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Lost Place Stories: 13 gruselige und satirische Kurzgeschichten von verlassenen Orten in Berlin und Brandenburg
Lost Place Stories: 13 gruselige und satirische Kurzgeschichten von verlassenen Orten in Berlin und Brandenburg
Lost Place Stories: 13 gruselige und satirische Kurzgeschichten von verlassenen Orten in Berlin und Brandenburg
Ebook350 pages4 hours

Lost Place Stories: 13 gruselige und satirische Kurzgeschichten von verlassenen Orten in Berlin und Brandenburg

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About this ebook

Erkunden Sie lange vergessene Plätze und Orte, an denen Unglaubliches geschah. Welches Geheimnis verbirgt der alte Bunker am Wannsee? Von welchem Wunder erzählt das Kasernen-Theater im Wald? Woran forscht der alte Professor? Gibt es wirklich ein UFO am Ufer der Spree? Lesen Sie von Täuschern und Tierquälern. Lassen Sie sich vom Charme des alten Berlins einfangen. Erfahren Sie vom Schicksal meines Großvaters Paul Becker, dem Kapellmeister, dem die Liebe zur verbotenen Swing-Musik zum Verhängnis wurde.
LanguageDeutsch
Publisherneobooks
Release dateMar 25, 2022
ISBN9783754189672
Lost Place Stories: 13 gruselige und satirische Kurzgeschichten von verlassenen Orten in Berlin und Brandenburg
Author

Markus Becker

Markus Becker, geb. 1970 in Berlin, schreibt seit seiner Jugend Kurzgeschichten. Er besucht verwunschene, verlassene Orte - Lost Places - in Berlin und Brandenburg und hat über sie recherchiert. Diese von der Natur zurückeroberten und durch Vandalismus veränderten Orte ihn zum Schreiben. In historisch fundierte Geschichten fließt seine grenzenlose Phantasie ein. Bewertungen und Rezensionen erwünscht! Ich freue mich auf Ihre Kritik und Ihre Anregungen!

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    Book preview

    Lost Place Stories - Markus Becker

    1. Vorwort

    Liebe*r Leser*in,

    begleiten Sie mich zu verlassenen, unheimlichen Orten: Ein riesiges ehemaliges Kasernengelände in Brandenburg, ein verfallenes Forschungs-Institut, eine Abhörstation aus dem Kalten Krieg und ein furchterregender Bunker am Wannsee haben mir ihre Geschichten erzählt.

    Erleben Sie die phantastische Spannung dieser in Vergessenheit geratenen Orte und erleben Sie die Spannung hautnah beim Betreten verbotener Gebäude und Gelände.

    Gibt es wirklich ein UFO am Ufer der Spree oder war die Erscheinung nur Einbildung?

    „Rendezvous unter den Linden" ist die mit Leben gefüllte Hommage an meine Heimatstadt Berlin, in der unvorhergesehene Dinge geschehen.

    „Käse und Frieden" ist die persönlichste Geschichte: ich erzähle vom Schicksal meines Großvaters Paul Becker. Der Opa, der mir nur aus Erzählungen und von schwarz-weißen Fotos aus dem Familienalbum bekannt ist, wird zur Hauptfigur seiner farbenfrohen und von Musik begleiteten Geschichte, eingebettet in die tragischen Ereignisse seiner Zeit.

    „Der Präparator und „Der Täuscher sind grausame Phantasien des Alltags in der Stadt.

    Die beiden Kurzgeschichten „Unsere Mikrowelle und „Der Gipfel hatte ich bereits in den 90erJahren in einer Senioren-Zeitschrift veröffentlichen dürfen. Ich habe sie in meine erste Geschichtensammlung, die Ihnen hier vorliegt, mit aufgenommen.

    Die Grusel-Ampel verrät in drei Stufen den Schauer-Faktor jeder Erzählung:

    lesen sie die grausamen Geschichten nicht, wenn sie zu Albträumen neigen.

    Die gruseligen Erzählungen zeigen, welcher dunkle Kern in unseren Seelen schlummert und welche bösen Energien er freisetzt.

    Die satirischen Kurzgeschichten erzählen Anekdoten, die, mit ein wenig Phantasie, so passiert sein könnten. Oder sind sie wirklich so geschehen?

