pöbler und angenommener Vorfahre der Tenderbiltfamilie gewesen, für voll.

    Kapitel 2

    Noch am gleichen Abend wurde der Wagen als gestohlen gemeldet. Als der Besitzer, ein gewisser Waldur Eppening, auf dem Nachhauseweg zornig und mit zwei schweren Einkaufstüten beladen, an seinem Wagen vorbeiging, stutzte er, wollte gerade probieren, ob sein Schlüssel wohl passen könnte, sah dann aber das falsche Nummernschild und ging, noch immer zornig und schwer beladen, weiter. Zwei geschlagene Tage blieb die Suchaktion der Polizei, die auch auf drei weitere Bezirke ausgedehnt wurde, erfolglos. Gerade, als man Eppening mitteilen wollte, dass sein Wagen wahrscheinlich schon über alle Berge war, stürmte ebendieser wutentbrannt und zwei Nummernschilder schwingend das Polizeibüro.

    Da es sich um groben Unfug handelte und der Polizeichef schon in dritter Generation Polizeichef war, fiel, nach einem kurzen Blick auf die Einwohnerliste, der Verdacht sofort auf Theodor Tenderbilt, genannt Teddy. Es war doch immer das gleiche mit diesen Tenderbilts, aber was konnte man schon von Leuten erwarten, deren Vorfahren in Europa sämtliche Huren geschwängert hatten? Dass hier die Gerüchte etwas vermischt worden waren, ist sicher, ironisch dagegen erscheint es, dass ausgerechnet einer der Vorfahren des Polizeichefs in früher Jugend verschleppt worden war – es hatte sich um einen Hunnen gehandelt, der zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort, in diesem Fall in England, gewesen war. Dass sich seine Nachfahren, so auch der Polizeichef, um ein sauberes England bemühten, sei dahingestellt.

    Als erster fiel ihm sein Großvater ein. Wenn er fliehen musste, würde er zu Benedict Tenderbilt fliehen, dem ältesten der noch lebenden Tenderbilts. In der ganzen Gegend war Haus Senkmoor bekannt, früher war es berüchtigt gewesen, aus diversen Gründen. Mittlerweile gab es mehr Geschichten um die Familie Tenderbilt und ihre verrückten Streiche, als dass sie alle der Wahrheit entsprechen konnten, obgleich ihre Anzahl auch auf natürlichem Wege ständig stieg, wie sich Teddy auf dem Weg zu seinem Großvater eingestehen musste. Vielleicht würden die Polizisten zu große Angst vor dem Haus und seiner Vergangenheit haben, um ihm dorthin zu folgen. Das war jedoch ziemlich unwahrscheinlich. Heutzutage war man immer mehr geneigt, Schwachsinn, ob erblich oder im Fernsehen, zu akzeptieren. Wie Benedict, der alte Fuchs, wohl auf seine Geschichte reagieren würde? Wahrscheinlich gnädiger als die Polizei, die noch 14 Stunden brauchen sollte, bis sie seine Spuren aufnahm.

    Schreiend nahm ihn die Hebamme entgegen, er, Benedict, schrie, wohlgemerkt, nicht etwa die Hebamme.

    Ein Junge, rief sie, dem Geschrei nach hätte es auch ein Mädchen sein können. Wie alle frühen Tenderbilts fand die Niederkunft von Benedicts Mutter, Adelheit Tenderbilt, in den Gemächern von Haus Senkmoor statt, abgesehen von der Eduard Tenderbilts, welcher das Haus erbaut hatte. Das Gerücht, ein junger Tenderbilt habe das Licht der Welt erblickt, verbreitete sich schnell im Dorf.

    Einer mehr von diesen Verrückten, murmelte man, oder: Die sterben auch nicht aus, die Irren!, oder: Ich hab Hunger, Mami. Zu dieser Zeit gab es wenig zu essen im nahe gelegenen Dorf Brindige, aus dem später die kleine Stadt Brindige werden sollte, in der der Name Tenderbilt ein Begriff war, wenn auch kein guter.

