Die Frau aus dem Spiegel: Irrlicht - Neue Edition 11 – Mystikroman
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Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Mystik Romanen interessiert.
Debra schluckte und trat vor den Spiegel. Sie starrte auf das Glas, ein unsichtbares Tuch wischte den Staub weg. Fassungslos sah sie hinein. Nicht ihr Spiegelbild blickte sie an. Bläulicher Nebel wallte, wurde zu tanzenden, leuchtenden Punkten. Sie bildeten eine Frauengestalt. Ein trauriges Lächeln verzog ihren Mund, Tränen glänzten in den Augen. Eingehüllt in bläuliches Licht, bewegte sie nun die Lippen. Sie formten sich zu einem Wort. Doch kein Ton war zu hören. Wieder und wieder. Endlich konnte Debra das Wort von den Lippen ablesen. »Dolores?« wiederholte sie leise. Die Frau im Spiegel nickte. Die Gestalt zerfloß, tanzende Punkte entfernten sich, tauchten in wallende Nebel – dann war nichts mehr zu sehen, nur noch das verstaubte Glas des Spiegels. Debra sah sich wie eine Erwachende um. Das alles habe ich geträumt, versuchte sie sich einzureden. Ich liege bestimmt in meinem Bett, ich werde gleich aufwachen. Aber es war kein Traum.
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Book preview
Die Frau aus dem Spiegel - Judith Parker
Irrlicht - Neue Edition
– 11 –
Die Frau aus dem Spiegel
Gefahren aus der Vergangenheit
Judith Parker
Debra schluckte und trat vor den Spiegel. Sie starrte auf das Glas, ein unsichtbares Tuch wischte den Staub weg. Fassungslos sah sie hinein. Nicht ihr Spiegelbild blickte sie an. Bläulicher Nebel wallte, wurde zu tanzenden, leuchtenden Punkten. Sie bildeten eine Frauengestalt. Ein trauriges Lächeln verzog ihren Mund, Tränen glänzten in den Augen. Eingehüllt in bläuliches Licht, bewegte sie nun die Lippen. Sie formten sich zu einem Wort. Doch kein Ton war zu hören. Wieder und wieder. Endlich konnte Debra das Wort von den Lippen ablesen. »Dolores?« wiederholte sie leise. Die Frau im Spiegel nickte. Die Gestalt zerfloß, tanzende Punkte entfernten sich, tauchten in wallende Nebel – dann war nichts mehr zu sehen, nur noch das verstaubte Glas des Spiegels. Debra sah sich wie eine Erwachende um. Das alles habe ich geträumt, versuchte sie sich einzureden. Ich liege bestimmt in meinem Bett, ich werde gleich aufwachen. Aber es war kein Traum. Sie stand wirklich hier oben auf dem Dachboden der Villa. Und dort an einer Truhe lehnte der Spiegel mit dem staubbedeckten Glas und dem kitschigen Rahmen.
Der Blick der dunklen Männeraugen richtete sich mit unverhohlener Bewunderung auf die blonde Frau, deren schmales Gesicht noch Spuren von den Aufregungen der letzten Wochen zeigte. Sie wirkte erschöpft und verängstigt. Debra Collins lächelte gequält. »Alec, sei mir bitte nicht böse, aber ich möchte mich gleich niederlegen.«
Mit einem verständnisvollen Lächeln drückte er ihre Hand und vermittelte ihr ein Gefühl unendlicher Geborgenheit. »Morgen bist du wieder daheim«, vernahm sie wie aus weiter Ferne.
Es summte in ihren Ohren, und ihr Pulsschlag wurde schneller. Alles ringsum verschwamm vor ihren Augen. »Ja, morgen«, wiederholte sie leise.
»Schlaf gut!« Fast widerwillig ließ er ihre Hand wieder los. Am liebsten hätte er Debra ganz fest in seine Arme genommen und ihr über das glänzende Haar gestreichelt. Aber er hielt sich zurück.
»Du auch.« Sie stieg die Stufen zu den Kabinen der Hochseejacht hinunter, hörte Alecs Schritte, die auf dem Deck verklangen, und wäre beinahe die Treppe wieder hinaufgelaufen, um ihm zu folgen. Doch dann ging sie den schmalen Korridor mit den Mahagoniwänden entlang. Das schimmernde Licht der indirekten Beleuchtung verlieh dem Holz die Farbe von dunklem Honig.
Debra atmete schneller und schluckte gewaltsam den Kloß, der plötzlich in ihrem Hals zu stecken schien, hinunter. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie die Tür zu ihrer Kabine öffnete. Zögernd betrat sie den luxuriös eingerichteten Raum mit den Bullaugen. Die Decke auf dem französischen Bett war zurückgeschlagen. Wie ein Schleier hob sich das zarte Blau ihres Nachthemdes von dem seidenen weißen Kissenbezug ab.