    Lassen Sie sich überraschen! Ich bin gespannt auf Ihre Anmerkungen und Kritik

    und wünsche Ihnen gruselige Unterhaltung!

    Ihr

    Markus Becker

    Für meine Familie und meine Freunde.

    Danke für die Hilfe bei der Erschaffung dieses Buches.

    2. Der Präparator

    „Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie du den Schmerz."

    um 550 v. Chr., Aisop, griechischer Sklave auf Samos

    „Fass es lieber nicht an, es wird dich beißen!"

    Der Junge wich erschrocken einen Schritt zurück.

    Hatte sich der Kiefer des Krokodils bewegt? Wenigstens ein Stück?

    Nein, nur Einbildung. Der Vater und der Präparator lachten. Alle Tiere in dem kleinen Ladengeschäft waren unbeweglich und tot. Wenn auch auf wundersame Weise wie im Augenblick eingefroren und damit zum ewigen Leben verurteilt.

    Der Junge war fasziniert. Wie echt sie aussahen: der Fuchs mit seinem wachen Blick, der Schäferhund, der aus seiner Hundehütte schaute und die zusammengerollte Katze, die aussah, als ob sie schlief. Die vielen Vögel oben auf den Regalen sahen auch sehr lebendig aus. Einige im Flug, andere auf einem Ast sitzend.

    Die Anatomie stimmte. Die Posen auch. Einige wirkten etwas staubig wie der Wiedehopf ganz oben unter der Raumdecke. Viele der Tiere hatten leuchtende Augen, die den Betrachter zu beobachten schienen, egal wo man sich gerade in dem Ausstellungsraum befand.

    Wenn der Vater mal keine Zeit hatte, ging der Junge alleine zu dem kleinen Geschäft des Präparators in der Nähe einer großen Einkaufsstraße und lugte durch die Scheibe.

    Der ganze Laden war mit ausgestopften Tieren vollgestellt. Gruselig sahen die Tiere aus, besonders die, die nah am Fenster standen und ihn mit ihren Glasaugen zu fixieren schienen.

    Der Braunbär war ein Meisterstück und sah sehr realistisch aus. Seine ausgefahrenen Krallen waren scharf wie Messer und die Pose, in der er verewigt worden war, war die des Jägers: aufgerichtet und groß, kräftig und unbesiegbar mit weit aufgerissenem Maul.

    Wie machte das der Präparator bloß? Wo waren eigentlich die Nähte der ausgestopften Tiere versteckt? Wo waren ihre Organe und das gesamte Innenleben verblieben? Womit wurden die hohlen Körper aufgefüllt, damit sie so plastisch aussahen?

    So viele Fragen, die der Präparator bei den zahlreichen Besuchen des Jungen freundlich beantwortete. Jedenfalls die meisten.

    Der Ladeninhaber freute sich über den Besuch des aufmerksamen und interessierten Jungen, auch wenn er noch kein Tier gekauft hatte oder in Auftrag gegeben hatte.

    Die Gesellschaft des Jungen war ihm angenehm und er zeigte ihm hier und da auch ein paar Tricks seines Handwerks:

    Wie man das Fell von verunglückten Tieren reparieren konnte an Stellen, die durch Blut verunreinigt oder durch Einschüsse durchlöchert worden waren. Wie man kaschierte, reinigte, nähte, desinfizierte und ausstopfte. Aus toten Tieren wurden lebensechte Präparate.

    Auf dem Heimweg begegnete der Junge auf der Straße oft Katzen und Hunden aus der Nachbarschaft. Dann ging er in die Hocke und streckte ihnen die Hand entgegen, damit sie daran schnuppern konnten. Dieses Verhalten hatte er mal in einem Tierfilm gesehen. Meistens kamen die Haustiere dann so nah heran, dass er sie streicheln konnte.

    Es war auch schon mal eine wildlebende Katze dabei, eine Freigängerin, die ausgebüxt war. In seiner Jackentasche hatte er ein wenig Futter dabei. So manchem Tier durfte er das Leckerli direkt ins Mäulchen stecken. Wenige sogar am Bauch kraulen, nachdem sie sich auf den Rücken gelegt hatten. Die Tiere mochten den Jungen. Manchmal folgten sie ihm sogar ein Stück seines Weges.