    Freudestrahlend verließ Sir Henry Tenderbilt das Zimmer, nachdem er seiner Gattin und jetzigen Mutter seines Sohnes einen dicken Kuss gegeben hatte, trank noch schnell die andere Hälfte der Flasche Whisky, die neben der Geburt seine Aufmerksamkeit erfordert hatte, schwang sich auf sein Pferd und ritt ins Dorf. Die Schenke war gerade im Begriff zu schließen, was ihn, Henry Tenderbilt, jedoch nicht aufhalten konnte. Angeheitert wie er war, was sowohl von Whisky, als auch von der Geburt seines Sohnes herrührte, betrat er die Schenke, wurde sich dann jedoch der Tatsache bewusst, dass er sein Pferd nicht etwa draußen angebunden hatte, vielmehr saß er noch immer obenauf, was ihn zu einem, zurecht mit irre bezeichneten Gelächter veranlasste. Der Wirt war sehr erbost, erbost genug, um zu seiner Schrotflinte zu greifen, was Henry Tenderbilt veranlasste, Schenke und Dorf möglichst schnell zu verlassen, eine Spezialität der Tenderbilts, ohne die die Familie wahrscheinlich schon seit mehreren Generationen ausgestorben wäre.

    Wie eingangs erwähnt, handelte es sich bei Eduard Tenderbilt um den ersten bestimmbaren Vorfahren dieser Familie, jedoch auch die Informationen über ihn sind mehr Sage als geschichtliche Tatsache. In späteren Jahren schrieb ein nicht weiter bekannter Historiker über ihn:

    Tenderbilt, Eduard. Edelmann, verheiratet mit Eleonora Strangeler, zwei Kinder: Malcolm und Angelica. Erster bekannter Tenderbilt in GB, Vater unbekannt, Mutter unbekannt, Herkunft unbekannt. Schien unter erblichem Schwachsinn zu leiden.

    Nur die Tatsache, dass ein noch weniger bekannter Historiker in einem seiner Werke über die Epoche in keiner Weise über ihn schrieb, übertrifft diese Darstellung. Jedoch gelangte ein Zeitgenosse Eduards mit ihm einmal in Streit, so hieß es, den ein anderer Zeitgenosse, ein bekannter Dichter und Autor, folgendermaßen wiedergab:

    Ich kam also gerade aus der Schenke, da stand dieser Kerl vor mir und schnitt Grimassen. Ich sagte ihm, ich hätte keine Verwendung für einen Hofnarren, da besaß er doch die Frechheit, mich zu fragen, ob ich John Mosster sei. Natürlich war ich John Mosster, verneinte aber. Lächelnd meinte er, dann sei es mir ja egal, ob John Mossters Pferde noch an seiner Kutsche angebunden oder aber auf dem Weg in die Highlands wären. Erschrocken lief ich zu meiner Kutsche, wo jedoch keine Pferde mehr waren. Als ich zur Schenke zurückkehrte, war der Mann verschwunden, der Schuft.

    Obgleich kein Name erwähnt wird, nimmt man an, es handele sich bei diesem Mann um Eduard Tenderbilt, zumal er ganz in der Nähe in einem großen Haus gewohnt haben soll. Ein weiteres Dokument aus dieser Zeit, ein Brief eines wenig bekannten Winzers aus Solwwellowcastle an den Neffen Shakespeares, Antonelli Shakespeare, der sich Tony Pear nannte, lautete folgendermaßen:

    Gestern habe ich ein gutes Faß Whisky an einen Landedelmann aus der Nähe von Brindige verkauft. Er machte einige Späße, meinte, das Haar meiner Frau sei zu lang, als ich ihm erklärte, es handele sich um meine Kuh, meinte er, wie müsse dann meine Frau aussehen? Bevor er ging, fütterte er die Tiere und meinen Sohn. Das klingt sehr nett, doch leider fütterte er meinen Sohn mit den Tieren. Was ich sagen wollte, wie geht es Willi? Hat er wieder 'n Drama geschrieben? 'Macbeth' hat mir sehr gut gefallen, vor allem an der Stelle, an der das Mädchen ins Wasser geht. Schöne Grüße, bis Weihnachten.

    Der geneigte Leser wird gemerkt haben, dass mit keinem Wort der Name Tenderbilt erwähnt wurde, wohingegen er sich eindeutig auf 'Hamlet' bezieht, da die Personen in 'Macbeth' nur erstochen oder geköpft werden. Der springende Punkt ist jedoch, dass der Mann, welcher das Fass Whisky gekauft hatte, ein recht eigenwilliges Verhalten an den Tag legte, was tatsächlich den Verdacht nahe legt, dass es sich um Edurad Tenderbilt handelte. Wir können nur mit Sicherheit sagen, dass es nicht William Shakespeare war.