»Guter Sam«, flüsterte sie und dachte an einen der Stewards auf dieser Jacht, der für ihren Daddy durchs Feuer gegangen wäre. Nicht nur er. Das gesamte Personal von Larry Collins trauerte um seinen Boß. Die Hiobsbotschaft seines tödlichen Unfalls hatte wie eine Bombe eingeschlagen.
Debra setzte sich auf das Fußende des Bettes, Tränen brannten wie Feuer unter ihren Lidern und lösten sich von den langen dunklen Wimpern.
Ihr Blick fiel auf den alten Spiegel, der an der Mahagoniwand lehnte – ein auffallend häßlicher Spiegel, der in keiner Weise hierherpaßte. Man könnte ihn fast als Schandfleck bezeichnen.
Und doch spielte dieser Spiegel eine seltsame Rolle in ihrem Leben. Seltsam…? Das war kaum das passende Wort für das durch ihn heraufbeschworene Geschehen, für die Ereignisse, die hinter Debra lagen.
Grauenvolle und auch aufschlußreiche Wahrheiten, die sich unter einem Schleier von Geheimnissen verbargen. Dinge, von denen Debra keine Ahnung hatte, Dinge, die eine Tür zur Vergangenheit brutal aufrissen.
Das alles ging der jungen Frau durch den Kopf, als sie tränenblind auf die kleinen vergoldeten Flügel zu beiden Seiten an den oberen Rundungen des Rahmens blickte. Wie sie leuchteten, goldene Funken versprühten, als ob sie lebten, wegfliegen wollten.
Sie bekam eine Gänsehaut, spürte eisige Kälte, während das Glas des Spiegels stumpfer wurde, als würde jemand ihn anhauchen.
Der Atem des Todes? Fröstelnd zog Debra die Schultern hoch. Hätte sie Alecs Rat nicht doch befolgen sollen? Er hatte ihr vorgeschlagen, den Spiegel ins Meer zu werfen, um sich von dem Spuk zu befreien.
Sie aber spürte, daß noch etwas geschehen würde, etwas, das einen Schlußstrich unter das tragische Geschehen ziehen und die Ängste von ihr nehmen würde.
Langsam erhob sich Debra vom Bett und trat vor den Spiegel. Aus der Tasche ihrer Wolljacke zog sie ein Taschentuch und wischte über das Glas. Kleine elektrische Schläge trafen ihre Fingerspitzen.
Das Glas blieb beschlagen. Ihr Herzschlag verlangsamte sich, pochte dumpf und schwer.
Da ist noch etwas, das ich wissen müßte, es ist noch nicht vorbei, schoß es ihr durch den Kopf. Angst breitete sich in ihr aus.
Ein Gedanke, der sich fest in ihr verankerte und ihr wieder dieses bereits bekannte Gefühl von Unwirklichkeit verlieh.
Sie wandte sich um und ging zur Tür des Badezimmers. Ihre Hand, die sich auf den Türknauf legte, war eiskalt und erschreckend kraftlos.
Die indirekte Beleuchtung im Bad schuf ein bläuliches, geisterhaftes Licht. Ihr Gesicht, das ihr aus dem Spiegel über dem Waschbecken entgegenblickte, war leichenblaß.
Debra riß sich zusammen, versuchte, klar zu denken, was ihr auch gelang. Hastig entkleidete sie sich und schlüpfte in den rosa Bademantel. Er war kuschelig weich, erwärmte ihren Körper und half ihr, die Angst zu bewältigen.
Sie machte Abendtoilette und bürstete ihr volles Haar. Dabei dachte sie an Alec Sheeman, an den Mann, den sie liebte.
Ohne ihn hätte sie das alles nicht durchstehen können. Alec war sofort für sie dagewesen, als sie eine seelische Unterstützung gebraucht hatte. Mein Gott, Alec, ohne dich wäre ich verloren gewesen, sagte sie sich und betrat wieder die Kabine. Sie ignorierte den Spiegel und zog den Bademantel aus, um in ihr hauchdünnes Nachthemd zu schlüpfen. Dann legte sie sich nieder und zog die Bettdecke bis zum Kinn herauf.
Sie lauschte auf das leise Plätschern der Wellen, die gegen die Jacht schlugen, und hörte das Summen des Motors. Geräusche, die wie ein Schlafmittel wirkten. Schwerer und schwerer wurden ihre Lider. Sie war todmüde, sehnte sich nach Schlaf.
Ihr Körper wurde schlaffer, dafür begannen ihre Gedanken fieberhaft zu arbeiten. Sie drängten sich mehr und mehr in den Vordergrund.
Die hinter ihr liegenden Ereignisse überschwemmten sie wie eine alles mit sich reißende Woge.
*
Sie ließ das Nachtlicht brennen. Das grüne Tagebuch auf dem Mahagonitischchen neben dem Bett zog ihren Blick magnetisch an.
Jahrelang hatte es auf dem Dachboden der Villa in Miami