    Er mochte die Tiere auch. Sehr sogar. Er wollte gerne ein Haustier haben. Die Eltern waren auf den Wunsch des Sohnes nicht eingegangen, sie wollten kein Tier in der Wohnung haben und befürchteten, dass es zu viel Lärm und Dreck machen würde oder er sich nicht ausreichend um ein Tier kümmern würde. Irgendwann fand sich der Junge damit ab, dass ihm sein Traum vom eigenen Haustier nicht erfüllt werden sollte.

    Draußen gab es ja genug Tiere.

    Die Dame im Tierfutterladen war sehr freundlich, Sie beriet den Jungen ausführlich, was Hunde und Katzen gerne fressen. Sie hatte Geduld, der Junge stand schon lange in ihrem Laden.

    „Nur Trockenfutter und nichts Frisches geht gar nicht!, sagte sie. „Und stark gesalzenes Fertigfutter auch nicht. Geben sie ihrem Liebling besser von den Innereien, dem Rind-Schwein-Mix und dem frischen Gemüse-Fleisch-Mix, er wird es ihnen danken und agil und gesund bleiben. Kostet etwas mehr aber erspart am Ende die dicke Rechnung beim Tierarzt.

    Sie war eine erfahrene Verkäuferin.

    „Was für eine Rasse haben sie denn? fragte die Verkäuferin den Jungen. „Ähh, also, es ist ein Golden Retriever! stammelte der Junge. Er hatte gar keinen Hund. Aber er hatte schon viele Hunderassen gesehen und einige auch streicheln dürfen. Außerdem wusste er, wo sich viele Hunde aufhielten.

    Er kaufte verschiedene Sorten Nahrung und verabschiedete sich freundlich.

    Am Hundeauslaufplatz am Stadtrand sah er die verschiedensten Rassen und beobachtete ihr Verhalten. Und ihre Fressgewohnheiten. Manche wurden für ein Kunststück belohnt von Frauchen oder Herrchen.

    Wenn der Junge einen Beutel mit frischem Fleisch aus dem Fachgeschäft dabeihatte, kamen einige Hunde sogar zum Zaun gerannt. Interessant. Sie scheinen das Futter weit zu riechen, durch den Beutel und sogar gegen den Wind. Wenn die Hundebesitzer ihn komisch anschauten, dann lächelte er verlegen und sagte: „Hab nur frische Leberwurst für meine Oma in der Tasche!" und ging weiter.

    Es war ein schöner warmer Sommerabend. Nach Einbruch der Dunkelheit schlenderte er unauffällig gekleidet durch die Straßen, die er vorher schon mit dem Wagen abgefahren war. Die meisten Hundebesitzer waren mit der letzten Gassi-Runde schon fertig.

    Hier und da ein Passant, aber nichts Auffälliges. Er ging zielstrebig auf einen großen handgeschrieben Zettel an einem Baum zu, riss ihn ab und legte ihn in die Mappe in seiner Tasche. In der nächsten Querstraße noch ein Zettel. Fast schon ein Poster. Diesmal hochauflösend und in Farbe gedruckt. Ratsch, abgerissen, in die Tasche gelegt.

    So durchquerte er das ganze Viertel, Straße für Straße.

    Xara, Luna, Bommel, Angus, Emma, Bella, Timon… Alle wurden sie vermisst, ob Hund oder Katze. Er hatte ihre Suchmeldungen und Steckbriefe einkassiert, die schriftlichen Hilferufe ihrer Frauchen und Herrchen. Die Tiere wurden darin genauestens beschrieben: hellbraunes Fell mit dunklem Fleck auf der Stirn oder lahmt etwas, folgt gerne Menschen, ist schüchtern etc.

    Manchmal wurden sogar hohe Belohnungen ausgelobt.

    „Sollen die Leute doch besser auf ihre Lieblinge aufpassen!", dachte er.

    Bis um Mitternacht war er fertig mit dem Abreißen und Einsammeln der Zettel und Poster. In der Folgenacht machte er wieder einen Beutezug, nur in einem anderen Viertel der Stadt.

    Das alte Flughafengelände war schon seit Jahren verlassen. Es wurde nicht mehr benötigt, seit der neue Flughafen in Betrieb genommen worden war. Das war schon viele Jahre her.