    Der Duft der Rosen erfüllte Haus Senkmoor. Frederic ging in den Garten, auch dort roch es nach den Rosen. Es schien keine Möglichkeit zu geben, dem Duft zu entgehen. Höchstens im Weinkeller, aber dort durfte er nicht hinein. Er lief über den Rasen, sog den Duft ein und versuchte, ihn zu mögen. Es klappte nicht. Missmutig lief er um das Haus herum und dann den Weg hinunter zum Tor. Er wollte sehen, ob er im Dorf irgendjemanden finden konnte. Wahrscheinlich nicht, es war Sommer und alle Kinder im Dorf waren verreist. Nur er nicht. Manchmal dachte er, es wäre besser, ein Kreuzritter zu sein, als in seiner Zeit zu leben. Damals hatte es wenigstens noch Abenteuer gegeben, aber heute? Das Leben war sicher, sicher war es langweiliger als früher. Die Straßen des Dorfes waren menschenverlassen, er lief weiter, hinunter zum See. Niemand, es war glühend heiß, aber niemand war am See. Er legte sich unter einem Baum in den Schatten und starrte nach oben. Was war es doch langweilig, in der Zivilisation zu leben, besonders in den Ferien.

    Angsterfüllt flüchteten sich die Leute in die Häuser. Schon vor weitem konnte man das helle Geräusch hören, wenn Metall auf Metall traf, das Geräusch, das es gab, wenn Metall auf Fleisch traf, wurde von den Schreien der Verwundeten und Sterbenden übertönt. Schnell schlossen die Menschen ihre Türen, verbarrikadierten sich in panischer Angst vor dem, der da nahte. Als er den Rand des Dorfes erreichte, war niemand mehr auf den Straßen. Grimmig grinste er, ließ sein großes Breitschwert durch die Luft kreisen und ritt langsam auf den Dorfplatz zu.

    Kommt raus, Ihr Leute, kommt raus, rief er und begann, ein wenig irre zu lachen. Kein Grund zur Sorge. Seltsamerweise schien ihm niemand zu glauben. Auf dem Dorfplatz führte er sein Pferd zur Tränke, band es an und schritt auf die ihm am nächsten gelegene Tür zu. Mit seiner eisenbehandschuhten Hand klopfte er gegen die Tür. Ein dumpfes, bollerndes Geräusch, das das ganze Haus erfüllte.

    Macht auf, Leute. Keine Antwort. Ihr macht es nur noch schlimmer! Wieder nichts. Gut. Er trat einen Schritt zurück, als wolle er sich einer anderen Tür zuwenden, da ließ er sein Schwert vorschnellen und die Tür zersplitterte. Kommt Ihr heraus? fragte er, doch niemand wagte ihm zu antworten. Also ging er hinein. Wenig später trat er wieder heraus, die Klinge blutig, während sein Pferd in Ruhe Wasser trank. Kaum einer in den anderen Häusern hatte mitbekommen, was er getan hatte, drum kam es für jeden im Dorf überraschend, als seine Tür und wenig später sein Kopf zu splittern begann. Noch immer grimmig lächelnd schritt der Ritter langsam auf sein Pferd zu, welches ruhig an der Tränke stand. Komm, sagte er zu ihm und streichelte ihm zärtlich das Ohr, In diesem Ort sind wir nicht willkommen. Er verließ den Ort, ohne noch einmal im Gasthof eingekehrt zu sein, obgleich man sagte, der Gasthof führe den besten Wein in der ganzen Provinz.

    Erschrocken fuhr Frederic hoch. Ein kleines Mädchen stand vor ihm im Gras und sah ihn fragend an. Frederic stellte fest, dass seine Zunge am Gaumen klebte und er einen ganz trockenen Mund hatte.

    Was hast du denn? wollte das Mädchen wissen, das in seinem Alter zu sein schien.

    Nichts, murmelte er, Ich hab nur gerade das Dorf ausgerottet!

    Man kann viel über die Familie Tenderbilt sagen, sagte Stefano di Calbrizzi, als man ihn, einen nicht unbekannten Historiker, der er in den Jahren geworden war, leider zu diesem Thema fragte, aber sie sind nie durch die Wälder geritten und haben Jungfrauen vergewaltigt, oder sowas wie geplündert. Es war damals schwierig, im Wald zu plündern, weil dort nur wenige Menschen lebten, und wer schon

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