    Die Start- und Landebahnen sahen noch gut erhalten aus, der alte Tower sah aus wie ein kleiner Leuchtturm und stand bedeutungslos neben dem flachen Gebäude: die Luftaufsichtsbaracke war der Witterung ausgesetzt gewesen und ziemlich zerfallen. Die Hundezwinger vor dem Gebäude waren leer, ihre Gittertüren offen und das gesamte Gelände war von modernen Wandalen heimgesucht worden. Dann waren die Sprayer gekommen und hatten ihre Kunstwerke an den feuchten Wänden hinterlassen. So hatte der bröckelnde graue Putz wenigstens wieder etwas Farbe bekommen.

    Schräge Tags und böse Graffiti-Gesichter zierten die Fassade des Hauptgebäudes.

    Er erreichte das Gelände in der Dämmerung. Hier kannte er sich hier gut aus. Zügig betrat er das Gebäude, ging herunter in den Keller, schaute sich um: niemand war seit seinem letzten Besuch hier gewesen. Glücklicherweise hatte er bei seinem ersten Besuch einen Schlüssel gefunden.

    Dieser passte genau in das Schloss der Kellertür. Er schloss auf und legte die Gegenstände ab, die er mühsam ins Gebäude geschleppt hatte. Mehrmals musste er vom Auto bis hier laufen. Auf dem Gelände wollte er aber nicht parken, es war ihm zu riskant, falls doch ein Neugieriger in der Nähe war, z.B. Spaziergänger. Er schwitzte und atmete tief.

    Im Schutz der Dunkelheit wuchtete er die großen Zwinger ins Gebäude. Den Krach und das Echo, als er sie die Treppe heruntergleiten ließ und sie auf dem Kellerboden aufschlugen, hörte zum Glück niemand. Die robusten Käfige hatten keinen Transportschaden bekommen.

    Dann machte er sich an die Arbeit und türmte die Gegenstände auf. Die großen, breiten Hundezwinger bildeten die untere Reihe. Er kletterte auf den alten Tritt der im Keller herumgestanden hatte, um alles bis zur Decke zu verstauen, was er mitgebracht hatte. Verschwitzt, aber glücklich betrachtete er sein Werk. Perfekt!

    50 Zwinger und Käfige, Vogel-Bauern und Kästen, nach der Größe sortiert, standen hier übereinander getürmt an der rechten Wand. An die linke Wand klebte er die Steckbriefe und Suchposter, die er in dieder Woche eingesammelt hatte. Einige waren doppelt oder dreifach bereits vorhanden.

    Er überklebte die alten Steckbriefe mit den neuen. Sie zierten meist die gleichen schlecht erkennbaren Fotos von vermissten Vierbeinern und Vögeln, auf einem war sogar ein schwarzer Achtbeiner abgebildet: eine Vogelspinne wurde gesucht, nachdem sie im Garten entlaufen war.

    Manche Tierbesitzer oder besser Ex-Besitzer hatten offenbar im Wochenrhythmus neue Poster an Bäume und Laternen, an Schwarze Bretter in den Einkaufsstraßen und Supermärkten geklebt, wenn die alten, aus welchem Grund auch immer, entfernt worden waren.

    Natürlich hatte er sauber Buch geführt, wann er die Suchmeldungen das erste Mal mitgenommen hatte und wann das zweite und dritte Mal.

    Einige hingen schon seit Monaten hier im Keller des Flughafengebäudes und waren etwas feucht geworden an der rauen unverputzten Wand, manche waren noch ganz frisch. Die Daten, an denen er sie eingesammelt hatte, notierte er mit großer Schrift auf dem obersten Poster.

    Dann machte er sich aus dem Staub.

    Die Straße am Park war nicht besonders belebt. Holperpflaster, eine etwas schiefe und schmale Fahrbahn. Wenige Ausflügler parkten ihre Wagen hier, um im Stadtpark spazieren zu gehen. Fahrradfahrer mieden diese Straße, sicher, weil sie sehr holprig war. Die Wohngebäude auf der anderen Seite hatten die Balkone zur Sonnenseite, nicht zur Straßenseite. An den Fenstern war selten jemand zu sehen. Die letzten Lichter gingen aus, es war schon spät.

    Hier stellte er sein Auto ab. Seinen unauffälligen Kombi mit ungetönten Scheiben, er hatte nichts zu verbergen. Den feinen Geruch aus dem Kofferraum nahm kein Mensch war, der hier spazieren ging, dafür war der leicht modrige Geruch vom nahegelegen Ententeich zu stark.

    Die hintere Seitenscheibe war ein wenig heruntergelassen. Im Kofferraum stand ein offener Eimer mit feinstem frischen Fleisch. Eine kleine Portion nahm er heraus und ging zum Uferweg am See. Ganz unauffällig hatte er den Klumpen Fleisch dort fallen gelassen.

    Er setzte sich ins Auto und wartete. Ein kleiner Jack Russell Terrier kam nach einiger Zeit vorbei und näherte sich dem Klumpen Futter. Das Tier hatte ein ungepflegtes Fell und sah etwas abgemagert aus. Der Hund schnupperte an dem Klumpen und wartete nicht lange: er verschlang das Fleisch geradezu in wenigen Sekunden.

    Er aus dem Wagen und nahm die kleine Tüte mit dem Spezialfutter mit, als er sich langsam dem Hund näherte. Darin war der gekochte Pansen, frisch und wohlriechend, jedenfalls für die Hundenase, für ihn stank das Zeug einfach eklig.

    Der Russel reagierte, denn der kleine Haufen Futter hatte ihn offensichtlich noch nicht gesättigt.

    Als er ihm den Beutel hinhielt, machte der Hund Männchen. Zu fressen bekam er davon noch nicht. Dann lief der Russell wieder ein Stück zurück, er kannte den Fremden Menschen nicht.

    Der Hunger siegte über die Scheu, als der Hund im Kofferraum seine Belohnung bekam und das Fleisch aus dem Beutel fressen durfte. Um sich herum vergaß er alles. Auch, als sich der Kofferraumtür schloss. Für den warmen Pansen hätte er sein Leben gegeben.

    Der Wagen setzte sich in Bewegung in Richtung Flugplatz.

    Wieder überprüfte er, ob jemand auf dem Gelände zu erkennen war oder ein Auto vor dem Zaun parkte: negativ!

    Er betrat den dunklen Raum im Keller des verlassenen Flughafens und sperrte er den kleinen Hund, der ängstlich winselte, in einen von der Größe passenden Käfig. Nummer 27.

    An der Wand hing das dazugehörige Suchplakat: „Jacky. Entlaufen vor zwei Wochen in einem südwestlichen Bezirk der Stadt."

    Bingo! dachte er. „Na warte, wenn Du vier Wochen hier gehaust hast, wirst Du noch sehr viel dünner sein als heute. Pansen gibt es ab heute jedenfalls nicht mehr, du armseliger Köter.

    Deine Besitzer werden Dich nicht wiedererkennen, aber umso glücklicher sein, dich wiederzusehen.

    Das Futter stelle ich ihnen in Rechnung, das kannst Du glauben. Dafür, dass sie so unachtsam waren und du ausreißen konntest. Von nun an ist Schluss mit dem Luxus-Freßchen…Nun gibt es die Keller-Diät. Gar nichts mehr! Und nach drei Tagen nur so viel Dosenfraß von der billigsten Sorte, dass du nicht krepierst."

    Vier Wochen später.

    Jacky winselte nur noch leise und war sehr schwach geworden. Er konnte kaum noch aufrecht stehen im Käfig Nr. 27, ohne immer wieder hinzufallen. Sein Fell sah matt und ungepflegt aus, weil er sich nicht mehr putzen konnte oder wollte, überall kahle Stellen von der Mangelernährung. Sein Maul sah auch nicht gesund aus, viele Zähne waren dunkel geworden oder fehlten.

    Die blutige Zange lag noch auf dem kleinen Tisch neben Jackys Käfig. Zwei gezogene Zähne lagen daneben in einem schwarzen Fleck aus getrocknetem Blut. Der Präparator hatte dem armen Hund ohne Betäubung zwei Zähne gezogen. „So siehst du überzeugender aus, du frecher Ausreißer!" Hatte der Präparator zu dem schwachen Geschöpf gesagt, als er ihn qualvoll behandelt hatte.

    Jackys Augen waren trüb und traurig. In den Nachbarkäfigen lagen ähnlich armselige Gestalten, die einst lebensfrohe, gesunde Haustiere gewesen waren und vor Angst zitterten und winselten, froren und hungerten. Der Präparator hatte sie zu mit seiner grausamen Spezialbehandlung zu Jammergeschöpfen erniedrigt.

    Er war in Position gegangen und hatte seinen Wagen weit weg geparkt. Er zückte sein Mobiltelefon, seine Rufnummer unterdrückte er.

    „Hallo, Meier hier, habe ihren Steckbrief gesehen, mir ist ein Jack Russell zugelaufen. Ist das vielleicht ihrer?"

    Eine Stimme am anderen Ende fragte: „Wo sind sie? Wir vermissen unseren Hund, er ist ein Russell, wo können wir ihn abholen.?"

    „Bin in der Nähe, war auf dem Heimweg, da lief mir der Hund zu. Ich komme vorbei. Vielleicht ist es ihrer! Welche Adresse?"

    Es war immer dasselbe: erst der Schock, wenn man vom Verbleib des geliebten Tieres hörte. Dann Tränen der Rührung, weil es dem Tod geradeso von der Schippe gehopst war und man so froh war, es zurückzubekommen. Egal in welchem Zustand. Dann die Dankbarkeit gegenüber dem Finder. Dem Retter geradezu. Und dann gab es eine Belohnung für den Präparator.

    Er überreichte den Jack Russell Terrier, in eine Decke gewickelt, seinem Frauchen. Das Tier regte sich kaum, fiepte aber hörbar glücklich. Sein Frauchen musste weinen und ihr Mann nahm ihr das Fellbündel ab, damit sie sich erst einmal fassen konnte.

    Der Präparator erwähnte beiläufig, dass er das beste Futter gekauft hatte, damit das arme Tier wieder zu Kräften kommen konnte. Dann gab es etwas mehr Kohle. Bargeld schienen die Leute genug im Haus zu haben, sie waren nicht knauserig bei der Entlohnung. Und dann das Finale:

    „Ich hätte ihnen ihren Liebling schon gerne früher gebracht, aber ich musste erst mal nach so einer Suchmeldung Ausschau halten. Drei Tage habe ich versucht, ihn aufzupäppeln. Im Internet hatten sie nicht den Verlust inseriert, oder?

    „Nein, das hatten wir vergessen. Nur die Steckbriefe haben wir mehrmals in der Gegend ausgehängt. Jemand schien die entfernt zu haben, da haben wir neue hingehängt." sagte die zierliche Frau.

    Der Mann verschwand kurz und kam wieder zur Tür: Danke, vielen, vielen Dank, hier sind 800 €, reichen die für ihre Unkosten?"

    „Das ist ja fast zu viel, ich weiß gar nicht… Danke sehr!"

    Ein falsches Lächeln und schon war der Präparator verschwunden. Dieses Mal hatte es sich gelohnt.

    Zurück blieb ein glückliches, zu Tränen gerührtes Paar mit ihrem geretteten Vierbeiner, der kaum wiederzuerkennen war nach Wochen der Pein und Folter.

    Fütterungszeit.

    Der Präparator betrat den großen dunklen Raum. Er hatte einen guten Tag gehabt und bei seiner freundlichen Verkäuferin im Tierfuttergeschäft eingekauft. Als das Notlicht im Keller angeknipst wurde, hörte das Schnurren und Schnarchen auf. Für einen Moment. Dann schnatterte, miaute, bellte es aus allen Ecken und aus allen Käfigen im Raum.

    Der Geruch von frischem Futter machte sich breit. Jeder wollte ein leckeres Fresschen abhaben.

    Es wurde an den Gitterstäben geknabbert, am Boden gescharrt und hin- und her gerannt in den kleinen Käfigen und Zwingern.

    Der Futtereimer war randvoll mit Rinder- Schweine- Lamm-Mix mit Knorpeln und teilweise mit Gemüse. Obenauf lag eine große Portion gekochter Pansen, noch brühwarm. Dem Präparator wurde ein wenig übel. Was für ihn unangenehm stank war für die meisten Tiere der Duft eines Festmahls. Die großen Hunde bekamen eine riesige Portion Pansen und Mix, die Katzen Hühnerherzen und Gehacktes.

    Die Vegetarier erhielten aus dem kleinen Eimer Salat und kleingeschnittenes Gemüse.

    Die Kaninchen knabberten genüsslich an den Gurkenscheiben und den Salatblättern, auch wenn einige schon etwas welk waren. Wer weiß, wann es wieder etwas zu fressen gibt?

    Der Präparator stand vor dem Stall von Gretel.

    Auf dem Schild an ihrem Käfig standen ihr Name, ihre Nummer und ihr Funddatum. Die Schildkröte war der Exot hier. Die einzige ihrer Art. Sie lag im Terrarium, es war auch das einzige hier.

    „Was gebe ich Dir denn zu fressen? Du bist doch bestimmt Vegetarier. Hier hast du was!" Er warf ihr ein paar Blätter Rucola in das Terrarium. Den mochte sie nicht besonders, weil er so bitter war, aber besser als nichts. Also fraß sie den Salat brav auf.

    Früher hatte sie einen Gefährten gehabt, Hänsel, aber dieser war schon vor einem Jahr tödlich verunglückt. Schildkröten können sehr lange leben. Es sei denn, man beaufsichtigt sie nicht, wenn sie in einem Freigehege leben, und sei es nur im eigenen Garten. So war es bei Hänsel geschehen. An den warmen Sommertagen hielt er sich mit Gretel meist draußen auf der Wiese auf. Ihre Besitzerin, ein kleines Mädchen, lag auf einem Sonnenstuhl im Schatten.

    Bis der Habicht die Panzertiere eines Tages bemerkte und Kreise über ihnen zog. Hänsel hatte ihn nicht einmal bemerkt. Gretel schon. Sie konnte sich in dem kleinen Schuppen verstecken, als der Vogel zum Sinkflug ansetzte. Warnen konnte sie ihren Artgenossen nicht mehr, alles ging zu schnell.

    Der Habicht hatte sich im Sturzflug auf Hänsel gestürzt. Auch wenn Hänsel sich in seinem Panzer Schutz suchte und Beine und Kopf so sehr einzog, wie es nur ging: es war zu spät. Der Raubvogel hatte alle Körperteile, die mit seinem Schnabel zu erreichen waren, aus Hänsels Panzer gepickt.

    Die Besitzerin, die kleine Sarah, wurde von den Geräuschen des Kampfes wach und schrie, so laut sie konnte. Helfen konnte dem armen Hänsel niemand mehr. Nur der leergefressene Panzer drehte sich auf dem runden Gartentisch wie ein Brummkreisel.

    Gretel war schockiert und konnte sich nicht mal bewegen vor Angst. Nun war sie allein.

    „Gretel! Gretel? Wo bist Du?" Sarah schrie sich die Seele aus dem Leib. Gretel hörte sie nicht.

    Der Verkehr um sie herum war zu laut. Dafür schmeckte ihr der Löwenzahn auf der kleinen Wiese gut, jedenfalls um Längen besser als der halb welke Salat aus der Plastiktüte, den ihr die kleine Sarah in den Käfig geworfen hatte. Wie war sie bei ihrer Geschwindigkeit hierher gelangt?

    Sie muss wahnsinnig viel Glück gehabt haben, nicht überfahren worden zu sein. Hundepipi am Löwenzahn störte sie nicht, war auch kaum welches an den Blättern, die sie kaute. Es war kein Hund in Sicht, die Wiese der Mittelinsel gehörte ihr allein.

    „Schlurps.." schon hatte Gretel einen Regenwurm eingesaugt. Lecker! Viel besser als das langweilige Futter zuhause. Hier bleibe ich! Der schwarze Schatten am Himmel kam näher. War es eine Krähe oder ein Rabe? Während der Vogel zum Sturzflug ansetzte, zog Gretel Arme, Beine und Kopf in ihren Panzer ein. Sie erinnerte sich an das Schicksal ihres Artgenossen Hänsel. Der Schnabel des Jägers prallte vom Schildkrötenpanzer ab und der Vogel krächzte vor Schmerz.

    Als er nicht mehr zu hören war, fuhr Gretel Glieder und Kopf wieder aus und marschierte langsam weiter über die Wiese auf dem Mittelstreifen der Straße, auf zum nächsten Leckerbissen. Sie hatte aus Hänsels Schicksal gelernt, war schnell und klug geworden. Aber nicht klug genug.

    Ein weiterer Schatten bedeckte das Tier, dass mit dem Fressen beschäftigt war. Der Präparator griff den Panzer mit seiner Hand in Sekundenschnelle, er wusste, dass Gretel nicht fliehen konnte. Behutsam steckte er sie in seinen Beutel und ging zum Wagen.

    Er wusste, dass die Schildkröte schon vor Monaten entlaufen war. Er hatte ihre Suchnachricht längst im Keller des Flughafengebäudes an die Kellerwand geheftet und auf diesen Augenblick gewartet. Nun hatte er Gretel in seiner Gewalt.

    Spät abends ein Anruf bei Familie Franke: „Guten Abend, Meier hier, vermissen sie eine Schildkröte? Habe eine gefunden im Park an der großen Wiese. Die sieht aus wie ihre Gretel.

    Was? Ja, bin in der Nähe, wenn es ihnen nicht zu spät ist, komme ich…wie bitte, sie haben bereits eine neue Schildkröte gekauft für ihr Kind? Es soll die alte nicht zurückbekommen, weil sie bereits eine Neue hat? Schön." Aufgelegt.

    So eine Frechheit, wie schnell manche Tierbesitzer Ersatz gefunden haben. Keine Belohnung.

    Was mache ich nun mit Dir? Schildkrötensuppe? Der Präparator lachte verschmitzt. Gretel sah und hörte es nicht vor lauter Angst in dem dicken Stoffbeutel. Sie war wie versteinert.

    Später wurde sie in einem Terrarium in einem fast dunklem Raum wach. Kein Salat, kein Fressen zu sehen, nicht mal eine Schale Wasser. Wo bin ich? Es roch modrig und war kalt hier. Nun wurde es finster in dem feuchten Raum. Gretel hatte wieder Angst. Hinzu kam immer stärker werdender Hunger, mit jedem Tag, der verging.

    „Hallo, Meier hier, ich glaube, ich habe ihre Katze gefunden, ist es so eine dreifarbige mit schwarzer Nase? Habe ihre Suchanzeige gelesen."

    Stille am anderen Ende. Dann ein Jauchzen: Eine Frauenstimme: „Ja, unsere Minka, sie ist schon so lange weg, wo können wir sie abholen?"

    Ich war im Außendienst, bin hier in Waldbach, kann gerne vorbeikommen, wenn es ihnen jetzt nicht zu spät ist."

    „Ja, bitte, wir haben unsere Minka so vermisst. Geht es ihr gut? Fehlt ihr etwas?"

    „Nein, eigentlich nicht, nur der Schwanz. Sie hat bestimmt lange draußen gelebt. Vielleicht ein Revierkampf mit anderen Katzen? Weiß nicht. Ist aber gut verheilt, der Stummel. Sie ist mir fast vor den Wagen gerannt, wissen sie. Habe ihre Wunde verbunden, ihr etwas zu trinken gegeben und sie auf eine Decke gelegt im Wagen. Ich komme vorbei. Wo wohnen sie?"

    „Das ist ja schrecklich. Unüberhörbare Tränen auf der anderen Seite der Leitung, dann ganz leise: „In der Dorfstraße 4. Bei Urban.

    „Bis gleich."

    Der Präparator wartete ein paar Minuten. Sein Wagen stand schon fast in Sichtweite der Urbans.

    Noch ein wenig das Fell gegen den Strich gestreichelt und es mit dem Wasser aus der Seltersflasche angefeuchtet. Etwas Dreck aus einer Tüte auf dem Fell verteilt und schon ging es los:

    Mit in die Decke eingewickelter Minka stand er vor der Tür der Urbans. Klingeln. Hastige Schritte im Haus. Die Tür ging auf. Das Ehepaar Urban stand vor ihm.

    „Bitte nicht so laut, die Kleine schläft schon, sie soll das Tier in diesem Zustand nicht sehen. Danke, dass sie gekommen sind." „Keine Ursache, war in der Gegend, muss aber jetzt heim. Hier ihre Katze. Das arme Tier sah so schlecht aus. Habe sie auch noch etwas gefüttert, aber sie wollte kaum

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